das meer vor meinem fenster,
es schimmert blau im licht,
und wüsste ich es nicht,
ich glaubt, es wär’n gespenster.
Liebes Du,
schön, dass es Dich gibt. Bevor ich mich nämlich hier in Alexandria auf die Suche nach Nachhaltigkeit begeben kann, musste ich zunächst einmal auf die Suche nach der Lust gehen, diesen Blog tatsächlich auch mit Einträgen zu füllen. Schwer genug war das. Würde es Dich nicht geben, hätte ich mich dazu vermutlich nicht aufraffen können. Denn ich weiß ja, was ich erlebe. Also: Schön, dass es Dich gibt!
Ägypten. Was für ein Wort. Was für ein Land. Was für eine Geschichte. Was für eine Zukunft. Und ich bin mittendrin, für ein ganzes Jahr! Und erst Alexandria. Was für ein Wort! Was für eine Stadt! Was für eine Gesch…genug. Ich will Dich ja nicht gleich am Anfang mit pseudoliterarischen Figuren vergraulen und verscheuchen. Und außerdem hab ich ja etwas versprochen. Deshalb: Neustart.
Ich gehe weg. Für ein Jahr. Nach Ägypten. In das Land, in dem die Bürger überwiegend gewaltfrei gegen ihre Regierung aufgestanden sind und den Präsidenten zum Rückzug gezwungen haben. In das Land, in dem bei ebenjenen Aufständen trotzdem mehrere hundert Menschen gestorben sind. In das Land, in dem noch immer jeden Freitag tausende Menschen demonstrieren, gegen Korruption, Willkür, Armut und Arbeitslosigkeit, für Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit. In das Land, in dem seit ziemlich genau neun Monaten nur noch wenig so ist, wie es die letzten 30 Jahre war. In das Land, in dem niemand wirklich weiß, was als nächstes kommen und was die Zukunft bringen wird. Krasse Scheiße. Es wäre Unfug, zu behaupten, dass ich mir über all dies nicht im Klaren war, als ich „kulturweit“ für die Einsatzstelle an der Neuen Deutschen Schule Alexandria zugesagt habe, immerhin gucke ich die Tagesschau. Und trotzdem – so richtig bewusst bin ich mir der Veränderung und ihrer Bedeutung in meinem Leben noch immer nicht geworden (was aber eventuell auch nicht so schlecht ist, sonst würde vielleicht alles nur komplizierter).
Nachdem sämtliche, über ganze vier Tage verteilte, tränenreich-schmerzvolle Abschiede zelebriert und mehr oder weniger ausgekostet wurden und ich mich im Flugzeug nach Kairo befand, auf Arabisch Instruktionen erhielt, wie ich mich im Notfall verhalten muss und die Stewards sich immer wieder angeregt-freundschaftlich mit Fluggästen unterhielten, war ich mir sicher, dass ab jetzt alles anders wird, in welcher Form auch immer. Und bis zum heutigen Tag habe ich mich nicht geirrt. Ich bin so gut!
Auf dem Flughafen in Kairo machten Moritz, der ebenfalls“kulturweit“-Freiwilliger in Alexandria ist und mit dem ich zusammen eine Wohngemeinschaft bilde, eine großartige Entdeckung. Sobald ein Flugzeug starten oder landen soll, wird das auf dem Cairo International Airport natürlich angesagt, untermalt mit Musik. So weit, so bekannt. ABER: Es läuft nicht irgendeine Musik. „Flight number 751 from Milano will now arrive at gate 22a.“ Und im Hintergrund lief Eros Ramazotti. „Flight number 136 to Amsterdam will departure now. All passengers are requested to enter gate 8.“ Und im Hintergrund lief ein holländisches Volkslied. „Flight number 180 from Berlin will arrive with 20 minutes delay at gate 27.“ Und im Hintergrund lief – Lena.
Kaum hatten wir jedoch die ersten Stunden auf ägyptischem Hoheitsgebiet sicher hinter uns gebracht, verstießen Moritz und ich sofort gegen die große Maxime der Deutschen UNESCO Kommission e.V.: Der Flug von Kairo nach Alexandria dauerte nicht einmal eine Handballhalbzeit lang. Mit fünf Minuten Start- und Landezeit sowie einer effektiven Flugdauer von 15 Minuten fügten wir uns derart unnachhaltig in unseren Freiwilligendienst ein, dass zumindest ich mir schwor, die ersten drei Wochen nur auf einem Esel zur Schule zu reiten, um meine fürchterliche Energiebilanz wieder kompensieren und mein schlechtes Gewissen bereinigen zu können. Und, was soll ich sagen? Das hat bis zum heutigen Tag nicht ein einziges Mal geklappt.
