Was die wilden Kerle spielen

Dass ich schon frueh morgens das ein oder andere hupende Auto von meinem Zimmer aus wahrnehme, ist nun wirklich keine Seltenheit. Als ich vor wenigen Wochen jedoch noch im Halbschlaf neben den, um Fahrgäste werbenden, Taxifahrern auch ununterbrochen freudig schreiende Kinder und Frauen wahrnahm wusste ich, dass ich es mit einem besonderen Tag zu tun hatte. Schließlich an der Strasse stehend wurde mir schnell klar, was es mit dem bunten Treiben vor meiner Haustüre auf sich hatte.
Südafrika-Fahnen an jedem vorbeifahrenden Auto gepaart mit “Springboks!” oder “Go Bokke!” – Rufen erinnerten mich daran, dass heute ein Länderspiel auf dem Programm stand. Nein, das wäre leicht untertrieben, es muss DAS Länderspiel heißen. Und wer jetzt spontan an Fußball denkt, geht sich bitte eingraben, weiß doch nach der WM jeder Freund oder entfernte Bekannte des Runden Leders, dass die Nationalelf “Bafana Bafana” gerufen wird. Die Freude ging an diesem Tag vielmehr von den Freunden des elliptischen Leders aus und richtete sich an die Nationalfuenfzehn. So pilgerten bereits ab dem frühen Morgen die grün-goldenen Massen gen Stadion, um sich dort am Abend das seit Monaten ausverkaufte Testspiel gegen Neuseeland anzuschauen. Doch diese Begegnung war aus verschiedenen Gründen von weit größerer Bedeutung, als es das Wort “Testspiel” vermuten lässt. Zum einen ist es für P.E. keine Selbstverständlichkeit, Länderspiele dieser Größenordnung beherbergen zu dürfen, werden für solche doch in der Regel Johannesburg oder Kapstadt bevorzugt. Zum anderen gibt es in der Rugbywelt wohl keine interessantere Begegnung als Südafrika gegen Neuseeland. Der Klassiker Springboks vs. All Blacks ist sowohl sportlich* als auch vor dem geschichtlichen Hintergrund das Duell schlechthin und die Tatsache, dass es das letzte Spiel vor der Weltmeisterschaft war, die wiederum in Neuseeland stattfindet, machte die Sache nicht weniger spannend. Grund genug also, mal einen Blick auf die interessante Geschichte des Rugby in Südafrika zu werfen.
Der Legende nach ist der englische Schüler William Webb Ellis für die Entstehung des Sports verantwortlich. So soll er während eines Fußballspiels in der Stadt Rugby, frustriert über dessen Verlauf, den Ball in die Hände genommen haben, losgestürmt sein um ihn schließlich ins gegnerische Tor zu legen. Wie es Legenden so an sich haben, lässt sich die Geschichte zwar nicht eindeutig bestätigen, jedoch wurde einige Jahre später beim Versuch, die Fußballregeln zu vereinheitlichen neben der F.A. (Football Association) aus Meinungsverschiedenheiten auch etwas später die “Rugby Football Union” gegründet. Selbst einige heutige Vereine der deutschen Fußball-Bundesliga wurden Ende des 19. Jahrhunderts als Rugby-Clubs gegründet, jedoch erfreute sich nach und nach der Fußball größerer Beliebtheit und dessen Siegeszug stellte den Rugby in Deutschland schließlich in den Schatten. Ganz anders entwickelte sich die Geschichte in Südafrika. Eine Frühform des Rugby wurde bereits 1861 von einem Lehrer nach Kapstadt gebracht, von wo aus sie sich weiterentwickelte und im ganzen Land ausbreitete. Doch der Sport war nicht nur bei den britischen Kolonisten populär und bald nahmen ihn auch die niederländisch-stämmigen Buren in ihre Kultur auf. Während des zweiten Burenkriegs sollen sogar die Kriegshandlungen für einige Zeit unterbrochen worden sein, damit Briten und Buren, welche sich in diesem Krieg eigentlich feindselig gegenüber standen, ein Rugbyspiel gegeneinander austragen konnten. Dass viele Buren nach dem Krieg schließlich in britische Gefangenschaft gerieten und auch in den Gefängnissen Spiele gegen Briten stattfanden, trug dazu bei, dass sich Rugby unter der weißen Bevölkerung Südafrikas schließlich zur populärsten Sportart entwickelte.
