Vertretungsstunde in einer 10. Klasse, Aufgabe: Arbeitsblatt mit Übungen zur Passivbildung besprechen. Schüler, die morgen eine Arbeit in genau diesem Thema schreiben. Kein Problem für die Muttersprachlerin, sollte man meinen. „Im Krankenhaus darf man nicht rauchen“ wird zu „Im Krankenhaus darf nicht geraucht werden“ und aus „Das Konsulat hat mir das Reisevisum ausgestellt“ wird „Mir ist vom Konsulat ein Reisevisum ausgestellt worden“. Soweit kein Problem. Bei „Der Arzt hat dem Patienten nicht mehr helfen können“ wird es jedoch kompliziert. Nachdem ich den Satz „Dem Patienten hat vom Arzt nicht mehr geholfen werden können“ mit Überzeugung für falsch befunden habe, regen sich in der Klasse Proteste. Das hätten sie aber so gelernt. Ich bin verwirrt. Was ist mit „Dem Patienten konnte nicht mehr geholfen werden“? Klingt doch viel richtiger. Die Lehrerin meint, das ist „Küchendeutsch“, wird mein Vorschlag von den Schülern runtergemacht, der Satz steht dann nämlich in der falsche Zeit. Jetzt fangen sie an, mich über Perfekt und Präteritum zu belehren. Gottseidank ist die Stunde bald zuende und die Küchendeutsch sprechende Muttersprachlerin verlässt den Raum etwas durcheinander im Kopf. Und sowas auch noch am ersten Schultag.
Hier waren nämlich letzte Woche Herbstferien, und diese wurden mir mit einem Besuch meiner Familie versüßt. Stolz konnte ich ihnen mein neues Zuhause zeigen, das meine Mutter als „schön, aber ein bisschen schmuddelig“ befand, „und die Fenster solltest du auch mal putzen!“, wir bestiegen einen kleinen Berg am Stadtrand, auf dem sich eine süße kleine Kapelle und eine gruselige Jesusfigur am Kreuz befindet, und wir gingen essen, ohne dass ich irgendetwas bezahlen musste – Familienbesuche sind super!
Da meine Familie mit dem Auto gekommen war, konnten wir auch die Umgebung um Pécs herum erkunden. Im Vergleich zu den kleinen verschlafenen Dörfern im Umland kommt mir Pécs jetzt wie eine richtige Metropole vor.
Schließlich waren wir noch ein paar Tage am Balaton auf der Halbinsel Tihany. Weil Nebensaison war, schienen die Dörfer und Städte um den Balaton herum total ausgestorben – um 7 Uhr abends waren die liebevoll sanierten, von kleinen Restaurants und Geschäft gesäumten Straßen und Plätze, die im Sommer von unzähligen Touristen bevölkert werden, wie ausgestorben. Einmal waren wir um 5 Uhr nachmittags essen (eine ungewöhnliche Zeit, ich weiß), und als wir um kurz nach 6 wieder aus dem Restaurant traten, wurden hinter uns Türen geschlossen und Fensterläden runtergeklappt – es wurden wohl keine Gäste mehr erwartet.
Trotzdem (oder gerade deswegen?) fand ich es am Balaton total schön. Wir haben eine lange Wanderung auf der unter Naturschutz stehenden Halbinsel gemacht (kleine Seen, Schilf, Berge, Klippen, Bäume und Boden voller bunter Blätter) und schwammen in einem Nebensee des Balatons, der aufgrund einer heißen Quelle durchgehend Temperaturen von 25 bis über 30°C aufweist.
Und dann waren die Ferien auch schon wieder zuende.
Am 23. Oktober, in der Woche vor den Herbstferien, war ungarischer Nationalfeiertag aufgrund eines Volksaufstandes im Jahre 1956. An diesem Tag protestierten viele Ungarn gegen das kommunistische System und die Unterdrückung durch die sowjetischen Besatzungsmacht. Der Protest endete jedoch blutig und der Freiheitskampf der Ungarn wurde durch den Einsatz der sowjetischen Armee unterdrückt und beendet.
Am Tag vor dem Nationalfeiertag fand daher eine kleine Feier in meiner Schule statt, in der das Geschehene schauspielerisch nachgestellt wurde. Auch die traurig und schwergängig klingende Nationalhymne wurde gesungen. An diesem Tag habe ich das erste Mal etwas von der Melancholie und Depression gespürt, die dem ungarischen Volk aufgrund seiner vielen verlorenen Kriege, der Unterdrückung und Dezimierung durch andere, und nicht zuletzt aufgrund seiner Armut- und Wirtschaftsprobleme nachgesagt wird.
