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Langzeitstudie Verkehr. Platz 1: Der Fahrrad-Flow.

Vor ein paar Tagen waren mein Rennrad und ich nach langer Zeit erstmals wieder vereint unterwegs auf dem Weg zum Bäcker. Brötchen holen. Der aufmerksame Leser errät es zwischen den Zeilen. Ich komme langsam wieder in Deutschland an. Und muss an meine zweirädrigen Verkehrsversuche in Pune denken. (Und nur weil ich nicht mehr in Indien bin, muss dieser Block ja nicht lahm gelegt werden.) Hier eine, zugegebenermaßen extrem personalisierte, Mini-„Studie“…

Pune. Öffentliche Verkehrsmittel stehen hier in Klammern. IMG_0358Zu unschlagbaren Preisen rattern zwar einige Busse durch die Stadt. Die Routen und Stopps sind allerdings äußerst schwer durchschaubar. Alles läuft über unbekannte Wartezeiten und langes Nachfragen, um in letzter Minute in die Tür eines überfüllten Busses springen zu können. Keine Option für einen halbwegs reibungslosen Alltag. Das gängige Fortbewegungsmittel für Jung und Alt: Die Auto-Rikscha, Tucktuck oder wie IMG_3736auch immer man das Drei-Rad-Gefährt nennen mag. Im Tigerenten-Look stehen sie hier an jeder Ecke oder sammeln dich hupend direkt vom Straßenrand ein. Eine durchrüttelnde Fahrt gibt es normalerweise zu einem fairen Preis „by meter“. Abgesehen davon, dass jeder Meter-und-Wartezeiten-Zähler ein bisschen anders läuft und mit Eintritt der Dunkelheit direkt doppelt und dreifach abgerechnet wird, fällt man hier seiner Hauptfarbe oft zum Opfer. Mit beteuerndem Hindi und einer Prise Humor lassen sich Diskussionen meistens zum Guten hin wenden. Ab und zu bin ich aber auch einfach nach Hause gelaufen. Einerseits um dreisten Forderungen die kalte Schulter zu zeigen, andererseits um trotz extremer Diskriminierung des fußläufigen Volkes die Umgebung mal zu Fuß zu erkundigen. Es steht und fällt eben alles mit dem Fahrer. IMG_2513Der kann einem morgens ein Strahlen ins Gesicht zaubern oder direkt den Tag vermiesen. Manche Fahrer individualisieren ihr Vehikel mit besonderen Accessoires wie einer Riesenhupe oder statten es gar mit einem whole audio system samt Bildschirm aus, der dem Fahrgast die Trailer der neusten Bollywoodfilme unterbreitet. Ich wünschte, ich hätte meine unzähligen (Irr-)Fahrten, Begegnungen, IMG_2160(Streit-)Gespräche und Entdeckungen in einem Notizbüchlein mit kurzen Fahrersteckbriefen festgehalten… So spannend, wohltuend oder Nerv tötend das Zwischenmenschliche an diesem Transportmittel am Ende ist, so sehr genieße ich im Gegenzug die Unabhängigkeit, die mir ein Roller oder ein Fahrrad verschafft. Natürlich musste man sich erstmal an den Linksverkehr, den unübersichtlichen Verkehrsstrom, die Fahrzeugmassen und die Abstinenz von Verkehrsregeln oder -zeichen gewöhnen. Das habe ich mir am Anfang alles in Ruhe aus der Rikscha und dem Bus angeguckt. Nach ein paar Wochen saß ich auf meinem ausgeliehenen Roller und konnte mein Glück kaum fassen, als ich einfach in den Strom eintauchen und mich in gefühlter oder gehupter Absprache mit meinen Mitfahrern mitreißen lassen konnte. IMG_2587Roller fahren im Monsun klappt nur mit noch mehr naivem Vertrauen in diesen unbändigen Verkehrsfluss und nicht zuletzt mit einer riesigen Portion Selbstbewusstsein über die eigenen Fahrkünste… Und damit kommen wir zu dem Sieger meiner (halbjährigen) Langzeitstudie: dem Fahrrad. Voran kommt man wegen der überfüllten Straßen fast genauso schnell wie mit dem Roller. IMG_2589Schlaglöcher, von Wasser überflutete oder von Fahrzeugen verstopfte Straßenabschnitte lassen sich sogar leichter umgehen. Vor allem aber macht es einfach Spaß und man braucht keinen Sprit. Wenigstens trägt man nicht auch noch zu der kolossalen Luftverschmutzung bei… Man muss zwar eine krasse Außenseiterrolle in Kauf nehmen, die mit einer erheblichen Öffentlichkeitswirkung einhergeht. (Wie kann man bei voller Geschwindigkeit auf einer vollen Straße jemanden davon abhalten Fotos oder Videos von einem zu machen?) Dafür fährt einen niemand so schnell um. Man wird zumindest nicht übersehen. Zudem werden ratlos-verblüffte Blicke und spontan-begeisterte Zurufe immer wieder von dem Versuch gekrönt, IMG_2590meinen freihändigen Fahrstil zu imitieren (auf dem Roller!?!), und versüßen mir somit die Fahrt mit Lachanfällen. Das mit Abstand beste Erlebnis hatte ich allerdings, als ein Student im Institut freudestrahlend auf mich zugekommen ist, um mir zu berichten, dass er jetzt auch ein Fahrrad hat und damit zum Unterricht kommt. So landet für mich – mit dem Selbstverständnis einer Umweltkampagne in Kleinformat sowie der freien, ganz selbstbestimmten Fortbewegung – das Fahrrad auf Platz 1.
(Special thanks go to Alpesh!!!)

