For Bread, Freedom and Social Justice

Mit wahnsinniger Verspätung, aber immerhin überhaupt kommt hier der Link zu dem kleinen Dokumentarfilm, den ich in Ägypten gedreht habe…’For Bread, Freedom and Social Justice‘. Es ist nicht mehr ganz aktuell, aber auch nicht völlig veraltet, würde ich behaupten wollen.

http://www.youtube.com/watch?v=Tk0hJ7A0lhI

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Halbzeitwetter

ein angler fand dereinst nen wurm
bei fürchterlichem sturm.
der kroch vergnügt über die wiese,
erfreut über die brise.

Bald schon ist Halbzeit. Kinder, wie die Zeit vergeht! Da fehlen einem die Worte. Eine gute Halbzeit der Halbzeit nämlich ist es jetzt schon her, dass ich das letzte Mal etwas geschrieben habe. Mea culpa. Aber Dinge ändern sich. Und brauchen Zeit, manchmal auch mehr Zeit. Dann und wann sogar mehr Zeit, als ursprünglich veranschlagt. Wer hätte das gedacht, in Ägypten. Aber Spaß ist, wenn man trotzdem lacht. Obwohl es manchmal nur wenig zu lachen gibt. Subjektiv gesehen.

„Regen. Nichts als Regen.“ Mit diesem Satz begann ich vor etwas mehr als fünf Jahren meinen ersten Kriminalroman, der jedoch, wenig erfolgsversprechend, bereits auf Seite 2 endete. Mit diesem Satz könnte ich nun auch den Versuch beginnen, die Zeit zwischen dem 24. Dezember 2011 und dem 1. Februar 2012 zusammenfassend zu beschreiben. Mach ich aber nicht.

Während sich der Dezember insgesamt so präsentierte, wie man es von ihm in einem afrikanischen Land erwartet, beschloss der ägyptische Wetterdienst an Heiligabend, den nach Sonne und Wärme dürstenden Europäern einen Strich durch die Rechnung zu machen – ohne dabei in Betracht zu ziehen, dass Städte südlich des Mittelmeeres nicht für sintflutartige Regenfälle gewappnet und deren architektonische Meisterstücke nicht für nordskandinavische Sommertemperaturen ausgelegt sind. Nun wird der ein oder andere vielleicht sagen: „Was beschwert er sich denn, 18 bis 20 Grad und ab und an ein starker Regenfall sind doch, im Vergleich zum mitteleuropäischen Winter, ein absolutes Paradies, zumal er doch noch tönte, an Neujahr im Meer geschwommen zu sein“. So mag der unwissende Mitteleuropäer sprechen (wer will es ihm verdenken, ich gehörte ja selbst einmal dazu). Nun jedoch muss ich dem mit Vehemenz entgegnen, dass sich ebenjenes singuläre Schwimmerlebnis am Roten und nicht am Mittelmeer zutrug und sich lediglich auf einen Tag Urlaub beschränkte, die 18 bis 20 Grad eher die Ausnahme denn die Regel bildeten, sich 10 und auch 15 Grad in Ägypten anders, nämlich sehr viel kälter, anfühlen als in Deutschland und es sich ausschließlich dann auf zwei oder drei starke Regenfälle reduziert, wenn man mehrere aufeinanderfolgende Tage mit viel Regen zu einem zusammenrechnet. Aus all diesen Faktoren ergaben sich in besagtem Zeitraum die verschiedensten Resultate, die allerdings bei keinem der Beteiligten auf große Begeisterung stießen.

So standen beispielsweise diverse Straßen und Unterführungen dergestalt unter Wasser, dass an ein Passieren nicht oder nur mit dem nicht unerheblichen Risiko, seinem fahrbaren Untersatz erheblichen Schaden zuzufügen, zu denken war. Dass sich wiederum daraus ein zeitraubendes Gedränge auf den Straßen ergab, bedarf im Prinzip keiner weiteren Erwähnung. Besonders schlimm traf es dabei die Straße vor und zu meiner Schule. Ich habe mich bereits auf vielen Straßen in mehreren Ländern auf einigen Kontinenten dieser Erde herumfahren lassen. Doch nie grenzte es mehr an automobile Blutschuld, eine Wegstrecke von anderthalb Kilometern nicht mit dem Hubschrauber zurückzulegen. Bodenwellen, die man kaum den unerschrockensten Motocrossfahrern zumuten würde; Wasserflächen, die sich Fata-Morgana-ähnlich bis an den Horizont zu ziehen scheinen; Schlaglöcher, deren Ausmaße die Annahme nahelegen, sie seien aufgrund mittelgroßer Meteoriteneinschläge entstanden; ebenjene Schlaglöcher, bis zum Rand mit braunem Wasser gefüllt, sodass man sie und ihre gefahrbergenden Dimensionen nicht zu erkennen vermag; Schlammfelder, denen man, ist man einmal hineingeraten, ebenso wenig entrinnen kann wie eine arme verirrte Seele dem  Moor – all das ergibt eine für Kraftfahrzeuge todbringende Melange misslicher Widrigkeiten und nicht wenige Male musste ich beobachten, wie zumindest temporär einige der motorisierten Fortbewegungsmittel den Kampf aufgaben und ihre hilflos hupenden Fahrer sich selbst überließen.

