Unser Bosnien-Herzegowina-Aufenthalt startete abenteuerlich, setzte sich abenteuerlich fort und endete genauso abenteuerlich.
Laut Plan sollten wir mit dem Nachtbus um 3 Uhr morgens in Mostar ankommen. Gegen 4 Uhr wurden wir zusammen mit der handvoll anderer Mitfahrer, die nach Mostar wollten, an einer Tankstelle mitten im Nirgendwo herausgeworfen.
Busfahrer: „Bis zum Busbahnhof in Mostar sind es noch 200m!“
Anderer Businsasse: „Quatsch, das sind mindestens 500m!“
Busfahrer: „Egal!“
Nach längeren Orientierungsversuchen via Google Maps (wohlgemerkt ohne Internet) und der Hilfe des Tankstellenwärters trottelte die verbliebene Gruppe der Mostar-Touristen los in die Richtung, in die wir die Stadt vermuteten. Leider waren sowohl 200m als auch 500m leicht utopische Schätzungen. Etwa eine halbe Stunde liefen wir an der komplett unbeleuchteten, autobahnähnlichen Landstraße entlang, an der der Busfahrer uns rausgelassen hatte, und unterhielten uns darüber, wie wir lieber sterben würden: Durch ein Auto, das die 5 Backpacker am Straßenrand nicht gesehen hatte, oder durch die überall in Bosnien-Herzegowina verstreuten Landminen, Andenken des Jugoslavienkriegs.
Glücklicherweise passierte weder das eine noch das andere, so langsam kamen die ersten Häuser in Sicht, die Straße wurde kleiner und am Horizont zeichnen sich erste Anzeichen des Morgengrauens ab.
Eine weitere halbe Stunde später schmerzte uns dank der schweren Rucksäcke und ausgelatschten Sandalen ungefähr alles, wir waren verschwitzt und wir hatten den Busbahnhof erreicht. Zumindest glaubten wir, uns jetzt am richtigen Bahnhof zu befinden, denn Mostar hat von allem 2. Während des Bosnienkrieges in den 90er Jahren kämpften hier zuerst die katholischen Kroaten und die muslimischen Bosniaken zusammen gegen die Serben, danach bekriegten sie sich gegenseitig. Da die Kroaten im Westen und die Bosniaken im Osten der Stadt lebten, gab es sowohl einen kroatischen als auch einen bosnischen Bahnhof. Geteilt wird die Stadt durch den Fluss Neretva, inzwischen ist aber wieder Frieden zwischen den Völkern eingekehrt und man kann sich frei bewegen.
Vom Bahnhof aus waren es dann „nur“ noch 2 1/2 km bis zu unserem Hostel, für die wir dank eines leeren Handyakkus und einigen auf Schlafmangel zurückführbaren Denkaussetzern meinerseits ebenfalls eine gute Stunde brauchten. Auf dieser Odysee sahen wir im Licht der aufgehenden Sonne schon einiges von der bereits sehr schön anmutenden Altstadt Mostars. Um kurz vor 6 hatten wir es dann tatsächlich geschafft – nur 3 Stunden später, als wir dem Hostelbesitzer angekündigt hatten.
Am „nächsten Tag“ wurden wir von der Hosteloma mit einem sehr leckeren Frühstück beglückt und machten uns dann auf den Weg in Richtung Altstadt, die wir auf unserem Fußmarsch schon komplett durchlaufen hatten.
Das Herzstück Mostars ist die Alte Brücke, „Stari Most“ genannt.
Sie wurde, zusammen mit einem großen Teil der Altstadt, im Jugoslavienkrieg komplett zerstört und erst vor ein paar Jahren im naturgetreuem Maßstab wieder aufgebaut. Jetzt tummeln sich Touristen auf der Brücke, sitzen in Cafés und stöbern in den zahlreichen Souvenirshops, die in den Gassen um die Stari Most herum erbaut wurden, und nichts verweist mehr auf den Krieg.
Ein paar Straßen weiter jedoch, wo die Altstadt aufhört und auch der Touristenstrom schlagartig versiegt, ist er wieder ganz präsent: Einschusslöcher, kaputte Fassaden und unbewohnte Ruinen erinnern mich an meinen Besuch in Sarajevo, der Hauptstadt des Landes.