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Abschiedsanekdoten

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Last selfie.. Mit einem Koffer, der immer noch zu klein für all den Abschiedsschmerz und die Wiedersehensfreude ist.

Vier Stunden Zwischenstopp in Delhi. Zeit, eine kleine Koffergeschichte von einem großen Abschied zu erzählen. Ich bin im März mit einem 10 Kilo leichten Rucksack in Indien gelandet. Eben dieser dient mir heute als Handgepäck. Ein großer Koffer musste her für die Rückreise. Der wurde auf dem Roller zwischen meiner Freundin und mir in den Schwitzkasten genommen, um Zuhause selbst die Rolle des Schwitz-kastens zu übernehmen. Heute morgen machte das satte 32 Kilo auf der Waage. Ja, ich habe versucht halb Indien mitzunehmen. Wenn der Platz schon nicht für all den Abschiedsschmerz ausreicht, dann wenigstens für ein paar Trostpflaster. Aber so einfach funktioniert diese Logik am Schalter der Airline natürlich nicht. Könnte man meinen. 100$, Mam. Grrr.. Kofferdeckel aufschlagen. Was kann weg? Was ist zu schwer? Meine Hindi-Bücher? Die Kerzenhalter? Das Rosenwasser? Die kleinen Chaigläser? Vielleicht muss doch das große gerahmte Bild des Colleges, in dem ich mein Projekt durchgeführt habe, dran glauben.. Als es gerade noch wild in mir arbeitet, bemerke ich, wie mich die ganzen Mitarbeiter am Schalter – die anderen Passagiere schon alle vorbeigezogen – gerührt angucken. Sie begutachten den aussortierten Stapel.. Learning Hindi? Oooh, nice books! You like India? Ein paar erklärende Worte auf Hindi von meiner Seite und mir wird ein entwaffnendes Strahlen entgegen gebracht. You can take. Take everything with you, Mam. Sie schauen mir vergnügt dabei zu, wie ich alles Stück für Stück wieder einpacke und lassen mich meine zusätzlichen Kilos schließlich umsonst mitnehmen. Das ist für mich Indien. नमस्ते मेरा नाम अनना है

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Raksha Bandhan. Geschwisterzeit.

