Im Folgenden werde ich der Einfachheit halber die Volksrepublik China (PRC) als China und die Republik China (ROC) als Taiwan bezeichnen. Das ist ganz streng genommen nicht korrekt, wird aber in der Umgangssprache oft gemacht, da Taiwan einen Großteil des Staatsgebietes der ROC stellt und das Land de facto unabhängig ist. Dazu später mehr.
Nachdem ich im März mein neues Visum bekommen habe, das mir mehrere Einreisen ermöglicht, hatte ich endlich auch die Möglichkeit das Land zu verlassen und anschließend wieder reingelassen zu werden. Als dann der Montag nach dem Tag der Arbeit frei war, fragte ich, ob ich noch zwei Tage extra frei bekommen könne, um nach Taiwan zu fahren. Hiroki, den ich in Sichuan kennengelernt hatte, arbeitete nämlich inzwischen an einem Hostel in Taipei und so hätte ich die Möglichkeit ihn noch mal zu treffen und auch Taiwan mal kennenzulernen. Da das alles etwas spontan war, waren die Preise für Flugtickets, als alles sicher, war leider schon rasant angestiegen. Wer geographisch ein bisschen bewandert ist, weiß natürlich, dass Taiwan eine Insel ist, was im Allgemeinen ein Problem für Züge ist. Ich entschloss mich also in die Provinz Fujian nach Xiamen zu fahren und von dort eine Fähre zu nehmen. Auf diese Weise könnte ich auch diese Gegend mal ein bisschen kennenlernen. Mir wurde nämlich gesagt, es sei dort sehr schön. Ich fuhr am Donnerstag morgen mit dem Schnellzug nach Xiamen und wollte dort dann eine Nacht verbringen. Die Schnellzüge unterscheiden sich sehr von den Zügen, die ich bisher so genommen habe. Sie sind modern, relativ schnell und komfortabel. Leider sind sie aber auch deutlich teurer, was wieder dadurch ausgeglichen wird, dass man einiges an Zeit spart und man auch oft nicht im Zug schlafen muss.
In Xiamen angekommen machte ich mich dann auf die Suche nach meinem Hostel und verbrachte dann den Nachmittag mit einem Strandspaziergang. Am Abend schlenderte ich dann noch ein bisschen durch die größte Fußgängerzone der Stadt. Xiamen war früher ähnlich wie Shanghai ein Anlaufpunkt für viele ausländische Mächte, die versuchten, dort einen wichtigen Handelspunkt zu errichten. So wie bei Shanghai hat das zwar nicht wirklich geklappt, aber die stark europäisch geprägte Architektur der Stadt zeugt noch immer von diesem Erbe.
Am zweiten Tag wollte ich dann morgens das Ticket für die Fähre nach Keelung kaufen. Nachdem ich nach langem Suchen endlich das internationale „Ferry Terminal“ gefunden hatte, fiel mir ein, dass ich mir nie die Mühe gemacht hatte, den Namen meines Zielortes auf Hochchinesisch nachzuschlagen. In Taiwan benutzt man nämlich nicht wie in China das Pinyin-System für die Transkription von Ortsnamen. Die Chinesen am Schalter konnten mit Keelung natürlich nichts anfangen und wollten mich kurzerhand auf die taiwanesische Insel Jinmen schicken, da dort viele Touristen hinfahren. Nach einer Weile merkten sie aber, dass ich nach Jilong wollte. So wird Keelung nämlich auf Mandarin ausgesprochen. Die Fähre sollte erst am Abend ablegen also fuhr ich zurück in die Stadt.
Vor Xiamen liegt die Insel Gulangyu (Xiamen liegt eigentlich selbst schon auf einer Insel). Dort haben sich Europäer niedergelassen und einen kleinen Ort mit beinahe mediterranem Flair gegründet. Einen derart bizarren Mix aus chinesischer Kultur und westlicher Architektur hatte ich seit Macau nicht mehr gesehen, wobei Macau eben doch noch eine Großstadt war, während Gulangyu sehr beschaulich ist. Der Ort ist außerdem noch für seine hohe Dichte an Pianisten bekannt. Etliche namhafte Musiker stammen von der kleinen Insel. Es gibt sogar ein Klavier- und ein Orgelmuseum, sowie eine Hochschule für Musik. Xiamen ist bei chinesischen Touristen äußerst beliebt, Westler hingegen trifft man seltener an. Insgesamt fand ich es wirklich schön dort und es war fast ein bisschen schade, dass ich schon weiter musste. Aber schließlich hatte ich mein Ticket ja bereits gekauft und freute mich auch schon endlich Taiwan kennenzulernen. Ich holte mein Gepäck vom Hostel ab, fuhr wieder zurück zum Hafen und tauschte schon mal ein bisschen chinesisches Geld in taiwanesische „New Taiwan Dollars“ (NTD) um.
