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Eine Ex-Jugoslavien-Reise, Teil 3: Belgrad / Subotica

Am Freitag den 13. Februar um 6.00 Uhr morgens kehrten Aliena, Mascha und ich der Stadt Sarajevo den Rücken zu, bestiegen einen Bus und düsten unserem nächsten Ziel entgegen: Belgrad.

Die Busfahrt durch Bosnien-Herzegovina verschlief ich größtenteils, doch immer, wenn ich meine Augen zwischen zwei Nickerchen öffnete, bot sich ihnen eine andere spektakuläre Landschaft: Wir fuhren in Serpentinen über schneebedeckte Berge, überquerten reißende Flüsse und passierten türkis-glitzernde Seen. Es heißt, wer Wasser aus dem Sebilj-Brunnen in Sarajevo trinkt, wird die Stadt noch einmal besuchen. Ich, die die kostenlose Wasserspende gleich als Auffüllmöglichkeit für die eigene Trinkflasche missbraucht hatte, beschloss, es beim nächsten Bosnien-Besuch nicht bei der Stadt zu belassen.

Dann zeigten wir unseren Pass bei der serbischen Grenze und schlagartig befanden wir uns auf dem platten Land. Jetzt gab es keine beeindruckenden Berge und Gewässer mehr zu bestaunen und die einzige Attraktion blieb das Spanferkel, das auf dem menschenleeren Rastplatz mitten in der serbischen Pampa einsam vor sich hingrillte.

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In Belgrad angekommen suchten wir erstmal eine Weile nach Wlan – wir hatten nämlich vergessen, die Adresse und den Weg zum Hostel aufzuschreiben. Dieses befand sich dann nur wenige Meter entfernt von unserem Standort und man empfing uns mit einem Begrüßungs-Rakia-Shot, den wir jedoch aufgrund der Uhrzeit auf den Abend verlegten. Rakia wird der serbische Schnaps genannt, der hier ständig konsumiert und einem auch ständig von allen angedreht wird.

Nachdem wir unseren Kram gleichmäßig auf dem Boden des Hostelzimmers verteilt hatten, machten wir uns auf zur Festung von Belgrad. Unterwegs aßen wir einen Burek (ein für den Balkan typisches Gebäckstück bestehend aus Blätterteig, Hackfleischfüllung und gefühlt einem Liter Öl), das mein Hungergefühl für die nächsten 2 Tage aussetzen ließ und meinen Bedarf an frittiertem Gebäck für die nächsten 2 Jahre deckte. War aber trotzdem lecker.

Das herrlich sonnige Wetter nutzten wir für ein von den anwesenden Serben spöttisch beäugtes Mini-Fotoshooting auf den Mauern der Festung, von denen aus man einen super Blick auf die Mündung des Flusses Save in die Donau und auf den Rest der Stadt hat. Dann suchten wir eine Weile erfolglos nach der Kafana-Straße, die der Hostelmensch uns aufgrund der vielen Bars und Cafés empfohlen hatte, blieben in einem anderen Café hängen und machten uns schließlich auf den Rückweg zum Hostel.

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Die Sarajevo-Freiwilligen hatten uns gesagt, dass wir abends unbedingt ins BIGZ gehen sollten, ein riesiger unbewohnter Plattenbau, der früher als Druckerei genutzt wurde und in dem sich jetzt eine Jazzbar und ein Club befindet. Nachdem wir das Free-Rakia-Shot- und das 2-Bier-zum-Preis-von-Einem-Angebot unserer Hostelkneipe ausreichend ausgenutzt hatten, machten wir uns also auf den Weg – und liefen erstmal am BIGZ vorbei, das von außen einfach aussieht wie ein großes, hässliches, leerstehendes Gebäude. Ist es ja im Endeffekt auch.

Glücklicherweise trafen wir einen Serben, der auch auf dem Weg ins BIGZ war. Er führte uns durch das dunkle, graffiti-besprühte Gebäude zu einem klapprigen Aufzug, mit dem wir in den 12. Stock fuhren. Dort war ebenfalls alles dunkel und voller Graffiti, und hätten wir nicht schon ein wenig Rakia intus wäre uns das Ganze bestimmt ziemlich gruselig und suspekt vorgekommen. Nachdem wir durch ein paar menschenleere Flure gelaufen waren, kamen wir jedoch zu einem Raum, aus dem laute Live-Musik und das Stimmengewirr vieler Menschen drang – wir hatten die Jazz-Bar gefunden.

Die nächsten Stunden verliefen irgendwie ziemlich verrückt und sind schwer zu beschreiben. Ich probiere es trotzdem mal:

Ich habe mich im BIGZ ein bisschen wie Alice im Wunderland gefühlt. Das riesige Gebäude besteht aus gefühlt einer Millionen identisch aussehender Flure: Graffitibesprüht, spärlich mit Neonlicht beleuchtet und voller Türen, die in regelmäßigen Abständen von den Fluren in einzelne Räume abzweigen. Wir verbrachten Ewigkeiten damit, alleine oder zusammen durch diese Flure zu laufen, um Toiletten, die Jazzbar, unsere Freunde oder andere Räume zu suchen, die wir zwischenzeitlich entdeckt hatten. Dabei lernten wir jede Menge Serben kennen, die uns ihre privaten Band-Proberäume zeigten und uns dort zu mehr Bier einluden. Anscheinend verbirgt sich hinter fast jeder geschlossenen Tür im BIGZ so ein Proberaum, und wir verbrachten stundenlang damit, diese auszukundschaften und mit unseren neuen Freunden auf deren Instrumenten herumzuspielen. Später kletterten wir auf der Suche nach der Dachterasse, die sich irgendwo im Gebäude befinden sollte, noch ein bisschen im halb zerfallenen Treppenhaus des BIGZ‘ rum. Die Dachterasse fanden wir nicht, lustig war es trotzdem.

Insgesamt war der Abend ziemlich chaotisch, ziemlich abgedreht und ziemlich wiederholungsbedürftig! Nach Belgrad muss ich also auch nochmal.

Am nächsten Tag fanden wir dank der Belgrader Free Walking Tour doch noch die Kafana-Straße, den Free-Rakia-Shot, den uns die Touristenführerin dort anbot, lehnten wir jedoch dankend ab. Nach der Tour aßen wir mit einigen Franzosen und einem Italiener, ebenfalls Teilnehmer der Tour, in einem serbischen Restaurant. Dabei versuchte ich, meine Französischkenntnisse unter Beweis zu stellen, sagte jedoch ständig „Igen“ statt „oui“ und musste schließlich, verwirrt durch den von mir fabrizierten ungarisch-französischen Kauderwelsch, resigniert abbrechen.