Ich lasse die Tatsache mal außer Acht, dass mir nur noch 6 Tage bleiben und berichte ganz alltäglich von dem nächsten großen Feiertag, der Indien Ende August bevorsteht: Raksha Bandhan. Hauptsächlich feiert man den Tag als Fest der geschwisterlichen Verbindung. Dem Ritual nach knüpfen Frauen und Mädchen ihrem Bruder (oder Cousin) ein gesegnetes Band, ein Rakhi, um das Handgelenk. Mit rakhi-raksha-bandhandiesem meist Band drückt sie schwesterliche Liebe sowie ihren Segen aus. Sie tupft ihm dabei einen Segenspunkt auf die Stirn und schwenkt segnend ein Öllicht vor ihm. Er überreicht ihr im Gegenzug ein kleines Geschenk und verspricht ihr seinen Beistand im Leben. Ist der Bruder fern, etwa in einer anderen Stadt, erhält er sein Rakhi mit Segenswünschen per Post.

Praktischerweise hat mich gerade in den letzten zwei Wochen besucht. Also keine Flaschenpost notwendig. Wir sind zusammen über den Markt (Tulshi Baug) geschlendert und konnten überall die wunderschönen, schlichtbandhan bis bunt glitzernden Baumwoll- und Seidenbänder bestaunen. Der aufmerksame Leser wird einwenden: Nun, an der Sache gibt es doch aber einen Haken! Sie ist ja nicht dein Bruder… Wohl war. Es lässt sich darüber schreiten, ob man solche Bänder einfach trotzdem unter Schwestern (nicht nur in Ermangelung eines Bruders) schenken kann. Und tatsächlich haben wir an einem der Stände einen kleinen Tumult ausgelöst. Eben diese Diskussion hat stattgefunden: Wie frei darf ich das alte Ritual aus dem Hinduismus auslegen? Geht es primär um den geschwsterlichen Zusammenhalt, der zelebriert und gestärkt werden soll? Oder dient es vor allem der Aufrechterhaltung der Geschlechterrollen? Ganz gleich ob jünger oder älter, mein Bruder ist mein Beschützer. Dafür segne und ehre ich ihn.

IMG_2524Hmm.. Dieses Prinzip fände ich unter Geschwistern, wenn es gegenseitig und genderunabhängig gelten würde, umso schöner. Schließlich haben die Leute um uns herum unsere „Verbandung“ (als Nicht-Hindus) toleriert, sich über unser Interesse gefreut oder sich einfach über unser Unwissen amüsiert. Als Lara sich das Band um ihr Fußgelenk binden wollte, war aber wirklich Schluss mit lustig.

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Projekt: Landeskundewochen. Und: Independence Day!

„Oh no, I’m not a teacher.“ Das betone ich im Zusammenhang mit meiner Arbeit im Goethe Institut immer wieder. Und trotzdem bin ich am Ende in ziemlich vielen Schulen gelandet. Nicht als Lehrerin. Und auch nicht als Botschafterin für Deutschland. Ich habe über meinen Alltag gesprochen: Wie ich zur Schule gegangen bin und studiert habe, was ich wann, wie und mit wem meistens so esse und trinke, was es im Jahr zu feiern und zu bedenken gibt und wann man frei hat von Arbeit/ Studium/ Schule. Später wurden daraus Philosophie-Vorlesungen an den drei größten Senior Colleges, aber das ist ein anderes Thema. Jetzt geht es um meine „Landeskundewochen“ in Punes High Schools und Junior Colleges. In denen, die Deutschunterricht anbieten und zu dem PASCH-Netzwerk gehören.Sender_Anna-Lena_Landeskundewoche_Collage1Mit vielen Fotos, Vokabeln und Anekdoten im Gepäck verlasse ich das Institut also für ein paar Tage. Meine Erfahrungen, die ich als Neuling in Pune gemacht habe, sollen mir dabei helfen, von meinem vorherigen Alltag in Europa zu sprechen. Dann heißt es Stimme ölen und Beamer an. In gut 40 angespannt-aufgeregte Gesichter schauen und erstmal die Stimmung lockern. Landeskunde ist für eine Studentin trans- und postnationaler Denkansätze nicht gerade das Gelbe vom Ei. Aber Schwarz-Weiß-Denken hat auch noch keinem weitergeholfen. Unter den sperrigen Begriff der Landeskundewoche fällt somit für mich die Chance, Klischees aufzubrechen, Befürchtungen und Unverständnis genauso wie übermäßiger Bewunderung entgegenzuwirken. Und bei allen guten Vorsätzen hat mich die Wechselseitigkeit und Vermischung von Erklärungen und Beschreibungen „indischer“ und „deutscher“ Dinge am Ende doch vom Hocker gehauen. Für all die Aha-Momente und Lachanfälle ist hier nicht genug Platz. Den möchte ich hier einer weiteren Autorin für den Blogbeitrag widmen. In der ehemaligen Schule meiner Arbeitskollegin und Freundin sind mir eine Handvoll Dinge aufgefallen, die mich ziemlich verdutzt haben. Ich habe sie danach gefragt und wenige Tage später folgenden Text bekommen. Außerdem sehr passend: Morgen ist Independence Day!