Wie auch auf viele andere Teile des Lebens in Südafrika, wirft die Zeit der Apartheid einen großen Schatten auf die Geschichte des Rugby. Bereits vor deren Einführung 1948 hielten immer wieder verschiedene Länder die Spieler in ihren Reihen mit “nicht weißem” Hintergrund von Spielen gegen Südafrika fern. Durch die konsequente Rassentrennung kamen die Springboks in den Folgejahren schließlich kaum zu Spielpraxis, da sie international nahezu komplett isoliert waren. Als die Neuseeländer trotz alledem 1976 einreisten, um ein Spiel gegen die Südafrikaner auszutragen, schlug das so große Wellen, dass im selben Jahr 16 afrikanische Länder die Olympischen Spiele in Montreal boykottierten da deren Forderung, Neuseeland in Folge der Ereignisse auszuschließen, vom IOC abgelehnt wurde. Im Jahr darauf wurde mit der sogenannten “Gleneagles-Vereinbarung”, die von allen Commonwealth-Staaten unterzeichnet wurde, jeglicher sportliche Kontakt zu Südafrika untersagt. Dadurch sollte die internationale Kampagne gegen die Apartheid zusätzlich unterstützt werden, woran, neben den Auswahlmannschaften, auch die Einzelsportler des Landes zu leiden hatten. Doch damit nicht genug. Vier Jahre später verbannte auch das ”International Rugby Board” den südafrikanischen Verband offiziell von jeglichem Spielbetrieb bis zum Ende der Apartheid. Durch all diese Ereignisse wandten sich viele Fans der Springboks von der eigenen Mannschaft ab und unterstützten in diesen schwierigen Jahren stattdessen die All-Blacks.
Mit dem Ende der Apartheid 1992 und der Wiederaufnahme der Boks in den Spielbetrieb kehrte die Unterstützung langsam wieder zurück um pünktlich 1995 WM- reif zu sein. Dass diese Weltmeisterschaft sogar in Südafrika ausgetragen wurde, hatte man zu recht als eine große Chance für das Land gesehen, das sich zu diesem Zeitpunkt mitten in einer der richtungsweisendsten Phasen seiner Geschichte befand. „One Team, One Nation“ lautete der Slogan, der die Hoffnung von Millionen von Menschen, allen voran eines Mannes, in vier Worten ausdrückte. Und als wäre die Geschichte des Landes auf Wiedergutmachung für ihre dunklen letzten Jahrzehnte gesinnt gewesen, überraschten die Springboks die Rugby-Welt und entschieden die Weltmeisterschaft im Finale gegen Neuseeland tatsächlich für sich. Auch wenn es mehr als abwegig erschien, die Schmerzen von über 40 Jahren Apartheid durch einen Sport lindern zu wollen, lieferte diese Weltmeisterschaft einen der symbolträchtigsten Momente der Sportgeschichte. Das Springbok-Trikot wurde stets als Symbol der weißen Bevölkerung des Landes gesehen, doch ein einzelner schwarzer Mann, welcher 26 Jahre seines Lebens im Gefängnis verbrachte, änderte dies mit einer einzigen Geste. Als Nelson Mandela den Siegern den Pokal überreichte, trug er sichtlich stolz das grün-goldene Trikot, dessen Rücken die Nummer des weißen Mannschaftskapitäns zierte.*
Die, morgens vor meiner Haustüre gesichteten, Springbok-Fans konnten sich übrigens glücklich wieder auf den Weg nach Hause machen, nachdem der Haka** der All-Blacks an diesem Tag wohl nicht Furcht einflößend genug war und Südafrika einen ungefährdeten Sieg einfahren konnte. Auch in die, inzwischen laufende, WM sind die Boks problemlos gestartet, weshalb Träumereien von der Titelverteidigung durch einen Final-Sieg gegen Neuseeland durchaus gestattet sind. Aber spätestens am 23. Oktober wird sich zeigen, was der Rugby diesmal mit Südafrika vor hat.
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* Wer tatsächlich bis hierhin gelesen hat, dem soll der Film „Invictus“ empfohlen sein, welcher letztes Jahr im Kino zu sehen war und die Zeit von Mandelas Amtsantritt bis hin zum Titelgewinn mit Matt Damon als Mannschaftskapitän und dem herausragenden Morgan Freeman als Mandela großartig darstellt. ( „Invictus – Trailer“)
** Der Haka ist ein Kriegstanz der Maori, der traditionell vor jedem Spiel von der Neuseeländischen Nationalmannschaft zum Besten gegeben wird. Ursprünglich sollte dieser dem Gegenüber die eigene Stärke verdeutlichen und noch vor dem Kampf zum Aufgeben bringen um ein friedliches Ende herbeizuführen. Ich mache das inzwischen jeden Morgen nach dem Aufstehen um mich auf meine Schüler vorzubereiten (Haka vs. Japan)
Die Rugby-WM in Neuseeland läuft noch bis zum 23. Oktober und kann von Deutschland aus über Sport1 verfolgt werden. Reinschauen lohnt sich! Wer sich vorher noch in Sachen Regeln fit machen will, dem sei dieser kleine Crash-Kurs empfohlen: Rugby Rules for Beginners
Ein Kommentar
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Eine Haka-Performance, wenn du wieder zurück bist ist Pflicht!!