Nord-Ost ins Nachbarland

Die Osterferien haben angefangen und ich packe meinen Rucksack. Die Landesgrenze soll mal wieder überschritten werden und zwar nach Estland, genauer nach Tartu, der zweitgrößten Stadt Estlands, deutlich südlicher gelegen als die Hauptstadt Tallinn und seit 2 Wochen das neue Zuhause von Hanna, ebenfalls kulturweit-Freiwillige. Nach der Busfahrt durch die nächtliche lettische/estnische Waldlandschaft kommen Chrissi und ich um 11 Uhr nachts im nicht weniger kalten Estland an. Im Vergleich zu Riga sind die Straßen jedoch um einiges glatter. Auf den Fusswegen schlittert man über eine dicke Eisschicht, die hohes Gefahrenpotenzial birgt. Zum Glück wirft es mich die kommenden Tage wider Erwarten kein einziges Mal hin.

Nach einem entspannten Abend, wird am nächsten Morgen bei strahlenden Sonnenschein – mittlerweile ist man es schon gewöhnt :p – die kleine aber feine Innenstadt angeschaut. Tartu hat etwas über 100 000 Einwohner und davon ist etwa jeder 5. einE StudierendeR, daher ist die Stadt sehr studentisch geprägt. In den schmalen Kopfsteinpflaster-Gassen verstecken sich kleine Geschäfte, Lokalitäten und Unigebäude. Aber Tartu zeigt sich auch modern mit großen Einkaufszentren und markanten Hochhäusern. Wer aus Riga kommt, dem fällt vor allem auf: Es gibt Steigungen. Beim Laufen denke ich mir plötzlich, dass sich irgendetwas seltsam anfühlt. Schnell wird mir klar, wir laufen hoch; so fühlt es sich an, wenn nicht alles komplett flach ist. In Tartu gibt es sogar einen Domberg. Ich bin begeistert. Zudem erscheint das Stadtbild im Vergleich außergewöhnlich renoviert und hmm reicher. Das der Unterschied so offensichtlich ist, hätte  ich nicht gedacht. Dabei ist der estnische Durchschnittslohn allerdings auch etwa 35% höher als der lettische.

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Grüße aus dem Baltikum!

 

Am Nachmittag gehen wir auch noch in das KGB-Museum, welches in den ehemaligen KGB-Räumen selbst untergebracht ist. Hier wird auch über kommunistische Propaganda erzählt, über die estnische Widerstandsbewegung und vieles mehr. Auf einer Informationstafel werden auch die Bevölkerungsentwicklungen der drei baltischen Länder während des 2. Weltkrieges aufgezeigt. Lettland hat fast 30% der Gesamtbevölkerung verloren (Emigration, Deportation, tödliche Repression) und somit mehr als die beiden anderen Länder. Verstörend ist auch die mit russischen Befehlen und Schmerzenschreien von Häftlingen vertonte Installation in ehemaligen Zellen.

Im Cafe und Supermarkt höre ich schließlich noch etwas mehr von der estnischen Sprache, welche sehr eng mit dem Finnischen verwandt ist und sich ziemlich cool anhört. Massig Vokale und  schöne Buchstaben wie õ. Besonders fühlt es sich an, plötzlich wieder mit Euro zu bezahlen, obwohl ich mich ja noch weiter von Deutschland entfernt habe. Ich fühle mich, wie jemand, für den Euros fremd sind, brauche viel zu lange, um die richtigen Münzen zu finden, betrachte die glänzenden estnischen Versionen interessiert und versuche in Lat umzurechnen, um das fehlende Preisgefühl zu beheben.DSCN2300

Am Sonntag machen wir uns schließlich super warm eingepackt auf den Weg zum Peipussee. Fast 1,5h fahren wir zu dem fünft größten See Europas, welcher etwa sieben Mal so groß wie der Bodensee ist und auf dessen Mitte die estnisch-russische Grenze verläuft. Entlang des Ufers befinden sich vor allem altgläubige, russische Dörfer. Wir fahren bis nach Kallaste, um ausgehend von dem Dorf, entlang des roten Steilufers zu wandern. Wir haben uns einen ca 8km weiten Fußmarsch vorgenommen. Wir laufen nicht am Strand entlang, wir laufen auf der endlos erscheinenden weißen Weite des Peipussees. Er ist komplett zugefroren und von einer dicke Schneeschicht bedeckt. Wir können Autos entdecken, die über den See fahren und vereinzelte schwarze Punkte in der Ferne verraten uns Eisangler. Mit der Sonne im Gesicht picknicken wir auf dem See, mit dem Blick Richtung Russland. Man könnte rüber laufen (vorausgesetzt man hätte ein Visum).DSCN2310P1120362DSCN2331

Später setzen wir unseren Weg durch die kleinen (Fischer-)Dörfer fort. Die bunten Holzhäuser wecken skandinavische Gefühle. Ein Mensch begegnet uns, ansonsten Schnee und Schnee und viel kalte frische Luft. An unserem Zieldorf angekommen, besichtigen wir dort noch ein kleines Schloss, bevor wir mit einem Bus (der laut Fahrplan gar nicht fahren sollte) wieder nach Tartu zurückkehren.IMG_0075

Erst am Montag früh um halb 7 verlassen Chrissi und ich dann wieder die kleine süße Stadt von Hanna um nach Hause nach Riga zu fahren. Und hätte ich mich nicht wenige Momente lang gezwungen, die Augen auf zu behalten, um die lettisch-estnische Grenzen bewusst zu durchfahren, ich hätte es spätestens an den gewaltigen Straßenunebenheiten gemerkt, die uns auf lettischem Staatsgebiet wieder gebührend hin und her schleudern.

P.S. Die estnische Flagge gehört zu den wenigen Flaggen, die sich super als Naturbild darstellen lassen. Leider war der Himmel an den besten Stellen eher weiß als blau, daher ist mein Resultat (siehe oben) nicht ganz wie gewünscht.

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