Nach dem Essen irrten wir noch eine Weile auf der Suche nach dem Bahnhof durch die Stadt. Die ganze Verirrerei in Belgrad hat übrigens nicht nur mit mangelndem Orientierungssinn zu tun, die Stadt ist einfach merkwürdig und seltsam planlos aufgebaut. Dazu kommt noch, dass die Straßen auf dem Stadtplan in „normaler“, auf den Straßenschildern aber in kyrillischer Schrift geschrieben sind.

Schlimm fanden wir das Ganze nicht, denn durch unseren Umweg bekamen wir noch die Möglichkeit, eine große orthodoxe Kirche zu besichtigen, in der gerade eine Art Gottesdienst stattfand: Die gesamte Kirche war in einen intensiven Räucherstäbchen-Duft gehüllt und am Altar standen 3 Priester, die den Raum mit eigentümlichen Singsang füllten. Die Leute, die in die Kirche kamen, küssten zuerst die am Eingang aufgestellten Heiligenbilder und stellten sich dann irgendwo in den leeren Raum, um zu beten – Sitzbänke gab es nicht. Wer genug gebetet hatte, verließ die Kirche wieder. Es war also ein ständiges Kommen und Gehen, das aber nicht Unruhiges an sich hatte. Insgesamt entstand so eine sehr eindrückliche Stimmung, die nicht mit der Atmosphäre in katholischen Kirchen vergleichbar ist.

Außerdem sahen wir einige ehemaligen Regierungsgebäude, die im Jugoslavienkrieg zerbombt wurden und so immer noch mitten in der Stadt zwischen modernen, voll funktionstüchtigen Häusern stehen: Beeindruckende Plattenbauten, die aussehen, als hätte ein Riese Gebäudeteile herausgerissen und andere Teile mit der Faust eingedrückt.

Am Bahnhof kauften wir Tickets für die Weiterfahrt nach Subotica, wobei wir von den beiden vielleicht 25-jährigen Verkäuferinnen mit langen Fingernägeln, dicker Make-Up-Schicht und blondierten Haaren erstmal voll ignoriert wurden. Die beiden waren in eine angeregte Diskussion vertieft und ließen sich von uns, die wartend vor dem Verkaufshäuschen standen, nicht beeindrucken. Als die eine Angestellte schließlich ihr Handy herausholte und ihrer Freundin wild gestikulierend Fotos von Tangas zeigte mussten wir lachen. Das führte wiederum bei den beiden Verkäuferin zu solchen Kicheranfällen, dass es noch gut 5 Minuten dauerte, bis sie sich wieder so weit beruhigt hatten, uns ein Ticket auszustellen. Irgendwie eine schöne Situation. Zumindest solange man es nicht eilig hat.

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In Subotica wohnten die beiden sehr lieben Freiwilligen Lisa und Johanna, die zum Ende ihres 6-monatigen Freiwilligendienstes eine Abschiedsparty schmissen und uns dazu eingeladen hatten. Subotica ist ein schöner kleiner Ort, der sowohl von der Größe als auch von der Architektur her mit Pécs vergleichbar ist. Wir besichtigten die Stadt, halfen bei den Party-Vorbereitungen und erlebten eine sehr schöne Abschiedsparty, die mit wildem Rumgetanze zu Balkanmusik endete. Mir ist an dem Abend aufgefallen, dass Serben gerne mal eine Runde ausgeben – und dass ich, typisch deutsch, ganz schön geizig und auf den eigenen Vorteil fokussiert bin: Anstatt die nächste Runde zu schmeißen krallte ich mir das einzig übrig gebliebene Bier. Shame on me.

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Dann war es auch schon Sonntag und somit Ende meiner 9-tägigen Rundreise. Mit Anti, Jacqueline und Julius fuhren wir per Auto und Bus ziemlich komfortabel zurück nach Pécs.

Auf der Fahrt hörte ich Musik und lies die letzten Tage noch einmal in Gedanken an mir vorbeiziehen. Es war eine krasse Zeit und ich bin so froh, diese Reise gemacht zu haben. Mit einer Menge neuem Wissen und neuen Erfahrungen kehrte ich nach hause zurück, und wieder einmal habe ich gemerkt: Reisen ist die beste Art, Geld, Zeit und Energie loszuwerden. Danke an Aliena und Mascha für die tolle Reisebegleitung, danke an die Freiwilligen, die uns bei sich aufgenommen haben, und danke an alle Leute, die diesen Artikel lesen und damit ihr Interesse an meinen Abenteuern bekunden!

Jahreswechsel.

Wir schreiben jetzt das Jahr 2014. Ein Jahr, von dem ich später vielleicht mal zu meinen Kindern oder zu sonst irgendwem sagen werde „Mensch, 2014, das war ein super Jahr. Mein Freiwilligendienst in Ungarn ist genauso toll weitergegangen wie es angefangen hat, nein, sogar besser! In der Schule war ich nun nicht mehr die neue, unerfahrene Freiwillige, sondern komplett integriert und von Schülern und Lehrern sehr geschätzt. Mit den anderen Freiwilligen und neuen Freunden habe ich jede Menge spannende Reisen durch den gesamten Balkan unternommen und beeindruckende neue Erfahrungen gemacht. Dann das Studium. Ich habe mich für genau das richtige Fach entschieden: Etwas, was mir Spaß macht, mich interessiert und für das ich gerne tagelang in der Unibib sitze und lerne. Eine neue Stadt, in der ich mich sofort wohlgefühlt habe. Und jede Menge nette Kommilitonen, mit denen ich viel Spaß hatte. Ja, 2014, da ist echt alles richtig gelaufen!“ Vielleicht kommt es aber auch anders. Vielleicht wird 2014 mein Jahr des großen Scheiterns. „2014 Kinder, das war der Anfang allen Übels. Pécs hatte ich bald satt. Die Stadt, die Arbeit an der Schule, meine Freunde hier, das alles hat mich irgendwann nur noch angeödet. Ich war froh als mein FSJ endlich vorbei war. Mit dem Studium ist auch nichts so gelaufen, wie es sollte. An der Traumuni nicht angenommen, Studieninhalt, der mich nicht interessiert hat, nicht bestandene Prüfung, unfreundliche Professoren und langweilige Studienkollegen. Monatelang quälte ich mich, dann gab ich schließlich auf und brach das Studium ab. Ich zog entmutigt wieder zurück zu meiner Familie und seitdem arbeite ich an der Kasse bei Lidl. Dann noch die ungewollte Schwangerschaft, die gescheiterte Beziehung und die chronische Krankheit. Dabei begann ich das Jahr 2014 noch so optimistisch und voller Ziele…“

Naja, wie auch immer es dieses Jahr für mich laufen wird, mir ist bewusst, dass ich selbst dafür verantwortlich bin. Ich kann selber entscheiden, welchen Weg ich einschlage, wofür ich mich einsetze, wie ich mit den Situationen umgehe, die mir wiederfahren.