An dieser Stelle sollte ich vielleicht einen kleinen geschichtlichen und politischen Exkurs machen, um die Situation Taiwans zu erläutern. Das Ganze ist ziemlich komplex und ich kenne mich auch nur so mittelmäßig aus, deswegen gibt’s nur eine knappe Zusammenfassung. Die Republik China und die Volksrepublik China, obwohl beide sich China nennen, sind de facto unabhängige Staaten und haben daher auch unterschiedliche Systeme: andere Gesetze, Währung selbst die Sprache ist nur bedingt gleich. In Taiwan gelten nämlich neben Mandarin auch noch einige andere Dialekte als Amtssprache. Um zu erklären, wie sich die beiden Länder so von einander weg entwickelt haben, muss man etwas ausholen. Wie ich bereits geschrieben habe, gehört die Mehrheit der Chinesen zu den Han. Nun wurde die letzte Dynastie Chinas, die Qing-Dynastie von den Mandschuren aus dem Norden gestellt, die China erobert hatten. Die chinesischen Männer wurden gezwungen Zöpfe zu tragen, wie es in der Mandschurei üblich war und waren plötzlich nicht mehr Herren ihres eigenen Landes. Das Volk fühlte sich unterdrückt und erniedrigt und war mit der Obrigkeit im Allgemeinen unzufrieden. Im Oktober 1911 kam es dann schließlich zur Revolution und Dr. Sun Yat-sen, der die nationalistische „Kuomintang“ (KMT) anführte, wurde zum Präsidenten gewählt. Am 1. Januar des nächsten Jahres rief man die Republik China aus. In den 20er Jahren kam es allerdings zu Unruhen und ein Bürgerkrieg zwischen der KMT und der 1921 gegründeten Kommunistischen Partei (KPCh) brach aus. Sun Yat-sen starb 1925 und Chiang Kai-shek trat seine Nachfolge an, während die Kommunisten von Mao Zedong angeführt wurden. Es kam zu allerlei Machtkämpfen und die Hauptstadt der Republik wurde mehrmals verlegt. Zu dieser Zeit gehörte die Insel Taiwan gar nicht zum Staatsgebiet Chinas sondern wurde von den Japaner besetzt. Erst im Jahr 1945 kehrte Taiwan zu China zurück. Bereits vier Jahre später setzten sich schließlich die Kommunisten unter Mao Zedong durch und die KMT musste sich 1949 auf die Insel Taiwan zurückziehen. Dort erklärten sie Taipei zur provisorischen Hauptstadt der Republik China, beanspruchten aber weiter das Festland als Staatsgebiet der Republik und sahen sich als die einzig legitime chinesische Regierung. Die eigentliche Hauptstadt sei Nanjing. Die Kommunisten in Peking auf der anderen Seite riefen die Volksrepublik China aus wollten das andere China ebenfalls nicht anerkennen und beharrten darauf, dass es sich um eine abtrünnige Provinz handele. De facto entstanden also zwei Staaten, die sich beide als China bezeichneten. Sowohl politisch als auch wirtschaftlich entwickelten sich die beiden Länder sehr unterschiedlich. Taiwan entwickelte sich bald zu einem der „asiatischen Tigerstaaten“ und wurde immer wohlhabender, während China mit Armut und den Folgen der Kulturrevolution kämpfen musste. Natürlich hat die Volksrepublik im Westen teilweise einen eher mäßigen Ruf. Die Republik China hingegen ist die älteste überlebende Republik Ostasiens. (6 Jahre älter als jeder Versuch der „Vorzeigedemokratie“ Deutschland). Man sollte allerdings nicht vergessen, dass die KMT bis zu den 70er Jahren genauso diktatorisch herrschte wie die KPCh in China und, dass erst allmählich Reformern die Gründung anderer Parteien überhaupt erlaubte. Das Land demokratisierte sich nach und nach und in den 90er wurden erstmals direkte Präsidentschaftswahlen abgehalten. Im Jahr 2000 konnte sich mit der „Democratic Progressive Party“ (DPP) erstmals eine andere Partei als die KMT bei den nationalen Wahlen durchsetzen. Der Konflikt zwischen Taiwan und China besteht bis heute und es hat sich vor allem für Taiwan daraus eine sehr spezielle Situation entwickelt. Da China etwa 70 mal so viele Einwohner hat wie Taiwan und wirtschaftlich immer weiter wächst, fällt Taiwan trotz des Reichtums mit seinen 20 Millionen Einwohner weltweit kaum ins Gewicht. Die Volksrepublik, die 1971 Taiwans UN-Sitz für China übernommen hat, weigert sich mit irgendeinem Land diplomatische Beziehungen aufzunehmen, das Taiwan als souveränen Staat anerkennt. Deswegen haben nur einige wenige Nationen offizielle Beziehungen zu Taiwan und die meisten größeren Wirtschaftsmächte unterhalten nur inoffizielle Beziehungen. Statt echter Botschaften dienen deswegen oft andere Institutionen, wie das „American Institute in Taiwan“ als Auslandsvertretung und nehmen alle Pflichten einer Botschaft war. Während man sich in China dank Propaganda weitgehend einig ist, dass Taiwan endlich zurückkommen solle, sind sich die Menschen dort nicht einig, wie die politische Zukunft ihres Landes aussehen soll. Einige ältere Leute sehen das Festland als Teil der Republik China und plädieren für eine Wiedervereinigung, andere haben sich mit der 2-China-Lösung abgefunden. Viele Jugendliche hingegen sehen sich schon nur noch als Taiwaner und nicht mehr als Chinesen und schaffen so langsam eine neue nationale Identität. Wie gesagt sind die Meinungen gespalten und es gibt verschiedenste Ansätze.
