Ein weiteres Nachbarland

 

Schneller als erwartet bewege ich mich auf den litauischen Strassen. Als wir an den verlassenen Grenzhausern vorbei gefahren sind, habe ich mich mal wieder ein bisschen gefreut. Ich sitze im Ecoliner, mein zum Ersatz fuer die Deutsche Bahn gewordenes Verkehrsmittel. 4h braucht es von Riga nach Vilnius. Die litauische Landschaft zeigt sich, so wie ich sie mir vorgestellt habe, wobei ich mich ueber die eine oder andere Unebenheit in Form eines Huegels oder Flusstals freue. Ich sehe schon den vierten Storch. Der Erste stand auf einer Weide mit einer Kuh. Sehr agralastig sieht es aus und waehrend den zwei oder drei Stunden, die wir durch das Land fahren, kommen wir nur durch eine einzige Stadt. Wobei ich nicht ganz ausschliessen kann, dass ich eine weiter verschlafen habe. Dann kommt Vilnius, die litauische Hauptstadt. Und erstmal nur Platten, soweit das Auge reicht. Ganz so schlimm kenne ich es aus Riga nicht, aber ich bin trotzdem nicht wirklich ueberrascht, denn ich weiss dass sich hinter den Betongestalten nicht selten die schoensten Altstaedte verbergen.

 

 

Vom Busbahnhof schnell zum Hostel gefunden, muss ich realisieren, dass man im Hostel eher etwas verwirrt ueber mein Ankommen ist. Zum ersten Mal hat es sich gelohnt, dass ich mir eine Hostelbuchungsbestaetigung ausgedruckt habe und diese verhilft mir dann auch doch zu einem Bett, jedoch nicht in dem eigentlichen Hostel. Nach erst wenig Initiative mir eine Erklaerung zu geben, bekomme ich schliesslich doch eine. Das Hostel ist zu schlecht besucht und daher geschlossen. Das nette Maedchen fuehrt mich zu meinem neuen Hostel. Wir unterhalten uns ein bisschen. Als ich ihre Frage, ob ich alleine reise, mit ja bestaetige, sagt sie, dass ihr das viel zu viel Angst machen wuerde, aber dass sie mir viel Glueck wuenscht. Ich lache.

 

 

Ich lasse mich von dem etwas abschuessigen Weg in das Herz der Altstadt ziehen. Ich habe zunaechst das Gefuehl, sie bestaende nur aus Kirchen. Aber was fuer Kirchen! Der Weg durch die Innenstadt ist praechtig und viele kleine Gassen gehen von ihm ab, die einen Bogen schlagen, so dass sie nur vermuten lassen, was Zauberhaftes sie verbergen. Schon bald habe ich meinen urspruenglichen Plan aufgegeben und lasse mich von den Gaesschen verfuehren.

 

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Schliesslich erreiche ich jedoch noch eines meiner Ziele: Užupis – ein zu einer eigenen Republik ausgerufenes Kuenstlerviertel. Die Republik hat einen eigenen Praesidenten, eine eigene Flagge und eine eigene Verfassung. Laut wikipedia gab es auch mal eien 12-Mann starke Armee, die aber abgeschafft wurde, weil keiner vor der Republik Angst hatte. Die Verfassung laesst sich auf allen moeglichen Sprachen auf Tafeln nachlesen. Und das will ich euch nicht vorenthalten:

 

1.     Jeder Mensch hat das Recht, beim Fluss Vilnia zu leben, und der Fluss Vilnia hat das Recht, an jedem vorbei zu fließen.

 

2.     Jeder Mensch hat das Recht auf heißes Wasser, Heizung im Winter und ein gedecktes Dach.

 

3.     Jeder Mensch hat das Recht zu sterben, aber das ist keine Pflicht.

 

4.     Jeder Mensch hat das Recht, Fehler zu machen.

 

5.     Jeder Mensch hat das Recht, einzigartig zu sein.

 

6.     Jeder Mensch hat das Recht zu lieben.

 

7.     Jeder Mensch hat das Recht, nicht geliebt zu werden, aber nicht notwendigerweise.

 

8.     Jeder Mensch hat das Recht, gewöhnlich und unbekannt zu sein.

 

9.     Jeder Mensch hat das Recht, faul zu sein.

 

10.  Jeder Mensch hat das Recht, eine Katze zu lieben und für sie zu sorgen.

 

11.  Jeder Mensch hat das Recht, nach dem Hund zu schauen, bis einer von beiden stirbt.

 

12.  Ein Hund hat das Recht, ein Hund zu sein.

 

13.  Eine Katze ist nicht verpflichtet, ihren Besitzer zu lieben, aber muss in Notzeiten helfen.

 

14.  Manchmal hat jeder Mensch das Recht, seine Pflichten nicht zu kennen.

 

15.  Jeder Mensch hat das Recht auf Zweifel, aber das ist keine Pflicht.

 

16.  Jeder Mensch hat das Recht, glücklich zu sein.

 

17.  Jeder Mensch hat das Recht, unglücklich zu sein.

 

18.  Jeder Mensch hat das Recht, still zu sein.

 

19.  Jeder Mensch hat das Recht zu vertrauen.

 

20.  Niemand hat das Recht, Gewalt anzuwenden.

 

21.  Jeder Mensch hat das Recht, für seine Unbedeutsamkeit dankbar zu sein.

 

22.  Niemand hat das Recht, eine Ausgestaltung der Ewigkeit zu haben.

 

23.  Jeder Mensch hat das Recht zu verstehen.

 

24.  Jeder Mensch hat das Recht, nichts zu verstehen.

 

25.  Jeder Mensch hat das Recht zu jeder Nationalität.

 

26.  Jeder Mensch hat das Recht, seinen Geburtstag nicht zu feiern oder zu feiern.

 

27.  Jeder Mensch sollte seinen Namen kennen.

 

28.  Jeder Mensch kann teilen, was er besitzt.

 

29.  Niemand kann teilen, was er nicht besitzt.

 

30.  Jeder Mensch hat das Recht, Brüder, Schwestern und Eltern zu haben.

 

31.  Jeder Mensch kann unabhängig sein.

 

32.  Jeder Mensch ist für seine Freiheit verantwortlich.

 

33.  Jeder Mensch hat das Recht zu weinen.

 

34.  Jeder Mensch hat das Recht, missverstanden zu werden.

 

35.  Niemand hat das Recht, jemand anderem die Schuld zu geben.

 

36.  Jeder hat das Recht, individuell zu sein.

 

37.  Jeder Mensch hat das Recht, keine Rechte zu haben.

 

38.  Jeder Mensch hat das Recht, keine Angst zu haben.

 

39.  Lass dich nicht unterkriegen!

 

40.  Schlag nicht zurück!

 

41.  Gib nicht auf!

 

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Interessant: 1998 errechneten Forscher etwas noerdlich von Vilnius den geographische Mittelpunkt Europas. Und das nicht mal 50km von der weissrussischen Grenze entfernt. Wie stark unser West-Ost-Europa-Denken doch vom eisernen Vorhang gepraegt und verfaelscht wurde.