Bei allen Gedanken, die ich mir über die Krim-Krise bisher machte, galt jeder achte Gedanke einer ganz anderen Region – dem Baltikum. Wie als könnten die Geschehnisse auf Krim im Besonderen auf Lettland überschwappen, konnte ich dem Bedürfnis eines regelmäßigen Kontrollblickes, ob alles noch bei alter Ordnung sei, nicht widerstehen. Und durchaus gibt es einige Parallelen zwischen der Ukraine und Lettland. In Lettland sind etwa ein Drittel der Bevölkerung Russen. In der zweitgrößten Stadt des Landes, Daugavpils, sind es sogar besonders viele. Und nicht selten kam mir zu Ohr, dass man sich in dieser Region wünscht, die russische Grenze würde sich um ein Stück versetzen lassen(Weiteres dazu siehe Link zu Artikel des telegraph.co.uk).
Ja, es gibt diese Parallelen, wie wahrscheinlich zu fast (mit Ausnahme von Nordkorea vielleicht) jedem anderen Staat diese Welt, in dem es Minderheiten gibt, auch. Und doch war Lettland das Land, in dem ich bewusst erfahren durfte, wie es aussieht, wenn ein Staat sich von einer Population primär zweier „Nationalitäten“ geteilt wird. Ich durfte erfahren, wie bereichernd die Coexistenz verschiedener ethischer Herkünfte ist, wie Frieden in einem Land aussieht, in dem Lettisch als einzige Amtssprache stets als Errungenschaft bewahrt wird, die eigentlich aus Liebe zur eigenen Sprache und nicht aus Hass zum Russischen entwachsen ist.
Ich habe wahrscheinlich genauso oft in kyrillischen Buchstaben der russischen Sprachen „Ich liebe Lettland“ gelesen, wie auf Lettisch, ebenso wie die Worte „Ich bin aus Lettland“. Und das Schöne ist, auch wenn es die Menschen manchmal nicht sehen, haben sie allein damit schon sehr sehr viel gemeinsam. Wie wohl in vielen ehemaligen Sowjet-Staaten wird auch in Lettland alles, was Russisch ist manchmal ein bisschen mehr abgelehnt, als man es vielleicht selbst will, allein schon weil überall dort, wo das Russische noch ist, einem stets noch aufgezeigt wird, wie das Sowjetische die eigene Sprache, die eigene Nationalität, die eigene Kultur geschafft hat zu verdrängen und es scheinbar noch immer schafft. Und doch habe ich in Lettland, trotz vieler Probleme, zum ersten Mal hautnah kennen lernen dürfen, dass Spaltung, die von Hass getrieben ist, im Grunde auf zwei Dingen beruht: der Wunsch auf ein gutes Leben und die Angst die eigene Sprache(+)->Kultur(+)->Identität zu verlieren. Dass die Menschen nämlich bei den Menschen, mit denen sie lachen, weinen und trinken können, nicht auf die Staatszugehörigkeit im Pass achten.
Daher wünsche ich mir, dass wir aufhören, davon zu reden, wie wir Grenzen verschieben können, wenn wir eigentlich zu allererst darüber reden sollten, warum diese Menschen leiden und fürchten und wie sie Perspektive sehen und ihre Kultur lieben können ohne dabei andere unterdrücken zu müssen!
Link zu einem Artikel über Daugavpils im Kontext der Krim-Krise: http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/europe/latvia/10700150/Latvian-bar-bans-patrons-from-ordering-in-Russian.html?fb