Jetzt sollte ich aber wieder auf meine eigentliche Reise zurück kommen. Wie gesagt tauschte ich schon etwas Geld um und ging dann an Bord. Das Schiff war relativ groß und die Betten halbwegs komfortabel. Ich war der einzige Ausländer an Bord und in meinem 6-Bett-Zimmer war außer mir nur noch ein Chinese. Da ich auch mal aufs Deck gehen wollte, fragte ich das Personal, ob es möglich sei, meine Sachen irgendwo einzuschließen. Das ging leider nicht und ich bekam nur einen Schlüssel für mein Zimmer gegen 100 RMB Pfand. Allerdings gab es nur diesen einen Schlüssel, was bedeutete, dass ich ihn nicht benutzen könnte, ohne mich mit meinen Mitreisenden abzusprechen. Ich ging also zurück und versuchte mit dem einzigen anderen Reisenden zu sprechen, der in meinem Zimmer war. Als dieser aber den Schlüssel sah brüllte er mich zunächst erst mal in zugegebenermaßen recht gutem Englisch an, wofür ich denn einen Schlüssel brauche: Schließlich sei es in China doch absolut sicher weil doch im Gegensatz zu „meinem Land“ hier der Kommunismus herrsche und es die Todesstrafe gäbe. Außerdem hätten wir ja schließlich das günstigste Ticket erstanden und hätten damit kein Anrecht auf Privatsphäre oder Sicherheit. Hätte ich das gewollt, hätte ich doch ein eigenes Zimmer nehmen sollen. Wenn er mal rauchen wolle, wolle er mich nicht erst fragen müssen. Mit seinem letzten Punkt hatte er natürlich recht, deswegen wollte ich ja mit ihm reden. Ich hatte jedenfalls nicht vor ihn einfach ein- oder auszusperren, aber ihm war das egal, da er sich ja schon warm geredet hatte. Er betonte noch ein paar mal wie sicher es doch hier sei und sagte dann, dass ich, wenn ich Angst hätte und hundertprozentige Sicherheit haben wolle, nicht reisen und stattdessen zu Hause bleiben solle, was genau genommen ein Widerspruch zu seiner vorherigen Aussage war. Ich sagte ihm, dass ich lediglich ein paar einfache Vorsichtsmaßnahmen ergreifen wollte, um zu verhindern, dass ich mir regelmäßig neue Sachen kaufen muss. Meine Kamera ist mir schließlich auch durch meine Unachtsamkeit gestohlen worden. Darauf fragte er wütend, warum ich denn eine Kamera brauche. Ich solle doch einfach nur mich selbst und meinen Pass mitbringen. Ich hätte ihm erklären können, warum Kameras eine tolle Erfindung sind, vor der ein alter Mann wie er sich nicht fürchten muss, und dass die Daheimgebliebenen sich gelegentlich über das ein oder andere Bild freuen, aber ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon resigniert und beschlossen, bis ihn bis zum Ende der Fahrt zu ignorieren.
Schlafen konnte ich leider nicht sehr gut, aber so hatte ich zumindest die Möglichkeit am nächsten Morgen ein bisschen Zeit auf Deck zu verbringen. Nach dem Frühstück hielt ich oben nach dem Festland Ausschau. Um 8 Uhr, nach etwa 14 Stunden Fahrtzeit konnte man dann auch endlich erst ein paar Fischerboote und dann das taiwanesische Festland sehen. Ich unterhielt mich in der letzten halben Stunden noch mit einem Taiwaner. Als wir im Hafen einliefen und durch die Passkontrolle gegangen waren, half er mir sogar noch, den Bahnhof zu finden. Der war zwar nur etwa 100 Meter entfernt, aber er bestand darauf, dass sein Vater, der ihn mit dem Auto abholte mich dorthin fahren könne. Also stieg ich ins Auto und ließ mich nach einer Minute Fahrt wieder absetzen. Der hilfsbereite Taiwaner kam sogar noch mir und kaufte ein Ticket für mich. Er wollte nicht mal die 40 NTD (der Wechselkurs ist etwa 1 RMB = 4,5 NTD oder 1 Euro = 40 NTD), zurück haben und verabschiedete sich, nachdem er sichergestellt hatte, dass ich eine Unterkunft hatte. Mit einem Regionalzug fuhr ich dann noch eine dreiviertel Stunde in die taiwanesische Hauptstadt Taipei.
Mit der U-Bahn ging es dann weiter zu meinem Hostel. Zunächst konnte ich das Hostel nicht finden, also fragte ich einige Leute. Leider schien mich niemand zu verstehen und ich dachte, dass meine Aussprache vielleicht nicht so gut war. Später erfuhr ich aber, dass man in Taiwan das Wort für Hostel, das ich aus China kannte einfach nicht kennt. Das ganze Konzept einer Jugendherberge ist anscheinend vielen (vor allem älteren) Taiwanern fremd und man übernachtet eben in Hotels. Als ich nach einer halben Stunde immer noch nichts gefunden hatte, beschloss ich einige Ausländer zu fragen, da ich hoffte, dass sie vielleicht auch Gäste waren. Es handelte sich um Australier, die beruflich in Taipei waren und eine eigene Wohnung hatten, aber sie waren so nett, mich in ihre Wohnung zu lassen, um im Internet nachzuschauen. Ich hatte offensichtlich den letzten Satz der Wegbeschreibung übersehen und konnte deswegen das Hostel nicht finden. Mit der jetzt korrekten Beschreibung war es aber kein Problem mehr. Hiroki war, wie er mir vorher geschrieben hatte nicht da und würde erst in einigen Tagen wiederkommen. Deswegen beschloss ich nur eine Nacht zu bleiben und am nächsten Tag gleich weiterzufahren und einen anderen Teil des Landes zu erkunden.