Ich weiß noch wie ich Silvester 2013 auf das neue Jahr anstieß und dachte „wow, keine Ahnung, wo ich mich in einem Jahr befinde und wie und mit wem ich dann ins neue Jahr reinfeiere.“ Ein irgendwie beunruhigender, aber vor allem aufregender Gedanke.

Irgendwas scheine ich im Verlauf der letzten 12 Monate auf jeden Fall richtig gemacht zu haben (und eine große Portion Glück war auch dabei), denn das Jahr 2014 hat so angefangen, wie es sein sollte – chaotisch, lustig und aufregend.

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Nachdem ich etwa eine Woche zuhause war, viele Freunde wiedersehen und endlich wieder die Nervigkeit (und einige positive Eigenschaften) meiner Familie erleben konnte, ging es am 31. Dezember mit meinen besten Freundinnen Hannah und Rosa zurück nach Ungarn zum „Silvesterfest in Budapest“, wie Aliena das Ganze liebevoll titulierte. Zusammen mit ca. 20 anderen Freiwilligen und Freunden wurde in ihrer Wohnung mit Blick auf Donau, Margaretenbrücke und Parlament mit Luftschlagen, Vuvuzelas, Speis und Trank in das neue Jahr hineingefeiert. Später ging es ins Corvintetö, einen Club, den ich schon von unserem letzten Budapest-Besuch kannte, und in dem wir bis zum Morgen rumtanzten. Die Rückfahrt zum Hostel gehört nicht zu einen meiner Meisterleistungen: Am nächsten Morgen fand ich heraus, dass wir mit dem Bus, in den wir einfach mal eingestiegen war, genau eine Runde im Kreis gefahren sind, bis ich irgendwann ausstieg, weil mir der Name der Haltestelle so bekannt vorkam – komisch, es war ja schließlich dieselbe Haltestelle wie die, bei der wir eingestiegen sind. Danach fand ich mein Hostel glücklicherweise ohne Probleme und war nur mit dem Klingel- und Tür-aufdrück-System minimal überfordert. Das ist aber auch schwierig bei den alten Häusern in Budapest mit ihren komischen Freisprechanlagen!

Die nächsten Tage verbrachte ein Großteil der anderen Freiwilligen, meine beiden Freundinnen und ich noch in Budapest. Wir fuhren Schlittschuh auf einer riesigen Eislaufbahn direkt vor dem Vajdahunyad-Schloss, entspannten uns in den riesigen heißen Außenbecken des Széchenyi-Bads, gingen shoppen und, nachdem wir uns von der Silvesternacht halbwegs erholt hatten, noch einmal in einem sehr coolen Club namens „Instant“ feiern, hingen in tollen Cafés und Bars rum, die Aliena uns zeigte, und besuchten die Budapester Oper. Obwohl wir von der Oper nicht so richtig viel verstanden (Gesang auf italienisch, Untertitel auf ungarisch) war das ein beeindruckendes Erlebnis. Von unseren Plätzen aus hatten wir zwar nicht die beste Bühnensicht (bei Kartenpreisen von 300 Ft, also einem Euro, ist das aber verzeihbar), aber die pompöse Innenausstattung der Oper bot schon genug zu sehen. Ich habe mich gefühlt wie eine Adlige in einer Szene aus „Krieg und Frieden“ oder irgendeinem anderen der alten russischen Romane, die mein Papa so gerne liest. Nur Ballkleid und Fernglas zum Beobachten der anderen Operngäste haben gefehlt.

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Sonntag den 5. Januar ging es dann wieder zurück nach Pécs, denn Montag sollte die Schule wieder anfangen. Nach vollgepackten Tagen in Deutschland und der ereignisreichen Zeit in Budapest musste das entstandene Schlafdefizit erstmal wieder durch riesige Mittagsschläfe kompensiert werden. Ansonsten nervte ich meine Schüler, indem ich sie über ihr Weihnachten und Silvester ausfragte und sie gute Vorsätze fürs neue Jahr formulieren ließ. Ich habe da natürlich mitgemacht. Dabei ist meine Vorsatz-Top-3 entstanden:

  1. Weniger essen, mehr Sport treiben -> noch nicht so richtig geglückt…

  2. Weniger unproduktiv rumgammeln, mehr reisen und neue Dinge erleben -> da gibt es immerhin schon jede Menge Pläne für die nächsten Wochenenden!

  3. Aufhören, wichtige Dinge (z.B. Unterrichtsplanung, Wohnung putzen oder mein Freiwilligenprojekt) vor mir herzuschieben -> kein Kommentar.

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Außerdem besuchten wir den Freiwilligen Julius in der verschlafenen aber schönen Kleinstadt Baja und ich sah bei der Bandweihe-Zeremonie unserer Schule zu. Hierbei kriegen die Zwölftklässler von ihren Klassenlehrern feierlich ein Band an ihre Pullis geheftet, das aussieht wie eine AIDS-Schleife, aber zeigen soll, dass die Schüler jetzt zum Abitur zugelassen sind. Außerdem werden Reden gehalten und die Klassen führen einen eigenen Tanz auf. Ich habe zwar nicht ganz verstanden, was die Schüler eigentlich feiern (ihr Abitur haben sie ja schließlich noch nicht), aber es war trotzdem eine ganz witzige Veranstaltung, die mich irgendwie an unsere Abiturzeugnisvergabe erinnert hat. Ich bin sogar ein bisschen wehmütig geworden. Die Abizeit war schon cool. Und obwohl das alles noch gar nicht so lange her ist habe ich das Gefühl, hier unendlich weit weg davon zu sein. Mein Besuch zuhause und die vielen vertrauten Menschen haben alles wieder ein bisschen aufleben lassen.