Doch nicht nur auf das öffentliche Leben hatte der afrikanische (zugegebenermaßen der nordafrikanische) Winter, den ich vor einem halben Jahr in dieser Form weder so in Betracht gezogen noch bei „kulturweit“ so gebucht hatte, einen überaus starken Einfluss. Sowohl das Privatleben als auch der Arbeitsalltag konnten sich des Winters Strenge ebenfalls nicht widersetzen.

In der Schule kam es beispielsweise vor, dass wir die ersten Unterrichtsstunden lediglich mithilfe des zu diesem Zeitpunkt äußerst spärlichen Tageslichtes bestreiten mussten, weil das Stromaggregat über Nacht mit Regenwasser vollgelaufen war. Dieses, von Wolken zusätzlich gestörte Schummerlicht konnte aber erst dann zur vollen Entfaltung kommen, wenn die für den Sommer verdunkelten Fenster geöffnet wurden, sodass man aufgrund des starken Windes ohne Schwierigkeiten Drachen verschiedenster Größe in den Klassenzimmern hätte steigen lassen können. Die meiste Zeit jedoch gab es genügend Strom für alle und die Fenster konnten geschlossen bleiben. Geschlossene Fenster bedeuteten indes nicht zwangsläufig ausreichend Schutz vor Wind und Wasser. Es zog nicht nur durch Spalten und Ritzen, sondern es lief auch durch sie hindurch. So musste man gelegentlich nicht nur auf den Straßen, sondern auch in Klassenräumen und Büros durch Wasser waten. Diese Dinge sind jedoch noch vergleichsweise auf die leichte Schulter zu nehmen, da es sich zwar um mehrfache, aber immerhin doch nur um unliebsame Zwischenfälle handelte. Die Kälte hingegen, die sich im gesamten Schulgebäude wie die Made im Speck festgesetzt hatte, war nur schwer auszuhalten. Wäre der Wind nicht so unangenehm frisch gewesen, die Fenster hätten tagsüber immer offen gestanden – draußen war es meist wärmer als drinnen. (An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass die Schilderungen bezüglich der Arbeitsbedingungen an meiner Einsatzstelle selbstverständlich maßlos übertrieben sind und literarisch vollständig ausgeschlachtet wurden. Eigentlich ist alles halb so schlimm. Es ist nur kalt, es regnet rein und es gab ab und an keinen Strom.)