Zunächst machte ich mich aber auf in Richtung Stadt. Als erstes schaute ich mir natürlich das Taipei 101 an, das mit seinen 508 m struktureller Höhe das zweithöchste Gebäude der Welt ist und sogar das World Finacial Center in Shanghai überragt. Das Gebäude dominiert die Skyline Taipeis komplett, da die Stadt ansonsten anders als viele Chinesische Städte eher flach ist. Das liegt, wenn ich richtig informiert bin, daran, dass Taiwan genau wie Japan in einer Erdbebenregion liegt und hohe Gebäude durch entsprechenden Vorkehrungen abgesichert werden müssten. Von diesem Zeugnis der Modernität des Landes lief ich weiter zur Sun Yat-sen Memorial Hall, die der Geschichte des Landes gewidmet war. Im Chinesischen heißt die Halle „国父纪念馆“(guofu jinianguan) also Landesvater Gedächtnishalle. Während Mao Zedong und Chiang Kai-shek eigentlich nur in jeweils einem der beiden Ländern verehrt werden, genießt Sun Yat-sen Anerkennung in der ROC und der PRC. In China kennt man ihn unter dem Namen Sun-Zhongshan und hat überall Straßen, Parks und andere Dinge nach ihm benannt. Das Gebäude selbst ist ziemlich groß und eindrucksvoll und ist zu allen Seiten von einem Park umgeben, in dem viele Jugendliche sind und Tanzchoreographien einstudieren oder Skateboard fahren. Innen ist eine Statue von Sun Yat-sen, vor der zwei Soldaten permanent Wache halten. Mehrmals täglich gibt es auch eine Ablösezeremonie, die allerdings so derart langgezogen und pathetisch ist, dass man sich das Lachen verkneifen muss. Außerdem gibt es noch einige Ausstellungen im inneren des Gebäudes. Als ich wieder nach draußen ging konnte ich schon von weitem laute Musik hören und beschloss, nachzusehen, was da vor sich ging. Ich landetet mitten in einer Antiatomkraftdemonstration. Überall waren (vor allem) Jugendliche in schrillen Klamotten, die abwechselnd zu Techno- und Rockmusik rumsprangen und dabei Parolen schrien. Es war einfach ein Segen endlich mal wieder so etwas wie Jugendkultur zu sehen. In Shanghai gibt es das zwar zum Teil auch, aber die Art wie die Jugendlichen in Taiwan auf die Musik abgingen und rebellisch protestierten erinnerte einfach eher an europäische Jugendliche. Vermutlich hatten genau wie in Deutschland die Wenigsten eine Ahnung wofür oder wogegen sie da eigentlich demonstrierten und kannten wahrscheinlich auch die Hintergründe kaum, aber so lange man zu lauter Musik tanzen kann und „Dagegen!“ brüllen kann ist die Welt doch in Ordnung. Das hört sich zwar vielleicht ein bisschen sarkastisch und herablassend an, aber eigentlich will ich damit sagen, dass ich es gut finde, dass die Jugendlichen zumindest das Recht haben ihre Meinung zu äußern, egal, ob jetzt aus ehrlicher Überzeugung oder einfach weil man mitfeiern mitdemonstrieren will. Nach dieser Begegnung mit taiwanischen Protestlern machte ich mich weiter auf Erkundungstour und fuhr zum zweiten großen Denkmal der Stadt, der Chiang Kai-shek Gedächtnishalle. Ich war schon sehr gespannt, zu sehen, welcher der beiden Hallen nun die größere sein würde, und wem man in Taiwan mehr Respekt entgegenbringen würde, dem Landesvater oder Chiang Kai-shek, der das Land im Bürgerkrieg geführt hatte? Als ich aber aus der U-Bahnstation zurück ans Tageslicht kam und mich nach kurzer Zeit auf einem riesigen Platz wiederfand, wurde mir die Frage überraschend eindeutig beantwortet. Ein großes Tor mit der Aufschrift „自由广场“ (ziyou guangchang), also Freiheitsplatz, ziert den Platz auf der einen Seite. Links und rechts davon befinden sich das Staatstheater und der Konzertsaal in zwei großen nahezu identischen Gebäuden. Ganz am Ende auf der anderen Seite, kann man die eigentliche Gedächtnishalle mit dem markanten blauen Dach erkennen. Auch hier bewachen zwei Soldaten eine Statue. Nachdem ich den Platz ausgiebig erkundet hatte und unter anderem die Probe einer jugendlichen Bigband verfolgt hatte machte ich mich zu Fuß auf den Weg zum nahegelegenen Regierungsbezirk der Stadt und wanderte dort ein bisschen umher. Als ich dann auf einer breiten Allee vor dem „Presidential Palace“ ankam, fand ich mich plötzlich erneut zwischen den Protestanten wieder. Während ich bei den Sehenswürdigkeiten war, war die Demo quer durch die halbe Stadt gezogen und ging nun scheinbar ihrem Ende entgegen. Ich konnte sogar eine Wagen und Personen wiederfinden, die ich an der „Sun Yat-sen Memorial Hall“ gesehen hatte. Als es schon langsam dunkel wurde, machte ich mich auf den Weg zum Stadtteil Shilin, einige Stationen südlich des Hauptbahnhofs, wo der bekannteste Nachtmarkt der Stadt war. Schon bevor ich zum eigentlichen Markt kam, war die Gegend sehr interessant. Ähnlich wie in Hongkong gibt es überall Neonreklame (die gibt’s zwar in China auch zur Genüge, aber in Taiwan und Hong Kong nimmt das schon noch andere Dimensionen an) und überall tummeln sich Leute. Trotzdem wirkt das Ganze eher entspannt und nicht so hektisch und schnell wie in Hongkong. Die Leute bummeln eher ein bisschen die Straße entlang. Der Nachtmarkt selbst hat mich sehr an den Nachtmarkt erinnert, den ich Peking besucht habe. Viele Menschen schlendern durch die engen Gassen und an den Seiten reiht sich ein kleiner Laden an den anderen. Man kann Snacks, Klamotten, Souvenirs und allerlei anderen Krimskrams kaufen. Im Gegensatz zu den Märkten Chinas sind hier auch deutlich ausländische Einflüsse zu spüren und man bekommt nicht nur Grillspieße und Teigtaschen sondern auch Hot Dogs, Pizza und ähnliches. Ich löschte meinen Durst noch mit einem Becher Naicha , einem in Taiwan erfundenen Milchtee, der in ganz Ostasien beliebt ist, und machte mich dann müde auf den Weg zurück zum Hostel.
