Mr.Romantic is going for Belarus

(M)ein »kulturweit« Blog

Schenkt mir etwas Zeit …

Hallo Freunde,

da bin ich wieder.  Jetzt ist es schon Februar! Was soll ich sagen – die Uhr tickt unaufhaltsam, und noch nie war mir das so stark bewusst wie jetzt…

Als der Flieger in Minsk landete, hatte ich Handschuhe und Mütze für unnütz gehalten – umso überraschter war ich von der Kälte, die mir wie eine eisige Faust entgegenschlug. Der russische Winter hatte also auch Belarus erreicht- das Thermometer hatte sich bei konstanten -12 Grad eingependelt. Nichtsdestotrotz freute ich mich in der kommenden Woche über jeden Vorwand, die warme Wohnung verlassen zu können, denn direkt hinter meiner Haustür hatte ein verschlafenes Winterwunderland seine Tore geöffnet… Nimm das, Deutschland!!!

Nachdem jetzt alle Olympiaden überstanden sind, hat sich mein Arbeitspensum für den letzten Monat drastisch verringert – jetzt habe ich oft nur 2 oder 3 Stunden am Tag, in denen ich mit den 7 und 8 Klassen Lese-und Hörverstehen mache oder mit den 11. Klässlern über Themen wie Sterbehilfe, Gen-Food, Ego-Shooter und Todesstrafe debattiere. Das finde ich jedoch auch gar nicht schlimm, da ich so jeden morgen ausschlafen kann und jetzt dafür an den Nachmittagen öfters Besuch bekomme, um gemeinsam ein ordentliches Motivationsschreiben zu verfassen oder die Bewerbung abzurunden, wofür ich gerne auch nach Feierabend zur Verfügung stehe! Außerdem lässt sich die zusätzliche freie Zeit gut in andere Dinge investieren – das Schreiben von Blog-Einträgen zum Beispiel, in die Zukunftsplanung, … oder in das Verfassen von Abschiedsbriefen.

Oft werde ich gefragt, ob ich mich denn auf zu Hause freue – für mich eine wahnsinnig schwere Frage. Aber wieso eigentlich? Natürlich freue ich mich! Auf meine Familie, auf meine Freunde, auf viele viele andere Menschen, die mir immer wieder klar machen, dass ich in Deutschland sehnsüchtig erwartet werde. Ich kann es kaum erwarten, euch alle in die Arme zu schließen und endlich wieder gemeinsam zu lachen und zu weinen. Diese Distanz zwischen uns kann einen fertig machen, doch in vielen Fällen wir haben es geschafft, uns nicht aus den Augen zu verlieren und das Band der Freundschaft und Liebe aufrecht zu erhalten! Ich freue mich riesig auf Deutschland, ich freue mich auf euch! …

… Aber ich freue mich nicht darüber, Belarus verlassen zu müssen. Ich wurde so unglaublich herzlich aufgenommen, habe so viel Interesse und Hilfsbereitschaft erfahren, habe so wundervolle Menschen kennengelernt und so unschätzbar wertvolle und innige Freundschaften geschlossen! Zu sagen, dass ich das Ende herbeisehne , wäre einfach eine ungeheuerliche Lüge,  ein Frevel an mir selbst, sodass ich es  nie wagen werde, diesen Satz laut auszusprechen. So kommt es also, dass ich mich auf Deutschland freue und gleichzeitig eine enorme Furcht vor dem anstehen Abschied empfinde… Was soll ich tun? Wahrscheinlich einfach abwarten, es auf mich zukommen lassen und gleichzeitig die bleibende Zeit in Pinsk nicht verschwenden, sondern mit Erinnerungen für die Ewigkeit  füllen!

Um diesem Vorsatz nachzukommen, gab es gleich am Freitag nach meiner Rückkehr eine Party in einer Wohnung. Ich initiierte ein paar Gruppenspiele und es wurde gelacht, geschrien, gesprungen und auf den Möbeln getanzt – Mission accomplished also 😉

  

Übrigens bin ich seit Januar auch als Englisch-Lehrer tätig. Wie es dazu kam? Nun ja, wie früher schon beschrieben wird an belorussischen Schulen nur eine Fremdsprache gelehrt – am Gymnasium Nr. 2 hat man die Wahl zwischen Englisch und Deutsch. So kann es passieren, dass die Oberstufenschüler zwar fast fließend Deutsch beherrschen, gleichzeitig jedoch keinen einzigen Satz auf Englisch zustande bringen. Zwei meiner besten Schüler, Nastya und Vitali, kamen also zu mir, ein deutsches Englischlehrbuch in den Händen haltend, mit der Bitte, ihnen Englisch beizubringen. Ich war zunächst etwas überrumpelt, ist mein eigenes Englisch ja auch längst nicht perfekt und fehlt es mir an Ausbildung und Fähigkeit, um andere in dieser Sprache zu unterrichten. Schnell wurde jedoch klar, dass es auch gar nicht darum geht, ein perfektes B2-Englisch samt aller grammatischen Regeln und Ausnahmen zu etablieren – vielmehr wollen die beiden „Frischlinge“ einfach die wichtigsten Wörter und Ausdrücke kennen lernen und in der Lage sein, einfache Basis-Dialoge zu führen. Am Ende stimmte ich also zu, 2 Stunden pro Woche den  Pseudo-Englischexperten zu geben. Diese Entscheidung habe ich bis jetzt noch keinen Augenblick bereut – während ich jegliches Honorar kategorisch ausschloss, bereitet  mir jede „Unterrichtsstunde“ enorm viel Spaß. Es ist einfach unglaublich unterhaltsam, zwei 16-Jährigen eine Sprache beizubringen, die ich wie selbstverständlich beherrsche und anwende und deren Wörter und Ausdrücke überall im alltäglichen Leben wiederzufinden sind. Meine Schüler nehmen ihre Aufgabe jedoch unglaublich ernst, sodass wir schon nach der ersten Lektion kleinere Erfolge verzeichnen konnten : „Hello! My name is Vitali! I am 16 years old, Motherfucker!!!“ Hinzu kommen der unüberhörbare russische Akzent bei der Aussprache und enorme Probleme mit dem „th“, weshalb meine Lachmuskeln durchgehend trainiert werden 😀   Mal schauen, wie weit wir bis zu meiner Abfahrt kommen…

