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30. Juni / Kay Schneider

Good Morning, Mister Schneider

Im Restaurant um die Ecke, in welchem ich mich bei einem kühlen Windhoek Lager nun endlich dazu aufraffe, mal wieder zu schreiben, trägt die schwarze Kellnerschaft orangene Oberteile, die mich an Sträflingskleidung erinnern und obendrein noch den Spruch „work is love made visible“ auf dem Rücken präsentieren. Ich persönlich halte diese Kombination für zumindest fragwürdig, fühle mich nun jedoch daran erinnert, mal etwas von meiner täglichen Arbeit zu erzählen, bevor vor lauter Reiseberichten noch der Eindruck entstehen könnte, ich würde hier mehr Urlaub machen als tatsächlich zu arbeiten. Dem ist natürlich nicht so, denn ich hatte abgesehen von einer Woche Ferien und diversen Feiertagen* in den bald 4 Monaten hier bisher genügend Zeit, meine Liebe in vielen Stunden Hausaufgabenbetreuung, Unterricht, Trainingseinheiten und Ags sichtbar zu machen.
Bereits der tägliche Weg zur Schule bringt immer wieder Abwechslung mit sich, da Wetter und Tagesform (sowohl meine persönliche als auch die unseres gemeinsamen Autos*) über die Art und Weise der Fortbewegung bestimmen. Ist der Wind auf meiner Seite (entscheidet in P.E. aka „the windy city“ nicht wie schnell, sondern ob man sich überhaupt mit Drahtesel fortbewegen kann), schwinge ich mich auf mein geliebtes Rad, welches ich zum Spottpreis einem verzweifelten Schweden abschwatzen konnte. Dass es kein Südafrikaner war, scheint kein Zufall zu sein, sehen die Einheimischen im Radfahren doch eher einen Sport als ein Mittel der Fortbewegung. Gut zu beobachten ist dieses Phänomen Samstag morgens, wenn es einen Großteil der weißen Bonzen aus den vielen Gesundheitstempeln der Stadt an die Strandpromenade zieht, um dort seinen Fitnesswahn entweder joggend oder auf teuren Karbon-Rennrädern auszuleben. Demzufolge zieht man unter der Woche doch den einen oder anderen Blick auf sich. So grüßte mich bis vor einiger Zeit regelmäßig ein grinsender Bauarbeiter am Straßenrand („no petrol today?“, „still no petrol my friend?“), der mich stets dabei begutachtete, wie ich mich die Steigung von Downtown bis zur Schule hinaufkämpfte.
Natürlich ist auf den, nur bedingt fahrradtauglichen, Straßen der Innenstadt Vorsicht geboten, möchte man nicht von einem meiner geliebten Minibusse geküsst werden. Auf diese, inzwischen liebgewonnenen (siehe Artikel „lost in translation“), Taxen weiche ich morgens auch gerne mal aus, wenn mir der Wind einen Strich durch die Rechnung macht. Dabei gehe ich dann morgens bis zur nächstgrößeren Straße erst mal entgegengesetzt zu einem Strom von Maids, die in Scharen aus den in der Regel ärmeren Stadtteilen mit den weißen Kleinbussen in die nobleren Teile der Stadt angefahren kommen, um die dortigen Wohnungen und Einfamilienhäuser auf Vordermann zu bringen.* Am, mittlerweile zumindest teilweise durchschaubaren, Minibusbahnhof angekommen, gilt es noch einen etwa 10-minütigen Fußweg durch P.E. Central hinzulegen, bevor mich die Kollegen in der Schule ein weiteres Mal fragen können, ob ich tatsächlich mit diesen gefährlichen Bussen gefahren und durch diesen gefährlichen Stadtteil gelaufen sei (alternativ: ob ich tatsächlich den ganzen Weg mit dem Rad gefahren sei).