Am nächsten Tag fuhr ich dann zum Bahnhof um ein Ticket nach Hualien zu kaufen. Hualien ist eine kleinere Stadt an der Ostküste Taiwans, die wegen der nahegelegenen Taroko-Schlucht viele Besucher anzieht. Leider bekam ich keinen Sitzplatz für den nächsten Zug mehr und musste wieder einmal stehen. Taiwan ist glücklicherweise aber deutlich kleiner als China, sodass ich nur knapp unter 3 Stunden ausharren musste. In dieser Zeit unterhielt ich mich mit einem jungen Taiwaner, der, wenn ich das richtig verstanden habe, Soldat war. In Hualien angekommen, wusste ich nicht so recht, was ich mit dem angebrochenen Tag noch anfangen sollte und beschloss mir einfach ein Fahrrad zu mieten und zum Meer zu fahren. Zu meiner Überraschung bekam man die Fahrräder sogar umsonst, solange man etwas als Pfand daließ. Ich übergab der netten alten Dame also mit einem etwas mulmigen Gefühl meinen Pass und fuhr los. Zunächst dachte ich, die Gangschaltung wäre kaputt, nachdem ich dann aber alle Hügel bereits im höchsten Gang überwunden hatte, fand ich endlich heraus, wie man sie bedient -.- Der Strand war zwar nicht besonders schön und es gab dort nur ein paar Steine, aber es war trotzdem ganz nett, das Meer zu riechen und die Wellen zu beobachten, die hier deutlich stärker waren als noch in Xiamen. Auf dem Rückweg fuhr ich dann nichtsahnend eine Hauptstraße entlang, als ich plötzlich Gebell hinter mir hörte. Ohne das kleinste Bisschen Provokation biss mich kurz darauf ein Hund in den Knöchel. Es war kein besonders heftiger Biss und man konnte auch dank der Jeans eigentlich nichts sehen, aber da meine Mutter mir immer wieder von den Gefahren der Tollwut erzählt hatte, erkundigte ich mich vorsichtshalber. Ich habe zwar eine Impfung, aber im Falle einer möglichen Infektion sollte trotzdem ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden. Taiwan ist allerdings schon seit einigen Jahren im Gegensatz zu China komplett frei von der Tollwut (ist eben eine Insel). Ich hakte den Vorfall also ab. Am Abend holte ich mir im Hostel dann die nötigen Informationen für meinen Ausflug in den Nationalpark. Ich fragte natürlich nach dem Preis, woraufhin der Besitzer des Hostels mich nur verdutzt anschaute und erwiderte, dass es doch ein Nationalpark und damit umsonst sei. Spätestens jetzt wusste ich, dass ich nicht mehr in China war. Dort wird nämlich jede noch so kleine Touristenattraktion mit Toren ausgestattet, an denen man dann saftige Eintrittspreise für die „Scenic Area“ hinlegen darf. Ich machte mich am nächsten Tag mit dem Bus auf den Weg zum Park und beschloss einfach selbst ein bisschen umherzuwandern, statt einen Bus oder Fahrer zu mieten. Anfangs funktionierte das auch wunderbar und ich lief durch eine Klamm wie man sie auch in Süddeutschland finden kann. Da ich dafür von der Hauptstraße abgebogen war, musste ich den Weg natürlich auch wieder zurück laufen und konnte nicht einfach weiter gehen. Danach folgte ich immer der Straße. Das war auch mein größtes Problem. Ich hatte angenommen, dass es so etwas wie einen Wanderweg durch die Schlucht gäbe, aber es stellte sich heraus, dass es einige schöne Wanderwege entlang der Schlucht gibt und diese lediglich von einer Straße verbunden werden. Ich lief also stundenlang am Straßenrand und sprang in unregelmäßigen Abständen über die Leitplanke um mich vor den von beiden Seiten herannahenden Bussen zu retten. Nichtsdestotrotz hat es sich auf jeden Fall gelohnt, in den Park zu gehen und die Orte, die ich zu Fuß erreichen konnte haben mir alle sehr gut gefallen. Als es langsam dunkel wurde, musste ich feststellen, dass ich, wenn ich weiterginge, die nächste Bushaltestelle nicht mehr erreichen würde und wartete deswegen lieber ein Weilchen bis der Bus zu mir kam. Zwei recht merkwürdige Taiwaner fingen im Bus dann gleich eine Unterhaltung an und versuchten mir ihr Essen anzudrehen, da sie zu viel gekauft hätten. Ich war zwar zunächst misstrauisch, merkte dann aber, dass die beiden einfach nur betrunken waren und wirklich mehr hatten als sie essen konnten. Ich hatte den ganzen Tag kaum etwas gegessen, also nahm ich die gebratenen Nudeln dankend entgegen. Einer der beiden erklärte mir dann, dass sie zu einer Minderheit gehörten und zeigte zum Beweis auf seine Haut, die „schwärzer“ sei als bei anderen… Für den Rest der Fahrt machte er auf seinem Handy Musik an, hob seine Hände und tanzte dann wie in Trance (also betrunken) in seinem Sitz, mal zu chinesischer Musik, mal zu Lady Gaga. Als wir ankamen, lief gerade zum 4. Mal „This Love“ von Maroon 5. Im Hostel unterhielt ich mich noch ein Bisschen mit den anderen Gästen und ging dann ins Bett. Am nächsten Tag fuhr ich zurück nach Taipei.
