Website-Icon Natascha vive en Chile

Proteste in Chile

Ich habe ziemlich lange gebraucht, um für diesen Eintrag eine Überschrift zu finden, aber ich glaube die einfache Überschrift „Proteste in Chile“ trifft es ganz gut. Ich finde es schwierig, über ein politisches Thema zu berichten und kann hier auch nur von meinen persönlichen Erfahrungen berichten. Aber so wie alles andere, was ich hier in Chile erlebe, gehört auch dies zu meinem Aufenthalt und daher möchte ich auch davon bloggen. Aaaaber ich möchte mich hiermit auch für eventuelle Unrichtigkeiten entschuldigen.

Vor nicht allzu langer Zeit wurden die Metropreise hier in Santiago erhöht, durchschnittlich um 30 Pesos, was etwa 4 Cent entspricht. Somit musste man nun keine 800 Pesos, sondern 830 Pesos (laut einem Währungsrechner 0,98 Euro zu 1,02 Euro) pro Fahrt in der Rush Hour bezahlen.* Dies war wohl der anfängliche Auslöser der Proteste am Freitag. Eigentlich fahre ich ja immer mit dem Fahrrad zur Arbeit und nach Hause, hatte aber am Freitag geplant, mit Mona nach den Sprachkursen über unsere Reisepläne zu reden und etwas zu kochen. Spontan entwickelte es sich dann noch zu einem Getränk in einer Bar und so wollten Paulin, ich, Mona und einer ihrer Kurskameraden ins Stadtviertel Lastarria. Da die Metro nicht mehr fuhr, wollten wir mit dem Stadt in die Auto, da der Fußweg rund eine Stunde betrug. Nach etwa 15 Minuten im Parkhaus hatten wir uns jedoch immer noch nicht nach vorne bewegt und so entschlossen wir uns doch, zu Fuß zu gehen. Die Stadt war suuper voll, überall Autos, Busse und sehr viele Menschen auf den Straßen. Das Wetter war gut und so war der Anfang des Fußweges wenigstens nur halb so schlimm. Allerdings fing irgendwann das Atmen an, wehzutun und auch die Augen fingen an zu brennen. Wir dachten erst, es sei einfach Smog, aber im Nachhinein bin ich mir ziemlich sicher, dass es Tränengas war. Mona und Paulin haben es kurz bevor wir zur Bar sind auch noch voll abbekommen. Als wir von der Bar zu Mona nach Hause gingen, haben wir einige Feuer gesehen und im Laufe des Abends auch mitbekommen, dass viele Metro Stationen zerstört waren und es viele Proteste auf den Straßen gab. Sicherheitshalber habe ich die Nacht dann bei Mona verbracht.

Am nächsten Morgen war ich zu knickig, mir ein Taxi zu leisten und bin zu Fuß nach Hause gegangen. Es war ruhig auf den Straßen, jedoch hat man noch Aschereste gesehen und auch sonst viel Dreck auf den Straßen. Das gültige Gebiet der Fahrräder, mit denen ich immer fahre, wurde auch eingeschränkt und man kann die Fahrräder nur noch in einem eingeschränkten Bereich benutzen. Die Proteste gingen auch tagsüber weiter. Piñera, der Präsident Chiles, hatte die Fahrpreiserhöhung der Metro allerdings zurückgenommen und Freitag Nacht aber auch den Ausnahmezustand in der Stadt ausgerufen. Mittags traf ich einen Freund zum Mittagessen, da habe ich nur eingeschränkt etwas von den Protesten mitbekommen. Eigentlich wollten Mona und ich noch zu einer Veranstaltung gehen, aber Mona hatte mir dann bereits von Ausschreitungen auf der Straße erzählt und so haben wir dies dann gelassen. Abends waren wir zum Feiern verabredet und trafen uns gegen 19 Uhr zum Vortrinken. Schon vorher hatte ich Gerüchte über eine mögliche Ausgangssperre gehört, die dann leider auch wahr wurden. Ab 22 Uhr durfte man die Häuser nicht mehr verlassen – also kein Feiern. Es gab auch schon ab 21 Uhr keine Taxis mehr und eigentlich wollten wir uns auch noch etwas zu essen bestellen, was auch nicht mehr funktionierte. So musste ich wieder außer Haus übernachten. Der Abend war aber trotzdem sehr schön 🙂

