30 – Lass liegen

Seit die Österreicher da sind hat sich meine Situation als Freiwillige drastisch verbessert! Einfach alle Deutschen Lehrkräfte, denen ich regelmäßig helfe sind ständig auf Trip im Umland und zwischendurch vollkommen erschöpft und überarbeitet. Hier komme ich ins Spiel! Immer noch nicht auf den Geschmack der vielen Freizeit gekommen, immer noch auf der Suche nach einer sinnstiftenden Aufgabe und einem erfüllten Arbeitsalltag. Keine vollwertige Deutschlehrerin mehr übrig um die Kleinen zum Geländespiel der Deutsch-Schulen am Kindertag, 1. Juni, im Botanischen Garten zu begleiten? Kein Problem, ich machs!

Es wurde sonnig und heiß, sehr heiß an diesem Tag. Die langjährigen Deutschlerner*innen waren mit dem Chor auf Wettbewerb, ich bekam eine Handvoll, mir vollkommen fremder, Kinder und wenig gemeinsame Sprachbasis.

Wir schafften es im Taxi einigermaßen pünktlich bis zum Startpunkt. Kurze Einweisung der Begleiter, es wird eine Karte des Botanischen Gartens ausgeteilt. Gruppennamen werden verteilt: „Die Löwen“, „Die Füchse“, „Die Drachen“… .

Was sind wir? – „Die Hasen“. Ich beteuere „Die Hasen“ ist ein wunderbarer Name! Ich sammle meine Kinder, versuche mich verzweifelt an alle Namen zu erinnern, sie sind alle sehr lebhaft, ich halte eine kurze Ansprache:

„Bleibt zusammen! Es wird nicht vorneweg gerannt! Keiner so weit, dass er mich nicht mehr sehen kann! Gut, jetzt schaut Euch die Karte an, welchen Weg wollen wir gehen?“ – Mich unterbricht das Start Signal, die Kinder aller Gruppen rennen wie von der Tarantel gestochen durcheinander und auf und davon. Ich hinterher, meine Ansprache von vorhin lauter und bestimmter wiederholend, dazwischen alle Namen, plötzlich fallen sie mir wieder ein!

1. Station ist gefunden, nur sind da jetzt halt alle anderen Gruppen auch und wir gefühlt die Vorletzten in der Schlange. Ich komme auf die geniale Idee uns an die Spitze zu setzten, alle anderen Aufgaben als Erste zu lösen und dann zum Schluss die 1. zu erledigen… die Kinder sind einverstanden, wir trennen uns von der brüllenden Meute.

Tja, mich mit einer minimalistisch, handgezeichneten Karte in einem unbekannten Naturstück auszusetzten und gleichzeitig Kinder in verschiedenen Laufthempi und Hunger/Durst- Zeiten vom ins Gebüsch kriechen abzuhalten – weil da sind Schlangen, haben die Lehrer gesagt!- Ist keine gute Idee…

Sagen wir, ich war noch nie so weit und tief drinnen im Botanischen Garten, ich musste alle meine Motivations Skills anwenden, aber als wir endlich wieder aus den Tiefen des Waldes auftauchen und auf Kurs sind geben sie ganz schlaue Antworten.

„Nennt zwei immergrüne Pflanzen!“ – Diese Kinder sind Deutschanfänger wie erkläre ich „immergrün“?? Eigentlich darf ich gar nicht helfen… ich summe leise „Oh Tannenbaum“. – Aber eine Zweite?! Plötzlich ruft die Eine: „Kaktus!!“. Wir kriegen volle Punktzahl.

Wir sind zeitlich die Letzten, die am Ziel eintreffen, es gibt ein paar Tränen und riesige Erleichterung, als wir bei der Preisvergabe nicht als Letzte sondern Drittletzte gekürt werden! Das war bestimmt die Kaktus-Idee…

Ansonsten darf ich in der Schule meine Mentorin vertreten. Die 8. Klasse schreibt brav eine Doppelstunde lang einen Test. In der 11. Klasse erscheinen nur zwei Schüler, „gestern war Geburtstag von Salome…“ – Aha!

