Hallo Freunde,
Es sind einige Wochen durchs Land gezogen, ohne dass ich mich bei euch gemeldet habe. Das war einigen persönlichen Angelegenheiten geschuldet, außerdem hatte mich nach meiner Rückkehr aus Odessa ein ordentliches Arbeitspensum erwartet. Doch jetzt bin ich wieder da! Wie ihr der Überschrift sicherlich schon entnehmen konntet, geht es in diesem Blogeintrag primär um mein eigenes Freiwilligenprojekt, mit dessen Umsetzung ich die letzten Wochen beschäftigt war:
Als ich vor 2 Monaten in Baranowitschi war und im Rahmen der Deutschen Wochen mit Chiara am Fotomarathon teilgenommen habe (siehe vergangene Einträge), war ich hin und weg vom Konzept der Veranstaltung. Als wir dann abends mit Cocktails und Pizza im Restaurant saßen und den vergangenen Tag revue passieren ließen, keimte in mir plötzlich der Wunsch auf, ein Event dieses Maßstabes selbst durchzuführen – und zwar in Pinsk, mit meinen Schülern. Schnell entwickelte sich aus der Idee der Plan, einen Foto-Marathon im Rahmen meines Kulturweit-Freiwilligenprojektes durchzuführen.
Doch was genau ist jetzt eigentlich ein Fotomarathon?
Ein Fotomarathon hat immer ein bestimmtes Thema – in Baranowitschi waren es abstrakte Begriffe, wie Geheimnis, Treue, Vertrauen, Kompromiss, etc. Es gibt eine Gesamtdauer – hier 12 Stunden – die nochmal in mehrere Etappen unterteilt ist. Die Teilnehmer treten in Teams an. Pro Etappe erhält jedes Team mehrere Begriffe, zu denen sie in den nächsten Stunden irgendwo in der Stadt jeweils ein Foto machen müssen. Dieses Foto muss unbearbeitet sein und soll möglichst genau und auf kreative Weise den Begriff wiederspiegeln. Nach der ersten Etappe kommen die Teilnehmer zurück zur Basis, geben ihre Fotos ab, ruhen sich kurz aus und erhalten darauf dann die Begriffe für die nächste Etappe. Am Ende werden die Fotos aller Teilnehmer von einer kompetenten Jury bewertet, es werden die besten Fotos in jeder Kategorie sowie die Gesamtsieger bestimmt. Ein Fotomarathon bietet allen Teilnehmern die Chance, die Stadt um sie herum aus einer komplett anderen Perspektive zu betrachten; jeder noch so kleine Hinterhof und Winkel kann seine eigene Aussage und Geschichte haben!
Jetzt galt es also, dieses Konzept zurechtzufeilen und daraus mein eigenes, selbstständiges Projekt zu formen. Die Schule gab sich anfangs skeptisch, erklärte sich jedoch bereit, mich zu unterstützen. Nach Rücksprache mit ein paar anderen Freiwilligen fand ich das ideale Marathonthema – „Deutsche Sprichwörter“ . Sprichwörter sind etwas tolles – wir verwenden sie jeden Tag, jedes Kind kennt bei uns „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“ oder „Es ist nicht alles Gold, was glänzt“. Doch mit einer solchen Aneinanderreihung von Wörtern lassen ganze Situationen treffend beschreiben, und sie bieten uns eine schiere Vielfalt an Anwendungsmöglichkeiten! Wieso also nicht versuchen, ein paar deutsche Sprichwörter im belorussischen Alltag wiederzufinden? 🙂
Ich verkürzte die Marathondauer auf 6 Stunden und schuf 4 Etappen, in denen den Schülern jeweils 1 1/2 Stunden zustanden, um zu 2 Sprichwörtern passendes Bildmaterial zu sichten. Als Basis organisierte ich einen Veranstaltungsraum in der Zentralbibliothek Pinsk, welche sich glücklicherweise direkt im schmucken Zentrum der Stadt befindet. Die Deutschlehrerin Galina hatte ich auf meiner Seite, zusätzlich holte ich mir Polina als persönliche Assistentin ins Team.
