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Meine Entsendeorganisation

Eine Ex-Jugoslavien-Reise, Teil 1: Ljubljana / Zagreb

Wir wollten nach Sarajevo und wir wollten nach Belgrad, das hatten Aliena und ich uns vorgenommen. Eine Freundin von Aliena, die auch Mascha heißt, auch ein FSJ in Ungarn macht und, jetzt kommt der Höhepunkt aller Gemeinsamkeiten, auch harte Kontaktlinsen besitzt!, schloss sich unserer Reisegemeinschaft an. Mir eine Woche freizunehmen war kein Problem, dafür gab es eine Menge andere Dinge, die versuchten, uns von unserer Reise abzuhalten. Keine vernünftigen Zugverbindungen, keine seriöse Auskunft im Internet. Schneechaos, zusammenbrechende Stromversorgung. Demonstrationen, brennende Regierungsgebäude.

Wir ließen uns von alldem nicht abhalten und machten uns auf den Weg. Wir haben unglaubliche Orte gesehen, verrückte Dinge erlebt und Menschen getroffen, wir haben viel Zeit in verrauchten Zügen und stickigen Bussen verbracht, und wir haben so viel Neues gelernt. Und jetzt von vorne:

Weil man Sarajevo irgendwie nur über einen Zug von Zagreb aus erreichen kann, beschlossen wir, diesen Riesen-Umweg halbwegs sinnvoll zu nutzen, um uns Ljubljana, die 1 1/2 Stunden von Zagreb entfernt liegende Hauptstadt von Slowenien, anzuschauen. Dort wollten wir das Wochenende verbringen, Sonntag abend nach Zagreb fahren und dort am nächsten Morgen den Zug nach Sarajevo nehmen.

Ich startete die Reise mit gemischten Gefühlen. Erst einmal war ich ziemlich aufgeregt, weil ich den ersten Teil der Fahrt ganz alleine durchstehen musste, außerdem hatten mir am Tag der Abfahrt noch 3 Lehrer davon abgeraten, jetzt nach Ljubljana zu fahren (Nachrichten vom Vortag: „Schneechaos: Ein Viertel aller slowenischen Haushalte ohne Strom, zahlreiche Straßen nicht passierbar, Bahnstrecken sind dicht“) und ich befürchtete, überhaupt nicht anzukommen. Doch überraschenderweise klappte alles reibungslos: Gegen 23.45 Uhr kamen wir am Freitag den 07.02. pünktlich im voll-elektrisierten Ljubljana an. Der Schnee war genauso schnell geschmolzen, wie er ein paar Tage vorher aufgetaucht war.

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Den nächsten Tag starteten wir mit einer Free Walking Tour durch das kleine, schnuckelige und leider ziemlich regnerisch-nasse Ljubljana. Die Altstadt erinnert mit ihren vielen historischen Bürgerhäusern und hübschen kleinen Kirchen sehr an Österreich, alles wirkt ordentlich restauriert und gepflegt. Durch die Stadt fließt der kleine Fluss Ljubljanica, über den gefühlt eine Millionen süße schmale Brücken führen. Am Ufer des Flusses stärkten wir uns nach der Tour in einem Café, danach machten uns auf den Weg zur Burg von Ljubljana, die auf einem Hügel direkt an die Altstadt angrenzt. Der Weg zur Burg war kurz, aber recht abenteuerlich: Wir mussten über ziemlich viele umgestürzte Bäume klettern, die den Schneesturm ein paar Tage vorher nicht überlebt hatten und nun den Weg blockerten. Auf dem höchsten Turm der Burg angekommen bot sich uns ein wahnsinniger Ausblick: Wir befanden uns jetzt über dem Nebel, der die Stadt in graue Matsche hüllte, und sahen auf einmal die beeindruckenden Berge, die Ljubljana umgaben.

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Abends beschlossen wir, uns das Metelkova-Viertel anzugucken, ein ehemaliger Kasernenkomplex etwas abseits der Altstadt, der über die Jahre von Künstlern bewohnt und gestaltet wurde und in dem sich mehrere Bars und Clubs befinden. Es war nicht ganz einfach, den Gebäudekomplex zu finden und wir stolperten eine Weile planlos über dunkle Innenhöfe und an graffiti-besprühten, halb zerfallenen Gebäuden vorbei, bis wir das bunt bemalte, von allerlei merkwürdigen Skulpturen umringte Metelkova-Viertel fanden. Dort tranken wir Bier in einer ziemlich abgefuckten Bar und lernten eine Menge Slowenen kennen, die sich alle untereinander zu kennen schienen, die alle unbedingt mit uns reden wollten und die alle durchgehend am Kiffen waren. Sogar die Barkeeper. Das darf man da wohl.

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Am nächsten Tag trafen wir uns mit Patricia, der Kulturweit-Freiwilligen aus Ljubljana, auf einen Kaffee, besichtigten das Museum für moderne Kunst und machten uns dann im strömenden Regen auf den Weg zum ebenfalls im strömendem Regen liegenden Zagreb. Dort wartete das nächste Problem auf uns: In Sarajevo, unserem nächsten Reiseziel, war laut Medien am Wochenende der „bosnische Frühling“ ausgebrochen, und zwar leider nicht auf das Wetter, sondern auf die politische Situation bezogen: Demonstrationen und Proteste gegen die korrupte Regierung, die Armut und die Massenarbeitslosigkeit hatten  zu brennenden Gebäuden und Polizeieinsatz geführt. imm008_7_1024Die Sarajevo-Freiwillige sahen die Lage zwar eher gelassen („Hier hat halt gestern ein bisschen was gebrannt, aber ihr müsst euch ja nicht unbedingt gleich das Regierungsgebäude angucken“), aber bei meinen Mitreisenden samt Eltern setzte aufgrund der Ereignisse eine leichte Panik ein. Ich fand das Ganze irgendwie eher aufgeregend und nach längeren Diskussionen beschlossen wir schließlich über kroatischen Ćevapčići und Pallatschinken, dass wir unsere Reise am nächsten Morgen trotz Demos fortsetzen würden.

Nach einer kurzen Tour durch das nächtliche Zagreb kuschelten wir uns, etwas nervös beim Gedanken an die nächsten Tage, in unsere Hostelbetten.

Leider sprengt das, was wir in Sarajevo und Belgrad erlebt haben, den Rahmen dieses Blogeintrags, und weil ich meine Leser nicht mit Monster-Einträgen überfordern möchte mache ich jetzt erstmal Schluss und erzähle den Rest im nächsten Eintrag. Nur so viel: Trotz Randale und Landminen sind alle Beine noch dran.

Fortsetzung folgt!

Winterreisen.

Heute scheint die Sonne und alles wirkt gleich viel frühlingshafter. Leute glitschen über die Eisschichten, die sich auf Gehwegen und Straßen durch das Antauen und Wieder-Einfrieren des Schnees gebildet haben. Schneemassen rutschen von Hausdächern und landen mit einem Rums auf der Erde. Von den Bäumen tropft glitzerndes Eiswasser. Kleine Bäche rinnen über den von der Sonne gewärmten Asphalt. Der Schnee schmilzt.

Freitag, den 24. Januar, der Tag an dem es morgens anfing zu schneien und bis abends nicht mehr aufhörte, hatten Anti, Jacqueline, meine Mitbewohnerin Conny und ich uns ziemlich spontan für einen Wochenendtrip nach Zagreb auserkoren. Internationale Zugtickets kaufen ist immer ein bisschen wie eine Wundertüte auspacken – niemand weiß, was dabei herauskommt. Man wartet am International-Ticket-Schalter und versuchet dann dem Personal in einem wüsten Chaos aus englisch, deutsch und ungarisch zu erklären, dass man gerne 4 Zugtickets hätte, für die Strecke Pécs – Zagreb und wieder zurück, von Freitag bis Sonntag. Dahinter wird noch ein „We are students! Egyetemistak vagyunk!“, geschoben und in dann heißt es hoffen. In den nächsten Minuten klickt die Frau hinterm Schalter auf ihrem Computer herum, druckt verschiedene Papiere aus, ruft eine Mitarbeiterin zu sich an den Tisch, diskutieret eine Weile mit ihr herum, wir müssen unsere Freiwilligen-Ausweise vorzeigen, die von den beiden misstrauisch beäugt und nach weiteren, für uns unverständlichen Diskussionen kommentarlos zurückgegeben werden, jetzt wird ein Formular ausgefüllt, „Pay together?“, wir kriegen ein handbeschriebenes Ticket zugeschoben, schielen auf den Preis, über dessen Höhe wir im Internet keine Informationen finden konnten, sind verwirrt (25.000 Forint! Ist das jetzt für eine Person? Eine Strecke? Wie viel Euro sind das überhaupt?) und dann erleichtert: 25.000 Forint sind 80 Euro, das Ticket gilt für die Hin- und Rückfahrt für 4 Personen – macht 10€ pro Person pro Strecke. Studentenrabatt haben wir auch bekommen. Sogar (warum auch immer) 60 statt den üblichen 50%. Dann kann es ja losgehen!