Zurück im Hostel traf ich dann auch Hiroki endlich wieder. Nachdem wir uns kurz unterhalten hatten ging ich aber auch schon wieder, da er arbeiten musste und ich Taipei weiter erkunden wollte. Ich machte mich auf den Weg zum „National Palace Museum“ um mir dort die Kunstgegenstände anzusehen, die die Kuomintang damals aus Peking entwendet hat. Die Ausstellung war zwar groß und es gab einige tolle Sachen, aber als Laie konnte ich jetzt auch nicht feststellen, was die Keramik, Jadeschnitzereien und Ölgemälde hier jetzt so viel toller machen sollte als die in anderen Museen, die ich bereits besucht hatte. Nachdem ich also alles weitgehend gesehen hatte fuhr ich weiter nach Ximending. Einem hippen Stadtteil voller Jugendkultur und Einkaufsmöglichkeiten. Es wird auch als das Harajuku oder Shibuya Taipeis bezeichnet. Nachdem ich eine Weile herumgelaufen war ging ich in eine günstige Sushi-Kette, um dort zu Abend zu essen. Wie so oft liefen auf einem Fließband die verschiedensten Sachen herum und man konnte sich einfach hinsetzen und zugreifen. Anders als in den Sushi-Restaurants in denen ich in Shanghai war, kostet hier aber jeder Teller pauschal 30 NTD und es wurde nicht abgestuft. Das heißt die langweiligen Gurken-Maki kosteten genauso viel wie z. B. Lachs-Sashimi. Natürlich war die Menge etwas angepasst, aber im Vergleich zu Shanghai hatte ich den Eindruck, dass man durchaus ein gutes Geschäft macht. Am Abend redetet ich dann etwas ausgiebiger mit Hiroki und wir beschlossen am nächsten Tag gemeinsam zu den heißen Quellen zu fahren. Taiwan ist nämlich wie Japan auch durch die eigentlich ungünstige Lage ein guter Ort für natürliche heiße Quellen. Wir fuhren also nach Xinbeitou und sahen uns zunächst ein dampfendes Becken an, das aber mit 70 °C fürs Baden deutlich zu heiß war. Hiroki fühlte sich bei dem Geruch der von der Quelle ausging an seine Heimat Japan erinnert, während ich eher an eine Klärgrube oder faule Eier denken musste (wobei die Frankfurter Innenstadt schon manchmal so riecht) Heiße Quellen haben meist einen pH-Wert von weit unter sieben und nehmen deswegen auch gerne mal einen gewöhnungsbedürftigen Geruch an. Später gingen wir dann zu einer Quelle, wo man für gerade mal 40 NTD mehrere Stunden baden konnte. Es gab insgesamt sechs Becken in verschiedenen Hitzeabstufungen, wobei zwei ganz kalt waren. Schon nach kurzer Zeit war klar, dass ich diese Art von Hitze nicht gewohnt war. Wie selbstverständlich lagen die Taiwaner in dem über 40 °C heißen Becken und entspannten, während ich mich fühlte als ob ich mich gleich häuten würde. Das Wasser ist nicht einfach nur heiß sondern tut teilweise richtig weh. Nach einer Weile gewöhnt man sich aber daran, und wenn man sich an die nicht ganz so heißen Becken hält und ab und zu Pause macht geht es. Ich wechselte häufig zwischen den warmen und den kalten Becken, da ich es in ersteren wie gesagt nur kurz aushielt, während Hiroki sich irgendwann einfach gegen einen Felsen legte und eine Runde schlief. Wir blieben mehrere Stunden und entspannten einfach mal einen Tag lang.