Doch als ob all dies nicht schon schlimm genug wäre, so haben Marianne, Moritz und ich das große Pech, in einer riesigen Wohnung leben zu dürfen. Freilich bin ich weit davon entfernt, mich tatsächlich über diese Gegebenheit zu beschweren. Nur im Winter, speziell im nordafrikanischen, weist dieser Umstand durchaus einige Nachteile auf. Zuweilen trug es sich zu, dass auch bei uns die „Verdichtungen“ der Fenster ihre Bestimmung nicht in voller Gänze erfüllen konnten. In der Folge stand nicht nur Wasser im Wohn- und Badezimmer, sondern auch die Wände neben den Fenstern sahen mit der Zeit immer mehr nach einer Mischung aus aufgekratzten Windpocken und kleinen Eiterblasen aus. Zusätzlich zu dieser handwerklich-visuellen Misere mussten wir uns auch daheim in hohem Maße mit niedrigen Temperaturen herumschlagen, eine der Folgen undichter Fenster und großer, schwer beheizbarer Räume. In der Tat standen uns nämlich ein gasgefüllten Heizstrahler sowie eine manövrierbare Heizung als Kältebekämpfungsmittel zur Verfügung. Unglücklicherweise ging uns jedoch bereits Anfang Januar das Gas aus. Die Heizung wiederum strahlte nicht genügend Wärme ab, um das Wohnzimmer zu heizen, sodass man uns mitunter mit Winterjacke und in Decken gehüllt auf der Couch sitzen sehen konnte. Es war hart. Lippenlesen war in jener Zeit jedenfalls nicht möglich, zu sehr umhüllte dichter Atem unsere Münder (bei Zimmertemperaturen zwischen 10 und 15 Grad sowie einer Luftfeuchtigkeit zwischen 50 % und 70 % kein ungewöhnliches Phänomen, um ein wenig mit meinem chemikalischen Halbwissen zu protzen). Der einzige effektiv beheizbare Raum in der Wohnung ist das Badezimmer. Deshalb schwenkten wir um. Wenn man also morgens frierend aufstand, kam man immerhin in eine vergleichsweise heiße Örtlichkeit und mit ein wenig Geschick konnte man sich auch noch heißes Wasser aus dem Duschschlauch organisieren. Bald mussten wir jedoch feststellen, dass die Heizung so viel Strom zieht, dass sämtliche involvierte Steckdosen im Begriff waren, zu schmelzen und zu schmoren. Schlussendlich waren wir also gezwungen, auch unsere letzte Wärmequelle in eine dunkle Ecke zu stellen und uns in unser Schicksal zu fügen. In der Konsequenz bedeutete das, dass wir morgens in einem kalten Zimmer aufstanden, in einer kalten Wohnung frühstückten, Marianne und ich in eine kalte Schule fuhren, um nachmittags wieder in die kalte Wohnung zurückzukehren, den Nachmittag in einem zugig-kalten Wohnzimmer zu verbringen, uns später auf unser kaltes Nachtlager zu betten und an warme Dinge zu denken. In Ägypten. Wer hätte das gedacht.

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Hier is‘ halt anders

was unterscheidet mensch und tier?
oder wie war gleich die frage?
ja genau, wie ist die lage?
ähm…tier trinkt wasser, mensch säuft bier?

Liebes Du,

wenn Du wüsstest! Ich sage Dir, wenn Du wüsstest! Aber Du weißt ja nicht. Also noch nicht. Doch wenn Du jetzt schon wüsstest, dann würdest Du aber Augen machen, das kannst Du mir glauben! Und Du würdest sowas sagen wie „Oha!“ oder so. Weil: Hier is‘ halt anders.

Nehmen wir beispielsweise die Sprache. Dass Arabisch nicht die einfachste Art der Verständigung auf der Welt ist, damit habe ich durchaus gerechnet (obwohl ich natürlich insgeheim hoffte, dass alles, was ich bisher gehört hatte, geflunkert war). Jedoch hätte ich mir nicht in meinen schlimmsten Alpträumen vorstellen können – so ich denn von ihnen heimgesucht worden wäre – dass es derart knifflig werden könnte. Ich habe bisher etwa 25 bis 30 Stunden Arabisch-Unterricht genommen, sehe mich jedoch nur zu wenig mehr in der Lage als unserem Hausmeister einen honigsüßen Morgen zu wünschen und dem Taxifahrer mit mittlerweile perfektionierter Gelassenheit mitzuteilen, dass es überhaupt kein Problem für mich ist, wenn er bei dichtem Verkehr mit 80 Stundenkilometern von der Kurven-Ideallinie über fünf andere Spuren bis nach ganz außen getragen wird. Ansonsten gibt es wenig Licht am Ende des Tunnels. Da gibt es für jeden vierten Ausdruck mindestens drei verschiedene Wörter und für jedes dritte Wort mindestens vier verschiedene Schreibweisen. Man schreibt Zeichen, die vor allem künstlerisch anspruchsvollen Ornamenten gleichen, aber nichtsdestotrotz buchstabengleich artikuliert werden, und Buchstaben, die zwar aussehen wie Buchstaben, aber letzten Endes gar nicht ausgesprochen werden. Gleichzeitig muss man darauf achten, ob sich unter dem „d“, dem „h“, dem „s“, dem „t“ und dem „z“ Punkte, über dem „a“, dem „e“, dem „i“, dem „o“ und dem „u“ Striche, über dem „g“ ein Punkt und über dem „s“ ein nach unten zeigendes „kleiner als-Zeichen“ befindet oder nicht. Je nach dem variiert dann nämlich die Aussprache – obgleich ich nicht selten keinen blassen Schimmer habe, worin eigentlich der Unterschied liegt. Und nicht zuletzt gibt es die berühmten nahöstlichen Laute, die idealerweise in unmittelbarer Nähe zum Adamsapfel ihren Ursprung haben sollten, bei mir jedoch regelmäßig irgendwo zwischen Rachen und Gaumen verloren gehen.

