21 – „Maronenstände rauchen, Straßenkatzen fauchen“

Die Empfehlung von kulturweit: „Guckt Euch im ersten halben Jahr erst mal alles an, ohne Euch z.B. an freiheitlichen Werten überlegen zu fühlen und das Gastland als ‚halt noch nicht so weit‘ einzustufen.“ hat sich nach fast 8 Monaten erübrigt. Trotzdem habe ich immer wieder Erlebnisse, die mir vor Augen halten, wie brüchig und ungenügend meine Weltvorstellung ist. Zu Equality, Gender, #metoo Debatte sagen grade ganz viele schlaue Leute viele schlaue Sachen und man manche kriegen Angst sich zu äußern, weil die eigene Ausdrucksform vielleicht nicht politisch korrekt genug ist.
Aber es ist eben ein Thema, was ausnahmslos jede*n angeht, weil es so fundamental um unser Leben und unsere Welt geht. Jeder macht Erfahrungen damit und ich denke dass wir alle die Lösung noch finden müssen. Das geht nur im try-and-error Prozess, man sollte äußern, was einen bewegt, immer in der Gewissheit, dass man sich in einem Prozess befindet und die eigene Meinung und das Verhalten sich ändern und weiterentwickeln wird.

Ein großer Punkt im März war unsere 5tägige Reise nach Baku, Aserbaidschan, in den Frühlingsferien. Es begann damit, dass meine Mitbewohnerin und ich in unserer Küche saßen und erst mal googelten, was in den Reiseempfehlungen des Auswärtigen Amts zur Reise als Frau und alleine stand: ‚Es muss kein Kopftuch getragen werden, vor allem in der Hauptstadt, mit den vielen Touristinnen, muss man* sich im Kleidungsstil nicht einschränken.‘ und was mir im Hinterkopf blieb war der Hinweis, sich möglichst nicht allein in der Stadt zu bewegen, was nicht (wie wir zu erst vermuteten) nur auf Nachts bezogen war. Ein Stockwerk über uns, hatte sich ein Freund zufälliger Weise, unabhängig von uns, schon längst ein Flugticket für sich alleine gekauft.

Aber gleich die nächste Seite, die wir aufriefen waren ein paar Reiseblogs, wir quatschten mit Schüler*innen und Lehrerinnen, begannen uns wahnsinnig zu freuen, kauften Flugtickets und beantragten das Online-Visum. Dann kam ein Telefonat mit meinen besorgten Eltern -das erste der Kinder so weit weg im Ausland, macht sie vermutlich alle wuschig, aber ich registrierte von jemandem* in der feministischen Frauen-und Mädchenarbeit den Satz: „Pass gefälligst auf, vielleicht haben wir dich falsch erzogen, sieh es ein in unserer Gesellschaft bist Du einfach nur ein Mädchen“.

Wir flogen nach Baku, die kleine Airline war wider Erwarten super bequem, mit fancy Käsesandwichs und viel Beinfreiheit. Wir gingen gleich ans Kaspische Meer, das eigentlich ein großer See ist, freuten uns über die Salzluft und die Möwen.

 

Es war teilweise ziemlich windig und kalt. Wir können aber auch Sonnenanbeterinnen-Fotos vorzeigen, vor allem in der Sonne geschlafen haben wir irgendwie ständig, Seeluft + zu viel Kultur macht müde! Das Stadtbild, vor allem im Touribereich, den wir gesehen haben, war mehr Großstadt als Tbilissi und, vermutlich wegen des Ölvorkommens im Land, reicher. Europäischer, aber da gehen die Meinungen auseinander, und hatte mehr an Orienttouch, als Georgien. Teehäuser, Hammams, Maronen-stände rauchen, Straßenkatzen fauchen… Bosse-Ohrwurm im Ohr.

Mein Höhepunkt war die Entdeckung, dass eine Abbildung meines Kunstbuchs fürs Kolloquium im Abitur, hier frei herumsteht. Das Heydar-Aliyev-Center von der konstruktivistischen Architektin Zaha Hadid. Ich war noch nie in einem so beeindruckenden Gebäude, es war einfach riesig. Wie eine eigene Welt mit riesengroßen Dimensionen, die zusammenspielen und alle genau aufeinander abgestimmt sind. Ich kann so groß noch nicht mal denken! Wie kann ein einzelner Mensch etwas so großes, funktionierendes erschaffen? Es wird als Museum genutzt, mit mehreren unabhängigen Ausstellungen.

Wir haben Freunde in Baku, die uns abends mit ins „Le Chateau“ nahmen, eine kleine Musik-Bar, mit underground-alternativ-flair. Eine schöne Atmosphäre und „good vibes“ wie man so schön sagt. Ganz viele tolle Menschen. Meine Lieblingsfotografin zum Beispiel. Sie arbeitet für das Magazin Chai Khana das unabhängigen Journalismus, Anti-Diskriminierung und Toleranz im Kaukasus stärkt. Ich kanns nur empfehlen! https://chai-khana.org/en

Mit ein paar anderen Leuten fanden wir uns dann noch umgeben von Musik und Dichterei in einem halbfertigen Theater wieder…

Der Ausflug zur Attraktion „mudvolcano“ (Schlammvulkan), ging über einen Bekannten unserer Freunde, dessen frisches Reisebüro uns als allererste Gäste zählen konnte…

Wir fahren mit 3 Autos los und kommen mit 2 zurück, 2 Plastiktüten pro Nase als Schuhschutz verabschieden sich nach 2 Sekunden.  Wir lassen uns von nichts aufhalten, saubergemacht wird sich am Bewässerungssystem der nächsten Grünanlage und dann rein in die nächsten zwei Museen.
Aufwärmen kann man sich am „Brennenden Berg“, der angeblich durch nichts gelöscht werden kann.