Trotzdem ist es mir leicht gefallen, zurück in den Flieger nach Ungarn zu steigen. Ein gutes Zeichen, denke ich, das zeigt, dass ich hier noch lange nicht fertig bin. Es gibt noch viel zu erleben in den nächsten 7 Monaten. Und darauf freue ich mich.

Dezember.

„Boldog karácsonyt és új évet“ kommt es quasi fließend über meine Lippen und ich bin ein bisschen stolz auf mich, während ich meine Lehrerkollegen mit den zwei puszi (Küsschen) auf beide Wangen verabschiede. Es ist Freitag, der 20. Dezember, der letzte Schultag vor den Weihnachtsferien ist überstanden und nach dem traditionellen Fischsuppe-Essen gehen auch die Lehrer auseinander. Für mich steht in den Weihnachtsferien ein kurzer Zuhause-Urlaub auf dem Programm: Pünktlich zum Abglühen auf dem Weihnachtsmarkt werde ich wieder in Bonn sein und all die Menschen wiedertreffen, die ich vor ziemlich genau 3 Monaten dort verabschiedet habe. Die erste Etappe meines Freiwilligendienstes ist um.

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Meine Arbeit in der Schule macht mir immer noch Spaß und ist auch ziemlich abwechslungsreich. Besonders lieb habe ich ‚meine‘ Erstklässler, die inzwischen alle schon richtig gut Deutsch sprechen können. Jeden Tag werde ich von ihnen mit stürmischen Umarmungen und einem enthusiastischen „Guten Taaag, Mascha!“ begrüßt, bei Bastelarbeiten bin ich die Hifskraft ihres Vertrauens und wenn ich neue Ungarisch-Vokabeln an den Kindern ausprobieren, wird die frohe Botschaft innerhalb weniger Sekunden bis in die hintersten Winkel der Klasse verbreitet („Mascha beszel magyarul! Mascha beszel magyarul!“). Beim Weihnachtswichteln wurde ich nicht nur von meinem Wichtelkind sondern gefühlt von der halben Klasse mit selbstgebackenen Keksen versorgt, was ich sehr süß fand.

Auch die Lehrer verschenken in der Weihnachtszeit sehr gerne Süßigkeiten. In den letzten Wochen habe ich auf meinem Tisch im Lehrerzimmer so oft Kekse, Kuchen oder Schokolade gefunden, dass ich den fehlenden Adventkalender kaum vermisst habe. Und wenn ein Lehrer Namenstag oder Geburtstag oder die Schulleiterin ein Schwein geschlachtet hat (was letzten Mittwoch der Fall war) gibt es noch mehr Essen für umsonst.

Das kulinarische Highlight der letzen Zeit war jedoch eindeutig die schon am Anfang erwähnte Fischsuppe, die traditionell zu Weihnachten gegessen wird. Hierbei werden  Fische und scharfe Paprikas zusammen mit Knoblauch, Zwiebeln, Tomatensoße, Rotwein und jede Menge Paprikapulver in einem Kessel von der Größe einer Babybadewanne erhitzt. Mit der Zerkleinerung von Fisch und Paprika müht man sich dabei gar nicht erst ab: Gräten, Fischköpfe und anderes ungenießbares Zeug werden einfach beim Essen herausgefischt. Dazu gab es Wein und selbstgebrannten Palinka – mein Widerwillen gegen letzteres aufgrund der Uhrzeit (mittags!) stieß bei den ungarischen Hausmeistern leider auf kein Verständnis.

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Ansonsten stand bei den Zwölftklässlern die DSD-Prüfungen an: Schriftliche Arbeiten, Hörverstehensübungen und eine mündliche Prüfung mussten überstanden werden, um das Deutsche Sprachdiplom zu erhalten – ich erhielt die anspruchsvolle Aufgabe, Blätter zu sortieren, zu tackern und einzuscannen. Außerdem hielt ich in der 10. Klasse eine Unterrichtsreihe zum Thema Jugendsprache in Deutschland, versuchte die Schüler für Musik von Peter Fox zu begeistern und verbrannte mir die Finger beim Adventskranz-Basteln auf der Weihnachtsfeier. In meinen Freistunden versuche ich im Lehrerzimmer Gespräche zwischen meinen Kollegen zu verstehen – dabei schnappe ich immer mehr bekannte Wörter auf und wenn mir genug Zeit zum Nachdenken gelassen wird, kann man sich auch schon richtig gut mit mir unterhalten („Wir sind in der Schule. Das ist ein Stuhl. Dort sind die Fenster. Du bist ein Lehrer. Ich esse eine Orange.“)

An den Wochenenden haben Anti, Jacqueline und ich den Pécser Weihnachtsmarkt samt Nachtleben unsicher gemacht (wobei ich beim Tanzen mit einem Lehrer unserer Schule von meinen Schülern beobachtet wurde. Diese interessieren sich jetzt brennend für die ganze Sache und erfinden jede Menge Gerüchte – na toll) und wir waren für einen Tag in Szeget, einer sehr schönen Universitätsstadt knapp 200 östlich von Pécs.

Zum Abschluss vielleicht noch etwas zum Wetter, denn das Wetter ist ja immer eine interessante Sache.

Hier ist es inzwischen relativ kalt geworden (um die 0° C), dafür ist das Wetter meistens richtig gut. Es hat schon seit Wochen nicht mehr geregnet und es scheint fast jeden Tag die Sonne – so lässt sich der ungarische Winter gut überstehen! Wenn mir zu kalt wird, brauche ich nur ein bisschen mit meiner riesigen Heizung zu kuscheln, die ursprünglich mal ein Kachelofen war. Je weiter man sich jedoch von der Heizung weg in Richtung Fenster bewegt, desto mehr gleicht sich die Zimmertemperatur der Temperatur draußen an – der Schreibtisch am Fenster ist daher als Arbeitsfläche im Moment nicht wirklich nutzbar, aber im Bett lässt es sich auch super Unterricht vorbereiten.

Jetzt heißt es jedoch erstmal „Viszontlátasra, Magyaroszag“ und „Szia, Bonn“. Ein merkwürdiges Gefühl, nach Hause zu fahren, wo ich mich doch hier auch so zuhause fühle.

Schule / Ferien.