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Zunächst geht es mit einer aus 3 Waggons bestehenden, nicht ganz wasserdichten und sehr klapprigen Uralt-Bimmelbahn nach Gyékenyes direkt an der Grenze zu Kroatien. 2 1/2 Stunden soll die Fahrt dauern. Wir zuckeln durch tief in Schnee versunkene Landschaft, halten ab und zu an kleinen Orten, die kaum als solche zu erkennen sind und fahren dann, während es draußen schnell stockduster wird, sehr lange durch dichten Wald. Hier ist viel mehr liegen geblieben als in Pécs und die Bäume beugen sich durch die Last des Schnees so dicht auf die Fahrbahn, dass sie Fenster und Dach unseres kleinen Zuges streifen. Wir erschrecken uns jedes Mal aufs Neue über dieses kreischende Geräusch, wenn gefrohrene Äste und Zug miteinander in Berührung kommen.

Schließlich wird stark gebremst und wir halten an, mitten im Nirgendwo. 2 Frauen laufen durchs Abteil und suchen nach ferfi, Männern, die helfen, den auf die Gleise gefallenen Baum irgendwie abzutransportieren. Wir sind zwar keine Männer und auch sonst keine Hilfe, klettern aber begeistert über dieses Osteuropa-Abenteuer wie aus dem Bilderbuch mit hinunter, stapfen durch den knietiefen Schnee, quietschen rum und posieren für Fotos vor dem umgestürzten Baum und dem Zug. Um dem dumme-deutsche-Touristen-Verhalten die Krone aufzusetzen lassen wir dann noch ein Handy im Schnee liegen und weiter geht die Fahrt.

Dieselbe Sitation bietet sich uns noch einige Male und wir müssen auf Feuerwehrmänner mit Kettensägen warten, damit wir die Fahrt fortsetzen können. Unseren Anschlusszug haben wir aufgrund der entstandenen Verspätung leider auch um mehrere Stunden verpasst, glücklicherweise gibt es aber noch einen späteren Zug, der uns ohne weitere Probleme von Gyékenyes nach Zagreb bringt, wo Nils, ein Freiwilliger aus Kroatien schon auf uns wartet. Vervollständigt wird Reisegruppe Olga schließlich durch Daniel, einen spanischer Studenten, der mit uns im Zug saß und eigentlich Freunde in Split besuchen wollte, allerdings durch das Winterchaos seine Weiterfahrt verpasst hat.

Samstag erkundeten wir bei strahlendem Sonnenschein die kleine, hübsche Altstadt von Zagreb mit ihren vielen Cafés, dem großen Markt und der Kathedrale.

imm031_31_1024 Wir lieferten uns mit kroatischen Kindern eine wilde Schneeballschlacht, machten eine Menge Fotos und hatten viel Spaß zusammen. Abends fuhr Nils wieder nach Hause, Daniel weiter nach Split, Anti und Jacqueline gingen ins Bett und Conny und ich tanzten bis 4 Uhr nachts in einem kroatischen Club zu Hip-Hop-Musik, die mich an mein Highschool-Jahr in Texas erinnerte.

Am nächsten Morgen besuchten wir das „Museum of Broken Relationships“, in dem Gegenstände mit dazugehörigen Trennungs-Geschichten ausgestellt wurden, die von Leuten aus der ganzen Welt an das Museum gespendet wurden. Später ging es dann wieder zurück nach Hause.

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Die nächste Woche war sehr, sehr kalt. Ich musste mich mit eiskalten Wohnungen, eingefrorenen Fahrradschlössern und spiegelglatten Straßen herumschlagen, nutzte aber auch die positiven Seiten des Kälteeinbruchs zum Schlittenfahren und heißen Kakao trinken.

Donnerstag den 30. Januar machte die Ungarn-Freiwilligenfamilie schon wieder auf den Weg, diesmal nach Budapest. Hier fand am nächsten Tag die Jurorenschulung von „Jugend Debattiert International“ statt, aus der ich eine schicke Urkunde und das Wissen mitnahm, keine besonders begabte Debateurin zu sein. Gottseidank muss ich Anfang März, wenn die besten Debattier-Schüler Ungarns gegeneinander antreten, nur in der Jury sitzen und Punkte für Kategorien wie Sachkenntnis, Ausdrucksvermögen, Gesprächsfähigkeit und Überzeugungskraft vergeben, wobei ich mich dafür auch nicht sehr qualifiziert fühle.

Nach dem Seminar fuhren Julius, Kilian, Jacqueline, Anti und ich nach Bratislava (Hauptstadt von der Slowakei, nicht von Slowenien), nachdem wir wieder die oben beschriebene Internationale-Tickets-Prozedur durchliefen – ebenfalls mit guten Ergebnissen: ca. 8 € pro Strecke. Von den 2 Tassen Kaffee irgendwie ziemlich aufgekratzt verbrachten Anti, Kilian und ich die Fahrtzeit damit, Lieder auf unseren ipods laut mitzusingen, bis die anderen errieten, welches Lied wir gerade hörten und Jacqueline aus unserem Abteil flüchten musste. Gut gelaunt kamen wir in Bratislava an, stapften zu unserem Hostel, gingen Essen und bewunderten den Blick auf Burg und Altstadt von der Bratislaver „Sky Bar“ aus, für den wir jedoch auch teuer bezahlen mussten: 6 € pro Cocktail, sowas bin ich gar nicht mehr gewohnt.

Der Rest des Wochenendes wurde von den beiden miteinander konkurierenden Bedürfnissen bestimmt, möglichst viel von der Stadt zu sehen und nicht zu erfrieren. Ich glaube mir war schon lange nicht mehr so kalt wie in diesen Tagen in Bratislava. Es lag zwar weniger Schnee als in Pécs, dafür kroch uns die feuchte Kälte und der eisige Wind bis in die Knochen. Dennoch schlitterten wir tapfer durch die vereiste Altstadt und hielten die Wahrzeichen der Stadt (das alte Stadttor, die Bratislavaer Burg, die blaue Kirche, der Martinsdom usw) auf unseren Kameras fest – wobei die Technik in meiner Kamera irgendwann einfror, sodass ich den Film nicht mehr weiter drehen konnte. Naja.

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Alles in allem finde ich Bratislava sehr schön, in vielen Teilen hat mich die Stadt an Prag erinnert. Allerdings wirkte die Innenstadt tagsüber ziemlich ausgestorben, was wohl am Wetter lag. Erst abends, wenn aus den vielen Bars und Clubs Musik schallte und bunte Lichter über die Straßen tanzten, kam Leben in die kleine Stadt.

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Mit vielen neuen Eindrücken und Impressionen starte ich nun in den Februar. Für mich bedeutet das Halbzeit, für viele andere Freiwillige das Ende ihres Freiwilligendienstes. In 2 1/2 Wochen verlässt die Hälfte der derzeitigen Ungarn-Freiwilligen das Land und wir sind nur noch zu 3. in Pécs – eine Tatsache, die mich ziemlich traurig macht. Gleichzeitig freue ich mich auf meine nächsten Reise-Abenteuer. Denn für mich ist das gottseidank noch lange nicht vorbei.

Jahreswechsel.