“India is my country. All Indians are my brothers and sisters”

The clanging rhythmic sound of a gothic bell marks the commencement of a typical school day in India, and all the students line up in their uniforms just like tweedledum and tweedeldee on the school playground for a school assembly, which is a bigger deal in Indian schools, probably bigger than changing of guards at the Buckingham palace in London! Now we don’t just line up, there is a system to it, we line up class wise, grade wise, gender wise and just so that the taller students feel an inch taller, height wise, back to back with a one hand distance. So after repetitive desperate announcements by the supervisor over the microphone to make order, the assembly finally commences with a formal “good morning students, stand up straight for the national anthem”. After a patriotic start up, comes the school’s attempt to invoke ideals of fraternity amongst its pupils, so we repeat after the school prefect, who stands proud on the dais, the pledge “India is my country, all Indians are my brothers and sisters”, thus envisaging the future of a peaceful utopia!
After listening to important announcements and applauding the achievements of our kith and kin, the assembly is dismissed and we troop back to our classrooms, again class wise, grade wise, gender wise and height wise. If you are having a rough day, or if your arch enemy happens to be one of the “health monitors”, then there is a fair chance that you might be pulled out of the line for not having polished shoes or for having long, unclean nails, loose socks or a chic haircut, but on the plus side, if you have made friends with the health monitor, then you might get away with the latest trendiest nail polish or a short pinafore showing off your bare knees.
The classrooms in a typical Indian school, given the net population of the country, are basically crowded. We have on an average about 55 students in a class. If you walk in as a guest to an Indian school classroom, don’t be astonished if all the students sprang up from their benches and recite in a sing song voice “Good morning sir/teacher and namaste”. The classrooms mostly have wooden/ metal benches for two, which are personalized by carvings of the most interesting drawings, name initials and sometimes the most difficult formulas to save one from failing in a geometry test! In school, the carvings on the benches are innocent; a little village amidst mountains, the drawings get raunchy on college/university benches, showcasing whole different kinds of mountains!
If you are in a co-ed (co-education) school in India, you share the bench with a partner of the same sex. It is mostly two boys then two girls, and if the school has less trust in its pupils, then it is alternating rows of girls and boys. In an Indian school, you are not allowed to choose your bench partner, it is chosen for you, by the class teacher. The idea being, you make new friends, but now when I think of it, it is strategic, just so that you talk less and the class remains quiet, thus sparing the teacher from shouting on top of her voice!
So basically the school toils to make its students a bunch of obedient, ambitious and virtuous citizens of the nation, but that is also the main purpose of a “school”, although every country has its own way of doing oder wie die Deutschen es so schön sagen würden: ,,Jeder macht sein eigenes Ding.’’

– von Etisha Botre

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Monsun is coming.

IMG_2048Das sage ich nun seit Ende Mai unter meinen Kollegen, meinen Freunden nah und fern, nicht zuletzt mir selbst. Es gab schon ein paar Regentage, viel Nieselregen, einzelne Regengüsse, ab und zu regnet es auch mal „cats and dogs“. Aber der große, andauernde und viel heraufbeschworene Regen blieb bis jetzt aus. Das Wetter ist einfach angenehm. Und so gut mir das milde, leicht windige Klima in Pune momentan gefällt, so sehr mag ich doch auch das Wort बारिश (Barisch) für Regen. Und die Atmosphäre, die er hier auslöst.

