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Der letzte Ausritt

338 Tage sind vergangen seitdem ich das letzte Mal deutschen Boden unter meinen Füßen hatte, als ich am Gepäckband vorbeilaufe, mit meinen kleinen Rucksack in den Bus Nr.7 steige und abwesend aus dem Fenster schaue. Blocks ziehen an mir vorbei, das Kraftwerk Nr.4 pumpt Kohlestaub in die Luft, das Blue Sky Gebäude zeichnet sich weit weg im Zentrum ab und eine Kuh pisst auf den Mittelstreifen. Eine Kuh pisst einfach auf den Mittelstreifen der 4-spurigen Straße. Ich muss grinsen. Und schlagartig wird mir bewusst, dass ich wieder in der Mongolei bin. In diesem Land indem ich lebe, welches ich zuhause nenne. Alles ist wie ich es kenne hier, so vertraut, dass ich es nur noch passiv aufnehme. Ich war fast 25 Tage nicht mehr hier, ich war in Usbekistan mit meiner Familie, ich war in Hongkong alleine und irgendwo in dieser Phase habe ich akzeptiert, dass ich wieder zurückgehe. Nach Deutschland, was einmal zuhause war und irgendwie auch immer noch ist. In dieser Zeit hat sich mein Kopf von der Mongolei verabschiedet, obwohl ich mich noch nicht verabschiedet hatte. Meine Person war die ganze Zeit noch hier gewesen und in diesem Moment ist sie auch wieder hier. Das wurde mir schlagartig bewusst als diese Kuh pisste und ich gedanklich wegdriftete. Ich bin wieder hier, zuhause, in der Mongolei, aber nur für 7 Tage. Ich werde dieses Kapitel jetzt beenden. Das begriff ich und Tränen stiegen mir in die Augen, alles drohte zu verblasen. Doch eine letzte Woche blieb mir noch, diese Traurigkeit in Freude umzuwandeln.

So begann mein letzter Ausritt in der Mongolei. Wie Lucky Luke auf Jolly Jumper in den Sonnenuntergang zu reiten und etwas Gutes zu hinterlassen, ohne selbst zu bleiben.

Die Rahmenbedingungen dafür waren nicht perfekt, ich hatte meinen Koffer schon vor Hongkong beim Zwischenstopp in Peking verloren, meine Kreditkarte war überzogen, mein Nokia mit mongolischer Nummer und allen Kontakten lag in meinem Koffer, mehrere bedeutende Menschen in dem Jahr waren schon weg oder auf Reisen, ich hatte mehrere organisatorische Dinge zu erledigen und meine Verdauung lag am Boden. Aber perfekte Rahmenbedingungen sind ja auch witzlos und völlig überbewertet. Die Mongolei ist perfekt im unperfekt sein und dadurch entsteht ihr ganzer Reiz und ihr eigener Charme.

Der Abschied begann eigentlich erst zwei Tage später, nachdem ich Koffer und Handy wieder hatte und dieses Internet zwei Tage meine Aufmerksamkeit forderte damit unsere Beziehung nicht den Bach heruntergeht. Dieser Abend war Kirstens Abschied, sie wird morgen mit ihrer Familie zurückfliegen. Einfach so, weil sie es kann. Oder muss. So sicher war sich da niemand mehr nach 5 Sengur. Aber vor den 5 Sengur war das alles noch weit weg, man saß vergnügt zusammen und es kam ein lieber Mensch nach dem Anderem und alle begannen vergnügt Dinge zu machen, die man in Bars ebenso macht. Gepflegt essen und nach Hause gehen, oder so ähnlich. Doch mit fortschreitender Dauer des Abends und des Wechsels von Sengur auf Tiger, weil der Vorrat erschöpft war, wurde der Abschied, dieses vage Gedankenkonsturkt auf einmal ziemlich deutlich. Die Umgebung verschwamm in der Dunkelheit doch der Abschied hatte plötzlich klare Konturen. Ich lief alleine durch die Nacht wie eine Marionette gezogen von der Vertrautheit, dass ich alle Straßen und Abkürzungen kenne, doch ohne die Fähigkeit klar zu denken und die Realität wahrzunehmen. Die Realität, dass es vorbei ist.

