Gimme hope Jo´anna

Part 1 des Shosholoza-Zweiteilers
Wer sich vornimmt, innerhalb weniger Tage unter anderem ein Land am anderen Ende der Welt mit dem Zug zu durchqueren und insgesamt über 3500 Kilometer hinter sich zu lassen, kann wohl nicht bestreiten, das Abenteuer etwas herausfordern zu wollen. Ich könnte durch die hinter mir liegende Ferienwoche auch tatsächlich vergessen, dass meine Hauptmotivation eigentlich darin bestand, in kurzer Zeit möglichst viel vom Land zu sehen. Doch wenn mir die letzten Tage eines gezeigt haben, dann, dass man Abenteuer nicht planen kann. Man erlebt sie einfach. Immer anders als gedacht.
Der grobe Plan sah folgendermaßen aus: Am Freitag nach der Schule nach Johannesburg fliegen, die Stadt anschauen, dort am Sonntagmorgen in den Zug nach Kapstadt steigen und dort wiederum noch ein paar Tage verweilen. Den Höhepunkt der Woche sollte dabei natürlich die Zugfahrt darstellen, auf die ich mich, inspiriert durch den Dokumentationsfilm Shosholoza-Express bereits seit Monaten gefreut hatte. Ich flog also erst mal in den Nordosten, um anschließend in den Südwesten fahren zu können. Wenn das nicht logisch klingt, weiß ich auch nicht.
Zuallererst sollte ich jedoch ein knappes Wochenende Zeit haben, zumindest einen kleinen Eindruck von der größten Stadt Südafrikas zu bekommen. Untergebracht war ich in einer ehemaligen Mafia Villa, die zum Hostel umgestaltet wurde, nachdem sich der Godfather länger nicht mehr hatte blicken lassen. Von dort aus machte ich mich am nächsten Tag daran, Johannesburg im Schnelldurchlauf kennen zu lernen. Der Nebensaison sei Dank, konnte ich dabei sogar auf einen persönlichen Tourguide zählen, mit dem ich, ohne dass (andere) Touris ihren Senf dazu gaben, am Morgen kurz den Tag planen konnte, bevor es losging. So brachen wir zu zweit mit seinem Wagen auf in Richtung Stadtzentrum und Guide Cris begann zu erzählen. Vom Wirtschaftszentrum Südafrikas, seiner Geschichte als Goldgräberstadt und den Problemen, mit welchen die Stadt zu kämpfen hat. Als wir das Zentrum dann erreichten, wurden mir dann auch schnell einige Auswirkungen der größten Probleme deutlich. Auf den Straßen zwischen den vielen Hochhäusern und Wolkenkratzern, auf denen man eigentlich geschäftiges Treiben erwarten würde, war es erstaunlich ruhig und selbst wenn ich danach suchte, entdeckte ich kaum ein geöffnetes Geschäft, was aber nicht etwa daran lag, dass gerade Mittagspause war. Cris erzählte mir, wie nach 1990 mit dem Ende der Apartheid Tausende, meist arme, schwarze Einwanderer in die Innenstadt Johannesburgs zogen. Viele von ihnen kamen aus den umliegenden Townships, da es ihnen während der Zeit der Apartheid untersagt war, im Zentrum der Stadt zu wohnen. Doch, anstatt dort das bessere Leben zu finden, hatten und haben die meisten mit der hohen Arbeitslosigkeit zu kämpfen und ließen sich in den leer stehenden Bürogebäuden und Lagerhallen der Unternehmen nieder, die inzwischen vor der hohen Kriminalitätsrate in die nördlichen Vororte der Stadt gezogen waren. Jo´burgs Kriminalitätsproblem soll sogar zwischenzeitlich so hoch gewesen sein, dass die Zahl der Morde die Anzahl der Verkehrstoten übertraf. Aber auch wenn die Sicherheitslage der Stadt durch drastische Maßnahmen deutlich entschärft werden konnte, hält sich Johannesburgs Ruf als gefährlichste Stadt der Welt. Der erste Halt auf unserer Tour sollte das Carlton Centre sein, das als höchstes Gebäude Afrikas eine grandiose Übersicht über Johannesburg und Umgebung bietet, sofern das bei der scheinbar endlosen Fläche überhaupt möglich ist.