IMG_2228An dem ersten Regentag wurde mein Handy mit Nachrichten überflutet. “Wollen wir spazieren gehen? Chai? Wir können zum Sinhagad Fort in der Nähe von Pune fahren!“ Hä, es regnet doch.. Doch so langsam steckt die Monsunfreude an und ich erwische mich dabei, wie ich immer öfter in ein verträumtes „Oh, Barisch häi..“ verfalle. Ganz unbedacht der Tatsache, dass der Heimweg auf dem Fahrrad dabei im Nu zu einer Raftingtour wird.

IMG_2086Und nach dem Yoga hat es mich heute, gemäß der klassischen Monsungenüsse, an den Maiskolbenstand gezogen. Mit kurzer Andeutung auf den einsetzenden Regenschauer fange ich ein nickendes Schmunzeln von meinem Stamm-Kokusnussverkäufer nebenan auf. Während der frisch geschälte Maiskolben in den Kohlen langsam schwarz wird und anschließend mit Chili-Masala und Limetten eingerieben wird, (ohne Masala läuft gar nichts) werden meine neusten Hindi- und Marati-Kenntnisse abgefragt und diskutiert.
मैंने बहत घाट का पागी पिया है

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Pune im Ausnahmezustand. Oder: Palkhi.

Dieses Wort hat diese Woche die Runde gemacht. Es wurde an jeder Ecke warnend-beteuernd hervorgebracht. Geh bloß nicht vor die Tür. Oder: Nimm die Kamera mit! Am Ende wurde im Institut beschlossen, einen „casual day“ off zu nehmen. Das hat ja sonst keinen Sinn… Palkhi?

Palkhi am Mulha River

Palkhi. Ein Ritual, das in 1000-jähriger Tradition Maharashtras (dem Bundesstaat Indiens, in dem ich lebe) steht und von den Warkaris während der Hindu-Monate Ashadh (Juni-Juli) und Karthik (November-Dezember) ausgeübt wird. Dabei ziehen die Dindis (einzelne Gruppen der Warkaris) kollektiv singend und tanzend (zwei Schritte vor, einen zurück!) zu der heiligen Stadt Pandharpur. In dieser Woche finden sich die Dindis aus allen Himmelsrichtungen Maharashtras in Pune ein.

„Jul 09 2015 : The Times of India (Pune) – Traffic police announce diversions on palkhi routes for 4 days“ – Pune steht still und ist lauter denn je.

Zurück zum „casual day“ im Institut. Die Entscheidung fiel natürlich auf Kamera. Also raus vor die Tür – alles wie immer -, die Straße runter zur Kreuzung und „Hey!“ zum nächsten Rikshaw-Fahrer. Er sieht mich mit großen Augen und wirft einen beunruhigten Blick auf die Uhr. Mein Ziel: ans andere Ende der Stadt. Während ich mich in meinem Viertel (Kalyani Nagar) ganz sicher wähnte, biegen wir schon in die erste Seitenstraße der riesigen Nagar Road ab und eiern im Zickzack durch enge Gassen eines mir zuvor völlig unbekannten Viertels. Einen riesigen Umweg später landen wir an der Brücke, zu der ich üblicherweise mit dem Fahrrad nicht mal zehn Minuten brauche. Und hier erhasche ich erste Palkhi-Bilder. Palki

Der Umzug beginnt – direkt vor meiner Haustür. Es ist bunt, es ist laut, es ist voll. Und irgendwie amüsieren wir uns, die üblichen Verkehrsteilnehmer, angesichts der Ausweglosigkeit unseres Vor- habens. Fotografieren gestaltet sich schwierig. Zu sehen sind meistens nur andere Autotüren oder bestimmt gestikulierende Polizisten. Alle paar 100 Meter tauschen die Roller- fahrerInnen den neusten Klatsch über die nächste Kreuzung aus, in welche Richtung man am besten abbiegen sollte. Nach knapp zwei Stunden verlassen wir das Ameisennest und ich komme in der idyllischen Society meiner Hindi-Lehrerin an. Den Rückweg aus dieser Oase mit bestem indischen Essen, vielen neuen Vokabeln, Imperativ-Formen und Schmusekatzen habe ich bis jetzt noch nicht verarbeitet. Mein Handy hat auf dem Weg seinen Geist aufgegeben und ich konnte mich – spät abends nicht mal auf halber Strecke nach Hause – bei einer Freundin retten. Gastfreundschaft ist ein Segen. Vor allem wenn Ausnahmezustände die Regel sind.

