Bin ich hier willkommen?

 

 

Gestern wurde ich auf einen Artikel der Washington Post aufmerksam gemacht, der zum Thema macht, wo auf der Welt Ausländer sich am willkommensten fühlen. Zwischen dem blauen Estland und dem hellroten Litauen befindet sich ein tiefroter Fleck, wo laut Grafik ausländische Besucher nicht sehr willkommen sind und auf welchem ich übrigens gerade lebe. Wie ist es also als Ausländer auf rotem Gebiet? Man sagt, die Letten hätte eine sehr nordische Mentalität, distanziert, verschlossen, aber dafür nicht oberflächig und besonders gute Freunde, wenn man sich ihr Vertrauen erarbeitet hat. Daraus resultierend lächeln sie wenig, aber wenn, dann ist es allerdings auch ein aufrichtiges, aus dem Herzen kommendes Lächeln. Ich würde diese Mentalitätsbeschreibung nicht vorbehaltslos unterschreiben, denn was „man sagt“ wird meistens den unheimlich vielen unterschiedlichen Individuen nicht gerecht, jedoch ist dieser Eindruck in diesem Fall wohl ein Ansatz einer Erklärung für das Ergebnis. Allerdings hebt sich Lettland von den anderen nordischen (skandinavischen) Ländern ab, stattdessen wirkt es wie ein Anschluss an das unfreundliche(?) Russland. Also das Ergebnis einer (ehemaligen) politischen Ideologie? Aber warum dann das schon fast blaue Belarus? Auch der Artikel findet keine ultimative Antwort. Viel wichtiger ist vielleicht die Frage, ob ich dem zustimmen würde, ob ich es so wahrnehme. Neulich scherzte ich mit einem Amerikaner, dass man in den rigaschen Bussen die Menschen kaum anschauen kann, weil sonst depressive Wellen überschwappen. Und wir haben darüber gelacht – ich, der Amerikaner und die Dritte in der Runde, eine Lettin. Vielleicht würde ich nicht widersprechen, dass Lettland ein Land ist, in dem man sich als ausländischer Besucher auf den ersten Blick nicht besonders willkommen fühlt, vielleicht kann man das so wahrnehmen, vielleicht nehmen vieles es so wahr, aber um dem Ganzen ein bisschen plump zu begegnen (auch weil in meinem Kopf alles zu verwischt und komplex ist, um dem differenzierter etwas entgegen setzen zu können): Trotz allem an keinem Ort wär ich soeben lieber. 😉

Original Artikel: http://www.washingtonpost.com/blogs/worldviews/wp/2013/03/21/a-fascinating-map-of-countries-color-coded-by-their-openness-to-foreigners/?Post+generic=%3Ftid%3Dsm_twitter_washingtonpost

welcome

Nord-Ost ins Nachbarland

Die Osterferien haben angefangen und ich packe meinen Rucksack. Die Landesgrenze soll mal wieder überschritten werden und zwar nach Estland, genauer nach Tartu, der zweitgrößten Stadt Estlands, deutlich südlicher gelegen als die Hauptstadt Tallinn und seit 2 Wochen das neue Zuhause von Hanna, ebenfalls kulturweit-Freiwillige. Nach der Busfahrt durch die nächtliche lettische/estnische Waldlandschaft kommen Chrissi und ich um 11 Uhr nachts im nicht weniger kalten Estland an. Im Vergleich zu Riga sind die Straßen jedoch um einiges glatter. Auf den Fusswegen schlittert man über eine dicke Eisschicht, die hohes Gefahrenpotenzial birgt. Zum Glück wirft es mich die kommenden Tage wider Erwarten kein einziges Mal hin.

Nach einem entspannten Abend, wird am nächsten Morgen bei strahlenden Sonnenschein – mittlerweile ist man es schon gewöhnt :p – die kleine aber feine Innenstadt angeschaut. Tartu hat etwas über 100 000 Einwohner und davon ist etwa jeder 5. einE StudierendeR, daher ist die Stadt sehr studentisch geprägt. In den schmalen Kopfsteinpflaster-Gassen verstecken sich kleine Geschäfte, Lokalitäten und Unigebäude. Aber Tartu zeigt sich auch modern mit großen Einkaufszentren und markanten Hochhäusern. Wer aus Riga kommt, dem fällt vor allem auf: Es gibt Steigungen. Beim Laufen denke ich mir plötzlich, dass sich irgendetwas seltsam anfühlt. Schnell wird mir klar, wir laufen hoch; so fühlt es sich an, wenn nicht alles komplett flach ist. In Tartu gibt es sogar einen Domberg. Ich bin begeistert. Zudem erscheint das Stadtbild im Vergleich außergewöhnlich renoviert und hmm reicher. Das der Unterschied so offensichtlich ist, hätte  ich nicht gedacht. Dabei ist der estnische Durchschnittslohn allerdings auch etwa 35% höher als der lettische.

