Notizen aus der Walachei

On how to paddle 120 meters underground and more

Dieses Wochenende mache ich mich auf nach Turda. Und keine Angst, der Name muss selbst Rumänen nichts sagen, mit weniger als 50.000 Einwohnern steht die Stadt klar im Schatten der nahen zweitgrößten Stadt Rumäniens, Cluj-Napoca (more on that soon). Dabei gehört Turda sogar zu den ältesten Siedlungen auf rumänischem Gebiet, selbst die Römer waren hier, erzählt mir mein Reiseführer auf der Dank zeitweise kaputter Lok neunstündigen Anfahrt. Angekommen treffe ich vier andere Freiwillige in einem etwas kurzfristig angemietetem AirBnB, es ist das dritte mal treffen in der dritten rumänischen Stadt. Unsere Wohnung befindet sich in einem Wohngebiet ohne asphaltierten Straßen – der Kontrast zum verkehrsreichen und eher modernen Bukarest könnte nicht deutlicher sein. 

Abendliches Turda

Damit wir am nächsten Morgen extra energiereich in den Tag starten können, läuten wir unsere Zusammenkunft mit nicht zu wenig Bier und Wein nach gemeinsamem Kochen ein. Nach nicht allzu viel Schlaf geht es dann los in Richtung Stadt und der Attraktion, die Turda erst auf irgendwelche Karten setzt – der Salina Turda, eine ausgebaute stillgelegte Salzmine, zu der wir auf Grund fehlenden Autos eineinviertel Stunden laufen dürfen. 

„De vanzare“ – „Zum Verkauf“

Aber erstmal kommen wir auf unserem Weg an einem Fluss samt merklich rostender und nicht allzu vertrauenserweckender Brücke aus dem letzten Jahrhundert und, was gerade in der weiblichen Abteilung unserer kleinen Reisegruppe Freude erweckt, einem großen Spielplatz vorbei. Nach ausgiebiger Inspektion der Wippen und Karussells schaffen wir gerade 200 Meter und stehen vor dem nächsten Objekt, welches unserer Lust aufs Entdecken standhalten muss. 

Eine vertrauenserweckende Brücke
Spielplatz-Spaß

Und dabei ist “standhalten” ein ziemlich gutes Stichwort, da es sich bei dem fraglichen Gebäude um ein wahrscheinlich Ende der Achtziger nicht fertig gestelltes Theater von nicht zu kleinen Ausmaßen handelt. Es wurde die äußere Struktur aus Beton und Bausteinen scheinbar komplett fertig gestellt, allerdings nichts verputzt, verglast oder sonstwie über den Status eines absoluten Rohbaus erhoben.

…es gibt sogar eine halbe Freilicht-Treppe
Beton, Beton und Ziegelsteine

Zuerst einmal wissen wir allerdings gar nicht, dass es sich bei dem Gebäude um ein Theater handelt, wir denken noch an ein großes Mietshaus, und auf den ersten beiden Etagen scheint sich dies auch zu bestätigen. Außer viel Taubenscheiße und Müll gibt es noch nicht sonderlich viel zu sehen, doch als wir den Vorstellungssaal betreten wird uns einiges klar und wir staunen nicht schlecht: Der Raum ist beeindruckend groß und trotzdem total leer, die Zuschauerränge sind bloß große Betonstufen, es gibt eine Art tiefen Schacht vor der Bühne für eventuell Musiker oder Regisseure und hinter der Bühne geht es ca. drei Stockwerke direkt nach oben, hier sollten wohl die Kulissen hängen. Und dann heißt es kurz für uns Bühne frei: Eine mitgebrachte Bluetooth-Box spielt klassische Musik und es wird über die riesige von Taubenhinterlassenschaften bedeckte Fläche getanzt.