Oder auch aufgrund der Dunkelheit. Diese bricht mittlerweile immer schon gegen halb 5 Uhr nachmittags ein, und Lehrerkollegen haben mich vorgewarnt, dass es hier im Dezember schon um 4 Uhr stockduster ist. Na super.
Jetzt noch einige völlig unzusammenhängende Beobachtungen, die ich in den letzten Wochen machen konnte. Diese Beobachtungen sind subjektiv und können daher nicht verallgemeinert werden.
- In Ungarn knutscht man in der Öffentlichkeit. Immer und überall. Entweder die Leute finden das cool oder sie haben keinen Ort, an dem sie ungestört rumknutschen können, das habe ich noch nicht herausgefunden.
- Überall gibt es Sauerrahm, aber nirgendwo gibt es Sahne.
- Es ist super, jeden Tag in einer 1. Klasse im Unterricht mitzuhelfen: Ständig hat jemand Geburtstag und es gibt Muffins, Kuchen und Torte.
- Wenn Ungarn etwas megacool finden sagen sie nicht megacool sondern kürbiscool.
- Ungarns geringe Größe lässt sich super durch möglichst umständliche Wegstreckenführung im öffentlichen Personenverkehr kompensieren – dachten sich die Chefs von Bus und Bahn und lassen eine Strecke von 130 km 4 1/2 Stunden dauern.
- Ich besitze jetzt eine Paprikapflanze, und das finde ich kürbiscool! Ich habe sogar schon eine kleine Paprika geerntet und sie in mein Essen gemischt – und die kleinen Stückchen beim Essen wieder herausgefischt, weil sie einfach VIEL ZU SCHARF waren!
- Langos schmeckt leckerer als es aussieht, der ungarische Palinka ist dagegen schwer aushaltbar. Ich bleibe wohl doch lieber beim stadteigenen Pécsi-Bier.
- Ungarische Busfahrer scheinen sich der Länge ihrer Fahrzeuge nicht immer bewusst zu sein, oder es macht ihnen Spaß, unschuldige Fahrradfahrer weg vom befahrbaren Teil der Straße in die Schlaglöcher des Straßenrandes zu drängen. Ich als Amos-Absolventin lasse mich davon natürlich nicht abschrecken.
Das war es erstmal wieder an Berichtenswertem. Ich hoffe es geht allen Menschen gut, die das hier lesen. Ich hoffe natürlich auch, dass es allen anderen Menschen gut geht. Jetzt noch ein paar Sankt-Martins-Lieder für den morgigen Unterricht in der 1. Klasse einstudieren, yeah!
Hallo Mascha, seit Mittwoch bin ich in goa, Thomas ist sonntag dazugekommen. Wir geniessen die herrliche zeit hier, die bedingungen sind: 34-24-30, das steht fuer tages-nacht- und wassertemperatur!! Ich wuensche dir aehnliche verhaeltnisse in pecs. Ich soll dich von ganz vielen leuten gruessen, u.a. der indischen verkaueferin an der ecke bei richy, antoni vom palmira. tessi und ihrer mutter von richy und noch ganz viele andere Inder-innen, die dich kennen. Ich hoffe, dass es dir weiter in pecs gefaellt, vielleicht schreibst du ja mal wieder einen blog. Liebe Gruesse von papa und thomas.
Liebe Mascha, ich habe mit grosser freude deine neuesten Ungarnzeilen gelesen, lass dich weiterhin nicht von der strasse verdraengen und auch nicht von der fruehen dunkelheit erschrecken,halte durch und mach es dir scoen. Ich bin jetzt in jaisalmer bei kamal und geniesse hier u.a. die waerme und die einzigartig schoene atmosphaere vom ort, den menschen hier und dem drumrum. Ich habe dir jetzt mal geschrieben, nachdem lars mir deine adresse mitgeteilt hat, Dir eine schoene zeit und liebe grusse von papa aus indien.
kürbismelonencool!
Martha
Hallo Mascha,
das hört sich ja echt gut an, was du machst. Sehr witziger Artikel, hat viel Spaß gemacht zu lesen! 🙂
Wie lange bleibst du dort?
Liebe Grüße,
Tim
Oh, 12 Monate sehe ich gerade^^
Viel Spaß auf jeden Fall weiterhin!
Hey Tim! Freut mich dass dir mein Artikel gefaellt! 😀 Ich habe letztens auch deinen Blog gelesen und deine superschönen Fotos gesehen, klingt echt aufregend was du so in Kanada treibst! Du bleibst aber nur ein halbes Jahr da, oder?
Danke, dir auch noch ganz viel Spaß! 🙂