Am 25. stand für mich ein kleiner Tagesausflug nach Brest an. Von der dortigen DSD-Lehrerin wurde mir nämlich angeboten, beim anstehenden Lesefuchs International Finale am 10. Februar in Minsk, für welches ich seit meiner Rückkehr aus dem Urlaub intensiv mit unseren Teilnehmern trainiere, die Moderation zu übernehmen. Nach anfänglichem Zögern gab ich mich dann einverstanden und wurde nach Brest eingeladen, um meine Kontaktperson persönlich kennen zulernen  und mit ihr kurz meine Aufgaben abzusprechen. Um aber nach einer langen und ungemütlichen Anfahrt und einer kurzen Einsatzbesprechung nicht sofort wieder in den Zug nach Pinsk steigen zu müssen, verabredete ich mich mit Philip, dem offiziellen „Feind“ und Hauptkonkurrenten für meine Schüler beim Ringen um das ersehnte DAAD-Stipendium. Auf meine Anfrage hin war Philip sofort bereit, mich mittags abzuholen und bei einem kleinen Spaziergang die Stadt zu zeigen. Dabei verstanden wir uns auf Anhieb prächtig, ich glaube, wenn ich in Brest stationiert wäre, hätten wir sehr viel zusammen unternommen. So wurde es ein schöner Nachmittag, und abends auf der Rückfahrt nach Hause war ich um einen neuen Freund reicher!

 

Auch in der letzte Woche verschlug es mich in eine andere Stadt – diesmal nach Mink, wo im Goetheinstitut ein Abschlusstreffen mit allen Freiwilligen anstand. Leider kommen nicht alle so super an ihrer Einsatzstelle zurecht, sei es durch mangelnde Sprachkenntnisse, Pech oder höhere Gewalt, sodass sich die ersten Belarusfreiwilligen schon Anfang Februar zurück nach Deutschland machen. In einer Abschlussrunde wurden nochmal Probleme angesprochen und Schwierigkeiten benannt, nach einem Gesamtfazit pilgerten wir dann in ein uriges Restaurant, wo es dann bei traditionellen Vorspeisen und Hauptgerichten glücklicherweise weniger negativ weiterging. Große Party konnte ich mir an diesem Abend jedoch nicht erlauben, denn am nächsten Morgen ging es nach einem letzten gemeinsamen Frühstück zusammen mit Amelie wieder ins Goethe-Institut. Dort fand das alljährliche Meeting aller Goethe-Schulen im Lande statt, im Rahmen dessen ich gebeten wurde, den anwesenden Lehrern und Direktoren auf Russisch über Kulturweit und meine Tätigkeit als Freiwilliger zu berichten sowie anschließend mein Freiwilligenprojekt  zu präsentieren. Anfangs ziemlich aufgeregt, fühlte ich mich nach den ersten paar Minuten Redezeit ziemlich wohl, waren im Publikum nämlich keine grimmig-ernsten Anzugträger, sondern freundlich lächelnde, neugierige Menschen. Gespannt lauschten sie meinen Erzählungen und Eindrücken, gaben sich begeistert von den Resultaten des Fotomarathons und waren allesamt erpicht darauf, mehr über mich zu erfahren. Als am Ende der Veranstaltung dann Sekt und Häppchen serviert wurden, wurde auf das Wohl des „noch ungebundenen jungen Mannes“ angestoßen, unzählige Fragen gestellt und Einladungen a la: „Was willst du dort in diesem Pinsk, wir brauchen dich in Minsk, wann kannst du anfangen?“ ausgesprochen … Ich war äußerst erfreut und gerührt über diese unerwartete Begeisterung für mich, musste jedoch dankend ablehnen mit den Worten „Ich würde meine Schüler nie gegen jemanden anderes austauschen!“. Nach mehreren Gläsern Sekt wurde ich zum Abschluss umarmt, geküsst und mit den besten Zukunftswünschen ausgestattet. So wurde auch dieser Kurztrip zu einem vollen Erfolg 😀

Letzten Freitag war bei mir wieder volle Hütte, und jetzt lasse ich die Woche ruhig und entspannt ausklingen. Der „Back to Germany“ Countdown zeigt 18 Tage, und ich habe noch einiges geplant…

Deshalb verabschiede ich mich an dieser Stelle, viele liebe Grüße nach Deutschland und vergesst nicht – die Uhr tickt 😉

Machts gut und habt euch lieb!

Euer Mister Romantic

PS: Als verspätetes Weihnachtsgeschenk habe ich von allen meinen 11.Klässlern ein eingerahmtes Portrait meines Lieblingsfilmhelden erhalten ;D  Ich kann es nur nochmal sagen – meine Schüler sind einfach klasse!

 

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