Als ich am Freitag wieder in die 11. aufbreche, finde ich ein komplett leeres Klassenzimmer, im Lehrerzimmer wird mir erläutert sie kämen nur noch für Mathe weil da die letzte Prüfung noch aussteht.

Dann muss ich halt doch auch mit der 9. Klasse und ihren Österreichern durch Georgien gondeln. Es geht zum Kloster Schiogwime mit wunderschönem handgemalten Sternenhimmel an der Decke und einer kleinen Kostprobe des polyphonen Kirchgesanges und zur Festung Ananouri, die man* immer auf dem Weg von oder nach Tbilissi sieht.

Während des Ausfluges bin ich stolz wie Bolle, wenn ich mit dem Übersetzten helfen kann und verstehe was meine Georgischen Schüler*innen sagen, auch wenn ich sie immer wieder ermahne Deutsch zu üben und die Gäste nicht aus zuschließen…

Eine begleitende Mutter fragt, ob ich den zu uns, also den Georgischen Schüler*innen gehöre. Ich bin natürlich geschmeichelt und kann ihr auf Georgisch erklären, dass es nicht so ganz stimmt, aber fast natürlich!

Beim Abendessen sitze ich zwischen den Schüler*innen, eine 9. Klässerin unterhält sich enthusiastisch auf Georgisch, quatscht mich an und bezieht mich auf Georgisch in das Gespräch mit ein. Erst als ich ebenfalls auf Georgisch antworte stutzt sie „Oooh, ich dachte du gehörst schon zu unseren Schülern“. Also da bin ich jetzt in meiner Ehre als halbe Lehrerin schon ein bisschen gekränkt aber habe plötzlich überhaupt keine Lust mehr zurück nach Deutschland zu fahren. Warum bin ich nicht 4 Jahre jünger und tatsächlich keine halbe Lehrerin sonder Schülerin, mit meinen Eltern her gezogen und darf einfach noch hierbleiben?

Zum Zwischenseminar waren wir nochmals daraufhin gewiesen worden, wie wichtig es ist, dass jede*r ein Freiwilligenprojekt auf die Beine stellt. Ich hatte mich schon geärgert, weil ich an meiner Einsatzstelle genug damit beschäftigt war Tag für Tag Raum für Beschäftigung für mich zu schaffen, wofür ich meist wenig Spielraum hatte und alles eng zusammen mit dem normalen von den Lehrerinnen geplanten Unterricht lief. Aber jetzt so kurz vor Schluss beschloss meine Mentorin doch noch mir ein solchen Projekt aufzudrücken.

Mit der 8. Klasse waren wir beim Durcharbeiten des Deutschbuchs auf das Thema „Mülltrennung“ gestoßen. Unser Projekt sollte den anderen Schüler*innen näherbringen, wie Mülltrennung in Deutschland funktioniert. Ich sollte es ganz alleine anleiten dürfen, mit den Schüler*innen der 8. Klasse, aber möglichst außerhalb des Unterrichts.

Wir trafen uns zu einem ersten Brainstorming und ich war überrascht, wie motiviert sie waren. Ihre Idee war, jede Klasse mit drei Kartons zu versorgen, mit der Aufschrift „Papier“, „Plastik“ und „Restmüll“ und kleinen erklärenden Bildchen, was hinein gehört. Dann würden wir eine Projektwoche veranstalten während der getrennt würde. Beginnend mit einer Infoveranstaltung und endend mit einem kleinen Fest, bei dem wir unsere Ergebnisse vorstellen wollten. Natürlich war die Durchführung etwas komplizierter und meine Mentorin griff mehrmals ein, um uns zu mehr Disziplin und Qualität an zuhalten, aber das Projekt konnte stattfinden, zum Soundtrack von „Lass liegen“ von Alligatoah… Wir erreichten sogar einen Besuch, bei einem Georgischen Unternehmen, dass in Georgien getrennten Müll entgegennimmt und recyclt.

Was ist noch passiert? Ich habe herausgefunden, dass das neue Kino in der Tbilissi Gallery nicht nur kein süßes Popcorn anbietet, sondern auch keine Nacho-Chips… ganz solo mit Han in Solo.

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