Wir schreiben jetzt das Jahr 2014. Ein Jahr, von dem ich später vielleicht mal zu meinen Kindern oder zu sonst irgendwem sagen werde „Mensch, 2014, das war ein super Jahr. Mein Freiwilligendienst in Ungarn ist genauso toll weitergegangen wie es angefangen hat, nein, sogar besser! In der Schule war ich nun nicht mehr die neue, unerfahrene Freiwillige, sondern komplett integriert und von Schülern und Lehrern sehr geschätzt. Mit den anderen Freiwilligen und neuen Freunden habe ich jede Menge spannende Reisen durch den gesamten Balkan unternommen und beeindruckende neue Erfahrungen gemacht. Dann das Studium. Ich habe mich für genau das richtige Fach entschieden: Etwas, was mir Spaß macht, mich interessiert und für das ich gerne tagelang in der Unibib sitze und lerne. Eine neue Stadt, in der ich mich sofort wohlgefühlt habe. Und jede Menge nette Kommilitonen, mit denen ich viel Spaß hatte. Ja, 2014, da ist echt alles richtig gelaufen!“ Vielleicht kommt es aber auch anders. Vielleicht wird 2014 mein Jahr des großen Scheiterns. „2014 Kinder, das war der Anfang allen Übels. Pécs hatte ich bald satt. Die Stadt, die Arbeit an der Schule, meine Freunde hier, das alles hat mich irgendwann nur noch angeödet. Ich war froh als mein FSJ endlich vorbei war. Mit dem Studium ist auch nichts so gelaufen, wie es sollte. An der Traumuni nicht angenommen, Studieninhalt, der mich nicht interessiert hat, nicht bestandene Prüfung, unfreundliche Professoren und langweilige Studienkollegen. Monatelang quälte ich mich, dann gab ich schließlich auf und brach das Studium ab. Ich zog entmutigt wieder zurück zu meiner Familie und seitdem arbeite ich an der Kasse bei Lidl. Dann noch die ungewollte Schwangerschaft, die gescheiterte Beziehung und die chronische Krankheit. Dabei begann ich das Jahr 2014 noch so optimistisch und voller Ziele…“

Naja, wie auch immer es dieses Jahr für mich laufen wird, mir ist bewusst, dass ich selbst dafür verantwortlich bin. Ich kann selber entscheiden, welchen Weg ich einschlage, wofür ich mich einsetze, wie ich mit den Situationen umgehe, die mir wiederfahren.

Ich weiß noch wie ich Silvester 2013 auf das neue Jahr anstieß und dachte „wow, keine Ahnung, wo ich mich in einem Jahr befinde und wie und mit wem ich dann ins neue Jahr reinfeiere.“ Ein irgendwie beunruhigender, aber vor allem aufregender Gedanke.

Irgendwas scheine ich im Verlauf der letzten 12 Monate auf jeden Fall richtig gemacht zu haben (und eine große Portion Glück war auch dabei), denn das Jahr 2014 hat so angefangen, wie es sein sollte – chaotisch, lustig und aufregend.

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Nachdem ich etwa eine Woche zuhause war, viele Freunde wiedersehen und endlich wieder die Nervigkeit (und einige positive Eigenschaften) meiner Familie erleben konnte, ging es am 31. Dezember mit meinen besten Freundinnen Hannah und Rosa zurück nach Ungarn zum „Silvesterfest in Budapest“, wie Aliena das Ganze liebevoll titulierte. Zusammen mit ca. 20 anderen Freiwilligen und Freunden wurde in ihrer Wohnung mit Blick auf Donau, Margaretenbrücke und Parlament mit Luftschlagen, Vuvuzelas, Speis und Trank in das neue Jahr hineingefeiert. Später ging es ins Corvintetö, einen Club, den ich schon von unserem letzten Budapest-Besuch kannte, und in dem wir bis zum Morgen rumtanzten. Die Rückfahrt zum Hostel gehört nicht zu einen meiner Meisterleistungen: Am nächsten Morgen fand ich heraus, dass wir mit dem Bus, in den wir einfach mal eingestiegen war, genau eine Runde im Kreis gefahren sind, bis ich irgendwann ausstieg, weil mir der Name der Haltestelle so bekannt vorkam – komisch, es war ja schließlich dieselbe Haltestelle wie die, bei der wir eingestiegen sind. Danach fand ich mein Hostel glücklicherweise ohne Probleme und war nur mit dem Klingel- und Tür-aufdrück-System minimal überfordert. Das ist aber auch schwierig bei den alten Häusern in Budapest mit ihren komischen Freisprechanlagen!

Die nächsten Tage verbrachte ein Großteil der anderen Freiwilligen, meine beiden Freundinnen und ich noch in Budapest. Wir fuhren Schlittschuh auf einer riesigen Eislaufbahn direkt vor dem Vajdahunyad-Schloss, entspannten uns in den riesigen heißen Außenbecken des Széchenyi-Bads, gingen shoppen und, nachdem wir uns von der Silvesternacht halbwegs erholt hatten, noch einmal in einem sehr coolen Club namens „Instant“ feiern, hingen in tollen Cafés und Bars rum, die Aliena uns zeigte, und besuchten die Budapester Oper. Obwohl wir von der Oper nicht so richtig viel verstanden (Gesang auf italienisch, Untertitel auf ungarisch) war das ein beeindruckendes Erlebnis. Von unseren Plätzen aus hatten wir zwar nicht die beste Bühnensicht (bei Kartenpreisen von 300 Ft, also einem Euro, ist das aber verzeihbar), aber die pompöse Innenausstattung der Oper bot schon genug zu sehen. Ich habe mich gefühlt wie eine Adlige in einer Szene aus „Krieg und Frieden“ oder irgendeinem anderen der alten russischen Romane, die mein Papa so gerne liest. Nur Ballkleid und Fernglas zum Beobachten der anderen Operngäste haben gefehlt.

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Sonntag den 5. Januar ging es dann wieder zurück nach Pécs, denn Montag sollte die Schule wieder anfangen. Nach vollgepackten Tagen in Deutschland und der ereignisreichen Zeit in Budapest musste das entstandene Schlafdefizit erstmal wieder durch riesige Mittagsschläfe kompensiert werden. Ansonsten nervte ich meine Schüler, indem ich sie über ihr Weihnachten und Silvester ausfragte und sie gute Vorsätze fürs neue Jahr formulieren ließ. Ich habe da natürlich mitgemacht. Dabei ist meine Vorsatz-Top-3 entstanden:

  1. Weniger essen, mehr Sport treiben -> noch nicht so richtig geglückt…

  2. Weniger unproduktiv rumgammeln, mehr reisen und neue Dinge erleben -> da gibt es immerhin schon jede Menge Pläne für die nächsten Wochenenden!

  3. Aufhören, wichtige Dinge (z.B. Unterrichtsplanung, Wohnung putzen oder mein Freiwilligenprojekt) vor mir herzuschieben -> kein Kommentar.

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Außerdem besuchten wir den Freiwilligen Julius in der verschlafenen aber schönen Kleinstadt Baja und ich sah bei der Bandweihe-Zeremonie unserer Schule zu. Hierbei kriegen die Zwölftklässler von ihren Klassenlehrern feierlich ein Band an ihre Pullis geheftet, das aussieht wie eine AIDS-Schleife, aber zeigen soll, dass die Schüler jetzt zum Abitur zugelassen sind. Außerdem werden Reden gehalten und die Klassen führen einen eigenen Tanz auf. Ich habe zwar nicht ganz verstanden, was die Schüler eigentlich feiern (ihr Abitur haben sie ja schließlich noch nicht), aber es war trotzdem eine ganz witzige Veranstaltung, die mich irgendwie an unsere Abiturzeugnisvergabe erinnert hat. Ich bin sogar ein bisschen wehmütig geworden. Die Abizeit war schon cool. Und obwohl das alles noch gar nicht so lange her ist habe ich das Gefühl, hier unendlich weit weg davon zu sein. Mein Besuch zuhause und die vielen vertrauten Menschen haben alles wieder ein bisschen aufleben lassen.

Trotzdem ist es mir leicht gefallen, zurück in den Flieger nach Ungarn zu steigen. Ein gutes Zeichen, denke ich, das zeigt, dass ich hier noch lange nicht fertig bin. Es gibt noch viel zu erleben in den nächsten 7 Monaten. Und darauf freue ich mich.

Dezember.