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Sonnengrüße aus dem Land des Yogs

„Practice Yoga: It works on the body, mind, emotions and energy. Live life to its full potential. Ministry of AYUSH, Govt. of India.“
Diese kleine Nachricht hat mich am Donnerstag auf meinem Handy erreicht. Aha. So viel zum Thema Datenschutz. Themawechsel: Heute ist International Yoga Day!

Wer mich kennt, weiß, dass ich dafür keine Erinnerungs-sms brauche. Und mir fällt auf, dass es Zeit ist, meinen hiesigen Yoga-Erfahrungen einen kleinen Blog-Beitrag zu widmen. Mein Studio ist in der Nachbarschaft und bietet „Total Yoga“ an. Das heißt Atmung vom feinsten (Pranayama), Sonnengrüße bis zum -untergang, je nach Wochentag Hatha, Vinyasa oder Power Yoga und stets ein happy end mit Meditation. Meine Yogalehrerin leitet die einzelnen Übungen (Asanas) auf Sanskrit an, beschreibt und erklärt aber alles weitere auf Englisch. Perfekte Kombination für mich als Möchtegern-Yogi.

Indien, die Yoga-Nation? Jein. Yoga ist omnipräsent in den Medien. Pranayam (Man lässt das -a bei den Sanskritwörtern eigentlich weg, so auch Yog.) und Surya Namaskar (Sonnen-Gruß) sind allseits bekannt. In den meisten Schulen ist Yoga auch fester Bestandteil des Sportunterrichts. Ich bin aber keineswegs von Yogawütigen Freunden und Kollegen umgeben. Mit der Soll-Ist-Differenz hat wohl jede(r) mal zu schaffen, oder? Dazu kommt das mehr als reichhaltige indische Essen, das in seiner Vielfalt und Gewürzintensität den Bauch schnell (über-)füllt und den Körper lahm legt, wenn man verpasst, das Maß zu wahren. Aber das ist ein anderes Thema..

Ich höre oft überraschte Bewunderung, wenn es um das große Interesse und vor allem die hohe Praxisbereitschaft von Menschen geht, die nicht in Indien mit Yoga groß geworden sind. Ich stoße aber auch auf verhaltene Reaktionen, was den immensen Ansturm auf die großen Yoga- und Meditationszentren (in Pune) angeht. Die Herren Osho und Iyengar sind nun mal weltweite Berühmtheiten.
Eine Yoga-Gruppe im kleineren Stil zu finden, war für mich am Anfang gar nicht so leicht. Oft findet Yoga eher im privaten Rahmen, alleine vor dem Fernseher oder mit Freunden im Park statt.

Nachdem Modi heute morgen mit über 40000 Menschen in Delhi vor dem Gate of India, getreu der sms, Yoga gemacht hat (und damit den Guinness World Rekord bricht), gibt es den ganzen Tag lang  Angebote, eine Stunde Yoga mitzumachen oder sich (mit vollem Magen) eine Doku über Yoga anzuschauen.
Happy International Yoga Day!

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Dil dhadakne do. Ein Lebenszeichen.

Nein, ich bin nicht unter einer Motorhaube gelandet. Und auch sonst unter keinen Haube, Omi. Ich lebe. Und jetzt nach langer Zeit auch wieder in Pune.

Der letzte Blogeintrag liegt gefühlt noch weiter zurück, als es der Kalender vorgibt. Und das hat den ein oder anderen grandiosen Grund. Der Mai kam mit vielen Besuchen und Reisen in Indien um die Ecke. Der Juni mit dem Zwischenseminar in Malaysia. Eindrücke dazu unter Streifzüge.

