Frühlingsferien Teil 2 (Yunnan)
Die Zugfahrt nach Yunnan war kürzer als die nach Sichuan und auch deutlich angenehmer. Wir hatten einen Sitzplatz, reichlich Verpflegung und Gesellschaft. Julia fand das Reisen im Zug ohne Bett gar nicht so schlimm, während Annika die Belastung deutlich schlechter zu verkraften schien. Als wir am nächsten Morgen ankamen, war sie sehr müde und fühlte sich nicht gut. Wir gingen zunächst zum Hostel, checkten ein und beschlossen dann einen alten Teil der Stadt zu erkunden. Dem aufmerksamen Leser dürfte aufgefallen sein, dass ich nicht wie üblich einen Berg an wenig aussagekräftigen Fotos in beschissener Bildqualität hochgeladen habe. Das liegt nun nicht daran, dass ich meine Liebe zur Fotografie verloren hätte sondern viel eher daran, dass meine Kamera in einem öffentlichen Bus gestohlen wurde. Allzu vorsichtig war ich damit nie umgegangen (meistens hatte ich sie einfach in der Jackentasche und die Schnur hing raus), daher ist das wohl absehbar gewesen… Das ist natürlich ärgerlich, aber ich hatte eigentlich eh vorgehabt, mir hier eine neue Kamera zu kaufen, und dass die Bilder weg waren, war auch nicht so schlimm, da Julia und Annika schließlich auch zahlreiche Fotos geschossen hatten. Zunächst war es sehr ungewohnt, sich einfach nur umzuschauen und keine Fotos mehr machen zu können. Man hatte sich schließlich daran gewöhnt fleißig zu knipsen, um den Daheimgebliebenen einen Eindruck zu verschaffen. Nach einer Weile gefiel es mir aber ganz gut, mir nicht ständig darüber Gedanken machen zu müssen, ob ich auch alles fotografiert habe. Die anderen waren ja auch noch da.
Kunming ist eine sehr angenehme Stadt. Alles ist etwas ruhiger als in Shanghai und das Wetter war vor allem im Vergleich zum eisigen Jiuzhaigou eine Wohltat. Wir besuchten die üblichen Sehenswürdigkeiten (Tempel, Pagoden, Tempel, Parks, Tempel, etc…) Außerdem machten wir einen Tagesausflug in den nahegelegenen Steinwald, wo man durch eine Landschaft aus bizarren Gesteinsformen wandern kann. Leider ist der Eintritt unverschämt hoch. Hiroki besuchte zu diesem Zeitpunkt einen Freund in der nähe der Stadt. Nachdem wir in Kunming alles gesehen hatten wollten wir weiter zu den Reisterrassen von Yuanyang im Süden der Provinz. Hiroki war immer noch nicht aufgetaucht und schuldete mir zu diesem Zeitpunkt fast 300 Yuan. Er tauchte dann aber endlich auf und gab mir mein Geld zurück. Er entschloss sich spontan wieder mitzukommen, obwohl er im Gegensatz zu uns noch kein Ticket für den Bus hatte. Natürlich bekam er auch keins mehr und musste letztlich einen anderen Bus nehmen. Wir stiegen also in unseren Schlafbus, der in den frühen Morgenstunden ankommen sollte. Die Betten waren sehr eng und auch nicht besonders lang, aber es ließ sich erstaunlich gut schlafen.
Wir kamen mitten in der Nacht an und wurden auch gleich wie vorher vereinbart von jemandem abgeholt und zu unserer Unterkunft gebracht. Den Sonnenaufgang verpassten wir, da es bereits zu spät war. Viel hätten wir allerdings eh nicht gesehen, da ein undurchdringlicher Nebel über dem ganzen Gebiet lag. Wir taten uns mit einem amerikanischen Pärchen zusammen, um Geld für den Fahrer, den wir gemietet hatten, zu sparen. Da sich wettertechnisch keine Verbesserung abzeichnete, beschlossen wir zunächst in ein kleines Dorf in der Nähe zu fahren und dort ein verfrühtes Mittagessen zu uns zu nehmen.