St George´s

Meine Schule

Die erste Person, die mich meistens in freudiger Erwartung begrüßt, ist ein Lehrer, der für die Einteilung seiner Kollegen zuständig ist. Freudig deshalb, da dieser die Möglichkeit, die Hohlräume zwischen meinen wenigen festen Wochenstunden zu füllen, inzwischen gerne nutzt. Ob es Aufsicht in Klasse 2 oder Vertretungsunterricht in Klasse 7 ist – dass Mister Schneider vielseitig einsetzbar ist, hat sich rumgesprochen. So heißt es zwischendurch immer wieder „Kay kannste mal eben…“, und Kay kann. Ist mir auch sehr recht, denn so komme ich viel rum in der Schule und kann mir ein Bild vom regulären Unterricht abseits meiner Deutsch-Spezies machen. Besonders das spontane Unterrichten hat seinen Reiz, vor allem wenn es darum geht, ohne jegliche Vorbereitung Dinge wie „Wirtschaft Klasse 7“ auf englisch zu unterrichten. Hilfestellung beim improvisierten Unterricht geben dabei die sogenannten Smartboards, die in jedem Klassenzimmer die mir bekannten Tafeln ersetzen. So lässt sich beispielsweise, falls die Frage eines Schülers die Kompetenz der Lehrkraft übersteigt, mit einer interaktiven Recherche von diesem Problem ablenken.
Meine festen Stunden in der Woche widme ich jedoch, wie erwähnt, den deutschen Kindern der Schule, welche in der Regel für 2-3 Jahre in P.E. verweilen, bis Papas Auslands-Vertrag bei Volkswagen wieder ausläuft. Dabei geht es meist darum, das im Deutschunterricht meiner Mentorin Gelernte zu wiederholen und bei den Hausaufgaben zu helfen. Aber auch gemeinsames Rechnen (ab und zu unterscheiden sich die hiesigen Herangehensweisen von unseren) und Sachkunde stehen auf dem Programm. Da die Grundschulzeit hier bis zur 7. Klasse dauert, erstreckt sich die Bandbreite der kleinen Probleme vom „Nicht-Lesen-lernen-Wollen“ bis zur Pubertät, was zumindest eine kleine Abwechslung im Laufe eines Tages garantiert.

Teil der Meute fein herausgeputzt zum Schuljubiläum

Teil der Meute

Eine willkommene große hingegen ist der nachmittägliche Sport, in meinem Fall Fußball (Überraschung!), der sehr groß geschrieben wird an meiner Schule. So muss jeder noch so dicke Fast-Food-Fan unter den Kids mindestens einen Sportkurs belegen, auch wenn dieser nicht benotet wird. Ursprünglich als Co-Trainer der U11-Mannschaft vorgesehen, mutierte ich bereits in der ersten Trainingseinheit zum Chef, da mein Kollege seine fußballerische Inkompetenz ehrlich zugab, liegen doch Rugby und Cricket eher in seinem Fachbereich. So nutzte ich die 3 wöchentlichen Trainingseinheiten in der ersten Zeit hauptsächlich dazu, meine Jungs einigermaßen Fit zu bekommen, was ihnen zwar teilweise nicht schmeckte, aber nötig war (an dieser Stelle erklärt sich mein zweiter Vorname). Und auch das anfänglich bunte Treiben auf dem Platz darf mittlerweile vorsichtig als Fußball bezeichnet werden. Auch das Gerücht, Inter-Mailand-Kicker Wesley Sneijder sei mein Onkel, welches sich aus der Frage eines Siebtklässlers entwickelte, hält sich hartnäckig und unterstreicht meine Argumente, wenn es beispielsweise Diskussionen um die Aufstellung gibt.
Allgemein würde ich St. George´s als eine Mischung aus Hogwarts und der Springfield Elementary beschreiben. Hogwards deshalb, da sowohl das Schulgebäude als auch die Häuser-Regelung an die Fantasieschule erinnern. So gehört jeder Schüler einem von drei Häusern an, die sich im Laufe eines Schuljahres in verschiedenen Sport- und Wissenswettbewerben duellieren (nein, Quidditch gehört nicht dazu) und damit Punkte verdienen können. Aber auch jeder Schüler selbst kann sich durch gute Leistungen oder Benehmen Punkte („credits“) oder aber auch Minuspunkte („debbits“) verdienen. Hat ein Schüler am Ende der Woche genügend Credits, darf er sie z.B. dazu einsetzen, Freitags keine Schuluniform anziehen zu müssen. Ob das für Schüler in Deutschland Anreiz genug wäre, sich eine Woche lang zu benehmen, lasse ich dahingestellt, bei den Kindern hier klappt das allerdings ganz gut, wodurch Punkteabzug immer das letzte Mittel eines Lehrers ist. An die Grundschule bei den Simpons fühle ich mich häufig durch den amerikanischen Aufbau der Lehranstalt erinnert. So spielt sich das Leben der Kinder, inklusive ihrer Hobbys, zum Großteil in der Schule ab und es gibt neben dem Unterricht immer wieder Projektarbeiten, die zu Hause ausgearbeitet werden müssen.