Jetzt zum aktuellen Lebenszeichen. (Kitschige Übersetzung: Lass das Herz schlagen!)

Wiederankunft in Pune. Herrliches Wetter. Auf einmal kommt mir die rasend schnell wachsende Großstadt klein und gemütlich vor. Nach einem Abstecher in meinem Lieblingsfrühstückscafé (Vohuman) hat mich zum ersten Mal ein Rikshaw-Fahrer aufgesammelt, der noch nie von meinem Wohnviertel gehört hatte. Blöd gelaufen? Nein, Stadtbesichtigung mal andersrum. Im Gegenzug wurde mein Hindi wieder aufgefrischt. Begleitet von dem Gefühl, irgendwie nach Hause zu kommen.

Erster Arbeitstag. Alles und überall war gestern. Nun nennt sich mein Einsatz vor allem PASCH. Für die PArtnerSCHulen bastel ich jetzt in ständigem Austausch mit meiner Kollegin, die sich neben mir nebenbei auf ihre Doktorarbeit in Germanistik vorbereitet, an einer Landeskundewoche. Die Homepage bekommt einen redaktionellen Feinschliff. Das Institut hat mittlerweile eine neue Leitung und ich bin gespannt, wie sich die Arbeit weiterhin gestaltet.

Fête de la Musique. In einer Woche gerät Pune in musikalisch-multilinguale Extase. Dafür wurde das ganze Wochenende schon fleißig geprobt. Überraschendes Highlight: Die Lehrer des Instituts sind große GRIPS- und besonders Linie 1- Fans. Vulgäre Sprache, Nostalgie und jede Menge Spaß stehen auf dem (Kultur-)programm. Euphorisiert von den Proben und dem gestrigen Bollywoodfilm (Dil dhadakne do) knüpfe ich mir für das Event noch ein Lied in Hindi vor.

Drahtesel. Für den Neustart in Pune wollte ich nochmal ein neues Verkehrsmittel ausprobieren. Klingel statt Hupe. Zumindest ein kleines Zeichen gegen die gigantische Umweltverschmutzung und Lärmbelästigung auf den hiesigen Straßen. Bis jetzt hat es ganz gut geklappt. Diese ungewöhnliche Art der Fortbewegung scheint zumindest mehr Aufmerksamkeit zu erregen als die „Clean Pune. Green Pune“ – Schilder. Mit dem Gefährt fühlt man sich im Verkehr zwar etwas nackt und verletztlich, aber auch frei und beweglich. Mal sehen, wie es weitergeht. Monsun is coming…

 

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Horn OK Please

Einen guten Monat nach meiner Ankunft habe ich heute meine Visa Registration erfolgreich abschließen können. Ein Wahnsinns Prozedere, aber auch eine gute Schule: Lass dich auf die Palme bringen (du kannst es nicht vermeiden), aber genieße wenigstens die Aussicht, wenn du oben bist.

FerrariApropos Aussicht. Ab heute sehe ich rot! Und das heißt in dieser Stadt keineswegs anhalten, sondern drauf los düsen, so gut es geht. (Anmerkung meiner Kollegin: „Das sind nur die Rule-breakers!“ Sie hat recht, ich übertreibe.) Nachdem ich mich jetzt ein paar Wochen mit allen Sinnen auf diesen irren Mehr-oder-Weniger-Linksverkehr (selbst die Mädels aus Mumbai haben großen Respekt vor den hiesigen Verhältnissen) eingestellt habe, konnte der selbstständige Sprung in die unbändigen Fluten endlich gewagt werden. Mit einem unterwegs aufgegabelten Bund Bananen bin ich auch wieder zufrieden aufgetaucht. So irre es von außen aussieht, man ist in ständigem Kontakt mit Mitfahrerinnen und Mitfahrern und diese Nähe gibt einem wiederum viel Sicherheit.