Vertretungsstunde in einer 10. Klasse, Aufgabe: Arbeitsblatt mit Übungen zur Passivbildung besprechen. Schüler, die morgen eine Arbeit in genau diesem Thema schreiben. Kein Problem für die Muttersprachlerin, sollte man meinen. „Im Krankenhaus darf man nicht rauchen“ wird zu „Im Krankenhaus darf nicht geraucht werden“ und aus „Das Konsulat hat mir das Reisevisum ausgestellt“ wird „Mir ist vom Konsulat ein Reisevisum ausgestellt worden“. Soweit kein Problem. Bei „Der Arzt hat dem Patienten nicht mehr helfen können“ wird es jedoch kompliziert. Nachdem ich den Satz „Dem Patienten hat vom Arzt nicht mehr geholfen werden können“ mit Überzeugung für falsch befunden habe, regen sich in der Klasse Proteste. Das hätten sie aber so gelernt. Ich bin verwirrt. Was ist mit „Dem Patienten konnte nicht mehr geholfen werden“? Klingt doch viel richtiger. Die Lehrerin meint, das ist „Küchendeutsch“, wird mein Vorschlag von den Schülern runtergemacht, der Satz steht dann nämlich in der falsche Zeit. Jetzt fangen sie an, mich über Perfekt und Präteritum zu belehren. Gottseidank ist die Stunde bald zuende und die Küchendeutsch sprechende Muttersprachlerin verlässt den Raum etwas durcheinander im Kopf. Und sowas auch noch am ersten Schultag.

Hier waren nämlich letzte Woche Herbstferien, und diese wurden mir mit einem Besuch meiner Familie versüßt. Stolz konnte ich ihnen mein neues Zuhause zeigen, das meine Mutter als „schön, aber ein bisschen schmuddelig“ befand, „und die Fenster solltest du auch mal putzen!“, wir bestiegen einen kleinen Berg am Stadtrand, auf dem sich eine süße kleine Kapelle und eine gruselige Jesusfigur am Kreuz befindet, und wir gingen essen, ohne dass ich irgendetwas bezahlen musste – Familienbesuche sind super!

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Da meine Familie mit dem Auto gekommen war, konnten wir auch die Umgebung um Pécs herum erkunden. Im Vergleich zu den kleinen verschlafenen Dörfern im Umland kommt mir Pécs jetzt wie eine richtige Metropole vor.

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Schließlich waren wir noch ein paar Tage am Balaton auf der Halbinsel Tihany. Weil Nebensaison war, schienen die Dörfer und Städte um den Balaton herum total ausgestorben – um 7 Uhr abends waren die liebevoll sanierten, von kleinen Restaurants und Geschäft gesäumten Straßen und Plätze, die im Sommer von unzähligen Touristen bevölkert werden, wie ausgestorben. Einmal waren wir um 5 Uhr nachmittags essen (eine ungewöhnliche Zeit, ich weiß), und als wir um kurz nach 6 wieder aus dem Restaurant traten, wurden hinter uns Türen geschlossen und Fensterläden runtergeklappt – es wurden wohl keine Gäste mehr erwartet.

Trotzdem (oder gerade deswegen?) fand ich es am Balaton total schön. Wir haben eine lange Wanderung auf der unter Naturschutz stehenden Halbinsel gemacht (kleine Seen, Schilf, Berge, Klippen, Bäume und Boden voller bunter Blätter) und schwammen in einem Nebensee des Balatons, der aufgrund einer heißen Quelle durchgehend Temperaturen von 25 bis über 30°C aufweist.

Und dann waren die Ferien auch schon wieder zuende.

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Am 23. Oktober, in der Woche vor den Herbstferien, war ungarischer Nationalfeiertag aufgrund eines Volksaufstandes im Jahre 1956. An diesem Tag protestierten viele Ungarn gegen das kommunistische System und die Unterdrückung durch die sowjetischen Besatzungsmacht. Der Protest endete jedoch blutig und der Freiheitskampf der Ungarn wurde durch den Einsatz der sowjetischen Armee unterdrückt und beendet.

Am Tag vor dem Nationalfeiertag fand daher eine kleine Feier in meiner Schule statt, in der das Geschehene schauspielerisch nachgestellt wurde. Auch die traurig und schwergängig klingende Nationalhymne wurde gesungen. An diesem Tag habe ich das erste Mal etwas von der Melancholie und Depression gespürt, die dem ungarischen Volk aufgrund seiner vielen verlorenen Kriege, der Unterdrückung und Dezimierung durch andere, und nicht zuletzt aufgrund seiner Armut- und Wirtschaftsprobleme nachgesagt wird.

Oder auch aufgrund der Dunkelheit. Diese bricht mittlerweile immer schon gegen halb 5 Uhr nachmittags ein, und Lehrerkollegen haben mich vorgewarnt, dass es hier im Dezember schon um 4 Uhr stockduster ist. Na super.

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Jetzt noch einige völlig unzusammenhängende Beobachtungen, die ich in den letzten Wochen machen konnte. Diese Beobachtungen sind subjektiv und können daher nicht verallgemeinert werden.

  1. In Ungarn knutscht man in der Öffentlichkeit. Immer und überall. Entweder die Leute finden das cool oder sie haben keinen Ort, an dem sie ungestört rumknutschen können, das habe ich noch nicht herausgefunden.
  2. Überall gibt es Sauerrahm, aber nirgendwo gibt es Sahne.
  3. Es ist super, jeden Tag in einer 1. Klasse im Unterricht mitzuhelfen: Ständig hat jemand Geburtstag und es gibt Muffins, Kuchen und Torte. 
  4. Wenn Ungarn etwas megacool finden sagen sie nicht megacool sondern kürbiscool.
  5. Ungarns geringe Größe lässt sich super durch möglichst umständliche Wegstreckenführung im öffentlichen Personenverkehr kompensieren – dachten sich die Chefs von Bus und Bahn und lassen eine Strecke von 130 km 4 1/2 Stunden dauern.
  6. Ich besitze jetzt eine Paprikapflanze, und das finde ich kürbiscool! Ich habe sogar schon eine kleine Paprika geerntet und sie in mein Essen gemischt – und die kleinen Stückchen beim Essen wieder herausgefischt, weil sie einfach VIEL ZU SCHARF waren!
  7. Langos schmeckt leckerer als es aussieht, der ungarische Palinka ist dagegen schwer aushaltbar. Ich bleibe wohl doch lieber beim stadteigenen Pécsi-Bier.
  8. Ungarische Busfahrer scheinen sich der Länge ihrer Fahrzeuge nicht immer bewusst zu sein, oder es macht ihnen Spaß, unschuldige Fahrradfahrer weg vom befahrbaren Teil der Straße in die Schlaglöcher des Straßenrandes zu drängen. Ich als Amos-Absolventin lasse mich davon natürlich nicht abschrecken.