Soweto sollte das nächste Ziel meiner persönlichen Rundfahrt sein und die halbstündige Fahrt dorthin nutzte Cris, um mich mit allerhand Infos und Geschichten über den nächsten Halt zu versorgen. Der Name Soweto ist nicht etwa ein afrikanischer Begriff, sondern schlichtweg die Kurzform von „South Western Townships“, was die über 30 Townships im Südwesten Jo´burgs beschreibt. Nachdem diese 1963 zusammen geschlossen wurden, entwickelte sich Soweto zu einer eigenen Großstadt und obwohl es seit ein paar Jahren offiziell zu Johannesburg gehört, muss man es weiterhin als solche betrachten. Geht man von den geschätzt 3,5 Millionen Menschen aus, die dort leben, kann man Soweto sogar als die bevölkerungsreichste Stadt im Südlichen Afrika bezeichnen. Cris erzählte mir, dass nahezu jeder Einwohner mindestens zwei der elf offiziellen Landessprachen Südafrikas beherrsche und nahezu jeder Englisch spricht, weshalb es für mich keine Schwierigkeit sein sollte, mich mit dem ein oder anderen zu unterhalten. Dazu bekam ich nun auch Gelegenheit, denn wir hielten an einer ruhigen Straße und ein Freund von Cris bot an, mich in seiner Nachbarschaft etwas herumzuführen. So spazierten wir zu zweit durch enge Straßen inmitten der bunt zusammengewürfelten Wellblechhütten und unterhielten uns über das Leben in Soweto. Als uns eine ältere Dame sah, die gerade vor ihrer Hütte Laub zusammenkehrte, lud sie mich spontan dazu ein, mir ihr Zuhause zu zeigen. Kurze Zeit später standen wir in ihrer Hütte und sie erzählte mir von ihrem verstorbenen Mann und den fünf Kindern, die mit ihr zusammen auf engsten Raum wohnen. Als ich sie fragte, wo diese gerade sind, antwortete sie nur „Irgendwo spielen“. Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort. „Die sind spätestens wieder hier, wenn sie Hunger haben“, und ergänzte noch „So ist das doch bestimmt auf der ganzen Welt“. Ich nickte und wir fingen beide an zu lachen. Ob sie glücklich sei mit ihrem Leben in Soweto, wollte ich noch wissen, bevor ich mich verabschiedete. Ja, das sei sie. Sicherlich gebe es immer Höhen und Tiefen aber ihre Kinder könnten zur Schule gehen und der starken Gemeinschaft des Townships helfe man sich selbstverständlich gegenseitig, sodass niemand Not leiden müsse. Eine Antwort, die ich so oder so ähnlich während meiner Zeit in Soweto immer wieder bekam. Keiner würde das starke Gemeinschaftsgefühl missen wollen und selbst wenn man es sich eines schönen Tages leisten könne, woanders zu leben, ihrer Heimat Soweto wollen sie alle treu bleiben. Dass dies nicht einfach so daher gesagt war, zeigte mir Cris später. Wir hielten kurz in einem Viertel von schönen Einfamilienhäusern mit Vorgärten, das für Außenstehende wie mich so überhaupt nicht zu den Wellblechhütten auf der anderen Straßenseite passte. Hier würden viele Einwohner Sowetos leben, die es im Laufe der Zeit trotz ihres Schicksals zu einem gewissen Wohlstand geschafft haben. Für sie sei es eine Selbstverständlichkeit, weiterhin in ihrer alten Community zu leben und ihren Wurzeln treu zu bleiben, ganz egal ob man es inzwischen zum Fußballprofi der Kaizer Chiefs** oder Filmstar gebracht hätte. Ob es nicht etwas provokant gegenüber der Ärmsten der Armen Sowetos wäre, seine Villa ein paar Meter von den Elendsvierteln entfernt zu bauen, wollte ich daraufhin wissen. „Ganz und gar nicht“, erwiderte Cris. „Vielmehr ist es eine große Motivation für die Menschen auf der anderen Straßenseite, sich das eigene Glück hart zu erarbeiten.“
Weiter ging es nach Orlando, was zu einem der bekanntesten Teile Sowetos wurde, da Mandela dort lebte, während er als junger Anwalt in Johannesburg arbeitete. Sein ehemaliges Haus war der erste Teil der Museums-Tour, die meinen restlichen Tag einnehmen sollte. Und obwohl ich in meiner bisherigen Zeit in Südafrika viel über Mandelas Leben erfahren habe und seine herausragende Autobiographie „Long Walk to Freedom“ mittlerweile zum zweiten Mal lese, kann ich mich noch immer für Geschichten über das Leben dieses besonderen Menschen begeistern. Vorbei am Haus Desmond Tutus, der ein paar Meter weiter wohnt, gerade aber nicht zu Hause war, ging es weiter in Orlando. Nächster Halt war das Hector-Pietersen-Museum, das sich mit dem Aufstand in Soweto im Jahre 1976 beschäftigt. Benannt ist dieses nach einem zwölfjährigen Schüler, der während der anfangs friedlichen Demonstrationen gegen die Einführung von Afrikaans, die Sprache der weißen Minderheit, als Unterrichtssprache an südafrikanischen Schulen von einem Polizisten erschossen wurde. Ein Foto des sterbenden Jungen sorgte damals weltweit für Aufsehen und Hector Pietersen wurde zur Symbolfigur des Aufstandes der schwarzen Bevölkerung gegen das Apartheidregime.