Horn OK PleaseÄhnliches ergab sich für mich in den Behörden. Ich musste irgendwie durchschauen, wie dieses Gefüge von Beamten mit feinstdifferenzierter Aufgaben- und Rangordnung funktioniert. Das kann am Ende bedeuten: Der Mann am Schalter sagt ausdruckslos, „Kommen sie morgen wieder.“ und du gehst an ihm vorbei zu seinem Chef und beschwerst dich. Horn OK Please. Wenn du an der Kreuzung darauf wartest, dass man dich bei grün durchlässt, würde man dich wahrscheinlich am liebsten von der Straße fegen. Peil dein Ziel gewissenhaft an und schlengel dich dahin durch. Wenn dir dabei ein Tempo (= kleiner Laster) im Weg ist, wirst du auf in bunter Schrift auf der Ladeklappe freundlich dazu aufgefordert, doch bitte zu hupen. Völlig ok.

MulhaAm Ende wird man dann mit kräftigem Gegenwind und smokgetrübter Sonne auf der Agakahn Bridge über dem sommerlich versumpften und von Kühen gesäumten Mulha River belohnt. Und mit einer feinen Signatur auf den Visa-Unterlagen.
Witz meiner Kollegin zum Thema Ampelverkehr am Rande: „Also grün, gelb, rot! wird schon des öfteren mal mit ready, steady, go! verwechselt…“

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ankommen

Mein Magen-Darm-Trakt hat gestern Abend seinen Stahl-Status aufgegeben. Nachdem ich heute meine erste Hindi-Stunde nehmen durfte und angefangen habe, die Facebook-Seite des Instituts etwas zu renovieren, bin ich mittags doch schon wieder zurück (nach Hause) gefahren.
Zuhause wird gerade zu einem spannenden Begriff. Mein Zimmer ist ein absoluter Rückzugsort, an dem ich mich sortieren und wieder auftanken kann. Noch hadere ich damit, es zuhause zu nennen. Aber das Hadern fängt wohl genau dann an, wenn der Prozess des Ankommes losgeht.

Gestern bin ich nach einem absolut eindrucksvollen Wochenende in Mumbai, einem kurzen Arbeitstag mit anschließendem Polizeibesuch (die für die Visumsregistrierung nötigen Behördengänge sind wirklich kein Spaß) einmal quer durch die ganze Stadt gefahren. Wie so häufig mit sämtlichen Verkehrsmitteln: Motoroller, Bus und Riksha. Eine gute Stunde, um Pune an mir vorbeiziehen zu lassen.

Dabei beobachte ich, wie einfache, postiv-negativ-dichotome Einschätzungen unter den Tisch fallen. Wie bewerte ich meine Eindrücke? Wie fühle ich mich überhaupt gerade?
Und ich bin ich auf den Trichter gekommen, dass ich jetzt wohl seid gut zwei Wochen unter (Kultur-)Schock stehe.
Der Verkehr flasht mich total. Ich habe noch nichts vergleichbares erlebt und kann nicht anders, als diesem mal besser mal schlechter funktionieredem Abfluss meine volle Aufmerksamkeit zu schenken. Gleichzeitig wird mein Augenmerk knallhart von dem Geschehen am Straßenrand umgekämpft. All die Menschen und Tiere (ja, mittlerweile auch Kühe), klein-zusammengesbastelten bis gigantisch-verglasten Läden, die schattenspendenden Bäume und staubigen Müllhaufen fesseln mein Interesse (eingehüllt in eine ekelerregende Abgaswolke, ab und zu dominiert von einem Geruch nach Kot oder süßem Rauch aus den Tempeln) und fordern meinen Verstand immer wieder aufs neue heraus. Meinem Bedürfnis nach Einordnung wird von keiner Seite nachgegeben. Und solange diese ganzen Eindrücke tagtäglich auf mich einprasseln, gebe ich mich dieser Sinnflut erst einmal ergeben hin und versuche peu à peu anzukommen.

Dabei hilft mein Zimmer, der Kontakt zu Mitmenschen in Nähe und Ferne, mein neuer Yogakurs, eine frische Kokusnuss oder einfach mal eine Portion Schlaf.

 

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