Und wessen Augen noch nicht zugefallen sind, kann die Höhlenmalerei in Gobustan bestaunen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zum 8. März, dem „Frauentag“ wimmelte es in der Stadt von roten Rosen und überdimensionierten Teddybären.
Sehr zu empfehlen ist das aserbaidschanische Frühstück mit Brot, schwarzem Tee, Butter, gekochten Eiern, irgendeiner Sahne-Quark-Creme, Käse, Honig und schwarzen Oliven.
So viel Zeit blieb dann gar nicht mehr, aber in den Frauentrakt der Heydar-Aliyev-Moschee durften wir noch hereinspähen. Von einem Teppichkauf haben wir schließlich doch abgelassen…

 

 

 

 

 

 

Ich hatte zu keiner Zeit Angst allein herum zu laufen, nicht anders als in Tbilissi oder Berlin. Durch unsere Bekannten hatten wir das Glück einen Einblick in das vielfältige, offene und bunte Baku zu bekommen. Rollenbilder, klassische Dinge, die Frauen machen und klassische Dinge, die Männer machen, sind mir hier mehr aufgefallen, als ich es von Zuhause kenne. Was ich irgendwann sehr irritierend fand, war, dass man* immer wieder auf die Schönheit der Mädels zurückkam. Ich habe noch nie in meinem Leben so viele Komplimente bekommen. Mitten im Alltag und von den unterschiedlichsten Menschen. Logisch war ich geschmeichelt, und es ist definitiv irgendwie süß und baut das Selbstvertrauen auf und meine dezente Skepsis könnte an der kalten Deutschennatur liegen. Der Geduldsfaden riss mir nach dem Rückflug nach Tbilissi; neben einem Heini, den ich mir durch keinen abwimmelnden Kommentar und nur irgendwann mit demonstrativem Ohrstöpsel-aufziehen vom Ohr halten konnte; am Schalter der Passkontrolle. Erschöpft und übernächtigt befolgte ich was die Bürokratie am Grenzübergang so von einem will und stand zu Letzt vorm Beamten der Passkontrolle, der meinen Reisepass durchblättert, beim Foto hängen bleibt, mich ansieht, das Foto vergleicht und anerkennend meint: „nice face“. Ich hoffe eine Antwort hat er nicht erwartet und als er sich endlich bequemte mir den blöden Pass wieder aus zu händigen und auch noch hinten aus seinem Häuschen raus und in meine Richtung kam, hab ich schnell geguckt, dass ich Richtung Kofferband verschwinde. Keine Ahnung was in Georgien auf Beamtenbeleidigung steht aber ich wollte es nicht riskieren.

Ja, ich hab das beim Taxifahrer, Polizisten, Barmann, Bekannten von Freunden noch locker genommen und mich gefreut. Aber wer möchte denn eigentlich bei jeder Begegnung auf Äußerlichkeiten reduziert werden? Ich bilde mir ein es gibt noch ein paar andere interessante Dinge über mich. Außerdem ist es in manchen Situationen einfach unangemessen, eine Überschreitung von Grenzen des Respekts. Vor allem wenn sich die andere Person in einer Situation befindet, über die sie keine Kontrolle hat, wie zum Beispiel eine Passkontrolle. Anders als an der Bar, kann ich keine wütende Bemerkung machen, weggehen oder mich zu Freunden umdrehen. Dazu kommt, dass ich als Frau nicht als jemand* gesehen werden möchte, der*ie ständig Bestätigung bezüglich ihres Aussehens braucht.
Wir hatten mal eine Lehrerin, die die Emanzipationsbewegung im 20. Jahrhundert so zusammenfasste: ‚Ein schrecklicher Verfall der guten Sitte, die Frauen haben den Männern, wenn diese ihnen zum Beispiel die Autotür aufhalten wollten, sie einfach vor der Nase zugeschlagen! Und jetzt steht keiner mehr für mich auf im Bus.‘

Es regt mich nicht diese kleine Begegnung mit dem Grenzbeamten so auf, sondern was das alles irgendwie impliziert. Vor dem Hintergrund, was mir meine Eltern vor unserer Abreise gesagt haben, möchte ich diese Vorzüge nicht haben. Es muss niemand für mich aufstehen oder mir Blumen schenken, die Tür aufhalten, bei den mudvolcanos ohne meine Mithilfe das Auto aus dem Schlamm ziehen und Komplimente machen, es würde reichen, wenn ich unkompliziert wie mein kulturweit-Mitfreiwilliger meine Flugkarte kaufen dürfte. Vielleicht reagiere ich hier über aber ich habe das Gefühl einer gekippten Wippe und die obere Seite ist nicht die meine.