Am Abend unterhielt ich mich noch im Hostel. Man kann dort wirklich coole Leute von überall her treffen, Kanadier, US-Amerikaner, Engländer, Franzosen, Polen, Phillipinos, Japaner, Chinesen und natürlich auch Deutsche um nur einige zu nennen. Darunter finden man Backpacker, die Ferien haben oder extra ihren Job gekündigt haben, um durch die Welt zu reisen, Austauschstudenten, die irgendwo in Asien ein Gastjahr oder -semester verbringen und gerade Urlaub machen, Expats, die beruflich in Asien sind und entweder auch gerade reisen oder geschäftlich unterwegs sind und viele andere. Dabei kann man einige Erfahrungen austauschen, Geschichten erzählen und sich natürlich Tipps holen. Generell habe ich den Eindruck, dass Hostels eine deutlich bessere Wahl für Reisende sind als Hotels: Man trifft wie gesagt viel mehr interessante Leute und auch das Personal ist meistens sehr kompetent und kann einem auf Englisch weiterhelfen. Das ist merkwürdigerweise in den meisten Hotels eine absolute Seltenheit, sodass man, wenn man kein Chinesisch kann nur auf Zeichensprache zurückgreifen kann. Jan Luis Eltern z. B., die vor kurzem da waren, hatten schon so ihre Schwierigkeiten die nötigen Details für das Frühstück zu erfragen. So was darf eigentlich nicht sein, wenn man bedenkt, dass die Hostels um ein vielfaches günstiger sind als Hotels (selbst wenn man ein eigenes Zimmer hat) und es trotzdem schaffen, englischsprachiges Personal einzustellen.
Am nächsten Tag fuhr ich mit einer Gondel am Stadtrand einen Berg hinauf, um dort spazieren zu gehen und noch mal etwas Natur zu sehen. Es war zwar recht schön, aber die Mücken weiter oben auf dem Berg waren furchtbar. Überall waren Viecher und so ging ich schnell wieder zurück zur Hauptstraße. Nachdem ich der Straße eine Weile gefolgt war tauchten plötzlich vor mir zwei Hunde auf, die unter einer Bank gelegen hatten. Da ich mit Hunden in Taiwan bereits mehrmals schlechte Erfahrungen gemacht hatte, wurde ich vorsichtig. Nachdem die Hunde einige Sekunden in meine Richtung geschaut hatten, fingen sie plötzlich wild an zu bellen und rannten mir hinterher. Ich nahm natürlich die Beine in die Hand und lief zurück, wo ich herkam. Ich weiß nicht, woran es lag, aber irgendwie waren die Hunde Taiwans nicht gut auf mich zu sprechen. Vermutlich haben sie einfach gerochen, dass ich ein schwitzender Fremder bin, und mich deswegen als Bedrohung wahrgenommen. Das erklärt aber nicht, warum dass in China nie passiert ist. Abends ging ich dann zum Taipei 101 um auch endlich mal die Aussicht von oben genießen zu können. Das Wetter war zwar nicht gerade gut, aber es war auch in den Tagen davor eher mäßig und würde kaum besser werden, also kaufte ich mein Ticket und hoffte, zumindest ein bisschen was sehen zu können. Zunächst war absolut gar nichts zu sehen, aber nach einer Weile öffnete sich die Wolkendecke ein wenig. Es gab einen kostenlosen Audioguide, der sowohl zur Stadt als auch zum Gebäude selbst Informationen gab. Das Taipei 101 ist derzeit das zweithöchste Gebäude der Welt und mit modernster Technik ausgestattet. Um das Gebäude vor Schwankungen zu schützen ist ganz oben ein riesiger Dämpfer installiert, den man sich als Besucher auch ansehen kann. Unten ist der Wolkenkratzer über 80 Meter tief im Boden verankert, um sicherzustellen, dass er die notwendige Stabilität aufweist. Die Aufzüge sind die schnellsten der Welt und reduzieren den Druck, den man sonst so oft spürt auf ein Minimum.
Ursprünglich hatte ich vor mir einen weiteren Nationalpark in der Nähe Tapeis zu verbringen, aber irgendwie war die Luft ein bisschen raus und ich hatte keine große Lust mehr. Stattdessen vertrieb ich mir die Zeit am Hostel mit Hiroki, seinem deutschen Kollegen Philipp und einigen anderen Gästen, mit denen ich mich ganz gut angefreundet hatte. Am letzten Abend fand eine kleine Feier statt und man bekam für 100 NTD zwei Bier und verschiedenste Snacks. Da das Bier in Taiwan auch nicht wirklich stärker ist, als das in China, waren meine zwei Dosen schnell weg. Zum Glück stellte der Besitzer des Hostels bereits einige Tische auf, um ein bisschen Bier-Pong zu spielen. Ich kannte das Spiel zwar, habe es aber in Deutschland (dem Bierland schlechthin) noch nie gespielt. Das Spiel ist vor allem in Nordamerika unter Studenten beliebt. Man stellt sich dabei an einem langen Tisch gegenüber (Tischtennisplatte funktioniert gut) und stellt einige Gläser mit Bier auf. Dann versucht man abwechselnd einen Tischtennisball in die Gläser des Gegners zu werfen. Wenn man trifft, muss der andere trinken. Selbst wenn man gewinnt, trinkt man natürlich das Bier trotzdem und da der Besitzer das Bier für das Spiel stellte konnte man so noch etwas mehr als lausige zwei Dosen herausholen.