Nun stand ich jedoch vor einer großen Herausforderung – ich musste einen Tag finden, an dem ich die Schüler für einen Zeitraum von mindestens 6 Stunden beanspruchen durfte. Dem strikten Wochenplan zum Dank war die Zeit nach der Schule ausgeschlossen – selbst an einem Samstag hätte mindestens die Hälfte der Teilnehmer ganztägig andere Verpflichtungen. Ich spielte also schon mit dem Gedanken, die Schüler an einem Sonntag zusammenzutrommeln; eine Notlösung, die mir nicht allzu sehr zusagte – wollte ich meinen Schützlingen nicht auch noch ihren letzten „freien“ Tag in der Woche wegnehmen… Ihr fragt euch sicherlich, warum man das SCHULprojekt nicht einfach an einem SCHULtag durchführt – das macht doch am meisten Sinn, immerhin müssen zur Schulzeit alle Schüler anwesend sein und ich müsste mir keine Sorgen um die Anwesendheit machen. In Deutschland wäre ich zum Direktor gegangen, hätte ihm vom Projekt erzählt und die beteiligten Jugendlichen für die Zeit vom Unterricht befreien lassen. Aber wir sind hier nicht in Deutschland 😉 Hier ist die Schulzeit heilig, und eine Befreiung bekommt man nur in absoluten Ausnahmefällen. Am Ende hängte sich Galina dran, und nach langem Überzeugen sowie der mehrfachen Betonung, dass es sich um ein offizielles Projekt der deutschen Auslandsinstitutionen Goethe-Institut sowie ZfA handelt, wurde uns schließlich der 04. Dezember, ein Montag, „geschenkt“. Doch obacht! Selbst der Direktor hat nicht die alleinige Befugnis, den Schülern ihren Unterricht „vorzuenthalten“. Ich schrieb also die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen an und bat den zuständigen Koordinator um einen offiziellen Antrag auf Freistellung aller Teilnehmer. Dafür musste ich im Voraus genügend Schüler als Teilnehmer verpflichten, was sich ebenfalls als sehr schwierig erwies, da hier Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit sehr sprunghafte und dehnbare Begriffe sind – „du hast es hier nicht mit Deutschen zu tuen“, meinte Galina ironisch. Ich muss zugeben, dass ich ihr für ihre Hilfe unendlich dankbar bin – alleine hätte ich die Schüler nie gebändigt bekommen. Wenn wir eine Infoversammlung für alle potentiellen Teilnehmer ansetzen und nur die Hälfte der Leute erscheint, kann ich nur ratlos gucken – Galina aber zückt ihr Handy, klingelt ihre Schützlinge aus ihren Betten und macht ihnen so sehr Feuer hinterm Hintern, dass der Saal innerhalb der nächsten 15 Minuten voll ist! Thats Belarus, baby 🙂 Am Ende gelang es mir, 21 Leute von 14-17 Jahren zur Teilnahme zu verpflichten und sie offiziell beurlauben zu lassen – unter diesen Umständen eine organisatorische Meisterleistung! Zusätzlich schaffte ich es, das Goetheinstitut für mein Projekt zu begeistern und als Sponsor zu gewinnen – so sollten die Schüler ihre Zeit auch nicht ganz umsonst opfern. Jetzt noch die letzten Vorbereitungen getroffen, 2 Kilogramm Kekse eingekauft, eine muntere deutsche Schlagerplaylist für die Pausenatmosphäre zusammengestellt – dann konnte es losgehen.
Eine Sache machte mir noch ein bisschen Sorgen – das Wetter. Die letzte Woche hatte es bei uns ununterbrochen genieselt, es war einfach unangenehm vor der Tür. Dann erreichten mich am Wochenende begeisterte Bilder aus Deutschland, die verschneite Autos und Landschaften zeigten – ich fiel wie aus allen Wolken! Ich bin hier in äußersten Osten Europas, erwartungsvoll habe ich mir den russischen Winter ausgemalt – und dann schneit es vorher in Deutschland, einem Land, das während meiner Zeit dort von dieser weißen Winteressenz nur zu träumen wusste. Entsprechend niedergeschlagen ging ich am Vorabend des Marathons ins Bett – und traute am nächsten Morgen meinen Augen kaum. Der russische Winter HATTE zugeschlagen – und zwar in all seiner Pracht! Während in Deutschland also der Schnee wieder wegschmolz (hähä), verwandelte sich Pinsk in ein schneeweißes Wintermärchen. Begeistert bahnte ich mir meinen Weg durch die weißen Dünen zum Treffpunkt im Zentrum, unentwegt Fotos machend. Der Tag hätte nicht besser beginnen können!
20 Minuten nach vereinbarter Zeit trafen dann auch die letzten Teilnehmer ein, nach einer kurzen Einweisung sowie einem gemeinsamen Gruppenfoto schickte ich die 7 Teams auf Mission…
Der Tag verlief super! Die Jugendlichen schneiten zwischen den Etappen begeistert zu uns in die Basis, präsentierten mir stolz ihre Werke und teilten lebhaft mit den anderen ihre Eindrücke und Erfahrungen. Ich schwebte von einem Team zu anderen, verwickelte sie in Smalltalk und fühlte mich voller Energie geladen. Während die Schüler alle draußen auf Fotosafari waren, gönnten meine Assistentin und ich uns die Heute Show , Jan Böhmermann und BullshitTV – die Zeit war gut angelegt 🙂 Gegen Ende kam dann noch die lokale Presse vorbei, um über dieses außerordentliche Event zu berichten – sowohl ich als auch die Schüler wurden interviewt.