„Boldog karácsonyt és új évet“ kommt es quasi fließend über meine Lippen und ich bin ein bisschen stolz auf mich, während ich meine Lehrerkollegen mit den zwei puszi (Küsschen) auf beide Wangen verabschiede. Es ist Freitag, der 20. Dezember, der letzte Schultag vor den Weihnachtsferien ist überstanden und nach dem traditionellen Fischsuppe-Essen gehen auch die Lehrer auseinander. Für mich steht in den Weihnachtsferien ein kurzer Zuhause-Urlaub auf dem Programm: Pünktlich zum Abglühen auf dem Weihnachtsmarkt werde ich wieder in Bonn sein und all die Menschen wiedertreffen, die ich vor ziemlich genau 3 Monaten dort verabschiedet habe. Die erste Etappe meines Freiwilligendienstes ist um.

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Meine Arbeit in der Schule macht mir immer noch Spaß und ist auch ziemlich abwechslungsreich. Besonders lieb habe ich ‚meine‘ Erstklässler, die inzwischen alle schon richtig gut Deutsch sprechen können. Jeden Tag werde ich von ihnen mit stürmischen Umarmungen und einem enthusiastischen „Guten Taaag, Mascha!“ begrüßt, bei Bastelarbeiten bin ich die Hifskraft ihres Vertrauens und wenn ich neue Ungarisch-Vokabeln an den Kindern ausprobieren, wird die frohe Botschaft innerhalb weniger Sekunden bis in die hintersten Winkel der Klasse verbreitet („Mascha beszel magyarul! Mascha beszel magyarul!“). Beim Weihnachtswichteln wurde ich nicht nur von meinem Wichtelkind sondern gefühlt von der halben Klasse mit selbstgebackenen Keksen versorgt, was ich sehr süß fand.

Auch die Lehrer verschenken in der Weihnachtszeit sehr gerne Süßigkeiten. In den letzten Wochen habe ich auf meinem Tisch im Lehrerzimmer so oft Kekse, Kuchen oder Schokolade gefunden, dass ich den fehlenden Adventkalender kaum vermisst habe. Und wenn ein Lehrer Namenstag oder Geburtstag oder die Schulleiterin ein Schwein geschlachtet hat (was letzten Mittwoch der Fall war) gibt es noch mehr Essen für umsonst.

Das kulinarische Highlight der letzen Zeit war jedoch eindeutig die schon am Anfang erwähnte Fischsuppe, die traditionell zu Weihnachten gegessen wird. Hierbei werden  Fische und scharfe Paprikas zusammen mit Knoblauch, Zwiebeln, Tomatensoße, Rotwein und jede Menge Paprikapulver in einem Kessel von der Größe einer Babybadewanne erhitzt. Mit der Zerkleinerung von Fisch und Paprika müht man sich dabei gar nicht erst ab: Gräten, Fischköpfe und anderes ungenießbares Zeug werden einfach beim Essen herausgefischt. Dazu gab es Wein und selbstgebrannten Palinka – mein Widerwillen gegen letzteres aufgrund der Uhrzeit (mittags!) stieß bei den ungarischen Hausmeistern leider auf kein Verständnis.

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Ansonsten stand bei den Zwölftklässlern die DSD-Prüfungen an: Schriftliche Arbeiten, Hörverstehensübungen und eine mündliche Prüfung mussten überstanden werden, um das Deutsche Sprachdiplom zu erhalten – ich erhielt die anspruchsvolle Aufgabe, Blätter zu sortieren, zu tackern und einzuscannen. Außerdem hielt ich in der 10. Klasse eine Unterrichtsreihe zum Thema Jugendsprache in Deutschland, versuchte die Schüler für Musik von Peter Fox zu begeistern und verbrannte mir die Finger beim Adventskranz-Basteln auf der Weihnachtsfeier. In meinen Freistunden versuche ich im Lehrerzimmer Gespräche zwischen meinen Kollegen zu verstehen – dabei schnappe ich immer mehr bekannte Wörter auf und wenn mir genug Zeit zum Nachdenken gelassen wird, kann man sich auch schon richtig gut mit mir unterhalten („Wir sind in der Schule. Das ist ein Stuhl. Dort sind die Fenster. Du bist ein Lehrer. Ich esse eine Orange.“)

An den Wochenenden haben Anti, Jacqueline und ich den Pécser Weihnachtsmarkt samt Nachtleben unsicher gemacht (wobei ich beim Tanzen mit einem Lehrer unserer Schule von meinen Schülern beobachtet wurde. Diese interessieren sich jetzt brennend für die ganze Sache und erfinden jede Menge Gerüchte – na toll) und wir waren für einen Tag in Szeget, einer sehr schönen Universitätsstadt knapp 200 östlich von Pécs.

Zum Abschluss vielleicht noch etwas zum Wetter, denn das Wetter ist ja immer eine interessante Sache.

Hier ist es inzwischen relativ kalt geworden (um die 0° C), dafür ist das Wetter meistens richtig gut. Es hat schon seit Wochen nicht mehr geregnet und es scheint fast jeden Tag die Sonne – so lässt sich der ungarische Winter gut überstehen! Wenn mir zu kalt wird, brauche ich nur ein bisschen mit meiner riesigen Heizung zu kuscheln, die ursprünglich mal ein Kachelofen war. Je weiter man sich jedoch von der Heizung weg in Richtung Fenster bewegt, desto mehr gleicht sich die Zimmertemperatur der Temperatur draußen an – der Schreibtisch am Fenster ist daher als Arbeitsfläche im Moment nicht wirklich nutzbar, aber im Bett lässt es sich auch super Unterricht vorbereiten.

Jetzt heißt es jedoch erstmal „Viszontlátasra, Magyaroszag“ und „Szia, Bonn“. Ein merkwürdiges Gefühl, nach Hause zu fahren, wo ich mich doch hier auch so zuhause fühle.

Rumänien.

Es gibt Neues, und davon viel zu viel. In den 3 Wochen, die seit meinem letzten Blogeintrag vergangen sind habe ich einen Studentenball besucht, an einem Sankt-Martins-Zug teilgenommen, der nicht draußen sondern in der Schulturnhalle stattfand, ich habe an Hörverstehensübungen für deutsch-lernende Studenten mitgewirkt, indem ich Texte über Dickdarmkrebs vorgelesen habe und dabei aufgenommen wurde, ich wurde auf einer Feier als neues Mitglied des Lehrerkollegiums eingeweiht und ich habe eine 10-tägigige, aufregende und sehr schöne Rumänien-Reise plus Zwischenseminar hinter mir. Darum soll es in diesem Bericht gehen.

Unser Zwischenseminar fand vom 18. bis zum 22. November in Sibiu, Rumänien, statt.

Sibiu trägt den deutschen Namen Herrmannstadt und liegt in der Region Siebenbürgen, auch Transsilvanien genannt – da wo Dracula wohnt also. In der gesamten Gegend haben sich im Mittelalter deutsche Bauern angesiedelt, weshalb die meisten Städte zusätzlich zum rumänischen auch einen deutschen Namen tragen. Weil Siebenbürgen bis 1918 zu Ungarn gehörte, gibt es auch noch eine ungarische Minderheit und ungarische Städte-Bezeichnungen – und jede Menge Ungarn, die Siebenbürgen immer noch als Teil ihres Landes ansehen.

Das Wochenende vor dem Zwischenseminar wollte ungefähr die Hälfte der Freiwilligen in Brasov [Kronstadt / Brassó] verbringen – die Strecke von 720km legten wir Pécsis in einer beeindruckenden Zeit von 11 Stunden mit dem Zug zurück. Freitag nachmittag ging es zuerst nach Budapest, dort stiegen wir um in den Zug nach Bukarest, nervten das gesamte Zugabteil mit unserem Gequatsche, zeigten unsere Pässe den ungarischen und rumänischen Grenzbeamten, stellten unsere Uhren eine Stunde vor, schliefen ein – und wachten am nächsten Morgen auf umgeben von dichtem Nebel, Nadelwäldern, hohen Bergen und bitterarmen Dörfern.