Am nächsten Tag machte ich mich auf den Weg zum Bahnhof und fuhr zurück nach Keelung, wo ich auch angekommen war. Da die direkte Fähre zwischen China und dem Festland Taiwans nur einmal pro Woche fährt, musste ich mir für den Rückweg etwas anderes ausdenken. Ich beschloss stattdessen mit der Fähre nach Matsu, einer Insel vor China, die aber zu Taiwan gehört, zu fahren und von dort nach Fuzhou überzusetzen. Am Hafen traf ich einen belgischen Priester, der bereits seit 36 (!) Jahren in Taiwan lebte. Vor 36 Jahren war es für Ausländer so gut wie unmöglich überhaupt nach China zu reisen, daher sind die meisten Expats, die ich dort getroffen habe, seit höchstens 5-10 Jahren dort. Wobei man einen Priester auch nicht wirklich mit den Geschäftsleuten in Shanghai vergleichen kann. Später kamen dann auch zwei französische Austauschstudenten, wodurch ich mal wieder Gelegenheit hatte, mein Französisch etwas aufzubessern (mit dem Belgier hatte ich Englisch gesprochen, da ich zunächst nicht wusste wo er herkam). Die Franzosen wohnten ebenfalls in Shanghai und deswegen ergab es sich, dass wir den Rest der Strecke gemeinsam zurücklegten. Am nächsten morgen kamen wir ins Matsu an und mussten feststellen, dass draußen ein derart dichter Nebel war, dass man kaum 10 Meter weit sehen konnte. Im Schneckentempo näherte das Schiff sich dem Pier während das Personal Signale gab. Der Belgier hatte sein Ziel erreicht und war schnell verschwunden, aber wir hatten noch ein ganzes Stück vor uns. Als wir unsere Tickets kaufen wollten, sagte man uns, dass wegen des Wetters zurzeit kein Schiff fahren könne und wir warten sollten, da sich die Situation vielleicht verbessern würde. Das Problem liege auf chinesischer Seite und es hätte schon die letzten drei Tage kein Schiff gegeben. Das waren natürlich schlechte Nachrichten, da der letzte Zug von Fuzhou nach Shanghai schon um fünf Uhr abfahren würde. Die Fähre verspätete sich immer mehr, während der Himmel immer mehr aufklarte. Irgendwann war dann draußen strahlender Sonnenschein (Schaut euch die Bilder auf Facebook an, der Unterschied zwischen morgens und mittags ist krass.) aber das Wetter in Fuzhou war angeblich immer noch zu schlecht. Ich ging kurzer Hand ein bisschen umher und erkundete die Gegend um den Hafen. Um etwa ein Uhr legte das Boot dann endlich von China ab und kam nach Matsu. Wir mussten also nochmal zwei Stunden warten. Als wir dann ankamen war es schon fast fünf. Natürlich gab es sowohl in Matsu als auch in Fuzhou die übliche Aus- bzw. Einreiseprozedur, was auch noch mal Zeit in Anspruch nahm. Außerdem fuhren keinerlei Taxis vom Hafen ab und einige Privatpersonen versuchten uns Geld aus der Tasche zu ziehen. Ein Chinese, der ebenfalls mit der Fähre gekommen war, nahm uns dann freundlicherweise kostenlos mit und setzte uns beim Bahnhof ab. Da der Zug schon Weg war, erkundigten wir uns nach Busfahrkarten. Es gab tatsächlich einen Bus, der abends losfuhr und am nächsten Morgen rechtzeitig in Shanghai ankam. Noch dazu war das Ticket günstiger als der Schnellzug und man bekam ein Bett wie als ich in Yunnan war. Einer der Franzosen erzählte mir, er wäre mit seiner Schule auf Studienfahrt nach Polen gefahren und selbstverständlich auch durch Deutschland gekommen. In Frankreich und Polen sind diese Busse wohl legal, aber in Deutschland (verständlicherweise) nicht. Deswegen musste er für die ganze Fahrt von über 20 Stunden sitzen. Hätte er mir das vor einem Jahr erzählt, hätte ich das schon ziemlich krass gefunden, aber nachdem man sich an chinesische Distanzen gewöhnt hat, kommt einem das relativ harmlos vor. Am Montag Morgen kamen wir dann pünktlich an, verabschiedeten uns voneinander und ich ging nachdem ich zu Hause geduscht hatte, weiter zur Arbeit.
Die anderen hatten natürlich auch einiges erlebt als ich weg war. Unter anderem hatte im Century Park ganz in der Nähe von unserer Wohnung Chinas größtes Musikfestival stattgefunden (Eintritt nur 80 RMB für den ganzen Tag!!) Dabei ist mir erst aufgefallen, wie wenig Zeit mir eigentlich noch in Shanghai verbleibt, weil ich immer weg bin. Bald ist die Schule schon zu Ende und ich werde weiter herumreisen. Die Grillabende, Gammelwochenenden und Unter-der-Woche-Partynächte, die wir uns im Winter vorgestellt hatten, würden (zumindest für mich) nicht stattfinden. Das ist zwar einerseits schade, da ich gerne mit den anderen noch ein bisschen die Zeit in Shanghai genossen hätte, aber andererseits habe ich auch einige Sachen geplant, auf die ich mich schon richtig freue. Inzwischen ist so ziemlich die gesamte Zeit bis zum 28. August verplant. Ob ich am Ende noch die Zeit habe, zu schreiben, weiß ich nicht (diesen Eintrag werde ich auch mal wieder erst deutlich nach den beschriebenen Ereignissen hochladen -.-), aber allzu lang bin ich auch nicht mehr hier und vielleicht sehen wir uns ja bald.