Das war es erstmal wieder an Berichtenswertem. Ich hoffe es geht allen Menschen gut, die das hier lesen. Ich hoffe natürlich auch, dass es allen anderen Menschen gut geht. Jetzt noch ein paar Sankt-Martins-Lieder für den morgigen Unterricht in der 1. Klasse einstudieren, yeah!

Eindrücke / Alltag.

 Es ist Mittwoch, ich lebe schon seit 1 1/2 Wochen im ungarischen Städtchen Pécs, und ich kann es nicht weiter aufschieben: WÄSCHEWASCHEN steht an. Nach E-Mail-Austausch mit meiner Mama, langen Gesprächen mit meinen Mitfreiwilligen und der Hilfe von zwei ungarischen Schülerinnen, die mir den Knopf für „viele Farben“ zeigten, sitze ich jetzt in meinem Zimmer im Schülerwohnheim und warte gespannt auf das Ergebnis meiner ersten selbst-in-die-Waschmaschine-gesteckten Wäsche – fast ein bisschen peinlich, das zuzugeben, aber dafür habe ich bestimmt andere weit entwickelte haushältnerische Qualitäten!

Auch Einkaufen, Kochen und Aufessen, ohne dass irgendetwas fehlt oder schlecht wird, entpuppt sich als logistische Herausforderung des Alltags. Aber ich komm schon klar.

Die Umstellung vom Gar-nichts-tun der letzten Monate zurück zum Schulalltag fällt mir zugegebenermaßen nicht ganz leicht. Ich weiß jetzt wieder wie es ist, sich morgens um halb 7 aus dem Bett zu quälen, und ich habe dieses Gefühl nicht vermisst. Auch ‚Hausaufgaben‘ gehören insofern wieder zu meinem Tagesablauf, als dass ich Unterricht vorbereiten und Aufätze korrigieren muss. Ich weiß gar nicht wie ich das 13 Jahre lang ohne den mehrstündigen Mittagsschlaf, den ich mir hier angewöhnt habe, geschafft habe.

Insgesamt kann ich mich aber nicht beklagen: Ich habe auf meinem Stundenplan pro Tag durchschnittlich nur 3 Stunden Unterricht, von denen ich die meisten in der 1. Klasse verbringe. Die Kinder werden ganz auf Deutsch unterrichtet, was teilweise sehr gut klappt, weil sie die Sprache schon von zuhause oder aus dem Kindergarten kennen. Es gibt aber auch Kinder, die noch gar kein Deutsch können und entsprechend überfordert sind, und denen soll ich im Unterricht ein bisschen unter die Arme greifen – nicht ganz einfach, wenn sie mich nicht verstehen und ich sie ebensowenig, aber es macht auch jede Menge Spaß. Die Erstklässler scheinen mich wirklich zu mögen, zumindest werde ich mit jede Menge Oberschenkelumarmungen beglückt, aber vielleicht sind alle auch nur hinter meiner Einhornkette her.

Außerdem kriege ich jeden Tag 7.- und 8.-Klässler zugeteilt, mit denen ich in Kleingruppen für ihre DSD-Püfung (Deutsches SprachDiplom) lernen soll. Hier besteht die Schwierigkeit darin, die Jugendlichen zum Reden zu bringen, da Partner- und Gruppenarbeit in ungarischen Schulen wohl nicht besonders verbreitet ist und nicht alle Schüler zu verstehen scheinen, dass man dabei miteinander kommunizieren muss. Ich habe mir aber jetzt ein MEGA kreatives Spiel ausgedacht, bei dem die Schüler Kärchen ziehen und die darauf stehenden Aufgaben bewältigen müssen (z.B. ‚Beschreibe einen Mitschüler, die anderen müssen erraten wen du meinst‘), damit klappt alles gleich viel besser.

Abgesehen von den festgelegten Stunden übernehme ich ab und zu mal Vertretungsunterricht oder Aufsicht und korrigiere Aufsätze, außerdem helfe ich ab nächster Woche bei der deutsch-sprachigen TheaterAG mit.

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Auch außerhalb der Schule ist hier immer was los: Neben den eben schon erwähnten Haushaltsabenteuern treffe ich mich unter der Woche oft mit meinen Mitfreiwilligen hier in Pécs, und wir kochen zusammen (oder auch: Kilian kocht, die anderen sitzen in der Küche rum). Am Wochenende waren wir mit anderen Freiwilligen vom Euopäischen Freiwilligendienst auf dem nächsten Weinfest hier in Pécs, es gab einen von Studenten organisierten Karnevalsumzug mit jeder Menge lauter Musik und alkoholisieren, auf der Straße tanzenden Menschen, und drei Studentinnen haben mir den jeden Sonntag stattfindenden Flohmarkt gezeigt. Dort habe ich mir ein klappriges, aber wunderschönes Fahrrad gekauft – es sieht so aus wie mein Punktefahrrad, nur ohne Punkte, falls sich da noch jemand dran erinnern kann. Bei jedem Schlagloch habe ich ein bisschen Angst, dass es einfach auseinanderfällt (betrachtet man die Anzahl der Schlaglöcher hier befinde ich mich also in permanenter Gefahr), aber bis jetzt ist alles gut gegangen.

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Was ich sonst noch so gelernt habe:

  1. Ungarisch ist eine schwierige Sprache mit langen Wörtern: ‚Prost‘ heißt zum Beispiel ‚egészségére‘ – ich frag mich wer das nach mehreren Gläsern Palinka noch ausprechen kann. Vielleicht um solche Worte zu kompensieren scheinen die Ungarn eine Vorliebe für Spitznamen zu haben, die ähnlich klingen wie die Zwergennamen aus ‚Der kleine Hobbit‘. Meine Lehrerkollegen heißen unter anderem Ricci, Erzsi, Joszi und Audri, die Schüler werden Tibi, Jombi, Buggi, Gobbi usw genannt.