Es ist mir deshalb, zumindest immer mal wieder zwischendurch, ein völliges Rätsel, wie man in dieser Sprache intellektuell anspruchsvolle Gespräche führen und auch noch darüber schreiben kann. Von rechts nach links und unter Weglassung der kurzen Vokale, der Konsonantenverdopplungen, der Konsonanten ohne nachfolgenden Vokal sowie des grammatikalisch nicht unerheblichen Endungs-„n“, versteht sich von selbst. Das müssen hier alles Hochbegabte sein, anders kann ich mir das nicht erklären. Habe ich vor einigen Wochen noch vollmundig angekündigt, Arabisch sprechenden, pöbelnden Unruhestiftern in der Berliner U-Bahn im nächsten Jahr unerschrocken und selbstsicher Worte ins Gesicht zu schleudern, die ihnen vor lauter Verblüffung das Lachen und gleich noch ein paar andere Dinge auf der Stelle vergehen lassen würden, so muss ich dieses Vorhaben nun ein wenig relativieren: Ich würde mich einfach heimlich, still und leise in ein anderes Abteil setzen. Ist vielleicht ohnehin besser so.

Eine weitere, sehr delikate Angelegenheit, ist das Essen. Genau genommen geht es ums Fleisch. Wir in Deutschland haben ja, wenn man die Dinge einmal mit natürlichem Pragmatismus betrachtet, ein relativ gestörtes Verhältnis zu Tieren. Wir halten uns Hasen, streicheln Hunde, spielen mit Katzen und essen mit genmanipuliertem Brei gefütterte, anonyme Einheitskühe. Falls das die Ägypter wissen, könnte ich mir vorstellen, weshalb sie uns immer so befremdlich betrachten. Hier funktioniert das nämlich anders.

Schon vor einer ganzen Weile fuhr ich morgens den gewohnten Weg zur Schule. Kurz vor der Ankunft entdeckte ich am Straßenrand ein Kamel, das neben einem Gemüsewagen auf der Straße stand. Vor lauter Entzücken über die Entdeckung, das erste Kamel in Ägypten gesehen zu haben, stieß ich mir in meinem Übermut schmerzhaft das Knie an der Autotür. Als ich am Nachmittag nach Hause fuhr, hoffte ich darauf, naiv wie ich bin, noch einmal das Kamel zu sehen. Und tatsächlich, ich sah es nochmal. Nur: eben anders. Lediglich der Kopf, die Hufe und noch nicht verkaufte Gesäßteile hingen noch an den anderthalb Meter langen Enterhaken der Fleischerei, die sich in unmittelbarer Nähe zu dem Gemüsewagen befindet, ansonsten war von dem Kamel vom Morgen nichts mehr übrig.