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Grüße aus dem Baltikum!

 

Am Nachmittag gehen wir auch noch in das KGB-Museum, welches in den ehemaligen KGB-Räumen selbst untergebracht ist. Hier wird auch über kommunistische Propaganda erzählt, über die estnische Widerstandsbewegung und vieles mehr. Auf einer Informationstafel werden auch die Bevölkerungsentwicklungen der drei baltischen Länder während des 2. Weltkrieges aufgezeigt. Lettland hat fast 30% der Gesamtbevölkerung verloren (Emigration, Deportation, tödliche Repression) und somit mehr als die beiden anderen Länder. Verstörend ist auch die mit russischen Befehlen und Schmerzenschreien von Häftlingen vertonte Installation in ehemaligen Zellen.

Im Cafe und Supermarkt höre ich schließlich noch etwas mehr von der estnischen Sprache, welche sehr eng mit dem Finnischen verwandt ist und sich ziemlich cool anhört. Massig Vokale und  schöne Buchstaben wie õ. Besonders fühlt es sich an, plötzlich wieder mit Euro zu bezahlen, obwohl ich mich ja noch weiter von Deutschland entfernt habe. Ich fühle mich, wie jemand, für den Euros fremd sind, brauche viel zu lange, um die richtigen Münzen zu finden, betrachte die glänzenden estnischen Versionen interessiert und versuche in Lat umzurechnen, um das fehlende Preisgefühl zu beheben.DSCN2300

Am Sonntag machen wir uns schließlich super warm eingepackt auf den Weg zum Peipussee. Fast 1,5h fahren wir zu dem fünft größten See Europas, welcher etwa sieben Mal so groß wie der Bodensee ist und auf dessen Mitte die estnisch-russische Grenze verläuft. Entlang des Ufers befinden sich vor allem altgläubige, russische Dörfer. Wir fahren bis nach Kallaste, um ausgehend von dem Dorf, entlang des roten Steilufers zu wandern. Wir haben uns einen ca 8km weiten Fußmarsch vorgenommen. Wir laufen nicht am Strand entlang, wir laufen auf der endlos erscheinenden weißen Weite des Peipussees. Er ist komplett zugefroren und von einer dicke Schneeschicht bedeckt. Wir können Autos entdecken, die über den See fahren und vereinzelte schwarze Punkte in der Ferne verraten uns Eisangler. Mit der Sonne im Gesicht picknicken wir auf dem See, mit dem Blick Richtung Russland. Man könnte rüber laufen (vorausgesetzt man hätte ein Visum).DSCN2310P1120362DSCN2331

Später setzen wir unseren Weg durch die kleinen (Fischer-)Dörfer fort. Die bunten Holzhäuser wecken skandinavische Gefühle. Ein Mensch begegnet uns, ansonsten Schnee und Schnee und viel kalte frische Luft. An unserem Zieldorf angekommen, besichtigen wir dort noch ein kleines Schloss, bevor wir mit einem Bus (der laut Fahrplan gar nicht fahren sollte) wieder nach Tartu zurückkehren.IMG_0075

Erst am Montag früh um halb 7 verlassen Chrissi und ich dann wieder die kleine süße Stadt von Hanna um nach Hause nach Riga zu fahren. Und hätte ich mich nicht wenige Momente lang gezwungen, die Augen auf zu behalten, um die lettisch-estnische Grenzen bewusst zu durchfahren, ich hätte es spätestens an den gewaltigen Straßenunebenheiten gemerkt, die uns auf lettischem Staatsgebiet wieder gebührend hin und her schleudern.

P.S. Die estnische Flagge gehört zu den wenigen Flaggen, die sich super als Naturbild darstellen lassen. Leider war der Himmel an den besten Stellen eher weiß als blau, daher ist mein Resultat (siehe oben) nicht ganz wie gewünscht.

Zur Deutscholympiade in die Moskauer Vorstadt

Seit Freitagnacht beglückt mich eine kontinuierlich anhaltende dezente Müdigkeit. Aber warum, weil sich das Leben gerade wieder besonders intensiv erfahren lässt. Nach einem nicht zu unterschätzenden Wochenende, haben wir gestern, Montagabend, dann in der WG noch den 25. einer meiner Mitbewohnerinnen gefeiert. Als ich dann heute Morgen wider Erwarten aus dem Bett gekommen war, fuhr ich mit dem Bus zur Staatsoper, um dort in die Tram umzusteigen, mit der ich tief in die Moskauer Vorstadt hineinfahren sollte. Heute würde ich den ganzen Tag in der Bewertungskommission für die Deutscholympiade sitzen.