Spelling Bee

Buchstabierwettbewerb

-> http://www.youtube.com/watch?v=Z2tHk1CCY2E

Alles in allem fühle ich mich sehr wohl an der Schule und die familiäre Atmosphäre, die immer gerne angepriesen wird, lässt sich ab und an tatsächlich spüren. Trotz alledem ist es für mich immer eine willkommene Abwechslung, Samstags mit einer Gruppe Studenten an eine Schule im Township außerhalb der Stadt zu fahren und eine andere Schulwelt kennenzulernen, weitab von meiner teuren kleinen Privatschule. Mehr darüber wird es hier bald zu lesen geben.

 

Eine Woche Pause vom Schulalltag war mir zuletzt durch das Zwischenseminar gegönnt, bei welchem wir Freiwillige aus Südafrika (6) und Namibia (4) uns in Nordhoek, einem kleinen Ort nahe Kapstadt mit einem Trainer trafen, um auf der „Living Art Farm“ über unsere bisherigen Erfahrungen und Probleme im Zusammenhang mit unserem Freiwilligendienst zu sprechen. Neben der Möglichkeit des Austausches und interessanten Themen genossen wir dabei vor allem das Wiedersehen und die gemeinsamen Unternehmungen in und um Kapstadt, über welches ich nach meinem nächsten Besuch noch einiges erzählen werde.

1/3 des Zwischenseminars

Zwischenseminar

Nun habe ich aber tatsächlich erst mal Ferien, die ich zum Reisen nutzen kann, und freue mich, euch bald von meinen Erlebnissen berichten zu können.

Bis bald, Schland !

 

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* Fällt ein staatlicher Feiertag in Südafrika auf einen Sonntag, wird dieser guten Gewissens Montags nachgeholt, was faulen Leuten wie mir sehr entgegenkommt.

* Dass unser Auto, ein weißer Golf City, zu den meistgeklauten Autos in Südafrika zählt, erfuhren wir von einem Polizisten, nachdem es eines Morgens wirklich nicht mehr vor der Türe stand. Es lasse sich mit einem einfachen Löffel öffnen. Na dann, Rest in pieces!

* Kein Wunder, wurden doch die Minibustaxen zu Zeiten der Apartheid eingeführt, um die schwarze Bevölkerung zur Arbeit und zurück in die für sie festgelegten Wohngegenden (Townships) zu bringen.

 

Link zu meiner Schule: http://www.stgeorgesprep.co.za/index.php?page_name=home

 

 

3 Kommentare

  1. Manuela / Juli 21 2011

    Ich klau kleinen Kindern immer Süßigkeiten!! Und ich feier noch immer die Arbeitskleidung-Aufschrift 😀
    Langsam wird’s aber auch Zeit, dass du wieder nach Hause kommst. Du wirst vermisst!

  2. meike / Juli 8 2011

    huhu,

    hab gerade deinen blog entdeckt. kompliment, lässt sich sehr gut lesen und dein design… AWESOME! 😉 ich bin auch gerade von kulturweit aus in johannesburg!

    viele grüüüße und noch eine famose zeit im wunderschönsten land überhaupt! 🙂

    (nicht, dass mir später unterstellt wird, ich würde kleinen kindern ihre süßigkeiten klauen…)

    • Kay Schneider / Juli 22 2011
      Profilbild

      Danke!
      Hoffe, du hast auch eine tolle Zeit im grossen Joburg 😉
      Im Oktober komme ich hoffentlich auch mal zu einem Abstecher in die Gegend.
      Wie lange bist du denn noch da?

      Viele Gruesse zurueck! 😉

Kommentare sind geschlossen.

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