was unterscheidet mensch und tier?
oder wie war gleich die frage?
ja genau, wie ist die lage?
ähm…tier trinkt wasser, mensch säuft bier?
Liebes Du,
wenn Du wüsstest! Ich sage Dir, wenn Du wüsstest! Aber Du weißt ja nicht. Also noch nicht. Doch wenn Du jetzt schon wüsstest, dann würdest Du aber Augen machen, das kannst Du mir glauben! Und Du würdest sowas sagen wie „Oha!“ oder so. Weil: Hier is‘ halt anders.
Nehmen wir beispielsweise die Sprache. Dass Arabisch nicht die einfachste Art der Verständigung auf der Welt ist, damit habe ich durchaus gerechnet (obwohl ich natürlich insgeheim hoffte, dass alles, was ich bisher gehört hatte, geflunkert war). Jedoch hätte ich mir nicht in meinen schlimmsten Alpträumen vorstellen können – so ich denn von ihnen heimgesucht worden wäre – dass es derart knifflig werden könnte. Ich habe bisher etwa 25 bis 30 Stunden Arabisch-Unterricht genommen, sehe mich jedoch nur zu wenig mehr in der Lage als unserem Hausmeister einen honigsüßen Morgen zu wünschen und dem Taxifahrer mit mittlerweile perfektionierter Gelassenheit mitzuteilen, dass es überhaupt kein Problem für mich ist, wenn er bei dichtem Verkehr mit 80 Stundenkilometern von der Kurven-Ideallinie über fünf andere Spuren bis nach ganz außen getragen wird. Ansonsten gibt es wenig Licht am Ende des Tunnels. Da gibt es für jeden vierten Ausdruck mindestens drei verschiedene Wörter und für jedes dritte Wort mindestens vier verschiedene Schreibweisen. Man schreibt Zeichen, die vor allem künstlerisch anspruchsvollen Ornamenten gleichen, aber nichtsdestotrotz buchstabengleich artikuliert werden, und Buchstaben, die zwar aussehen wie Buchstaben, aber letzten Endes gar nicht ausgesprochen werden. Gleichzeitig muss man darauf achten, ob sich unter dem „d“, dem „h“, dem „s“, dem „t“ und dem „z“ Punkte, über dem „a“, dem „e“, dem „i“, dem „o“ und dem „u“ Striche, über dem „g“ ein Punkt und über dem „s“ ein nach unten zeigendes „kleiner als-Zeichen“ befindet oder nicht. Je nach dem variiert dann nämlich die Aussprache – obgleich ich nicht selten keinen blassen Schimmer habe, worin eigentlich der Unterschied liegt. Und nicht zuletzt gibt es die berühmten nahöstlichen Laute, die idealerweise in unmittelbarer Nähe zum Adamsapfel ihren Ursprung haben sollten, bei mir jedoch regelmäßig irgendwo zwischen Rachen und Gaumen verloren gehen.
Es ist mir deshalb, zumindest immer mal wieder zwischendurch, ein völliges Rätsel, wie man in dieser Sprache intellektuell anspruchsvolle Gespräche führen und auch noch darüber schreiben kann. Von rechts nach links und unter Weglassung der kurzen Vokale, der Konsonantenverdopplungen, der Konsonanten ohne nachfolgenden Vokal sowie des grammatikalisch nicht unerheblichen Endungs-„n“, versteht sich von selbst. Das müssen hier alles Hochbegabte sein, anders kann ich mir das nicht erklären. Habe ich vor einigen Wochen noch vollmundig angekündigt, Arabisch sprechenden, pöbelnden Unruhestiftern in der Berliner U-Bahn im nächsten Jahr unerschrocken und selbstsicher Worte ins Gesicht zu schleudern, die ihnen vor lauter Verblüffung das Lachen und gleich noch ein paar andere Dinge auf der Stelle vergehen lassen würden, so muss ich dieses Vorhaben nun ein wenig relativieren: Ich würde mich einfach heimlich, still und leise in ein anderes Abteil setzen. Ist vielleicht ohnehin besser so.
Eine weitere, sehr delikate Angelegenheit, ist das Essen. Genau genommen geht es ums Fleisch. Wir in Deutschland haben ja, wenn man die Dinge einmal mit natürlichem Pragmatismus betrachtet, ein relativ gestörtes Verhältnis zu Tieren. Wir halten uns Hasen, streicheln Hunde, spielen mit Katzen und essen mit genmanipuliertem Brei gefütterte, anonyme Einheitskühe. Falls das die Ägypter wissen, könnte ich mir vorstellen, weshalb sie uns immer so befremdlich betrachten. Hier funktioniert das nämlich anders.
Schon vor einer ganzen Weile fuhr ich morgens den gewohnten Weg zur Schule. Kurz vor der Ankunft entdeckte ich am Straßenrand ein Kamel, das neben einem Gemüsewagen auf der Straße stand. Vor lauter Entzücken über die Entdeckung, das erste Kamel in Ägypten gesehen zu haben, stieß ich mir in meinem Übermut schmerzhaft das Knie an der Autotür. Als ich am Nachmittag nach Hause fuhr, hoffte ich darauf, naiv wie ich bin, noch einmal das Kamel zu sehen. Und tatsächlich, ich sah es nochmal. Nur: eben anders. Lediglich der Kopf, die Hufe und noch nicht verkaufte Gesäßteile hingen noch an den anderthalb Meter langen Enterhaken der Fleischerei, die sich in unmittelbarer Nähe zu dem Gemüsewagen befindet, ansonsten war von dem Kamel vom Morgen nichts mehr übrig.