Doch man wird als Zivilist noch mehr in diese Vorgänge hineingezogen. Momentan findet in der arabischen Welt nämlich das Opferfest statt, „eid al-adha“ oder auch Beiram. Dies ist das höchste islamische Fest, es findet während der Wallfahrt nach Mekka statt und dauert vier Tage. Bei diesem Fest wird des Propheten Ibrahim gedacht, der bereit war, Allah seinen Sohn Ismael zu opfern und somit die göttliche Probe bestand. Doch Allah, zufrieden ob des Gottvertrauens Ibrahims, gebot ihm Einhalt und so opferten Ibrahim und Ismael voller Dankbarkeit im Beisein von Freunden und Bedürftigen einen Widder. Weltweit ist es für alle Muslime Pflicht, anlässlich dieses Festes ein Tier zu opfern, sei es Schaf, Ziege, Rind oder Kamel. Und genau das passiert momentan. Überall und jederzeit. Wohin man derzeit auch geht, allenthalben liegen noch nicht getrocknete Kuh- und Schafsfelle übereinandergestapelt auf den Gehwegen, schwingen Männer fröhlich, aber konzentriert Beile und Messer durch die Lüfte, um Fleisch von Fleisch zu trennen, warten Schafe mit einer wahnsinnigen Gelassenheit darauf, endlich ihrem Richter vorgeführt zu werden, liegen Rinder zuckend und röchelnd auf der Straße, während aus dezimetertiefen Kratern in ihren Hälsen das Blut in Fontänen auf die Straße spritzt und diese für Fußgänger ohne Gummistiefel unpassierbar macht. Es ist wirklich krass. Aber so abstrus und unwirklich es klingen mag: das alles übt eine, im wahrsten Sinne des Wortes, unheimliche Faszination auf mich aus. Es ist derart natürlich, unmittelbar, grundlegend, archaisch und existenziell, dass Widerwillen und Ekel vollkommen in den Hintergrund geraten. Auch wir haben direkt vor unserem Haus einen Fleischer. Auch bei dem wird geschlachtet. Und auch dort sehe ich, nicht nur jetzt, sondern täglich das Fleisch des frisch geschlachteten Tieres an riesigen Haken auf der Straße hängen. Aber mittlerweile habe ich mich wirklich an diesen Anblick gewöhnt, es ist jetzt auch mein Alltag. Lediglich der Geruch ist zuweilen noch immer etwas unangenehm. Für mich ist es inzwischen, auch wenn ich mich noch nicht selbst an Fleisch getraut habe, sogar sehr viel natürlicher, Essen auf diese Weise zu betrachten. Streng genommen ist das im Prinzip „Extrem-BIO“ und „-ÖKO“. So mager, wie die Tiere meistens aussehen, besteht kaum Gefahr massentierhaltungsgleicher Fütterungsmethoden, am zur Schau gestellten Kopf weiß man, welches Tier man eigentlich isst und letzten Endes wird hier genauso geschlachtet, wie in Deutschland. Mit dem Unterschied, dass es hier, ganz transparent, auf der Straße geschieht, die Transportwege kürzer sind und man zum Einkaufen nicht mal einen Laden betreten muss.

Und weil ich noch immer ganz begeistert von meiner Idee bin, Dir kurze und dennoch detaillierte Alltagsgeschichteneinblicke in die Geschichten, die ich im Alltag erlebe, zu geben, folgen nun erneut drei kleine Einblicke in Alltagsgeschichten.

Janna und ich sind kaum dem Metroschacht am Tahrirplatz entstiegen, da kommt ein kleiner Mann auf uns zu, der bereits eine Woche zuvor Moritz und mich angesprochen und uns seine „business card for egyptian flowers“ angeboten hat, wobei der Wiedererkennungseffekt einseitig bleibt. Es folgt die übliche Konversation. “Hello! Welcome to Egypt! Where are you from?“ – „Hm, good question. Janna, where are we from?” – „ Aaahhh, I know you know it. You are just joking. Haha.” – „Yes, haha…Ja, was sagen wir ihm den jetzt?“ – „Keine Ahnung…was ist mit Norwegen?“ – „Okay, we just decided to tell you: We are from Norway.“ – „Oh, great! Norway! Great! I have been to Copenhagen!”

Moritz und ich sitzen in der Teestube unseres Vertrauens, trinken schwarzen Tee, rauchen Wasserpfeife und fühlen uns nicht nur unheimlich männlich, sondern sogar fast wie Ägypter. Ein Taxi fährt vorbei, der Fahrer sieht uns, bleibt stehen, fährt zurück an unseren Tisch und fragt: “Do you smoke?“ – „Öhm…yes…“ – “Then stop it, it’s not good for your health!“

Marianne und ich fahren mit dem Taxi in die Schule. Nach kurzer Zeit fragt mich der Fahrer: „Katholik oder Protestant?“ Tja. Was antwortet man nun darauf? Sollte ich so tun, als wüsste ich nicht, wovon er spricht? Nee, am besten erst einmal sagen: „Ähm…ja…Christ.“ Super Auskunft. Aber er ließ nicht locker: „Katholik, Protestant – oder Orthodox?“ Ich war schlecht vorbereitet. „Ähm…Protestant…“ Es war mehr eine Frage als eine Antwort. Seine Reaktion: „Hahaha, Protestant.“ Immerhin durften wir bis zu unserem Zielort mitfahren.

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Gedankenspiele

es ist schwarz, die nacht
geht um mit langen händen,
mein herz, es ist grad aufgewacht,
macht schatten an den wänden.

 

Gedanken sind tückisch. Brauche ich sie, so wollen sie – zumindest manchmal – einfach nicht auftauchen. Brauche ich sie nicht, so sind sie – so gut wie immer – einfach nicht zu vertreiben. Ich kann mich in sie flüchten, aber nicht vor ihnen fliehen. Ich spiele mit ihnen. Und werde selbst zu ihrem Spielball.