Als ich vor dem Museum auf Cris wartete, wurde ich zum Ziel der vielen schwarzen Straßenverkäufer, wobei mir besonders einer von ihnen wohl noch länger im Gedächtnis bleiben wird. Als er beim Versuch, mich in ein Gespräch zu verwickeln erfuhr, dass ich aus Deutschland komme, fragte er mich direkt „Aus Stuttgart oder einer anderen Stadt?“. Nachdem ich dann schwer verwundert über diese Frage meinte, tatsächlich aus Stuttgart zu kommen, freute er sich unglaublich und fing an, von seinem deutschen Lieblingsverein, dem VfB, zu schwärmen. Vergeblich suchte ich während der gesamten Weiterfahrt nach Hinweisen an mir, die auf meine Heimatstadt schließen lassen, wodurch dieser Moment ein mehr als lustiger Zufall genannt werden darf.
Zurück in Johannesburg selbst, war es Zeit für die letzte Station der Tour. Im herausragenden Apartheid-Museum verbrachte ich über drei Stunden, wobei ich gut und gerne doppelt so viel Zeit hätte brauchen können, um mit den vielen Infos fertig zu werden. Auch wenn mein Kopf schließlich zu platzen drohte, stellte das Museum den perfekten Abschluss der intensiven Tour dar. Nachdem mich Cris am frühen Abend schließlich wieder am Backpackers abgesetzt hatte, ließ ich nach einer kurzen Pause den Tag bei einem Abendessen in Chinatown*** Revue passieren.
Hätte ich zu diesem Zeitpunkt gewusst, welches Abenteuer die nächsten Tage mit sich bringen sollten, hätte ich dieses Abendessen mit großer Sicherheit noch mehr genossen, als ohnehin schon. Doch die Ereignisse, die mit Beginn des nächsten Tages einsetzten, haben nicht nur eine eigene Überschrift verdient…
Fortsetzung folgt!
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Eddy Grants Hit „Gimme hope Jo´anna“ ist die Anti-Apartheid-Hymne der 80er Jahre und Jo´anna ist nicht etwa der Name eines Mädchens, sondern steht vielmehr für Johannesburg und die südafrikanische Regierung.
* Johannesburg, deine Namen: Während die schwarze Bevölkerung liebevoll von „Jozie“ spricht, sagen die Weißen lieber „Jo´burg“. Der offzielle Name auf Zulu ist „eGoli“ (=Ort des Goldes), auf Xhosa heißt die Stadt iRhawutini.
** In Soweto gibt es drei Fußballvereine, die der ersten Liga angehören: Kaizer Chiefs, Orlando Pirates und Moroka Swallows. Als schwarzer Südafrikaner unterstützt man in der Regel entweder die „Pirates“ oder die „Chiefs“
*** Darf sich eine Stadt eigentlich erst Großstadt nennen, sobald sie ein Chinatown beheimatet?
Ein Kommentar
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toller Reisebereicht, nach dem lesen hatte ich das Gefühl dabei gewesen zu sein.
bleib so !