Alltag

Vor mir steht ein heißer Latte Macchiato, wärmende Sonnenstrahlen umgeben mich und viele Gedanken warten darauf zu einem Text verarbeitet zu werden. Der goldene Herbst ist eingekehrt – zusammen mit strahlend blauem Himmel und geschäftigen Menschen im Zentrum der Stadt. An solchen Tagen, in solchen Momenten, kann ich das Alleine sein in vollen Zügen genießen, ob nun mit meinem liebsten Heißgetränk auf der Terasse des Kebaps oder mit einem guten Buch im wunderschön grünen Park. Es gibt aber auch Stunden in denen es mich stört und ich der Situation gerne entfliehen würde. Ich bin im Alltag angekommen, Wege wiederholen sich und etwas Ruhe kehrt ein. Zumindest manchmal.

In der Schule habe ich nicht allzu viel zu tun. Die Deutschlehrerinnen sind freundlich und engagiert, die meisten SchülerInnen mindestens genauso motiviert Deutsch zu lernen. Der Umkehrschluss ist leider, dass ich, zumindest im Rahmen des regulären Unterrichts, nicht wirklich helfen kann. Daher beschränkt sich meine Arbeit auf nachmittägliche AGs zur Prüfungsvorbereitung. Der Wunsch vieler SchülerInnen ist möglichst viel zu sprechen, weshalb diese Woche z.B. eine Debatte anstand. Abgesehen davon baue ich eine Schülerzeitung auf und helfe wenn nötig bei Veranstaltungen und Projekten.

Auch sonst habe ich mich theoretisch schon gut eingelebt. Zweimal in der Woche habe ich Russisch-Unterricht, an drei Abenden gibt es einen Yogakurs im Fitnessstudio und ich weiß, welcher Supermarkt als einziger von vielen richtigen Naturjoghurt führt. Praktisch kommt das Wohlfühl-Gefühl leider nicht so richtig auf. So sehr ich auch versuche ein Teil dieser neuen Welt zu werden, fühle ich mich doch oft fehl am Platz. Vor allem die Sprachbarriere spielt hierbei eine große Rolle. In der Schule und mit meiner Gastgeberin kann ich zwar Deutsch reden, oft wird aber nur verstanden, was ich sage und nicht was ich wirklich meine. Die meisten Menschen reden nur Russisch und etwas Rumänisch, weshalb auch Englisch keine Alternative ist.

Alles in allem schwanken meine Gefühle stark zwischen Euphorie und Zweifeln. Auf ein nettes Lächeln eines Schülers folgt eine ruppige Putzfrau, die mich auf russisch beschimpft, weil der einzige Weg in mein Klassenzimmer leider durch den gewischten Flur führt. Auf einen sonnigen Tag an dem man einiges erledigen kann folgt ein Platzregen, der mich zwingt den gesamten Tag in meinem Zimmer zu verbringen. Auf ein kurzes Gefühl der Unbeschwertheit und Freiheit folgt eine Mitarbeiterin im Migrationsbüro, die meine Unterlagen auf den Tisch pfeffert und den ganzen Raum zusammenschreit, weil ihr ein Stempel fehlt. Man kann nicht vorhersehen was im nächsten Moment passiert und mir persönlich fällt es schwer eine Balance zwischen all diesen Dingen zu finden und „innerlich“ zur Ruhe zu kommen.

Es ist Freitag und nächste Woche sind glücklicherweise Herbstferien. Ich erwarte Besuch von zu Hause und es geht in den Urlaub nach Transsilvanien, anscheinend in eine der schönsten Städte Rumäniens. Ich bin sehr gespannt und hoffe nach diesem kurzen Entfliehen der Situation wieder mit neuer Energie und Enthusiasmus in den Alltag starten zu können. Denn die Zeit vergeht wie im Flug – ein Drittel meiner Zeit ist bereits vorbei. Was soll ich davon nur halten?