In Brasov angekommen empfing uns das rumänische Verkehrssystem gleich von seiner besten Seite: Unsere Frage nach Bustickets ins Stadtzentrum blieb aufgrund fehlender Rumänisch-Kenntnisse leider unbeantwortet und nachdem wir mit Hilfe eines älteren, deutsch-sprechender Mannes schließlich doch Tickets erwerben konnten erfuhren wir, dass aufgrund einer Demonstration momenten weder Busse noch Taxis fuhren – dann eben laufen.

Im Hostel wurden wir von den Freiwilligen aus Rumänien empfangen, die wir schon vom Vorbereitungsseminar im September kannten. Zusammen besichtigten wir das mittelalterliche Stadtzentrum mit seinen Sehenswürdigkeiten:

  • Die riesige, etwas bedrohlich wirkende „Schwarze Kirche“, die aufgrund eines Stadtbrand im Jahre 1689 so heißt. Dieser zerstörte große Teile der Stadt, nur die rußgeschwärzten Außenmauern der Kirche blieben bestehen.
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  • Den Weißen und den Schwarze Turm, beide Teile der mittelalterlichen Stadtbefestigung. Von den etwas erhöht stehenden Türmen hatten wir einen super Ausblick auf das Stadtzentrum.
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  • Der „Brasov“-Schriftzug im Hollywood-Design, der auf dem steilen Berg am Rand der Altstadt angebracht ist und von dem sich uns ein noch besserer Ausblick über die gesamte Umbegung bot.
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Der Samstag begann ziemlich früh mit dem ultimativen Touri-Programm. Um 9 Uhr holte uns Vlad, unser Guide für den Tag, ab und brachte uns zu einem Minibus, mit dem wir in den folgenden 10 Stunden 2 Schlösser, eine Bauernburg und eine Tropfsteinhöhle abklapperten. Besonders stolz waren wir nicht auf den Omi-Rundreise-Style, aber anders hätten wir die ganzen Sehenswürdigkeiten wohl nie an einem Tag erreicht.

In Serpentinen ging es durch die felsigen Karparten zum Schloss Peles, dessen spitze Türme über die Kronen der Nadelbäume ragen, die das Schloss umgeben.

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Unsere nächste Station, das Schloss Bran, wird den Touristen als Draculaschloss präsentiert und sieht auch so aus – steinig, verwinkelt, auf einem Felsen gelegen und umgeben von hohen Bergen. Der historische Vlad III Drăculea, der als Inspiration für den Dracula-Roman diente, soll allerdings nur zwei Wochen auf dem Schloss gelebt haben, erzählte uns unser Vlad.

Den Abschluss unserer Fahrt 2_1_1024bildete die Besichtigung einer Tropfsteinhöhle und die daneben auf einem Bergliegende Bauernburg, die 1215 vom Deutschen Orden erbaut wurde und seitdem nur einmal eingenommen wurde. Dort gönnten wir uns den ersten Glühwein des Jahres und bewunderten im Licht der Abendsonne den Blick über Berge, Wälder und Täler – Rumänien ist SO schön!

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Montag ging es dann weiter nach Sibiu – doch das war leichter gesagt als getan. Wir hatten zwar schön ordentlich Plätze für den Bus um 11 Uhr reserviert, allerdings interessierte das weder den Busfahrer noch die Leute, die sich schon auf den Sitzplätzen breit gemacht hatten. Der Bus verließ also ohne uns den Bahnhof – und parrallel dazu verließ das Portemonnaie meiner Mitfreiwilligen seine Besitzerin. Das Chaos war perfekt.

Glücklicherweise wurde dank eines hilfsbereiten Rumänen wenigstens das Busproblem gelöst: Wir fanden einen Bus, in dem wir halb stehend, halb sitzend bei gemütlichen 30°C Innentemperatur alle Platz fanden. Dem weiblichen Teil der Truppe wurden sogar Sitzplätze auf dem Schoß von beleibten, nach Zwiebeln, Bier und Tabak duftenden Rumänen angeboten – diese Gastfreundschaft!

Mit nur einer Stunde Verspätung kamen wir schließlich in Sibiu an, wo wir bereits von den beiden Trainerinnen, den Bulgarien-Freiwilligen und diversen Hunden, Katzen und Schafen empfangen wurden, die auf dem Seminargelände hausten.

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Die 5 Tage in Sibiu vergingen verdammt schnell. Gespräche über unsere Probleme und Herausforderungen in den Einsatzstellen, ein Crashkurs in Rumänisch, Diskussionen über die Zigeuner-Problematik mit dem Berater des Romakönigs, eine Stadtführung durch die Altstadt Sibius und das Finden des eigenen Freiwilligenprojekts standen auf dem Programm. Abend wurde in verrauchten Kneipen billiges rumänisches Bier und Palinka getrunken, Sibius Nachtleben unsicher gemacht und Gespräche geführt, die uns als Gruppe ganz schön zusammenwachsen ließen. 😉

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Das folgende Wochenende verbrachten Jacqueline, Ann-Kathrin und ich in Cluj-Napoca [Klausenburg, Koloszvár], der zweitgrößten Stadt Rumäniens, die durch viele tolle Bars und irgendwie heruntergekommene, aber wunderschöne historische Gebäude einen ganz eigenen Charme besitzt.

 Zurück ging es schließlich mit einem Bus, nachdem wir feststellen mussten, dass der Zug, den wir uns ausgeguckt hatten, nicht existiert – aber nach einer Woche in Rumänien konnte uns das nicht mehr schocken.

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Etwas melancholisch und wehmütig war ich also wieder zurück in Pécs und zurück im Schulalltag – dabei wäre ich am liebsten sofort weitergereist und hätte alle Freiwilligen besucht, die ich auf dem Zwischenseminar besser kennengelernt habe. Doch es tut auch gut, nach den ganzen Abenteuern wieder Zuhause zu sein. Ein Zuhause, das sich auch wirklich so anfühlt.

Budapest / ein neues Zuhause / fremde Tradition.

Heute mittag habe ich bei strahlendem Sonnenschein meinen neuen Lieblingsplatz eingeweiht: Die breite Fensterbank meines neuen WG-Zimmers bei geöffneten Fenstern. Seit Montag wohne ich jetzt mit den deutschen Medizin- bzw. Zahnmedizin-Studentinnen Conny, Isa und Julia im ersten Stock des wirklich schönen Altbaus mit 4m hohen Wänden und altem Fischgrätenparkett. Im Erdgeschoss des mitten in der Innenstadt liegenden Hauses befindet sich eine Bar namens ‚Nappali‘ und gegenüber unserer Wohnung gibt es ein kleines Hostel. Ich fühle mich hier total wohl und bin froh, endlich aus dem Zimmer im Schülerwohnheim ausgezogen zu sein – daran gab es zwar nichts auszusetzen, aber es hat sich nicht wirklich nach einem Zuhause angefühlt. Jetzt dagegen bin ich endlich richtig angekommen und ich merke, wie viel schöner ein WG-Leben im Vergleich zum Alleine-Leben ist. Auch über die Existenz einer vollständig eingerichteten Küche freue ich mich sehr – ab jetzt wird gesund gekocht und Fertigsoße aus der täglichen Nahrungszufuhr verbannt!

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Fortschritte sind auch beim Erlernen der ungarischen Sprache zu vermelden: Montags und Donnerstags besuchen die anderen Freiwilligen und ich jetzt immer einen Sprachkurs an der Uni, ich gebe fleißig Vokabeln in mein ‚Phase 6‘-Programm ein und konjugiere in meiner Freizeit Verben – dabei fühle ich mich nur minimal in den Französischunterricht der 7. Klasse zurückversetzt. 😉 Wenn ich dann bei den Gesprächen im Lehrerzimmer einzelne Wörter aufschnappe oder meine Kollegen mit „Jó napot kívanok! Hogy vagy?“ (= Guten Tag! Wie geht’s?) begrüße, bin ich immer unglaublich stolz auf mich. Das Ganze hat aber auch Nachteile – beim Unterrichten höre ich mittlerweile ständig ein gemurmeltes „nem tudom“ (= versteh ich nicht) aus den Schülerreihen. Das kann nach dem 10. Versuch, den Arbeitsauftrag zu erklären, schon ein bisschen frustrierend sein.

