Gedankenspiele

es ist schwarz, die nacht
geht um mit langen händen,
mein herz, es ist grad aufgewacht,
macht schatten an den wänden.

 

Gedanken sind tückisch. Brauche ich sie, so wollen sie – zumindest manchmal – einfach nicht auftauchen. Brauche ich sie nicht, so sind sie – so gut wie immer – einfach nicht zu vertreiben. Ich kann mich in sie flüchten, aber nicht vor ihnen fliehen. Ich spiele mit ihnen. Und werde selbst zu ihrem Spielball.

Gedanken sind nicht gleich Gedanken sind nicht gleich Gedanken. Und doch: Hinter ihnen verbergen sich Fragen. Es geht um das „Warum“ und das „Wie“, um den Sinn, Erwartungen, Sehnsüchte und Hoffnungen, Ziele. Habe ich Wünsche und wenn ja, welche? Was kann ich erwarten? Auf was darf ich hoffen? Was möchte ich erreichen? Ist es sinnvoll, was ich tue, ist es richtig? Warum? Warum nicht? Worum geht es eigentlich bei dem, was ich hier mache? Man zweifelt, bekommt Angst vor Fehlern, beginnt, in letzter Konsequenz, den Glauben an sich selbst zu verlieren. In Gedanken.

Gleichzeitig tauchen Fragen auf, die offensichtlich nicht nur der eigenen Beklommenheit entspringen. Mache ich in den Augen anderer etwas Falsch? Werde ich gebraucht, bin ich erwünscht? Was erwarten die anderen von mir? Und nicht zuletzt: Sind die Antworten auf diese Fragen mit denen meiner eigenen Fragen vereinbar?

Noch bevor ich die Reise nach Ägypten antrat, bin ich mehr als einmal in die Situation gekommen, über diesen Dingen zu grübeln. Ich habe die Fragen für mich beantwortet und dachte, dass alles geklärt ist (obwohl ich wusste, dass die Dinge sich verändern könnten). Doch als ich losgefahren und angekommen bin, ging plötzlich alles wieder von vorn los. Alles war anders, als ich es mir gedacht habe. Zumindest Vieles. Oder wenigstens Einiges.

Ich hatte mir mehr Zeit eingeräumt für diese Fragen, hätte nicht gedacht, dass ich ihnen schon so früh begegne. Erstaunlicherweise haben sich meine Antworten nicht sonderlich stark verändert, seitdem ich das Gefühl hatte, sie gefunden zu haben. Sie haben jedoch an Klarheit gewonnen. Druckste ich noch vor einem Monat herum (sowohl im gedanklichen Selbstgespräch als auch in tatsächlichen Unterhaltungen mit anderen), so fällt es mir heute leichter, Worte zu finden, um die Dinge zu beschreiben, die ich gedanklich durchexerziert habe. Was nicht heißen soll, dass es mir jetzt, in der nicht-gedanklichen Umsetzung immer besonders leicht fällt.

Je mehr ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich mir, dass die Klärung meiner Fragen mit nur einem Wort möglich ist: Zeit. Die Zeit selbst ist freilich nicht die Beantwortung der Fragen. Aber sie ist die Lösung. Die Antworten kommen mit der Zeit. Man muss sie sich nur geben. Woher soll ich denn wissen, wie ich etwas richtig mache, wenn ich es noch gar nicht ausprobiert habe? Wie soll ich mir sicher sein, dass etwas Sinn ergibt, wenn ich noch gar nicht weiß, was für Auswirkungen es hat? Und woher soll ich wissen, was ich erreichen will, wenn ich noch nicht weiß, was überhaupt möglich ist? Es ist ein aussichtsloses Unterfangen, alle Fragen immer so schnell wie möglich beantworten zu wollen, das macht auf Dauer unglücklich. Vielmehr muss ich versuchen, die Gedanken austricksen, um glücklich zu sein. Indem ich mir Zeit gebe – und die Fragen anders stelle. Warum sollten die anderen nicht über meine Anwesenheit erfreut sein? Muss denn immer alles einen tieferen Sinn ergeben? Wer definiert denn „Falsch“ und „Richtig“? Und ist es nicht viel wichtiger, wer ich bin als das, was ich kann?

Zugegebenermaßen sind auch das keine einfachen Fragen und auch sie bergen durchaus das Potential zum Gedankenspielballwerden. Allerdings steht bei ihnen nicht das Ziel selbst, die Beantwortung der Fragen, im Vordergrund, sondern der Weg dorthin und die Art und Weise, wie er gegangen wird. Das ist der große Unterschied. Das Eine schließt das Andere nicht aus. Das Andere jedoch sehr leicht das Eine. Das Glas ist nicht halbleer, sondern halbvoll. Seit ich mir dessen bewusst bin, machen mir die Gedanken, die ich gerade nicht brauche, sehr viel weniger Sorgen als früher. Denn ich weiß, dass die Zeit mich nicht im Stich lassen wird. Und dass ich jederzeit die Möglichkeit habe, selbst mit den Gedanken zu spielen.

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2 Antworten zu Gedankenspiele

  1. Amy sagt:

    Die Menschen werden nicht durch die Dinge, die passieren, beunruhigt, sondern durch die Gedanken darüber.
    Du denkst zuviel. Ich bin ein Freund der Handlung. Toll das du das Projekt Ägypten durchgezogen hast.

  2. Ich kenne -gerade im Moment- keinen , der meine Lage hätte besser ausdrücken können als du, mein muslimbrüderlicher Freund.

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