In Yunnan gibt es zwar viele Gerichte, die sich auch in Sichuan oft finden lassen, trotzdem unterscheidet sich die Küche der beiden Provinzen etwas. In Yunnan isst man bei weitem nicht so scharf wie in Sichuan. Vor allem die Reisnudeln aus der Region sind in anderen Teilen des Landes berühmt. Die sogenannten „Über-die-Brücke-Nudeln“ (过桥米线, guoqiao mixian) werden quasi in Einzelteilen serviert. Man bekommt eine Suppenbasis in einer Schüssel und muss die restlichen noch rohen Zutaten dann alle selbst hineinwerfen. Sogar die Nudeln werden extra serviert. Je nachdem wie viel Geld man investieren möchte, kann man zusätzlich noch zahlreiche andere Zutaten beigeben. Es gibt verschiedene Legenden über die Herkunft des Nudelgerichts. Eine besagt, dass es auf die Geschichte einer Frau zurückgeht, die ihrem Ehemann täglich sein Essen auf die andere Seite des Flusses brachte. Um ihm die Möglichkeit zu geben, zu essen, was er möchte ohne ständig fragen zu müssen. Begann sie irgendwann ihm die Zutaten einzeln und roh zu bringen. Natürlich gibt es in Yunnan etliche Orte die für sich beanspruchen, die Brücke aus der Geschichte befände sich genau dort. Das ist nur eine Herkunftsgeschichte und ich bin mir nicht mal sicher, ob ich mich richtig erinnere. Bei Interesse also bitte zunächst Google konsultieren!
Nachdem wir also etwas gegessen hatten, versuchten wir unser Glück an einer anderen Stelle. Im Laufe des Tages klarte das Wetter glücklicherweise stark auf und wir konnten endlich sehen, wofür wir gekommen waren. Hiroki war inzwischen auch wieder aufgetaucht und so konnten wir den Tag doch noch alle gemeinsam genießen. Die Reisterrassen wurden angelegt um den Bauern der Region den Anbau von Reis in hügligem Terrain zu ermöglichen. Die geschwungenen Begrenzungen der Felder und das spiegelnde Wasser ergeben einen einzigartigen malerischen Anblick. Leider habe ich davon keine Fotos, aber wer will kann bei Google einfach mal Yuanyang eingeben um einen Eindruck zu bekommen. Im Sommer sind die Terrassen bestimmt noch schöner, und falls ich irgendwann noch einmal die Möglichkeit haben sollte, würde ich auch jeden Fall zurück kommen (das Gleiche gilt auch für Jiuzhaigou).
Am nächsten Tag wanderten wir auch noch zwischen den Feldern und schlichen uns so in ein Dorf, für das man eigentlich hätte Eintritt zahlen müssen. Leider wurden wir nach einiger Zeit aber wieder rausgeschmissen. Das Wetter war wieder gut und wir liefen noch ein bisschen durch einen größeren Ort in der Gegend. Am Abend fuhren wir wieder mit dem Bus nach Kunming, diesmal mit Hiroki zusammen. Wir (Annika, Julia und ich) hatten bereits Tickets für den ersten Bus von Kunming nach Dali erstanden und wollten vom südlichen Busbahnhof mitten in der Nacht weiter zum westlichen Busbahnhof fahren. Wir nahmen also ein Taxi nur um festzustellen, dass der Bahnhof noch nicht geöffnet war. Wir standen also in aller Frühe auf der Straße und wussten nicht wie wir uns die Zeit vertreiben sollten. Noch dazu war es in der Nacht zu diesem Zeitpunkt noch relativ kalt. Zahlreiche Chinesen warteten auch darauf, endlich ins Gebäude gelassen zu werden, also setzten wir uns kurzer Hand zu einer kleinen Gruppe, die sich ein Feuer gemacht hatte. Die Chinesen, unter denen auch ein Polizist/Wachmann war, waren gut vorbereitet und saßen auf Stühlen oder Hockern um die wärmenden Flammen. Wir hingegen mussten mit unseren Koffern und Rucksäcken vorlieb nehmen. Wir spielten Karten und Hiroki packte sogar eine Mundharmonika aus, auf der wir abwechselnd Melodien improvisierten. Es gab auch zahlreiche kleinen Essensstände an denen wir uns einige Baozi zum Frühstück kaufen konnten, es ließ sich also halbwegs aushalten. Als der Bahnhof endlich aufmachte kaufte Hiroki sich ein Ticket, musste aber wieder auf einen späteren und teureren Bus ausweichen. Wir wollten uns eigentlich vor Ort wieder treffen, wurden aber informiert, dass das Ticket, das wir gekauft hatten, seit dem Vortag nicht mehr gültig sei. Die normale Buslinie sei eingestellt worden und nur noch die Hochgeschwindigkeitsbusse (?!) seien verfügbar. Wir könnten das Ticket aber umtauschen und müssten lediglich die Differenz zahlen. Also versuchten wir unsere Tickets zu tauschen und Hirokis Bus zu bekommen. Inzwischen waren die Karten für diesen Bus aber leider schon vergriffen und wir kauften welche für einen zwei Stunden später abfahrenden Bus. Nicht nur haben wir wegen der Bearbeitungsgebühr am Hostel letztlich mehr gezahlt, wir haben auch länger warten müssen als Hiroki, der einfach spontan zum Schalter gegangen war-.- Der Hochgeschwindigkeitsbus fuhr im Endeffekt genauso schnell wie unser ursprüngliche Bus gefahren wäre, war dafür aber wenigstens gut ausgestattet und bequem. In Dali trafen wir Hiroki dann wieder und fuhren gemeinsam zum historischen Teil der Stadt, wo sich unser Hostel befand.