  2. Ungarn haben eine Vorliebe für sehr laute, nervige Klingeltöne (zumindest kommt mir das so vor): Anstatt eines Schulgongs wird jeden Tag in gehörbelastendem Pieps-Sound „Freude schöner Götterfunken” abgespielt, die Türklingel in Kilians und Jacquelines Wohnung erfreut einen mit „Für Elise”, ebenfalls in schrillen Pieps-Tönen, und im Lehrerzimmer erschrickt niemand, wenn auf einmal ein Handy in höchster Lautstärke das „Fluch der Karibik”-Theme bimmelt.

  3. In Ungarn sind alle Menschen so nett und hilfsbereit! Gut, das ist vielleicht ein bisschen verallgemeinert. Aber zumindest auf meine Schule trifft es zu. Am Wochenende habe ich mir eine Erkältung eingefangen und als ich Montag morgen die anderen Lehrer mit ziemlich heiserer Stimme begrüßte, wurde ich sofort mit Angeboten wie „Soll ich mit dir zum Arzt fahren?” oder „Ich kann dir Medikamente besorgen!” überhäuft. Am selben Tag habe ich den Hausmeister des Schülerwohnheims gefragt ob er Werkzeuge hat, mit denen ich den Sattel meines Fahrrads verstellen kann. Er mobilisierte sogleich einen Werkzeugkasten mit dazu passendem Typ, der mir meinen Sattel auf die richtige Höhe schraubte. Einen Tag später kam der Physik- und Chemielehrer in der Schule mit dem Satz „Ich habe meinen Werkzeugkasten dabei, soll ich mir nachher mal dein Fahrrad ansehen?” auf mich zu.

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Tja, ich denke das wars erstmal an spannenden neuen Geschichten ausm Osten. Mal schauen, was aus meiner Wäsche geworden ist.

Zweiundsiebzigstunden.

 Es ist so viel passiert seit Samstag Nacht um 4, als mein Wecker geklingelt hat und ich zum ersten Mal realisiert habe „Scheiße, jetzt gehts los!“ Das wichtigste zuerst: Mir geht’s gut, Pécs ist total schön, die Lehrer sind freundlich, gefühlt alle Menschen sprechen hier deutsch und mein provisorisches Zimmer im Schülerwohnheim besitzt sogar eigenes Bad und Kühlschrank. Also alles tipi topi.

Jetzt die detailliertere Fassung.

Wir starten mit dem langen Samstag, der wie gesagt um 4 Uhr morgens begann. Ich habe es tatsächlich geschafft, mit 23,9kg im Koffer (von denen die 0,9kg Übergepäck gottseidank in den Toleranzbereich von germanwings fielen) und 8kg im Handgepäck halbwegs auszukommen. Es ging dann auch schnell, bis alles inclusive mir im Flugzeug verstaut war und wir in Richtung Budapest aufbrachen.

Außer mir flogen noch 2 andere Kulturweit-Freiwillige nach Budapest, und dort angekommen konnten wir gemeinsam die Koffer vom Band hiefen und unsere Euro in erste Forint umtauschen (1€ = ca. 300 Forint). Vom Flughafen aus fuhr ich mit Bus und Bahn zum Keleti-Bahnhof, von wo aus mein Zug nach Pécs fahren sollte, während die anderen ein Taxi zu anderen Bahnhöfen nahmen. Trotz fremder Sprache, zwei mal Umsteigen und nicht vorhandenen Rolltreppen habe ich meinen Weg gut gefunden und auch ohne Probleme ein Zugicket gekauft. Beim Warten auf den Zug traf ich Julius, einen der Kulturweit-Freiwilligen, wieder. Sein Zug nach Baja (ebenfalls in Ungarn) sollte laut Deutsche Bahn an einem anderen Bahnhof abfahren, dort wurde er aber zum Keleti-Bahnhof geschickt. Wir stellten fest, dass wir zunächst mit demselben Zug fahren würden. Also warteten wir zusammen. Und warteten. Und warteten.

Da es an diesem Tag beinahe zu einem Zugunfall in Budapest gekommen wäre, hatten alle Züge jede Menge Verspätung. Wir nahmen schließlich einen Zug, der eigentlich um 10.15 Uhr abgefahren wäre, so aber erst um 12.45 Uhr losfuhr.

Die dreistündige Fahrt verlief recht ereignislos, bis auf die Tatsache dass Julius beinahe seinen Bahnhof verpasst hätte, diese wurden nämlich nicht angesagt. Gegen 16.00 Uhr bin ich dann in Pécs angekommen und wurde von der Deutsch-Lehrerin Adrienn empfangen. Im Gegensatz zu Bonn und Budapest regnete es hier nicht, es war sogar richtig schönes, warmes Wetter. Gleich ein dicker Pluspunkt für Pécs.

Adrienn brachte mich zunächst zum Schülerwohnheim, in dem ich fürs erste leben werde, bis ich eine richtige Wohnung finde. Dann machten wir eine kleine Rundtour mit dem Auto, wechselten nochmals Geld im Einkaufszentrum (habe einen H&M gesichtet – juhu!) und kauften ein paar Lebensmittel bei Aldi (fühle mich so heimisch!).

Gegen 19.00 Uhr wurde ich von Adrienn wieder aus dem Schülerwohnheim abgeholt, da sie und ihr Mann mir das Weinfest zeigen wollten, das im Moment in Pécs stattfindet. Vor der riesigen Pécser Kathedrale waren zu dem Zweck kleine Stände aufgebaut, an denen man verschiedene Weinsorten und jede Menge Essen kaufen konnte. Auf dem Weinfest trafen wir noch mehr von meinen zukünftigen Kollegen, die mich alle sehr herzlich in perfektem Deutsch begrüßten.

4 Stunden und 7 Flaschen Wein später (es waren aber auch mindestens 9 Kollegen beteiligt) war ich dann wieder in meinem neuen Zuhause, todmüde, aber auch sehr zufrieden.

Der nächste Tag verlief im Vergleich zum Samstag sehr entspannt: Ich schlief bis 11 Uhr, räumte meinen Koffer aus, richtete mich ein und traf mich nachmittags mit Ann-Kathrin, eine der anderen 3 Freiwilligen aus Pécs. Wir schlenderten ein bisschen durch das wirklich schöne alte Stadtzentrum und aßen später an einer der kleinen Buden vom Weinfest – sehr lecker.