Sonntag wurde es mit den Protesten nicht besser und nachdem wir, Ruby (eine Kurskameradin), Konrad (mein Mitpraktikant) und ich bei Sille, einer anderen Kurskameradin, zum Mittagessen waren hieß es auch schon nach Hause fahren. Eigentlich war ich noch verabredet, aber da das Taxi erstmal super lang brauchte (Sille wohnt etwas außerhalb), um uns abzuholen und der Taxifahrer meinte, dass es in der Innenstadt nicht wirklich sicher sei, fuhr ich nach Hause. Im Nachhinein war dies auch gut so, da es eine erneute Ausgangssperre ab 19 Uhr gab und ich dann vielleicht nicht mehr nach Hause gekommen wäre.

Auch heute, am Montag, wird noch protestiert. Angefangen mit der Metropreiserhöhung geht es um noch viel mehr. Bildung ist sehr teuer hier, das Gesundheitssystem ist nicht sonderlich gut oder auch das Mindesteinkommen liegt nur bei etwa 400 Euro und zumindest das Leben hier in Santiago ist so ziemlich genauso teuer wie in Bonn, wenn nicht sogar in einigen Bereichen noch etwas teurer. Laut den Nachrichten gibt es mittlerweile um die 10 Tote (einige bei Bränden ums Leben gekommen). Die meisten Supermärkte haben geschlossen und vor den wenigen geöffneten Märkten stehen die Leute Schlange. Busse fahren wieder einige und auch eine Metrolinie ist wieder geöffnet. Ich weiß leider nicht mehr genau seit wann, aber es gibt nicht nur Polizei in den Straßen, sondern auch das Militär wurde mobilisert – das erste Mal seit dem Ende der Diktatur unter Pinochet 1990. Auch heute gibt es wieder eine Ausgangssperre ab 20 Uhr… so langsam fällt mir echt die Decke auf den Kopf. Aber da das Wetter so schön ist, war ich vorhin mal draußen in einem Café und hab mir ein Stück Kuchen gegönnt. Auf der Suche nach einem geöffneten Supermarkt, bin ich auch wieder einem ganzen Schwall Protestanten auf der Straße begegnet. Heute und auch morgen musste und muss ich nicht arbeiten gehen und von Tag zu Tag wird geschaut, wie sich die Situtation entwickelt. Ein chilenischer Freund hat mir gesagt, dass auch er sowas noch nie erlebt hat, also richtigen Zeitpunkt ausgesucht, um hier zu sein 😀

Innerhalb der letzten drei Tage habe ich gemerkt, dass ich doch froh sein kann, normalerweise in Deutschland zu leben und dort aufgewachsen zu sein. Ich habe keine Angst vor der Situation hier und mir geht es gut, jedoch ist alles sehr ungewohnt und vor allem an die Ausgangssperre kann ich mich nicht gewöhnen und in mir drin brodelt meine rebellische Seite. Ich finde das Gefühl richtig komisch, so in meiner Freiheit eingeschränkt zu sein. Tagsüber kann ich natürlich noch rausgehen, bin aber dennoch vorsichtig. Morgen treffe ich aber – falls sich die Lage nicht verschlimmert – ein paar Freunde und wir wollen zum Santa Lucia hoch und picknicken. Abends fühlt es sich ein wenig an wie eingesperrt sein und das auch noch im eigenen Zuhause. Dauernd hört man auch noch hupende Autos, Helikopter und protestierende Menschen, die auf ihren Töpfen herumschlagen. Daher hoffe ich einfach, dass sich die Situation schnell verbessert und der Alltag bald wieder einkehrt.

* Die Metropreise unterscheiden sich in verschiedenen Tageszeiten. In der Rush Hour ist es am teuersten, dann gibt es einen allgemeinen Tarif, der zwischen 9 und 17:59 Uhr sowie 20 und 20:44 Uhr gilt und den günstigsten, der zwischen 6 und 6:59 Uhr gilt sowie 20:45 und 23:00 gilt. Danach ist es nicht kostenlos – die Metro fährt bloß einfach nur bis 23 Uhr.

Die mobile Version verlassen
Zur Werkzeugleiste springen