Doch man wird als Zivilist noch mehr in diese Vorgänge hineingezogen. Momentan findet in der arabischen Welt nämlich das Opferfest statt, „eid al-adha“ oder auch Beiram. Dies ist das höchste islamische Fest, es findet während der Wallfahrt nach Mekka statt und dauert vier Tage. Bei diesem Fest wird des Propheten Ibrahim gedacht, der bereit war, Allah seinen Sohn Ismael zu opfern und somit die göttliche Probe bestand. Doch Allah, zufrieden ob des Gottvertrauens Ibrahims, gebot ihm Einhalt und so opferten Ibrahim und Ismael voller Dankbarkeit im Beisein von Freunden und Bedürftigen einen Widder. Weltweit ist es für alle Muslime Pflicht, anlässlich dieses Festes ein Tier zu opfern, sei es Schaf, Ziege, Rind oder Kamel. Und genau das passiert momentan. Überall und jederzeit. Wohin man derzeit auch geht, allenthalben liegen noch nicht getrocknete Kuh- und Schafsfelle übereinandergestapelt auf den Gehwegen, schwingen Männer fröhlich, aber konzentriert Beile und Messer durch die Lüfte, um Fleisch von Fleisch zu trennen, warten Schafe mit einer wahnsinnigen Gelassenheit darauf, endlich ihrem Richter vorgeführt zu werden, liegen Rinder zuckend und röchelnd auf der Straße, während aus dezimetertiefen Kratern in ihren Hälsen das Blut in Fontänen auf die Straße spritzt und diese für Fußgänger ohne Gummistiefel unpassierbar macht. Es ist wirklich krass. Aber so abstrus und unwirklich es klingen mag: das alles übt eine, im wahrsten Sinne des Wortes, unheimliche Faszination auf mich aus. Es ist derart natürlich, unmittelbar, grundlegend, archaisch und existenziell, dass Widerwillen und Ekel vollkommen in den Hintergrund geraten. Auch wir haben direkt vor unserem Haus einen Fleischer. Auch bei dem wird geschlachtet. Und auch dort sehe ich, nicht nur jetzt, sondern täglich das Fleisch des frisch geschlachteten Tieres an riesigen Haken auf der Straße hängen. Aber mittlerweile habe ich mich wirklich an diesen Anblick gewöhnt, es ist jetzt auch mein Alltag. Lediglich der Geruch ist zuweilen noch immer etwas unangenehm. Für mich ist es inzwischen, auch wenn ich mich noch nicht selbst an Fleisch getraut habe, sogar sehr viel natürlicher, Essen auf diese Weise zu betrachten. Streng genommen ist das im Prinzip „Extrem-BIO“ und „-ÖKO“. So mager, wie die Tiere meistens aussehen, besteht kaum Gefahr massentierhaltungsgleicher Fütterungsmethoden, am zur Schau gestellten Kopf weiß man, welches Tier man eigentlich isst und letzten Endes wird hier genauso geschlachtet, wie in Deutschland. Mit dem Unterschied, dass es hier, ganz transparent, auf der Straße geschieht, die Transportwege kürzer sind und man zum Einkaufen nicht mal einen Laden betreten muss.
Und weil ich noch immer ganz begeistert von meiner Idee bin, Dir kurze und dennoch detaillierte Alltagsgeschichteneinblicke in die Geschichten, die ich im Alltag erlebe, zu geben, folgen nun erneut drei kleine Einblicke in Alltagsgeschichten.
Janna und ich sind kaum dem Metroschacht am Tahrirplatz entstiegen, da kommt ein kleiner Mann auf uns zu, der bereits eine Woche zuvor Moritz und mich angesprochen und uns seine „business card for egyptian flowers“ angeboten hat, wobei der Wiedererkennungseffekt einseitig bleibt. Es folgt die übliche Konversation. “Hello! Welcome to Egypt! Where are you from?“ – „Hm, good question. Janna, where are we from?” – „ Aaahhh, I know you know it. You are just joking. Haha.” – „Yes, haha…Ja, was sagen wir ihm den jetzt?“ – „Keine Ahnung…was ist mit Norwegen?“ – „Okay, we just decided to tell you: We are from Norway.“ – „Oh, great! Norway! Great! I have been to Copenhagen!”
Moritz und ich sitzen in der Teestube unseres Vertrauens, trinken schwarzen Tee, rauchen Wasserpfeife und fühlen uns nicht nur unheimlich männlich, sondern sogar fast wie Ägypter. Ein Taxi fährt vorbei, der Fahrer sieht uns, bleibt stehen, fährt zurück an unseren Tisch und fragt: “Do you smoke?“ – „Öhm…yes…“ – “Then stop it, it’s not good for your health!“
Marianne und ich fahren mit dem Taxi in die Schule. Nach kurzer Zeit fragt mich der Fahrer: „Katholik oder Protestant?“ Tja. Was antwortet man nun darauf? Sollte ich so tun, als wüsste ich nicht, wovon er spricht? Nee, am besten erst einmal sagen: „Ähm…ja…Christ.“ Super Auskunft. Aber er ließ nicht locker: „Katholik, Protestant – oder Orthodox?“ Ich war schlecht vorbereitet. „Ähm…Protestant…“ Es war mehr eine Frage als eine Antwort. Seine Reaktion: „Hahaha, Protestant.“ Immerhin durften wir bis zu unserem Zielort mitfahren.