 

Montag begann für mich der Ernst des Lebens: Mein erster Schultag im Valeria-Koch-Schulzentrum, bestehend aus Kindergarten, Grundschule (1. – 8. Klasse) und Gymnasium (9. – 12. Klasse). Ich lernte meine Ansprechpartnerin Erszi kennen, und sie zeigte mir die Schule und stellte mich allen möglichen Menschen vor, bei denen ich mir leider von keinem den Namen merken konnte – na toll. Außerdem wurde ich insgesamt 3 Schulklassen vorgestellt. Die Jugendlichen sollten mir Fragen stellen, waren jedoch ein bisschen schüchtern. Ich glaube ich habe mich trotzdem ganz gut geschlagen in meinen ersten „Unterrichtsstunden“. Gegen 1, nachdem ich in der Deutsch-Fachschafts-Konferenz Haribo verteilt habe, durfte ich erstmal nach hause gehen.

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Später bin ich zur Universität von Pécs aufgebrochen, weil es da eine Wohnungs- und WG-Vermittlung gibt. Ich habe mir einige potentielle WGs aufgeschrieben und später eine davon besichtigt. Sie ist WUNDERSCHÖN aber es ist alles noch nicht ganz sicher, weitere Informationen folgen (hoffentlich) demnächst.

Außerdem habe ich einen spontanen Spaziergang in die Ausläufe des kleinen Mecsec-Gebirges gemacht, an das die Stadt grenzt. Je weiter ich die schmale Straße hinaufstieg, desto dörflicher und verlassener wurde es um mich herum: Die Häuser wirkten kleiner und heruntergekommen, während die Gärten an Größe zunahmen. Überall wuchsen Obstbäume und Weinreben, teilweise standen verrostete alte Autos am Wegrand, und ich wurde von aufgeregten Hunden empfangen, die bellend am Zaun entlangliefen – Menschen sah ich kaum. Ein bisschen beänstigend, aber auch irgendwie idyllisch.

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Mein erster Eindruck von Pécs steckt zwar teilweise schon in diesem Bericht, aber ich möchte trotzdem nochmal gesondert darauf eingehen: Die Stadt ist mit ca. 150 000 Einwohnern zwar nicht groß, aber umso gemütlicher. Insbesondere das Stadtzentrum mit einem großen Platz, historischen Bauten, kleinen Gässchen und jede Menge gemütlichen Bars und Cafés besitzt viel Charme. Durch die vielen internationalen Studenten und die Tatsache, dass es hier noch schön warm ist, ist auf den Straßen immer etwas los. Insgesamt herrscht eine mediterrane, freundliche Athmosphäre.

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In den rändlicheren Bezirken gibt es einige Hochhaussiedlungen, außerdem sind Häuser und Straßen außerhalb des Zentrums teilweise etwas heruntergekommen. Aber auch das gehört meiner Meinung zum „Flair“ der Stadt dazu und ist nicht negativ zu sehen.

Dieser persönlichen Bewertung sollte allerdings nicht zu viel Aufmerksamkeit geschenkt werden, denn schließlich bin ich erst seit ein paar Tagen hier und habe noch lange nicht alles von der Stadt gesehen.

Ankommen / Aufbrechen.

 Auf den ersten Blick sieht mein Zimmer aus wie immer. Klamotten, Bücher und Taschen gleichmäßig verteilt auf Schreibtisch, Bett und Fußboden sind hier ein alltäglicher Anblick. Bei genauerem Hinsehen kann man jedoch auch die Indikatoren für meine morgige Abreise nach Pécs, Ungarn erkennen: Der große, halb gepackte Koffer steht geöffnet auf dem Boden, die Fotowand über meinem Bett weist merkwürdige leere Flecken auf und die in der Mitte des Zimmers plazierte Waage warnt davor, bloß nicht mehr als 23kg Gepäck einzupacken – eine mikrige Zahl, wie ich finde, denn schließlich muss das Ganze für ein Jahr reichen.

Morgen geht es also los. Ich gehe über die Organisation Kulturweit für ein Jahr nach Pécs, Südungarn, und arbeite dort in einer deutsch-ungarischen Schule. Als mir mein Einsatzland mitgeteilt wurde, war ich erstmal ziemlich perplex, hatte ich mich doch schon in Thailand auf dem Rücken eines Elefanten durch mein Auslandsjahr traben sehen. Trotzdem habe ich zugesagt und obwohl es noch gar nicht richtig losgegangen ist, bin ich davon überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Vom 2. bis zum 11. September fand unser Vorbereitungsseminar am Werbellinsee in der Nähe von Berlin statt. 212 Freiwillige, 27 Trainerinnen und Trainer und ein Orga-Team lebten in der Zeit auf dem Jugendherbergs-Gelände, und meine Befürchtung, dass es anstrengende 10 Tage werden würden, haben sich voll und ganz bestätigt: Hunderte fremde Menschen um einen herum, ein prall gefülltes Programm, jeden Tag früh aufstehen (das habe ich in den letzten Monaten ganz verlernt), eine Fahrt nach Berlin, Bier und daraus resultierende Spontanpartys, Schwimmen im See usw. hatten auf mich den Effekt, dass ich jetzt erstmal eine Woche durchschlafen könnte. Was leider aus Zeitmangel nicht möglich ist.

Dennoch war das Vorbereitungsseminar eine unglaublich tolle und spannende Erfahrung. Ich habe noch nie so viele nette, interessante und aufgeschlossene Menschen auf so engem Raum zusammen gesehen. Obwohl sich alle vorher fremd waren, ist in den 10 Tagen ein Gemeinschaftsgefühl zwischen uns gewachsen, das mir viel Kraft und Sicherheit für mein Auslandsjahr gegeben hat.

Jeden Tag wurde sich in kleinen Arbeitsgruppen namens „Homezones“ getroffen und verschiedene Themen wie der Kulturbegriff, Rassismus und Nachhaltigkeit erarbeitet. Außerdem hat jede Homezone ein eigenes Projekt durchgeführt. Des weiteren standen Vorträge von den Partnerorganisationen, ein Workshop-Tag, Regionsgruppen-Treffen, ein Besuch im Auswärtigen Amt und eine Fragestunde mit unserem Versicherungstypi auf dem Programm.

Durch das Seminar habe ich eine Menge gelernt, aber vor allem habe ich viele neue Freunde gefunden, die in derselben Situation sind wie ich. Ich fühle mich jetzt nicht mehr so auf mich alleine gestellt und ich weiß, bei wem ich mich einschleimen muss um ein paar Nächte kostenlos in z.B. Budapest zu übernachten. 😉

Das richtige Abenteuer startet dann also morgen. Ich war noch nie im Land der Paprika und des Gulaschs und ich bin gespannt, was mich erwartet!