Fast. Es blieben mir noch ein paar Tage. Ein paar Tage, 4 an der Zahl.

Noch einmal abhängen mit Menschen, die dir etwas bedeuten und viel wichtiger mit den Menschen, denen du etwas bedeutest. Ich versuchte jedem etwas zurückzugeben, die mir so viel gegeben hatten. Ob es der mongolische Promoter war, der mich auf sein privates Technofestival einlud, oder meine Lehrerinnen. Die Familie, die mir den Supermarkt auch um halb elf nachts aufsperrte, oder meine Gastgeschwister, die teilweise nicht realisieren wollten dass ich jetzt gehe und nicht morgen wieder komme. Vorneweg geschafft alle die Liebe und Zuneigung zu erwidern habe ich nicht, doch ich die meisten haben meine Gesten verstanden.
Hoffentlich.

Der Tag lief an mir vorüber und ich fand mich auf einer Hausparty wieder, die wider Erwartens nicht von der Polizei beendet wurde, sondern in einem Club zu Ende ging. So kostete ich noch einmal die mongolische Clubkultur aus. Der leere Club, bestehend aus 80% Tischen, die Billboard 100, um 2 Uhr leere Tanzfläche. Bis dieser leicht alkoholisierte Expat-Mob die Tanzfläche occupiert und den geschmuggelten Wodka auf dem Klo neben kotzenden Anzugträger trinkt. Als mich dieselbe Person zum dritten Mal fragte, wo den ihr Couchsurfer sei und ob ich seine Handynummer habe, wurde mir bewusst, dass das letzte Mal sein wird. Das letzte Mal in dem ich mit so vielen Leuten mich umgeben kann, die einfach nur Spaß haben wollen. Die es auskosten bis zum Schluss, um alles, auf was sie in der Mongolei verzichten müssen, kompensieren zu können. Und es wird auch das letzte Mal sein, dass ich etwas dadurch kompensieren werde. Oder? Werde ich nicht genau das hier in Deutschland vermissen? Und so kamen die ersten Zweifel. Der Abschied war real und die Zweifel begannen. Irgendwie war ich doch nicht so weit weg in Hongkong, wie ich dachte. Durch die Zweifel klangen die Billboard 100 leider wie die Billboard 100 und ich ging nach Hause.

Um etwas Schlaf zu bekommen, damit ich die Mongolei noch einmal intensiv aufsaugen kann. Und so fuhr ich am nächsten Tag in den Nationalpark Terelj. Ich wollte ein nettes Wochenende und bekam Mongolei satt. Eine Fahrt auf der Rückseite eines Mini-Russentransporters, Pferde die vor dir durch den Fluss rennen, Khorkhog essen, einen Sonnenuntergang der Extraklasse, ein Lagerfeuer unter exquistem Sternenhimmel und einen meiner besten Ausritte in der Mongolei.

Fortbewegung 2.0

Fortbewegung 2.0

Terelj

Terelj

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Die Schönheit blendet manchmal

Die Schönheit blendet manchmal

Luna

Luna

Vincent Khan blickt sich um, damit seine Armee ihm auch folgt.

Vincent Khan blickt sich um, damit seine Armee ihm auch folgt.

Lucky Luke auf Jolly Jumper reitet langsam davon. Oder ich habe meinen letzten Ausritt bestritten. Das Comic ist zu Ende. Wir haben gelacht, wir haben geweint, wir haben geflucht, wir haben uns gefreut, aber vorallem wurden wir, alle Menschen denen ich begegnet bin und ich, unterhalten. Und das sehr, sehr gut und kurzweilig.

Offroad. Rebell.

Offroad. Rebell.

Zeit das zu verarbeiten bekam ich nicht. Letzte Treffen standen an, ein Jahr packt sich nicht alleine in einen Koffer und das mongolische Immigration Office fand meinen Pass einen Tag vor Abflug nicht mehr. Doch alles funktionierte und ging mehr oder weniger gut über die Bühne, wie dieses Jahr eben. Die 345 Tage weg von deutschem Boden.

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