Nachdem wir eine Weile herum-gelaufen waren, mussten wir der Wahrheit ins Auge blicken: Es war einfach zu heiß. Also schnell zurück zum Hostel, Schwimmsachen holen und ab in den Fluss!
In Mostar ist es eine langjährige Tradition, von der ca. 20m hohen Stari Most in den türkis glitzernden Fluss Neretva zu springen. Andere badeten am Fuß der Brücke, durchschwammen den Fluss und hopsten von kleinen Felsen am Ufer hinein. „Das können wir auch!“, dachten wir, machten ein paar Schritte ins Wasser und stellten fest:
a) Das Wasser ist unglaublich kalt!
b) Die Strömung ist ziemlich stark!
Heldenhaft wateten wir unter Quiekgeräuschen bis zu den Oberschenkeln in die Eisfluten, zählten bis 3 und trauten uns doch nicht, auf die andere Seite zu schwimmen.
Zu unserer Verteidigung kann ich sagen: Nur wenige Kilometer vor Mostar mündet ein Nebenfluss in die Neretva, dessen Wassertemperatur nur 10°C beträgt! Und genauso fühlte sich das Wasser in Mostar auch an.
Einen Tag später haben wir uns dann doch getraut, die Neretva zu überqueren (allerdings nur in Begleitung und durch gutes Zureden eines anderen Backpackers, der auch aus Deutschland kommt). Glücklicherweise trieben wir nicht bis zum Mittelmeer, bevor wir die andere Flussseite erreichen konnten, und sprangen mutig von Klippen in die eiskalten Fluten. Ich bin immer noch sehr stolz auf uns.
Außerdem machten wir einen Ausflug nach Blagaj, ein Dorf, in dem der Seitenarm der Neretva entspringt. Das unglaublich türkise Wasser strömt hier aus der Höhle eines riesigen Felsens. Dieser Anblick gefiel nicht nur uns, sondern auch einem türkischen Sultan, der im 16. Jahrhundert ein Kloster direkt an der Quelle erbaute. Wir besichtigen das hübsche Kloster, machten viele Fotos und fuhren dann zurück nach Mostar.
Am späten Abend, genauer gesagt um 0.30 Uhr, sollte uns dann ein Bus nach Zadar bringen. Wir trafen pünktlich eine Viertelstunde vor Abfahrt am Busbahnhof ein, nur leider wartete dort irgendwie niemand anderes. Der Bahnhof war menschenleer.
Etwas beunruhigt überprüften wir nochmal Datum und Abfahrtszeiten, und bemerkten, dass um 0.30 Uhr ja eigentlich schon der nächste Tag begonnen hatte. War unser Bus eigentlich schon vor 24 Stunden abgefahren?
Anti und ich kriegten eine mittelschwere Krise bei dem Gedanken, dass wir schon Bustickets gekauft, unsere Unterkunft in Zadar gebucht und bezahlt hatten und uns sowieso bereits einen Tag länger in Mostar aufhielten als eigentlich geplant, weil der Bus laut Aussage des Hostelbesitzers nur alle 2 Tage kommt
Glücklicherweise fanden wir ein anderes Backpacker-Pärchen, das ebenfalls auf den Bus nach Zadar wartete und uns mit ihrer Entspanntheit etwas beruhigte. Sie hatten gehört, dass irgendein Bus um 1.00 Uhr kommen sollte und meinten, dass wir uns keine Sorgen machen müssen: Sie wären heute mit gutem Karma gesegnet, sie hatten nämlich in ihrem Hostelbett ein Tütchen Gras gefunden.
Eine halbe Stunde später kam ein anderer Mann auf uns zu und fragte, ob wir auch auch auf den Bus nach Sarajevo warten würden. Gottseidank wurden neu aufkeimende Zweifel an der Existenz des Zadar-Busses ausgelöscht, als dieser tatsächlich um 1.10 Uhr in den Busbahnhof einrollte. Auch die Befürchtung, dass unser Ticket nicht für diesen, sondern für irgendeinen anderen Bus galt, wurden mit einem gutgelaunten „Nema problema!“ des Busfahrers beseitigt.
Und so konnten wir den schönen Staat Bosnien-Herzegowina nach zwei ereignisreichen Tagen und wenig Schlaf doch noch verlassen. War schön!