Dali ist ausgesprochen schön und vor allem ruhig. Die Stadt liegt in einem Tal zwischen wunderschönen Bergen und und einem sehr großen See. Wir verbrachten den ersten Tag damit, durch die Gassen zu schlendern und von den zahlreichen lokalen Snacks zu probieren. Unter anderem kann man in Dali „Erkuai“ und „Rushan“ essen. Bei ersteren handelt es sich um eine Art Reiskuchen mit verschiedenen Auflagen, während „Rushan“ im Prinzip gebratener Joghurt ist.
Die Kultur der ganzen Region ist vor allem geprägt von den „Bai“, einer chinesischen Minderheit. In Sichuan und vor allem Yunnan gibt die meisten Minderheiten in der Volksrepublik. Man trifft auf Tibeter, Bai, Naxi und viele andere Volksgruppen. China ist nämlich alles andere als eine ethnische homogene Gesellschaft (oder eine homogene Gesellschaft im Allgemeinen). Insgesamt gibt es zusätzlich zu den Han, die die Mehrheit bilden, 55 ethnische Minderheiten im Reich der Mitte. Obwohl das natürlich zu Konflikten führen kann (sie Tibeter/Uyghuren) hatte ich den Eindruck, dass diese Minderheiten meist wie selbstverständlich Teil der Gesellschaft sind und ein harmonisches Verhältnis herrscht. Direkt neben meiner Einsatzstelle befindet sich z. B. eine Moschee der muslimischen Gemeinde mitsamt Minarett und ich habe noch nie gehört, dass sich jemand deswegen beschwert hat. Bei Facebook existiert auch ein Bild davon. Ich möchte daraus jetzt nicht ableiten, dass die chinesische Gesellschaft toleranter und offener ist als europäische Gesellschaften, dafür kenne ich mich schlichtweg nicht gut genug aus, aber es sollte einem zumindest zum Nachdenken anregen, wie man sein eigenes und andere Länder bewertet.
Am zweiten Tag in Dali mieteten wir uns Fahrräder und erkundeten die Umgebung der Stadt. Es gibt dort eine Gruppe von drei Pagoden, die wir uns ansehen wollten. Der Eintritt war aber so hoch, dass wir uns entschlossen stattdessen den Berg ein Stück hinaufzufahren und so einen Blick auf die Pagoden und den dahinter liegenden Tempel zu erhaschen. Das Wetter war klasse und wir hatten eine tolle Aussicht auf die ganze Umgebung der Stadt. Sogar den See konnten wir sehen. Deshalb fuhren wir dort auch als nächstes hin. Am Abend fuhren wir schließlich mit dem Bus weiter nach Lijiang, einer weiteren Altstadt in Yunnan.
Lijiang war zwar schön, aber leider von Touristen überlaufen. Überall waren Läden die billige Souvenirs verkauften und die Atmosphäre zerstörten. Auch das Essen war deutlich teurer als noch in Dali. Trotzdem erkundeten wir natürlich Stadt und Umgebung, die vor allem von den Naxi geprägt sind. Von dort aus fuhren wir auch zur Tigersprungschlucht, die hinter dem von der Stadt aus sichtbaren Yulong Schneeberg liegt. Fort wollten wir bei herrlichem Wetter wandern. Wir hatten kaum Zeit und konnten deswegen nur einige schöne Teile der Schlucht besichtigen, statt einmal ganz durchzulaufen. Als wir an einem Ort unser Ticket vorzeigen wollten, wurde uns gesagt, dass es ein Problem gäbe und wir nicht hinunter könnten. Wir dürften unser Ticket zurückgeben und bekämen den vollen Preis erstattet. Da wir bereits einige andere schöne Orte der Schlucht gesehen hatten machte uns das nichts aus und wir kehrten um. Wir fragten unseren Fahrer, was denn das Problem sei. Er wusste es allerdings auch nicht genau. Möglicherweise habe es etwas mit den Anwohnern zu tun, die ihre Produkte an Touristen verkaufen wollten und jetzt protestierten, weil sie das nicht durften. Vielleicht wurde auch protestiert, weil angeblich ein riesiger Staudamm wie auf dem Yangtze gebaut werden soll. Was es genau war, haben wir nicht herausgefunden, wir konnten aber noch einen Trupp Polizisten mit Helmen und Schlagstöcken aus der Ferne sehen, der sich wohl bereit machte in die Schlucht zu stürmen. Man wollte also offensichtlich nicht, dass Touristen, insbesondere westliche, von den Geschehnissen berichten konnten. Wir kehrten also wieder nach Lijiang zurück und genossen dort unseren letzten Tag. Hiroki fuhr bereits einen Tag früher ab und verabschiedete sich hier endgültig von uns.
