Langsam lebt man sich ein

17 10 2010

Die Betonung im Titel liegt auf „langsam“. Die Arbeit läuft an, aber eine richtige Routine gibt es noch nicht, kein Wunder eigentlich, denn ich tu erst wirklich etwas ungefähr seid einer Woche. Ein paar mal war ich im Unterricht dabei und es war auch jedes mal ziemlich in Ordnung. Ich hatte ja vorher ein etwas komisches Gefühl, weil Lehrer nicht wirklich mein Traumberuf ist, aber diese Assistentensache ist garnicht schlecht. Auch bei der Deutsch-AG, für die ich ja verantwortlich bin, war ich erst etwas orientierungslos was den Inhalt angeht, aber ich kann da im Grunde machen was ich will und habe da jetzt auch einigermaßen ein Konzept. Die Schüler sind zwar anfangs schüchtern aber freuen sich jedes mal wenn ich mit in den Unterricht komme. Die haben übrigens voll die komische Schuluniform, die besteht aus einem Trainingsanzug unter dem die ein Hemd tragen. Mit der Sporthose sehen die alle wie die übelsten Chiller aus. Ich wurde von denen auch schon gefragt, ob ich eine Freundin habe, aber so Fragen wie „Bist du verheiratet?“ oder „Hast du Kinder?“ sollen hier nicht als sehr persönlich angesehen werden, also mache ich mir da jetzt mal keine Gedanken drüber.

Vor einer Woche, am Sonntag, waren wir auf der EXPO und weil es eben ein Sonntag war, war es auch relativ voll. Als wir vor dem deutschen Pavillon standen, konnten wir das Essen aus dem deutschen Restaurant riechen (Stichwort „Schweinshaxe“ und „Rheinischer Sauerbraten“) und haben inmitten von Nudelsuppen und Maultaschen voll Heimweh bekommen :D, leider war das aber alles ziemlich teuer. Im Pavillon selber waren Ausstellungen zu deutschen Städten und Industriegütern und eine ziemlich coole Show allgemein über Deutschland. Ansonsten waren wir nur in Pavillons vor denen man nicht warten musste. Der von Vietnam ist fast komplett aus Bambus gebaut. Witzig fand ich den Stand von Simbabwe im afrikanischen Pavillon. Da die Länder ihre Pavillons selbst entwerfen zeigen sie sich dementsprechend von einer sehr positiven Seite, also konnte man zum Beispiel sehen, wie Herr Mugabe eine Schule besucht, die gerade brandneue Computer für den Unterricht bekommt oder neue Bewässerungsanlagen besichtigt. Jaja. Nordkorea war auch nicht schlecht. Auf einer Großaufnahme von Pjöngjang sieht man das riesige Ryugyong-Hotel mit einer Glasfassade. In der Realität steht dort ein Betonmonster, das aufgrund von Geldmangel und Konstruktionsfehlern nicht weitergebaut werden kann und nun vergammelt. Ziemlich bitter. Am Ende waren wir noch im düsseldorfer Minipavillon wo man auch Altbier trinken konnte. War zwar auch ziemlich teuer, aber das war es mir wert ^^.

Um nochmal auf den Verkehr zu sprechen zu kommen. Auf den größeren Straßen hier gibt es Fahrrad- und Rollerstreifen die genauso breit wie eine Autospur sind und oft mit Betonabsperrungen vom Rest der Fahrbahn getrennt sind wie man sie aus Deutschland eher von Autobahnbaustellen kennt. Diese Absperrungen enden dann natürlich an Kreuzungen und Einfahrten, damit man auch abbiegen kann. Als ich letztens eine solche Kreuzung überquert habe, sah ich einen Kleintransporter, keine Ahnung aus welcher Richtung genau der kam, der einfach gegen die Fahrtrichtung in einen solchen Fahrrad- und Rollerweg hineingefahren ist um in eine ca 400 Meter entfernte Einfahrt einbiegen zu können, anstatt einen Umweg zu fahren. Dafür, dass die Roller meistens schnell unterwegs sind und es oft eng ist fand ich das ziemlich mutig.

Eine Sache, an die man sich auch gewöhnen muss, ist das Chinesen in der Öffentlichkeit gerne spucken. Man stelle sich einmal folgendes vor: Man geht durch einen wunderschönen Park am Teich vorbei, beobachtet vielleicht die Fische oder die Schildkröten, genießt die Sonne und ist eigentlich ganz entspannt. Dann jedoch hört man so in ungefähr 5 Metern Entfernung wie jemand auch noch den letzten Schleim aus der hinterletzten Ecke seiner Lunge hochwürgt und mit einem lauten Klatschen alles auf den Weg… befördert. Naja, aber da wird man sich schon dran gewöhnen können.

Meine Schule hat ja auch eine Partnerschule in Lippstadt, ein Berufskolleg, mit dem auch Schüleraustausche stattfinden. Ein Bereichsleiter dieses Berufskollegs ist im Moment mit seiner Familie im Urlaub in China und zu diesem Anlass waren wir, also die Deutschlehrerinnen und ich, mit ihm und seiner Familie essen. Eine Lehrerin und ich sind schon früher angekommen und als wir eintraten und uns eine überlebendsgroße Mao-Statue imWeg stand war ich ersteinmal verwundert. Den Mao-Kult von früher gibt es nämlich eigentlich nicht mehr so wirklich und manche seiner Statuen wurden sogar auch in aller Stille entfernt. Jedenfalls stellte sich schnell heraus, dass das Restaurant mit einer Art nostalgischer Ironie eingerichtet wurde. Überall hängen Propagandaposter aus der Zeit der Kulturrevolution, die Kellner tragen Arbeiterkleidung, die Musik war auch aus der Zeit und alle haben aus Blechbechern getrunken. Als wir uns dann gesetzt hatten erklärte mir die Lehrerin, dass sich die Einrichtungsgegenstände alle auf eine sehr schlimme Zeit beziehen. Ob viele Chinesen im Bezug auf die Kulturrevolution, in der Millionen dem Klassenkampfwahn zum Opfer gefallen sind, so denken habe ich sie dann gefragt und sie meinte ja, aber öffentlich redet eben keiner darüber…

So ein Realsozialismusrestaurant könnte man eigentlich auch mal in Deutschland eröffnen, das fände ich ziemlich lustig.

Schöne Grüße aus Shanghai, bis zum nächsten Mal  😀








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