 

Gedanken zum Tag der Deutschen Einheit

Nach der Wahlparty am 24. September war ich nun also auch zum Empfang anlässlich des 3. Oktobers nach Chisinau eingeladen. Ein edler Brief der deutschen Botschaft ließ zwar auf eine größere Feier schließen, jedoch hatte ich eher ein schickes Abendessen in einem guten Restaurant, als einen Ballsaal mit funkelnden Kronleuchtern und dem moldauischen Präsidenten als Gast erwartet. Aber gut, übertroffene Erwartungen sind doch eigentlich etwas Positives. Durch den gegebenen Rahmen stiegen auch meine Erwartungen an das Programm und die Rede der Botschafterin. Nach Erklingen der deutschen Nationalhymne begrüßte diese den gut gefüllten Saal mit dem diesjährigen Motto des Feiertages und ein paar kurzen Worten dazu. Doch an diesem Abend sollte nicht nur die deutsche Einigkeit, sondern auch 25 Jahren diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und der Republik Moldau ein Anlass zum Feiern sein. So geht es vordergründig um Erfolge in der Zusammenarbeit, das Miteinander und ein Deutschland, das alles geben wird um Moldawien weiterhin zu helfen, unter Anderem sich der Europäischen Union weiter anzunähern. Der anwesende Präsident Igor Dodon bedankt sich für die Zusammenarbeit und betont, dass er die Hilfe sehr zu schätzen wisse. Das klingt doch alles ganz super. Oder nicht? Nach den Ansprachen wird das Büfett eröffnet und während ich mit den anderen Freiwilligen den guten Wein genieße, reden wir über die Beziehungen zwischen Deutschland und Moldawien.

Es ist schwierig die Politik in einem Land zu verstehen, in dem man nicht aufgewachsen ist und welches man (noch) nicht wirklich kennt. Doch anhand vieler Gespräche mit Einheimischen, sowie Informationen aus zuvor gelesenen Berichten, lässt sich feststellen, dass dieses Land in vielerlei Hinsicht gespalten ist. So steht aktuell eine pro-europäische Regierung einem eher pro-russisch gesinnten Präsidenten gegenüber. Doch auch dieser sitzt, wie eine Deutschlehrerin hier so schön sagte „zwischen zwei Stühlen“. Zum Einen möchte er die Verbindungen nach Russland wieder verstärken, nachdem ihm aufgrund des moldauischen Assoziierungsabkommen mit der EU Sanktionen im Handel auferlegt wurden. Zum Anderen ist gerade Deutschland einer der wichtigsten westlichen Handelspartner der Republik. Diese Zerrissenheit zieht sich auch durch die Bevölkerung. Mit 52,3% der Stimmen gewann Dodon Ende 2016 knapp die Wahl gegen die pro-europäische Kandidatin.

Als ich mir dann heute Morgen Franck-Walter Steinmeiers Rede zum Tag der deutschen Einheit durchgelesen habe, hat mich eine Aussage besonders angesprochen. Wir feiern, dass die ehemals Ost- und Westdeutschland trennende Mauer gefallen ist, doch „es sind andere Mauern entstanden, weniger sichtbare, ohne Stacheldraht und Todesstreifen – aber Mauern, die unserem gemeinsamen „Wir“ im Weg stehen“. Dieser Satz trifft die politische sowie gesellschaftliche Situation in Deutschland, die vor allem durch die aktuellen Wahlen noch deutlicher wurde, wie die Faust auf’s Auge. Nicht nur das, dieser Satz ist ein Sinnbild für Uneinigkeit und Kontroversen, die uns in so vielen Bereichen tagtäglich begegnen. Zudem lässt er sich für mich auch außerhalb von Deutschland perfekt anwenden. In der kurzen Zeit in dieser neuen „Welt“ Moldawien sind mir neue Mauern begegnet, wie die in der eben beschriebenen hiesigen Politik, aber so manche auch eingestürzt.

Es ist wortwörtlich augenöffnend, sich in unbekannte Bereiche zu begeben. Zum Einen erlebe ich hier hohe Mauern zwischen Reich und Arm, zwischen der Regierung und der Bevölkerung. Viel Geld wandert in die eigenen Taschen der führenden Persönlichkeiten, während die „kleineren“ Leute darunter leiden und abwandern. Eine Spirale, die kein Ende zu haben scheint. Zum Anderen fallen für mich Mauern zwischen Welten, ich bekomme Einblicke in das deutsche Leben und in das moldauische, in das bürgerliche Leben sowie die höheren und politischen Schichten. Solche Empfänge bilden einen krassen Gegensatz zum alltäglichen Leben, das ich hier mitleben darf, aber umso interessanter ist es auch sich danach am Esstisch mit meiner Gastgeberin darüber zu unterhalten. Ein bisschen wünsche ich mir, die Rede Steinmeiers miterlebt haben zu dürfen und ein bisschen Enthusiasmus im Hinblick auf die Zukunft Deutschlands gespürt zu haben. Es ist ein schöner Gedanke auf eine gewisse Einigkeit hinzuarbeiten und Mauern fallen zu lassen. Auf jeden Fall ein interessanter Abend, vor allem aus diesen verschiedenen Perspektiven betrachtet.