Gedanken sind nicht gleich Gedanken sind nicht gleich Gedanken. Und doch: Hinter ihnen verbergen sich Fragen. Es geht um das „Warum“ und das „Wie“, um den Sinn, Erwartungen, Sehnsüchte und Hoffnungen, Ziele. Habe ich Wünsche und wenn ja, welche? Was kann ich erwarten? Auf was darf ich hoffen? Was möchte ich erreichen? Ist es sinnvoll, was ich tue, ist es richtig? Warum? Warum nicht? Worum geht es eigentlich bei dem, was ich hier mache? Man zweifelt, bekommt Angst vor Fehlern, beginnt, in letzter Konsequenz, den Glauben an sich selbst zu verlieren. In Gedanken.

Gleichzeitig tauchen Fragen auf, die offensichtlich nicht nur der eigenen Beklommenheit entspringen. Mache ich in den Augen anderer etwas Falsch? Werde ich gebraucht, bin ich erwünscht? Was erwarten die anderen von mir? Und nicht zuletzt: Sind die Antworten auf diese Fragen mit denen meiner eigenen Fragen vereinbar?

Noch bevor ich die Reise nach Ägypten antrat, bin ich mehr als einmal in die Situation gekommen, über diesen Dingen zu grübeln. Ich habe die Fragen für mich beantwortet und dachte, dass alles geklärt ist (obwohl ich wusste, dass die Dinge sich verändern könnten). Doch als ich losgefahren und angekommen bin, ging plötzlich alles wieder von vorn los. Alles war anders, als ich es mir gedacht habe. Zumindest Vieles. Oder wenigstens Einiges.

Ich hatte mir mehr Zeit eingeräumt für diese Fragen, hätte nicht gedacht, dass ich ihnen schon so früh begegne. Erstaunlicherweise haben sich meine Antworten nicht sonderlich stark verändert, seitdem ich das Gefühl hatte, sie gefunden zu haben. Sie haben jedoch an Klarheit gewonnen. Druckste ich noch vor einem Monat herum (sowohl im gedanklichen Selbstgespräch als auch in tatsächlichen Unterhaltungen mit anderen), so fällt es mir heute leichter, Worte zu finden, um die Dinge zu beschreiben, die ich gedanklich durchexerziert habe. Was nicht heißen soll, dass es mir jetzt, in der nicht-gedanklichen Umsetzung immer besonders leicht fällt.

Je mehr ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich mir, dass die Klärung meiner Fragen mit nur einem Wort möglich ist: Zeit. Die Zeit selbst ist freilich nicht die Beantwortung der Fragen. Aber sie ist die Lösung. Die Antworten kommen mit der Zeit. Man muss sie sich nur geben. Woher soll ich denn wissen, wie ich etwas richtig mache, wenn ich es noch gar nicht ausprobiert habe? Wie soll ich mir sicher sein, dass etwas Sinn ergibt, wenn ich noch gar nicht weiß, was für Auswirkungen es hat? Und woher soll ich wissen, was ich erreichen will, wenn ich noch nicht weiß, was überhaupt möglich ist? Es ist ein aussichtsloses Unterfangen, alle Fragen immer so schnell wie möglich beantworten zu wollen, das macht auf Dauer unglücklich. Vielmehr muss ich versuchen, die Gedanken austricksen, um glücklich zu sein. Indem ich mir Zeit gebe – und die Fragen anders stelle. Warum sollten die anderen nicht über meine Anwesenheit erfreut sein? Muss denn immer alles einen tieferen Sinn ergeben? Wer definiert denn „Falsch“ und „Richtig“? Und ist es nicht viel wichtiger, wer ich bin als das, was ich kann?

Zugegebenermaßen sind auch das keine einfachen Fragen und auch sie bergen durchaus das Potential zum Gedankenspielballwerden. Allerdings steht bei ihnen nicht das Ziel selbst, die Beantwortung der Fragen, im Vordergrund, sondern der Weg dorthin und die Art und Weise, wie er gegangen wird. Das ist der große Unterschied. Das Eine schließt das Andere nicht aus. Das Andere jedoch sehr leicht das Eine. Das Glas ist nicht halbleer, sondern halbvoll. Seit ich mir dessen bewusst bin, machen mir die Gedanken, die ich gerade nicht brauche, sehr viel weniger Sorgen als früher. Denn ich weiß, dass die Zeit mich nicht im Stich lassen wird. Und dass ich jederzeit die Möglichkeit habe, selbst mit den Gedanken zu spielen.