In den letzten Wochen habe ich einiges von einer faszinierenden, mir aber auch irgendwie suspekten Gruppe Menschen mitgekriegt: Diese Leute wirken sehr nett, interessiert und sprechen ziemlich gut deutsch. Sie scheinen ganz normal – und auf einmal schmeißen sie sich in eine unglaublich unvorteilhafte, vor-dreihundert-Jahren-vielleicht-mal-coole Trachtenmode und hüpfen zu Blaskapellen-Musik, die selbst Omma und Oppa altbacken finden würden, im Kreis herum. Ich spreche von den Donauschwaben.

Die Vorfahren dieser Minderheit sind vor einigen hundert Jahren aus Deutschland nach Ungarn emmigriert, und legen seitdem sehr viel Wert auf den Erhalt von Traditionen und der deutschen Sprache. Oft wird in ungarndeutschen Familien noch Deutsch gesprochen, es gibt eine deutsche Lokalzeitung und es gehört zum guten Ton, wenn man sich in kulturellen Vereinen wie traditionellen Tanzgruppen, Blaskapellen oder Chören engagiert.

Am 27. September feierte die Tanzgruppe des Löwey-Gymnasiums hier in Pécs 40-jähriges Bestehen. Aus diesem Grund gab es eine große Aufführung, die ich mit meiner Ansprechperson Erszi und einer 10. Klasse besuchte. Sowohl an der Anzahl der Besucher (der Saal mit insgesamt 1.000 Plätzen war voll belegt) als auch an der Art, wie sich die Zuschauer teilweise für den Abend aufgebrezelt haben (so wie man es sich in Osteuropa vorstellt: Zu viel Makeup, zu wenig Stoff, zu hohe Schuhe, zu tiefer Ausschnitt) merkte ich, um was für ein wichtiges gesellschaftliches Event es sich hier handelte.

Ja, und dann kam 3 Stunden lang das, was ich etwas platt im ersten Abschnitt geschildert habe: Deutscher Volkstanz, Volkslieder, Trachtenmode, Blaskapellenmusik. Das Ganze wirkte auf mich so merkwürdig, weil ich mich ÜBERHAUPT NICHT mit irgendetwas von dem auf der Bühne Vorgeführtem identifizieren konnte. Gut, die Trachten erinnerten etwas an die Dirndl- und Lederhosenmode aus Bayern, und Blaskapellenmusik hört man auch ab- und zu mal an Karneval oder auf irgendwelchen Dorffesten, aber mich persönlich hat solcher Traditionskram immer abgeschreckt und ist daher auch nicht in meinem Deutschlandbild verankert.

Verwirrend fand ich auch den Kontrast zwischen den eine-Millionen-Jahre-alten Volkstänzen, -liedern und -trachten auf der Bühne und dem überwiegend jungen und überhaupt nicht traditionsorientiert aussehenden Publikum – beeindruckend, wie die Ungarndeutschen es schaffen, auch ihre jungen Generationen für solche alten Traditionen zu begeistern.

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Zum Schluss noch ein ganz anderes Thema: Vom 9. bis zum 13. Oktober waren wir Freiwilligen aus Pécs und Baja (Ann-Kathrin, Jacqueline, Kilian, Julius und ich) in BUDAPEST. Grund war eine Einladung der Deutschen Botschaft zum sogenannten Mittlertreffen, welches jährlich für die „neu in Ungarn eingetroffenen Mitarbeitern der deutschen Sprach- und Kulturförderung“ stattfindet – ich kam mir ganz schön elitär vor, als ich die Einladung in meinem E-Mail-Posteingang gefunden habe.

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Das Treffen bestand aus ca. 20 Anzugträgern, die ihre Institutionen und deren Arbeitsfelder vorgestellt haben (was teilweise in 45-minütige Vorträge ausuferte) – und uns. Obwohl wir mit Abstand die Jüngsten und Unqualifiziertesten in der Runde waren, wurden wir mit Interesse und Freundlichkeit aufgenommen und beim Essen (sehr lecker!!) entstanden viele nette Gespräche. Außerdem wurde uns eine Ausbildung zum Juror bei „Jugend debattiert“ angeboten – wir können also bald öfter nach Budapest fahren, Kindern beim sich streiten zuhören und sie danach mit Punkten bewerten, voll cool!

In den restlichen Tagen haben wir uns den ganzen Touri-Kram angeguckt (Fischerbastei, Matthiaskirche, Schloss, Parlament, jüdisches Viertel und Synagoge, Markthalle und Margaretheninsel), wir waren in coolen Bars (besonders empfehlenswert: Szimpla und Macska Miau), einem Thermalbad und Aliena und ich haben einmal bis 6 Uhr morgens im Corvintetö rumgetanzt, einem Club, der in einem ehemaligen Kaufhaus liegt und von dessen Dachterasse aus man einen tollen Ausblick auf die Stadt hat. Nichts kann jedoch den Ausblick auf Budapest bei Nacht von einer der Donaubrücken aus toppen – so schön!

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Außerdem haben wir Kürtös Kalacs und Pallatschinken gegessen, zwei typisch ungarische Süßspeisen. Jetzt steht nur noch Langos (ein rundes, fettiges Teigstück mit Schmandt, geschmolzenem Käse und Zwiebeln oben drauf – nicht an die Kalorienzahl denken!) und Palinka (ungarischer Schnaps) auf meiner To-Do-Liste. Oh, und Gullasch, die ungarische Nationalspeise, habe ich auch noch immer nicht probiert – shame on me.

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Faszit: Budapest ist super und ich bin etwas neidisch auf Aliena. Allerdings werde ich für die schlappen 6€ Fahrtkosten bestimmt öfter mal nach Budapest fahren, und in Pécs fühle ich mich auch total wohl. Außerdem ist die Markthalle in Pécs cooler als die in Budapest: Hier verkaufen noch süße Omis aus den umliegenden Dörfern ihre Riesenkürbisse und man wird weder auf englisch noch auf deutsch verstanden – das hat zwar dazu geführt, dass ich 250 statt 25 Forint für meine Möhren bezahlen wollte, ich habe aber auch einen super Dialog auf Ungarisch geführt: „Bocsánat, nem beszelek magyar.“ – „Honnan jöttél?“ – „Némétorszagbol jöttem. Beszelek németül.“ Viel Spaß beim google-translaten. 🙂

Eindrücke / Alltag.

 Es ist Mittwoch, ich lebe schon seit 1 1/2 Wochen im ungarischen Städtchen Pécs, und ich kann es nicht weiter aufschieben: WÄSCHEWASCHEN steht an. Nach E-Mail-Austausch mit meiner Mama, langen Gesprächen mit meinen Mitfreiwilligen und der Hilfe von zwei ungarischen Schülerinnen, die mir den Knopf für „viele Farben“ zeigten, sitze ich jetzt in meinem Zimmer im Schülerwohnheim und warte gespannt auf das Ergebnis meiner ersten selbst-in-die-Waschmaschine-gesteckten Wäsche – fast ein bisschen peinlich, das zuzugeben, aber dafür habe ich bestimmt andere weit entwickelte haushältnerische Qualitäten!

Auch Einkaufen, Kochen und Aufessen, ohne dass irgendetwas fehlt oder schlecht wird, entpuppt sich als logistische Herausforderung des Alltags. Aber ich komm schon klar.

Die Umstellung vom Gar-nichts-tun der letzten Monate zurück zum Schulalltag fällt mir zugegebenermaßen nicht ganz leicht. Ich weiß jetzt wieder wie es ist, sich morgens um halb 7 aus dem Bett zu quälen, und ich habe dieses Gefühl nicht vermisst. Auch ‚Hausaufgaben‘ gehören insofern wieder zu meinem Tagesablauf, als dass ich Unterricht vorbereiten und Aufätze korrigieren muss. Ich weiß gar nicht wie ich das 13 Jahre lang ohne den mehrstündigen Mittagsschlaf, den ich mir hier angewöhnt habe, geschafft habe.