 

Transit Zone

Ich stecke fest. Ganz ähnlich wie man in der Transit Zone eines Flughafens feststeckt. Man kommt eine Zeit lang weder raus noch rein, man steht zwischen zwei Welten – der, die man gerade verlassen hat und einer, die man noch nicht betreten kann. Dieser Vergleich beschreibt meine Gefühlswelt momentan ziemlich perfekt. Denn ich befinde mich in einem Zwischenstadium, das (noch) nichts Halbes oder Ganzes zu sein scheint.

Von Entscheidungen

Wie kommt man eigentlich auf den Gedanken nach dem Abitur einen Freiwilligendienst in Moldawien zu absolvieren? Ja, das habe ich mich in den letzten Tagen und Wochen nicht nur einmal gefragt. Nur zu gerne wäre ich direkt nach der Schule studieren gegangen, aber die Erkenntnis welcher Studiengang am Besten zu mir und meinen Vorstellungen passt, hat mich leider nicht rechtzeitig erreicht. Also habe ich mich nach einer Alternative umgesehen und die Möglichkeit gewählt, über eine Organisation ins Ausland zu gehen. Anfangs war ich noch etwas skeptisch, da der osteuropäische Raum nicht meine erste Wahl darstellte, jedoch haben mich die interkulturellen Ansätze und die Finanzierung des Projekts durch die Träger überzeugt. Noch vor den Abiturprüfungen im April habe ich zugesagt und wandele seitdem zwischen Zweifeln und Vorfreude, zwischen Vorbereitungen und dem gedanklichen Beiseiteschieben dieser kommenden Unbekannten.

Aufbruch?

Wäsche waschen, den Korb in der Drogerie mit unnötigem Kleinkram füllen und Koffer packen – das riecht doch ganz eindeutig nach Abreise. Oder doch nicht? Da ich wusste, dass ich nach dem zehntägigen Seminar noch einmal für zwei Tage daheim sein würde, fiel das Abschiednehmen nicht allzu schwer. Ein Aufenthalt in der Nähe von Berlin verursacht eben doch noch keine richtige Aufbruchsstimmung. Aber kaum dort angekommen hat sich meine Gefühlswelt in einen gigantischen Hurrikan verwandelt, der durch meinen Kopf nur so gewirbelt ist. Neue Menschen, andere Ansichten, Diskussionen, Fachbegriffe und nochmals Menschen und ganz klein dazwischen steht man selbst und ist sich plötzlich gar nicht mehr so sicher mit seiner Entscheidung. Zudem ist es eine komische Situation weder wirklich weg von daheim, noch in seinem neuen „Zuhause“ zu sein.

Ankunft

Ja, da stand ich nun. In Moldawien. Alleine. Mein neues Zimmer für die nächsten Monate: Durchgangsraum zwischen Eingangstüre, Küche und Bad mit einer Couch als Schlafmöglichkeit. Von Möglichkeiten des Rückzugs oder der Intimität keine Spur. Ich würde von mir behaupten, dass ich nicht aus Zucker bin und dass ich mich auf eine wesentliche Veränderung meines Lebensstandards eingestellt habe, aber so? Nein, definitiv nicht. In dieser Nacht kreiste meine Achterbahn der Gefühle zwischen der Hoffnung, dass ich am nächsten Morgen in meinem eigenen Bett aufwachen würde und dem Wissen, dass ich mich wohl damit abzufinden hätte. Am nächsten Morgen muss ich fürchterlich ausgesehen haben, als ich in der Schule aufgetaucht bin. Auf jeden Fall hing meine Ansprechpartnerin nach zwei Minuten am Telefon und hatte weitere zwei Minuten später einen neuen Schlafplatz für mich klargemacht. Wow. Spontanität und Gastfreundlichkeit habe ich selten auf solch einem Level erlebt wie hier (aber dazu mehr in einem meiner nächsten Beiträge). Also nochmal Koffer packen, nochmal die Hoffnung darauf anzukommen.