Dafür habe ich das Gefühl, den Verkehr hier immer besser zu verstehen. Darunter fällt beispielsweise die wichtige Regel “ Wer früher hupt, hat immer Recht“. Rechts vor links gibt es nicht, Ampeln werden überfahren, Spuren und Fahrtrichtungen einhalten ist total aus der Mode und überhaupt herrscht hier eine Ordnung wie in „Herr der Fliegen“. Eine weitere, unabdingbare Regel für Autofahrer ist Folgende: „Wer später hupt, hat früher jemanden totgefahren“. Das geht zugegebenermaßen nicht so leicht ins Ohr, mag vielleicht auch ein bisschen martialisch klingen und es wird Dir vermutlich nicht verborgen geblieben sein, dass ich meine Neigung zur Übertreibung nicht immer zurückhalten kann. Aber auf einer der Hauptverkehrsstraßen, der „Coniche“, die direkt am Wasser und im Prinzip genau vor unserer Haustür entlangführt, sterben jedes Jahretwa 700 Menschen an den Folgen von Zusammenstößen mit Kraftfahrzeugen. Und um die, politisch korrekt ausgedrückt, „leichtsinnigen“ Fußgänger auf sich aufmerksam zu machen, scheint die Hupe das einzig wirksame Mittel zu sein. Ansonsten funktioniert das anarchistische System aber ganz gut, man kann das vielleicht am besten mit einem Teilchenstrom vergleichen, in dem sich manche Teilchen aneinander reiben, aber auch ganz schnell wieder abstoßen und ihren Weg bis zum Ziel störungsfrei fortsetzen. Und für einen verkehrstechnisch verwöhnten Europäer wie ich es bin, ist das Ganze natürlich ein wunderbar aufregendes, täglich neues Abenteuer. Mittlerweile habe ich auch schon die Verkehrsmittel des größeren Teiles der Bevölkerung, die Straßenbahn und die Microbusse, getestet und für ebenso spannend, langsamer, billiger und vor allem volksnäher befunden. Ganz nah dran am Bevölkerungspuls. Schöne Vorstellung.
Ganz nah dran bin ich, um diesem ewig langen Eintrag langsam ein Ende zu bereiten, auch an den Kindern in meiner Schule. Vielleicht ist es auch andersrum, die Kinder sind mir sehr nah. Möglicherweise schließt das Eine das Andere auch nicht aus. Wie auch immer. Jedenfalls habe ich das Gefühl, sehr willkommen zu sein, sowohl an der Schule selbst, als auch bei den Kindern. Und weil es gleichzeitig an der Neuen Deutschen Schule Alexandria (DSA) wahnsinnig viele Dinge noch nicht gibt, ist auch mein Betätigungsfeld unheimlich weit und für fast alle Dinge geöffnet. Wenn ich da erstmal richtig anfange…Das wird ein Spaß!
So. Und um Dir noch einen kleinen detaillierten Alltagsgeschichteneinblick der Geschichten, die ich im Alltag erlebe, zu geben, folgen nun drei kleine Einblicke in Alltagsgeschichten.
Schickimicki-Einkaufszentrum „San Stefano“. Wir sehen einen jungen Mann, der ein T-Shirt mit folgender Aufschrift trug: F_ck – the only thing I need is u. Und neben ihm läuft eine Frau, bis auf die Augen in eine Burka gehüllt.
Schulhof, große Pause. Die kleine Mariam, der man ansieht, dass sie sehr gern isst, zeigt mir, wie in jeder Pause, ihr Essen. Diesmal ist es ein Stück Birne. Kurz darauf kommt sie wieder und zeigt mir ihre Birne, „Ich liebe das nicht.“, und schmeißt sie weg.
Klassenraum von Marianne, die Moritz‘ und meine Wohngemeinschaft komplettiert. Omar Jasser, 2. Klasse, nimmt sich zwei Magnete von der Tafel und hält sie aneinander. Sie stoßen sich ab. „Herr Vincent, warum nicht kleben die Magneten zusammen? Ah, ich weiß. Sie lieben sich nicht.“
Super Seite, gefaellt mir.
Weiter so! Mir gefällt deine Art zu schreiben, aber irgendwann ist bekanntlich auch mal gut. Aber in deinem Fall hörst du genau dann auf, wenn es gerade noch gut ist.
Ich schicke dir liebe Grüße aus dem sonnigen, bisweilen chaotischen Tirana!