Wir verbrachten noch einen Tag in Kunming und gingen dann auch getrennte Wege. Annika wollte nach Guangzhou und dann nach Hongkong weiter, Julia fuhr von Guangzhou aus zu ihren Verwandten nach Shenzhen und ich fuhr nach Shanghai um dort mit Yileis Familie essen zu gehen und das Frühlingsfest zu feiern. Wir wollten uns danach alle in Guilin in der Provinz Guangxi treffe.
Ich hatte einen Sitzplatz und musste nur noch irgendwie 40 Stunden Zeit totschlagen. Zunächst war der Zug sehr voll, aber im Laufe der Zeit stiegen immer mehr Menschen aus und keiner stieg ein. Irgendwann hatte ich fast ein ganzes Abteil für mich allein und konnte mich sogar auf die Bänke legen, um zu schlafen. Wegen des Frühlingsfests seien die meisten Leute schon bei ihren Familien und die Züge deswegen leer. Erst nach dem Fest sei alles wieder so voll wie auf meiner Fahrt nach Sichuan, informierte mich ein Zugbegleiter.
In Shanghai angekommen hastete ich nach Hause um schnell zu duschen, bevor ich zum Restaurant fuhr. Wir aßen gemeinsam und ich lernte einige weitere Verwandte von Yilei kennen. Danach ging ich heim und versuchte zu schlafen, weil ich von der Zugfahrt noch recht müde war. Allerdings sind Chinesen schließlich die Erfinder des Feuerwerks und lassen es sich nicht nehmen ihren Titel als Champions zu verteidigen. Selbst an normalen Tagen knallt es draußen gelegentlich, weil irgendjemand meint Böller anzünden zu müssen. Am chinesischen Neujahrs Abend könnte man aber meinen, die Revolution sei ausgebrochen (oder Taiwan greift an). In den Stunden vor Mitternacht schwillt der Lärmpegel immer mehr an und erreicht schließlich zum Jahreswechsel ein Niveau, das selbst Silvester und der 4. Juli in Amerika zusammen wohl nicht erreichen könnten. Sobald das neue Jahr begonnen hat, ebbt das Ganze aber glücklicherweise schon nach wenigen Minuten ab.
In den Tagen danach traf ich mich dann nochmal mit Yilei und einigen ihrer Freunde zum Karaoke singen. Die Deutschlehrerin an meiner Schule informierte mich, dass ich doch nicht wie gedacht, bis zum 21. sondern nur bis zum 14. Februar frei hatte. Ich kippte also alle meine Pläne und fuhr direkt am nächsten Tag zurück nach Chengdu um Li Yao zu besuchen. Leider gab es natürlich wieder mal keine Sitzplätze mehr und ich durfte wieder stehen. Ich verbrachte dort etwa eine Woche mit ihr und wir entschlossen uns, eine Fernbeziehung anzufangen.
Auf der Rückfahrt musste ich erneut einen Stehplatz nehmen. Diese Fahrt war dabei allerdings mit Abstand die schlimmste bisher. Auf den bisherigen Fahrten konnte ich oft den Speisewagen aufsuchen und dort sitzen. Diesmal saß ich aber von Anfang bis Ende in einer Ecke zwischen Chinesen eingequetscht auf meinem Koffer. Ich habe nichts gegessen und getrunken um Toilettengänge zu minimieren. Das dauerte schließlich jedes Mal mehrere Stunden. Als ich nach der langen Fahrt ankam und am Montag zur Schule gehen wollte, teilte mir eine Lehrerin mit, das die Schule zwar schon anfange, der Deutschunterricht aber doch erst eine Woche später beginnen würde…
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