Insgesamt kann ich mich aber nicht beklagen: Ich habe auf meinem Stundenplan pro Tag durchschnittlich nur 3 Stunden Unterricht, von denen ich die meisten in der 1. Klasse verbringe. Die Kinder werden ganz auf Deutsch unterrichtet, was teilweise sehr gut klappt, weil sie die Sprache schon von zuhause oder aus dem Kindergarten kennen. Es gibt aber auch Kinder, die noch gar kein Deutsch können und entsprechend überfordert sind, und denen soll ich im Unterricht ein bisschen unter die Arme greifen – nicht ganz einfach, wenn sie mich nicht verstehen und ich sie ebensowenig, aber es macht auch jede Menge Spaß. Die Erstklässler scheinen mich wirklich zu mögen, zumindest werde ich mit jede Menge Oberschenkelumarmungen beglückt, aber vielleicht sind alle auch nur hinter meiner Einhornkette her.

Außerdem kriege ich jeden Tag 7.- und 8.-Klässler zugeteilt, mit denen ich in Kleingruppen für ihre DSD-Püfung (Deutsches SprachDiplom) lernen soll. Hier besteht die Schwierigkeit darin, die Jugendlichen zum Reden zu bringen, da Partner- und Gruppenarbeit in ungarischen Schulen wohl nicht besonders verbreitet ist und nicht alle Schüler zu verstehen scheinen, dass man dabei miteinander kommunizieren muss. Ich habe mir aber jetzt ein MEGA kreatives Spiel ausgedacht, bei dem die Schüler Kärchen ziehen und die darauf stehenden Aufgaben bewältigen müssen (z.B. ‚Beschreibe einen Mitschüler, die anderen müssen erraten wen du meinst‘), damit klappt alles gleich viel besser.

Abgesehen von den festgelegten Stunden übernehme ich ab und zu mal Vertretungsunterricht oder Aufsicht und korrigiere Aufsätze, außerdem helfe ich ab nächster Woche bei der deutsch-sprachigen TheaterAG mit.

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Auch außerhalb der Schule ist hier immer was los: Neben den eben schon erwähnten Haushaltsabenteuern treffe ich mich unter der Woche oft mit meinen Mitfreiwilligen hier in Pécs, und wir kochen zusammen (oder auch: Kilian kocht, die anderen sitzen in der Küche rum). Am Wochenende waren wir mit anderen Freiwilligen vom Euopäischen Freiwilligendienst auf dem nächsten Weinfest hier in Pécs, es gab einen von Studenten organisierten Karnevalsumzug mit jeder Menge lauter Musik und alkoholisieren, auf der Straße tanzenden Menschen, und drei Studentinnen haben mir den jeden Sonntag stattfindenden Flohmarkt gezeigt. Dort habe ich mir ein klappriges, aber wunderschönes Fahrrad gekauft – es sieht so aus wie mein Punktefahrrad, nur ohne Punkte, falls sich da noch jemand dran erinnern kann. Bei jedem Schlagloch habe ich ein bisschen Angst, dass es einfach auseinanderfällt (betrachtet man die Anzahl der Schlaglöcher hier befinde ich mich also in permanenter Gefahr), aber bis jetzt ist alles gut gegangen.

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Was ich sonst noch so gelernt habe:

  1. Ungarisch ist eine schwierige Sprache mit langen Wörtern: ‚Prost‘ heißt zum Beispiel ‚egészségére‘ – ich frag mich wer das nach mehreren Gläsern Palinka noch ausprechen kann. Vielleicht um solche Worte zu kompensieren scheinen die Ungarn eine Vorliebe für Spitznamen zu haben, die ähnlich klingen wie die Zwergennamen aus ‚Der kleine Hobbit‘. Meine Lehrerkollegen heißen unter anderem Ricci, Erzsi, Joszi und Audri, die Schüler werden Tibi, Jombi, Buggi, Gobbi usw genannt.

  2. Ungarn haben eine Vorliebe für sehr laute, nervige Klingeltöne (zumindest kommt mir das so vor): Anstatt eines Schulgongs wird jeden Tag in gehörbelastendem Pieps-Sound „Freude schöner Götterfunken” abgespielt, die Türklingel in Kilians und Jacquelines Wohnung erfreut einen mit „Für Elise”, ebenfalls in schrillen Pieps-Tönen, und im Lehrerzimmer erschrickt niemand, wenn auf einmal ein Handy in höchster Lautstärke das „Fluch der Karibik”-Theme bimmelt.

  3. In Ungarn sind alle Menschen so nett und hilfsbereit! Gut, das ist vielleicht ein bisschen verallgemeinert. Aber zumindest auf meine Schule trifft es zu. Am Wochenende habe ich mir eine Erkältung eingefangen und als ich Montag morgen die anderen Lehrer mit ziemlich heiserer Stimme begrüßte, wurde ich sofort mit Angeboten wie „Soll ich mit dir zum Arzt fahren?” oder „Ich kann dir Medikamente besorgen!” überhäuft. Am selben Tag habe ich den Hausmeister des Schülerwohnheims gefragt ob er Werkzeuge hat, mit denen ich den Sattel meines Fahrrads verstellen kann. Er mobilisierte sogleich einen Werkzeugkasten mit dazu passendem Typ, der mir meinen Sattel auf die richtige Höhe schraubte. Einen Tag später kam der Physik- und Chemielehrer in der Schule mit dem Satz „Ich habe meinen Werkzeugkasten dabei, soll ich mir nachher mal dein Fahrrad ansehen?” auf mich zu.

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Tja, ich denke das wars erstmal an spannenden neuen Geschichten ausm Osten. Mal schauen, was aus meiner Wäsche geworden ist.

Zweiundsiebzigstunden.

 Es ist so viel passiert seit Samstag Nacht um 4, als mein Wecker geklingelt hat und ich zum ersten Mal realisiert habe „Scheiße, jetzt gehts los!“ Das wichtigste zuerst: Mir geht’s gut, Pécs ist total schön, die Lehrer sind freundlich, gefühlt alle Menschen sprechen hier deutsch und mein provisorisches Zimmer im Schülerwohnheim besitzt sogar eigenes Bad und Kühlschrank. Also alles tipi topi.

Jetzt die detailliertere Fassung.

Wir starten mit dem langen Samstag, der wie gesagt um 4 Uhr morgens begann. Ich habe es tatsächlich geschafft, mit 23,9kg im Koffer (von denen die 0,9kg Übergepäck gottseidank in den Toleranzbereich von germanwings fielen) und 8kg im Handgepäck halbwegs auszukommen. Es ging dann auch schnell, bis alles inclusive mir im Flugzeug verstaut war und wir in Richtung Budapest aufbrachen.

Außer mir flogen noch 2 andere Kulturweit-Freiwillige nach Budapest, und dort angekommen konnten wir gemeinsam die Koffer vom Band hiefen und unsere Euro in erste Forint umtauschen (1€ = ca. 300 Forint). Vom Flughafen aus fuhr ich mit Bus und Bahn zum Keleti-Bahnhof, von wo aus mein Zug nach Pécs fahren sollte, während die anderen ein Taxi zu anderen Bahnhöfen nahmen. Trotz fremder Sprache, zwei mal Umsteigen und nicht vorhandenen Rolltreppen habe ich meinen Weg gut gefunden und auch ohne Probleme ein Zugicket gekauft. Beim Warten auf den Zug traf ich Julius, einen der Kulturweit-Freiwilligen, wieder. Sein Zug nach Baja (ebenfalls in Ungarn) sollte laut Deutsche Bahn an einem anderen Bahnhof abfahren, dort wurde er aber zum Keleti-Bahnhof geschickt. Wir stellten fest, dass wir zunächst mit demselben Zug fahren würden. Also warteten wir zusammen. Und warteten. Und warteten.

Da es an diesem Tag beinahe zu einem Zugunfall in Budapest gekommen wäre, hatten alle Züge jede Menge Verspätung. Wir nahmen schließlich einen Zug, der eigentlich um 10.15 Uhr abgefahren wäre, so aber erst um 12.45 Uhr losfuhr.

Die dreistündige Fahrt verlief recht ereignislos, bis auf die Tatsache dass Julius beinahe seinen Bahnhof verpasst hätte, diese wurden nämlich nicht angesagt. Gegen 16.00 Uhr bin ich dann in Pécs angekommen und wurde von der Deutsch-Lehrerin Adrienn empfangen. Im Gegensatz zu Bonn und Budapest regnete es hier nicht, es war sogar richtig schönes, warmes Wetter. Gleich ein dicker Pluspunkt für Pécs.