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Liebe Welt

 

das meer vor meinem fenster,
es schimmert blau im licht,
und wüsste ich es nicht,
ich glaubt, es wär’n gespenster.

Liebes Du,

schön, dass es Dich gibt. Bevor ich mich nämlich hier in Alexandria auf die Suche nach Nachhaltigkeit begeben kann, musste ich zunächst einmal auf die Suche nach der Lust gehen, diesen Blog tatsächlich auch mit Einträgen zu füllen. Schwer genug war das. Würde es Dich nicht geben, hätte ich mich dazu vermutlich nicht aufraffen können. Denn ich weiß ja, was ich erlebe. Also: Schön, dass es Dich gibt! 🙂

Ägypten. Was für ein Wort. Was für ein Land. Was für eine Geschichte. Was für eine Zukunft. Und ich bin mittendrin, für ein ganzes Jahr! Und erst Alexandria. Was für ein Wort! Was für eine Stadt! Was für eine Gesch…genug. Ich will Dich ja nicht gleich am Anfang mit pseudoliterarischen Figuren vergraulen und verscheuchen. Und außerdem hab ich ja etwas versprochen. Deshalb: Neustart.

Ich gehe weg. Für ein Jahr. Nach Ägypten. In das Land, in dem die Bürger überwiegend gewaltfrei gegen ihre Regierung aufgestanden sind und den Präsidenten zum Rückzug gezwungen haben. In das Land, in dem bei ebenjenen Aufständen trotzdem mehrere hundert Menschen gestorben sind. In das Land, in dem noch immer jeden Freitag tausende Menschen demonstrieren, gegen Korruption, Willkür, Armut und Arbeitslosigkeit, für Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit. In das Land, in dem seit ziemlich genau neun Monaten nur noch wenig so ist, wie es die letzten 30 Jahre war. In das Land, in dem niemand wirklich weiß, was als nächstes kommen und was die Zukunft bringen wird. Krasse Scheiße. Es wäre Unfug, zu behaupten, dass ich mir über all dies nicht im Klaren war, als ich „kulturweit“ für die Einsatzstelle an der Neuen Deutschen Schule Alexandria zugesagt habe, immerhin gucke ich die Tagesschau. Und trotzdem – so richtig bewusst bin ich mir der Veränderung und ihrer Bedeutung in meinem Leben noch immer nicht geworden (was aber eventuell auch nicht so schlecht ist, sonst würde vielleicht alles nur komplizierter).

Nachdem sämtliche, über ganze vier Tage verteilte, tränenreich-schmerzvolle Abschiede zelebriert und mehr oder weniger ausgekostet wurden und ich mich im Flugzeug nach Kairo befand, auf Arabisch Instruktionen erhielt, wie ich mich im Notfall verhalten muss und die Stewards sich immer wieder angeregt-freundschaftlich mit Fluggästen unterhielten, war ich mir sicher, dass ab jetzt alles anders wird, in welcher Form auch immer. Und bis zum heutigen Tag habe ich mich nicht geirrt. Ich bin so gut!

Auf dem Flughafen in Kairo machten Moritz, der ebenfalls“kulturweit“-Freiwilliger in Alexandria ist und mit dem ich zusammen eine Wohngemeinschaft bilde, eine großartige Entdeckung. Sobald ein Flugzeug starten oder landen soll, wird das auf dem Cairo International Airport natürlich angesagt, untermalt mit Musik. So weit, so bekannt. ABER: Es läuft nicht irgendeine Musik. „Flight number 751 from Milano will now arrive at gate 22a.“ Und im Hintergrund lief Eros Ramazotti. „Flight number 136 to Amsterdam will departure now. All passengers are requested to enter gate 8.“ Und im Hintergrund lief ein holländisches Volkslied. „Flight number 180 from Berlin will arrive with 20 minutes delay at gate 27.“ Und im Hintergrund lief – Lena.

Kaum hatten wir jedoch die ersten Stunden auf ägyptischem Hoheitsgebiet sicher hinter uns gebracht, verstießen Moritz und ich sofort gegen die große Maxime der Deutschen UNESCO Kommission e.V.: Der Flug von Kairo nach Alexandria dauerte nicht einmal eine Handballhalbzeit lang. Mit fünf Minuten Start- und Landezeit sowie einer effektiven Flugdauer von 15 Minuten fügten wir uns derart unnachhaltig in unseren Freiwilligendienst ein, dass zumindest ich mir schwor, die ersten drei Wochen nur auf einem Esel zur Schule zu reiten, um meine fürchterliche Energiebilanz wieder kompensieren und mein schlechtes Gewissen bereinigen zu können. Und, was soll ich sagen? Das hat bis zum heutigen Tag nicht ein einziges Mal geklappt.