Die Bühne ist unser
Der Raum hinter der Bühne

Aber bald treibt es uns höher, eine bestens gesicherte Treppe am Rande des Theaters führt uns in die oberen Stockwerke und präsentiert uns immer spannendere Aussichten auf den Theatersaal von oben und die umliegende Stadt. Irgendwann erreichen wir dann das Dach auf dem zwischen den bröckelnden Steinen schon Pflanzen sprießen und dann heißt es nur noch zwei Meter auf eine etwas höhere Ebene klettern und die Aussicht ist perfekt. Man kann die gesamte Stadt mit ihren so rumänisch-typischen Kirchen und Plattenbauten und die umliegenden Hügel sehen, ich nutze meine neu über das rumänische eBay gekaufte Kamera für ein kleines Fotoshooting vor blendender Kulisse.

Das Dach + Aussicht und mehrere Ebenen
Interessante Perspektiven

Nachdem wir uns von der Sicht losreißen konnten und noch mit kleinem Schrecken der Polizei, die auf einmal vor dem Theater stand, entkamen, konnten wir dann auch endlich weiter Richtung Salzmine ziehen. Unser Weg führt uns durch eine verschlafene Kleinstadt, viel rumänische Lebensrealität zwischen Friedhof, kaputten Gehwegen, Müll und eigentlich annehmbaren kleinen Häusern. Irgendwann weicht auch das Feldern und gelegentlichen Kuhfladen und ich komme zu dem Schluss, dass wir wohl zu den 0,001% der Leute gehören, die zu Fuß zu der Mine kommen. Endlich geschafft, betreten wir ein unwirkliches UFO-ähnliches Glasgebäude und kommen schnell zu den ersten von vielen Treppen, die wir hier noch (herab-)steigen werden. Wir gehen durch verschiedene ausgetretene Steintunnel, an deren Seiten sich mehr und mehr Salzkrusten zeigen und kommen irgendwann auf eine erste Galerie, der Raum öffnet sich zu einer großen, gleichmäßig geschnittenen menschengemachten Höhle, aus der vor 100 Jahren das Salz abgebaut wurde.

Die erste Galerie
Der Blick nach unten

Oben dreieckig, geht es ungefähr 50 Meter in die Tiefe und wir erblicken das, was man wohl am wenigsten an so einem Ort erwarten würde – ein Riesenrad. Daneben gibt es weiterhin Tischtennisplatten, eine kleine Bowlingbahn, einen Minigolfplatz und mehr unter teilweise meterlangen dünnen Stalaktiten aus Salz.

Ein Riesenrad 80 Meter unter der Erde

Aber all das ist immer noch nicht genug – von einer kleinen Plattform kann man in eine nächste, noch größere und kegelförmige Mine herabgucken. Am Grund der Mine liegt eine nette kleine Salzinsel in der Mitte eines Salzsees, umschippert von kleinen Ruderbooten. Surreal ist wohl das einzige Wort was die Situation mittlerweile noch ansatzweise passend beschreiben kann, auch die überall in verschiedenen Mustern angebrachten LED-Lichter tragen ihren Teil dazu bei.

Die Insel samt Brücke aus der Treppe fotografiert

Nach weiterem Treppensteigen überqueren wir eine schmucke Holzbrücke und betreten die Insel, unser Ziel ist klar: Wir leihen uns zwei Ruderboote und umfahren mit wachsender Selbstsicherheit und Geschwindigkeit die Insel.

Eine surreale Erfahrung…

Die Perspektive vom Wasser, also dem niedrigsten Punkt der Höhle, ist ein weiteres Mal überwältigend – 90 Meter über uns läuft die die Decke spitz zusammen und wann hat man das schonmal, rudern auf einem Salzsee 120 Meter und der Erde?

Die Verbindung zwischen Riesenrad-Höhle und See-Höhle – ein Mensch als Größenvergleich
Die Brücke aus Wasserperspektive

Ein kleiner zweiter Teil dieses Blogs über mein Wochenende in Turda wird in Kürze hochgeladen. Darin: der ursprüngliche Grund für unsere Entscheidung, uns in Turda zu treffen: Wandern in den nahen Bergen.

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