Adrienn brachte mich zunächst zum Schülerwohnheim, in dem ich fürs erste leben werde, bis ich eine richtige Wohnung finde. Dann machten wir eine kleine Rundtour mit dem Auto, wechselten nochmals Geld im Einkaufszentrum (habe einen H&M gesichtet – juhu!) und kauften ein paar Lebensmittel bei Aldi (fühle mich so heimisch!).

Gegen 19.00 Uhr wurde ich von Adrienn wieder aus dem Schülerwohnheim abgeholt, da sie und ihr Mann mir das Weinfest zeigen wollten, das im Moment in Pécs stattfindet. Vor der riesigen Pécser Kathedrale waren zu dem Zweck kleine Stände aufgebaut, an denen man verschiedene Weinsorten und jede Menge Essen kaufen konnte. Auf dem Weinfest trafen wir noch mehr von meinen zukünftigen Kollegen, die mich alle sehr herzlich in perfektem Deutsch begrüßten.

4 Stunden und 7 Flaschen Wein später (es waren aber auch mindestens 9 Kollegen beteiligt) war ich dann wieder in meinem neuen Zuhause, todmüde, aber auch sehr zufrieden.

Der nächste Tag verlief im Vergleich zum Samstag sehr entspannt: Ich schlief bis 11 Uhr, räumte meinen Koffer aus, richtete mich ein und traf mich nachmittags mit Ann-Kathrin, eine der anderen 3 Freiwilligen aus Pécs. Wir schlenderten ein bisschen durch das wirklich schöne alte Stadtzentrum und aßen später an einer der kleinen Buden vom Weinfest – sehr lecker.

 

Montag begann für mich der Ernst des Lebens: Mein erster Schultag im Valeria-Koch-Schulzentrum, bestehend aus Kindergarten, Grundschule (1. – 8. Klasse) und Gymnasium (9. – 12. Klasse). Ich lernte meine Ansprechpartnerin Erszi kennen, und sie zeigte mir die Schule und stellte mich allen möglichen Menschen vor, bei denen ich mir leider von keinem den Namen merken konnte – na toll. Außerdem wurde ich insgesamt 3 Schulklassen vorgestellt. Die Jugendlichen sollten mir Fragen stellen, waren jedoch ein bisschen schüchtern. Ich glaube ich habe mich trotzdem ganz gut geschlagen in meinen ersten „Unterrichtsstunden“. Gegen 1, nachdem ich in der Deutsch-Fachschafts-Konferenz Haribo verteilt habe, durfte ich erstmal nach hause gehen.

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Später bin ich zur Universität von Pécs aufgebrochen, weil es da eine Wohnungs- und WG-Vermittlung gibt. Ich habe mir einige potentielle WGs aufgeschrieben und später eine davon besichtigt. Sie ist WUNDERSCHÖN aber es ist alles noch nicht ganz sicher, weitere Informationen folgen (hoffentlich) demnächst.

Außerdem habe ich einen spontanen Spaziergang in die Ausläufe des kleinen Mecsec-Gebirges gemacht, an das die Stadt grenzt. Je weiter ich die schmale Straße hinaufstieg, desto dörflicher und verlassener wurde es um mich herum: Die Häuser wirkten kleiner und heruntergekommen, während die Gärten an Größe zunahmen. Überall wuchsen Obstbäume und Weinreben, teilweise standen verrostete alte Autos am Wegrand, und ich wurde von aufgeregten Hunden empfangen, die bellend am Zaun entlangliefen – Menschen sah ich kaum. Ein bisschen beänstigend, aber auch irgendwie idyllisch.

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Mein erster Eindruck von Pécs steckt zwar teilweise schon in diesem Bericht, aber ich möchte trotzdem nochmal gesondert darauf eingehen: Die Stadt ist mit ca. 150 000 Einwohnern zwar nicht groß, aber umso gemütlicher. Insbesondere das Stadtzentrum mit einem großen Platz, historischen Bauten, kleinen Gässchen und jede Menge gemütlichen Bars und Cafés besitzt viel Charme. Durch die vielen internationalen Studenten und die Tatsache, dass es hier noch schön warm ist, ist auf den Straßen immer etwas los. Insgesamt herrscht eine mediterrane, freundliche Athmosphäre.

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In den rändlicheren Bezirken gibt es einige Hochhaussiedlungen, außerdem sind Häuser und Straßen außerhalb des Zentrums teilweise etwas heruntergekommen. Aber auch das gehört meiner Meinung zum „Flair“ der Stadt dazu und ist nicht negativ zu sehen.

Dieser persönlichen Bewertung sollte allerdings nicht zu viel Aufmerksamkeit geschenkt werden, denn schließlich bin ich erst seit ein paar Tagen hier und habe noch lange nicht alles von der Stadt gesehen.

Ankommen / Aufbrechen.

 Auf den ersten Blick sieht mein Zimmer aus wie immer. Klamotten, Bücher und Taschen gleichmäßig verteilt auf Schreibtisch, Bett und Fußboden sind hier ein alltäglicher Anblick. Bei genauerem Hinsehen kann man jedoch auch die Indikatoren für meine morgige Abreise nach Pécs, Ungarn erkennen: Der große, halb gepackte Koffer steht geöffnet auf dem Boden, die Fotowand über meinem Bett weist merkwürdige leere Flecken auf und die in der Mitte des Zimmers plazierte Waage warnt davor, bloß nicht mehr als 23kg Gepäck einzupacken – eine mikrige Zahl, wie ich finde, denn schließlich muss das Ganze für ein Jahr reichen.

Morgen geht es also los. Ich gehe über die Organisation Kulturweit für ein Jahr nach Pécs, Südungarn, und arbeite dort in einer deutsch-ungarischen Schule. Als mir mein Einsatzland mitgeteilt wurde, war ich erstmal ziemlich perplex, hatte ich mich doch schon in Thailand auf dem Rücken eines Elefanten durch mein Auslandsjahr traben sehen. Trotzdem habe ich zugesagt und obwohl es noch gar nicht richtig losgegangen ist, bin ich davon überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Vom 2. bis zum 11. September fand unser Vorbereitungsseminar am Werbellinsee in der Nähe von Berlin statt. 212 Freiwillige, 27 Trainerinnen und Trainer und ein Orga-Team lebten in der Zeit auf dem Jugendherbergs-Gelände, und meine Befürchtung, dass es anstrengende 10 Tage werden würden, haben sich voll und ganz bestätigt: Hunderte fremde Menschen um einen herum, ein prall gefülltes Programm, jeden Tag früh aufstehen (das habe ich in den letzten Monaten ganz verlernt), eine Fahrt nach Berlin, Bier und daraus resultierende Spontanpartys, Schwimmen im See usw. hatten auf mich den Effekt, dass ich jetzt erstmal eine Woche durchschlafen könnte. Was leider aus Zeitmangel nicht möglich ist.

Dennoch war das Vorbereitungsseminar eine unglaublich tolle und spannende Erfahrung. Ich habe noch nie so viele nette, interessante und aufgeschlossene Menschen auf so engem Raum zusammen gesehen. Obwohl sich alle vorher fremd waren, ist in den 10 Tagen ein Gemeinschaftsgefühl zwischen uns gewachsen, das mir viel Kraft und Sicherheit für mein Auslandsjahr gegeben hat.

Jeden Tag wurde sich in kleinen Arbeitsgruppen namens „Homezones“ getroffen und verschiedene Themen wie der Kulturbegriff, Rassismus und Nachhaltigkeit erarbeitet. Außerdem hat jede Homezone ein eigenes Projekt durchgeführt. Des weiteren standen Vorträge von den Partnerorganisationen, ein Workshop-Tag, Regionsgruppen-Treffen, ein Besuch im Auswärtigen Amt und eine Fragestunde mit unserem Versicherungstypi auf dem Programm.

Durch das Seminar habe ich eine Menge gelernt, aber vor allem habe ich viele neue Freunde gefunden, die in derselben Situation sind wie ich. Ich fühle mich jetzt nicht mehr so auf mich alleine gestellt und ich weiß, bei wem ich mich einschleimen muss um ein paar Nächte kostenlos in z.B. Budapest zu übernachten. 😉

Das richtige Abenteuer startet dann also morgen. Ich war noch nie im Land der Paprika und des Gulaschs und ich bin gespannt, was mich erwartet!