Und tatsächlich, jetzt sitze ich hier in einer anderen Wohnung mit neuer Gastgeberin, umgeben von alten Möbeln, einer Tapete und Vorhängen, die so überhaupt nicht meinem Geschmack entsprechen und fühle mich überraschenderweise so etwas Ähnliches wie wohl. Meine Transit Zone wird wohl trotzdem noch eine Zeit lang bestehen bleiben, aber vielleicht darf man seine Erwartungen nach ein paar Tagen in einem unbekannten Land auch einfach nicht zu hoch schrauben. So dämlich und nicht hilfreich einem alte Zitate manchmal vorkommen mögen: „Aller Anfang ist schwer“ und damit schließe ich mein Gedankenwirrwarr erstmal ab und hoffe in meinem nächsten Lebenszeichen von der Achterbahn in die Bummelbahn umgestiegen zu sein.

stereotypen & Machtstrukturen

„Wenn ihr an Osteuropa denkt, welche Klischees fallen euch ein? Woher kommen sie und was macht das mit uns? Als was identifizierst du dich? Wie geht man mit seinen Privilegien als weiße/r Deutsche/r um? Und wie stark sind wir eigentlich von der Medienwelt um uns herum beeinflusst?

Ganz schön viele Fragen für Tag zwei und drei meines Vorbereitungsseminars am Werbellinsee bei Berlin. Doch im Rahmen des Freiwilligendiensts „kulturweit“, der von der deutschen UNESCO-Komission und dem Auswärtigen Amt ins Leben gerufen wurde und laut eigener Aussage für interkulturellen Dialog steht, müssen solche Fragen gestellt, diskutiert und von jedem für sich selbst beantwortet werden. Nach einer langen Bewerbungsphase wurden über 300 Freiwillige eingeladen sich im zehntägigen Seminar in kleinen Gruppen auszutauschen und an interessanten Workshops teilzunehmen. Ich bin eine davon. Und da dieser Blog logischerweise viel von meinen Erfahrungen in meinem Einsatzland handeln wird, stelle ich dieses und meine Gedanken dazu erst einmal vor.

Mein Weg führt mich nach Moldawien, auch als Republik Moldau bekannt – oder auch nicht. Denn wie ich feststellen musste, wussten weder ich noch ein großer Teil meines Umfelds viel über dieses kleine Land im tiefsten Osten Europas. Auch in der „homezone“, meiner Wohlfühlgruppe mit Leuten die nach Moldawien, Rumänien und Serbien ausreisen werden, ist das Wissen über die osteuropäischen Staaten noch recht begrenzt. Es ist eine neue, mir bis jetzt unbekannte Erfahrung, in ein Land zu reisen, welches uns im alltäglichen Leben viel zu selten begegnet und zu dem einem folgend jegliche Infos fehlen. Doch auch darum sind wir alle hier – Stereotypen können ein guter Halt zum Entlanghangeln sein, solange man sich nicht an sie klammert und ihnen die Möglichkeit gibt, sowohl widerlegt als auch bestätigt zu werden. Deshalb sind wir hier – um darüber zu diskutieren und unserem Einsatzland und den Leuten dort möglichst offen und sensibel zu begegnen. Für mich werden diese Leute (erstmal) hauptsächlich Schüler*innen und Lehrer*innen sein, da meine Einsatzstelle das „Theoretische Gogol-Lyzeum“, also eine Schule, in der Stadt Balti sein wird.

Apropos sensibel, ist es für mich ein großes Anliegen zu versuchen „fair“ zu berichten. Wie ich hier unter Schrecken feststellen musste, sind wir (oder um korrekt zu bleiben: ein großer Teil von uns) hier in Deutschland, und wahrscheinlich auch Menschen auf der ganzen Welt, um ein Vieles mehr beeinflusst von den Medien als wir erkennen beziehungsweise uns eingestehen möchten. Vollkommen verständlich, finde ich übrigens. Wer hat denn Zeit sich nach der Tagesschau noch durch diverse Zeitschriften und News-Blogs zu lesen, um sich ein objektiveres Bild der aktuellen Geschehnisse zu verschaffen? Dennoch ist es verdammt (!) wichtig nicht allzu faul zu werden und sich immer nur berieseln zu lassen. Die westliche Denk- und Sichtweise verursacht automatisch eine westlich-privilegierte Art der Berichterstattung und ein guter erster Schritt ist schonmal, sich dessen bewusst zu sein. Auch wenn ich hier versuche, meine kommenden Erlebnisse möglichst rational darzustellen, werden es doch absolut persönliche und teilweise einseitige Erfahrungen sein.

Ich hoffe in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten Antworten auf unzählige Fragen zu finden, interessante Gespräche zu führen und ein bisschen moldawische Kultur und Gesellschaft nach Deutschland zu bringen. Soweit so gut, alles Wichtige wäre hiermit gesagt und es kann losgehen!

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