Ich traf meine Deutschlehrerkollegin von meiner Schule an der Haltestelle, um mit ihr gemeinsam zu dem Schulgebäude zu laufen, in der die Olympiade stattfinden sollte. Als wir aus der Ferne das Gebäude bereits sahen, erzählte sie mir, dass es dem übliche Format entspreche und somit identisch aussehe wie ein ganzer Haufen anderer Schulen in Lettland und ehemaligen Sowjetunion-Staaten. Dass nicht alle, aber sehr viele Schulen (meine Jugla Schule mit eingeschlossen) exakt gleich aussehen, war mir auch schon des öfteren aufgefallen. Dann erzählte sie mir von der  Komödie „Ирония судьбы или С лёгким паром!“ (deutsch: „Ironie des Schicksals oder Herzlichen Glückwunsch zur Banja!“), die an Silvester gezeigt wird und Kultstatus genießt. In dieser feiern vier Männer Silvester in einer Moskauer Banja. Nachdem sie reichliche Bier und Wodka getrunken haben, fahren die Männer später zum Flughafen, weil einer von ihnen am selben Tag noch nach ‚Leningrad‘ fliegen soll. Weil sie aber zu betrunken sind, um sich zu erinnern, wer von ihnen fliegen sollte, schicken sie den Betrunkensten in das Flugzeug. Als dieser in ‚Leningrad‘ erwacht, denkt er, er sei noch immer in Moskau. Er nimmt ein Taxi, um nach Hause zu fahren. Weder Straßennamen noch Stadtbild unterscheiden sich von dem in Moskau, so bemerkt er nicht, dass er in einer fremden Stadt ist. Schließlich kommt er zu seiner vermeintliche Wohnung – sein Schlüssel passt – und auch dort sind Möbel und Einrichtung so wie er es von seinem Zuhause gewohnt ist. Allein als die eigentliche Bewohnerin auftaucht, klärt sich die Verwechslung auf. Die Komödie ist eine Parodie auf die Uniformität von Bauten und Straßennamen in der ehemaligen Sowjetunion.

Gerade hab ich den Film schon auf youtube entdeckt und werde mir ihn gleich (zumindest teilweise, weil auf Russisch!) anschauen.

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Schließlich waren wir um kurz vor 9Uhr pünktlich mit Deutschlehrerinnen von anderen Schulen versammelt um einige letzte Instruktionen zu erhalten. Meine Kollegin und ich stellten eine von fünf Stationen dar. Unsere war „Einkaufen und Lieblingsessen“. Irgendwie ging alles ein bisschen schleppend und erst nach ca einer Stunde Warten kam dann der erste Schüler zu uns. Nach einem 3-minütigen Monolog, ließen wir uns noch ca 2 Minuten Fragen beantworten und dann folgte noch ein Verkaufsgespräch zwischen uns, als Verkäuferinnen, und dem/der Schüler(in), der/die Produkte für einen Wanderausflug kaufen sollte. Nach jedem/r Schüler(in) gaben wir nach verschiedenen Kriterien für unterschiedliche Bereiche Punkte von 0 bis 4.

Das Ganze war super interessant. Noch gar nicht zu lange ist es her, dass ich in der SchülerInnenposition gesteckt habe und heute war es umgekehrt. Nicht selten habe ich mir gedacht, dass ich mir als Schülerin in solchen Situationen oft um für die Prüfer irrelevante Dinge viel zu viele Gedanken gemacht hatte. Bemerkenswert waren auch die Unterschiede zwischen den Jugendlichen deren Muttersprache Lettisch oder eben Russisch war. An den Füllwörtern, dem Dialekt und aber auch am Redeverhalten konnte man die Muttersprache schnell heraushören. Alles in allem richtig spannende Erfahrung! Wobei es auch mega anstrengend war. Nach ca 2h und somit etwa der Hälfte der 20 zu Prüfenden waren wir heilfroh, als wir 10min Pause machen konnten, denn wir beide waren kurz vor dem Verhungern (wir hatten nebenbei bemerkt ununterbrochen übers Essen geredet) und meine geforderte Stimme verlangte akut nach Flüssigkeit. Weiter ging es und mal stellten wir die selbe Frage zum x-ten Mal, mal entwickelten wir neue Fragen, immer in der Hoffnung den/die Schüler(in) nicht zu überfordern.

Als wir schließlich die letzte Schülerin bewertet hatten, waren wir beide ziemlich erschöpft, aber zufrieden. Im Anschluss an den Arbeitstag gönnte ich mir noch einen Spaziergang in der Sonne entlang der zugefrorenen Daugava.IMG01961-20130319-1420IMG01962-20130319-1421