Dafür habe ich das Gefühl, den Verkehr hier immer besser zu verstehen. Darunter fällt beispielsweise die wichtige Regel “ Wer früher hupt, hat immer Recht“. Rechts vor links gibt es nicht, Ampeln werden überfahren, Spuren und Fahrtrichtungen einhalten ist total aus der Mode und überhaupt herrscht hier eine Ordnung wie in „Herr der Fliegen“. Eine weitere, unabdingbare Regel für Autofahrer ist Folgende: „Wer später hupt, hat früher jemanden totgefahren“. Das geht zugegebenermaßen nicht so leicht ins Ohr, mag vielleicht auch ein bisschen martialisch klingen und es wird Dir vermutlich nicht verborgen geblieben sein, dass ich meine Neigung zur Übertreibung nicht immer zurückhalten kann. Aber auf einer der Hauptverkehrsstraßen, der „Coniche“, die direkt am Wasser und im Prinzip genau vor unserer Haustür entlangführt, sterben jedes Jahretwa 700 Menschen an den Folgen von Zusammenstößen mit Kraftfahrzeugen. Und um die, politisch korrekt ausgedrückt, „leichtsinnigen“ Fußgänger auf sich aufmerksam zu machen, scheint die Hupe das einzig wirksame Mittel zu sein. Ansonsten funktioniert das anarchistische System aber ganz gut, man kann das vielleicht am besten mit einem Teilchenstrom vergleichen, in dem sich manche Teilchen aneinander reiben, aber auch ganz schnell wieder abstoßen und ihren Weg bis zum Ziel störungsfrei fortsetzen. Und für einen verkehrstechnisch verwöhnten Europäer wie ich es bin, ist das Ganze natürlich ein wunderbar aufregendes, täglich neues Abenteuer. Mittlerweile habe ich auch schon die Verkehrsmittel des größeren Teiles der Bevölkerung, die Straßenbahn und die Microbusse, getestet und für ebenso spannend, langsamer, billiger und vor allem volksnäher befunden. Ganz nah dran am Bevölkerungspuls. Schöne Vorstellung.

Ganz nah dran bin ich, um diesem ewig langen Eintrag langsam ein Ende zu bereiten, auch an den Kindern in meiner Schule. Vielleicht ist es auch andersrum, die Kinder sind mir sehr nah. Möglicherweise schließt das Eine das Andere auch nicht aus. Wie auch immer. Jedenfalls habe ich das Gefühl, sehr willkommen zu sein, sowohl an der Schule selbst, als auch bei den Kindern. Und weil es gleichzeitig an der Neuen Deutschen Schule Alexandria (DSA) wahnsinnig viele Dinge noch nicht gibt, ist auch mein Betätigungsfeld unheimlich weit und für fast alle Dinge geöffnet. Wenn ich da erstmal richtig anfange…Das wird ein Spaß! 🙂

So. Und um Dir noch einen kleinen detaillierten Alltagsgeschichteneinblick der Geschichten, die ich im Alltag erlebe, zu geben, folgen nun drei kleine Einblicke in Alltagsgeschichten.

Schickimicki-Einkaufszentrum „San Stefano“. Wir sehen einen jungen Mann, der ein T-Shirt mit folgender Aufschrift trug: F_ck – the only thing I need is u. Und neben ihm läuft eine Frau, bis auf die Augen in eine Burka gehüllt.

Schulhof, große Pause. Die kleine Mariam, der man ansieht, dass sie sehr gern isst, zeigt mir, wie in jeder Pause, ihr Essen. Diesmal ist es ein Stück Birne. Kurz darauf kommt sie wieder und zeigt mir ihre Birne, „Ich liebe das nicht.“, und schmeißt sie weg.

Klassenraum von Marianne, die Moritz‘ und meine Wohngemeinschaft komplettiert. Omar Jasser, 2. Klasse, nimmt sich zwei Magnete von der Tafel und hält sie aneinander. Sie stoßen sich ab. „Herr Vincent, warum nicht kleben die Magneten zusammen? Ah, ich weiß. Sie lieben sich nicht.“

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Hallo Welt!

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Wir freuen uns auf viele interessante Artikel. Viel Spaß und alles Gute!

Dein »kulturweit« Blog Team

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