Nach einer Abschlussrunde entließ ich gegen 16 Uhr die erschöpften Teilnehmer. Neben der Müdigkeit sah ich in ihren Augen aber Fünkchen von Begeisterung, was mich unendlich glücklich stimmte. In meiner gehobenen Stimmung ließ ich es mir nicht nehmen, selbst noch etwas durch die schneeweißen Sträßchen der Stadt zu schlendern und mich zu den Klängen von „All I want for Christmas“ so zufrieden wie schon lange nicht mehr zu fühlen…
Zurück zu Hause betrachtete ich die heutige Ausbeute an Bildern – viele von ihnen strotzten nur so vor Kreativität und Erfindungsreichtum. Ich fühlte mich beinahe etwas schuldig, dass ich nicht von Anfang an mit solch hochkarätigen Ergebnisse gerechnet hatte – als Gegenreaktion beschloss ich, den Teilnehmern Respekt zu zollen und das Projekt mit einer großangelegten Abschlussveranstaltung abzurunden…
Dementsprechend kniete ich mich die nächsten Tage rein. Zusammen mit meinen Jury-Kollegen bewerteten wir in einer regen Diskussionsrunde jedes einzelne Foto, erstellten zu jedem Sprichwort eine nachvollziehbare Rangliste und rechneten zum Schluss die Endplatzierung aus. Diese galt es jedoch eine ganze Woche geheimzuhalten, um der allgemeinen erwartungsvollen Anspannung nicht den Wind aus den Segeln zu nehmen. Parallel zu meiner Arbeit in der Schule saß ich an den Nachmittagen zu Hause und erstellte eine monstermäßige 150-Folien-Powerpoint-Abschlusspräsentation, die alle eingereichten Fotos, ein Making Of, ein „Die Besten der Besten“ – Kapitel sowie die finale Siegerehrung enthielt; alles unterlegt mit perfekt abgestimmter Musik und aufpolierten Übergängen.
Am Freitag schnappte ich mir nach der Schule meinen großen Trekking-Rucksack und machte mich auf nach Minsk, um die großzügigen Preise des Goethe-Institutes (hochwertige Wörterbücher, ergonomische Trinkflaschen, USB-Sticks, …) abzuholen und nach Pinsk zu transportieren. Wo ich schon einmal da war, engagierte ich mich am Samstag zusammen mit den anderen Freiwilligen beim Weihnachtsfest des Goetheinstitutes. Meine Aufgabe bestand darin, die Karaokestation zu leiten und gemeinsam mit d Grundschülern aus ganz Belarus deutsche Weihnachtslieder zu trällern. Die ersten beiden Stunden noch freudig und motiviert, stießen meine weißrussische Stationspartnerin Mascha und ich physisch und mental bald an unsere Grenzen; kamen doch ununterbrochen neue süße Plagegeister angeschwemmt … In meinen wirren Träumen höre ich immer noch kleine krächzige Stimmen „Oh Tannenbaum“ singen 😉 Insgesamt war es aber doch eine schöne Veranstaltung, die Kinder hatten garantiert ihren Spaß.
Da mir während meiner Arbeit im Goetheinstitut leider meine Uhr entwendet worden war, die ich morgens im Hostelzimmer vergessen hatte, war mir abends nicht mehr so ganz nach Feiern zu Mute. Gut, dass ich meinen Laptop samt Präsentation drauf im Safe eingeschlossen hatte! Trotzdem zog ich später noch mit den anderen los, um Annas Geburtstag bei Bier und Bauernkartoffeln zu feiern. Am nächsten Tag ging es dann mit einem tonnenschweren Rucksack zurück nach Pinsk, wo auf mich eine andere schmerzvolle Überraschung wartete, die mich ziemlich aus der Bahn warf. Ohne viele Worte darüber zu verlieren möchte ich einfach meinen engsten Freunden in Deutschland danken, die trotz der Entfernung so gut es ging für mich da waren und die nächsten Tage verhinderten, dass ich in Leid und Kummer unterging.
Um mich abzulenken stürzte ich mich nur noch stärker in die Vervollständigung des Projektes, mit dem ehrgeizigen Ziel vor Augen, dass alles perfekt werden sollte. Am Mittwoch fand dann das große Ereignis statt – es versammelten sich nahezu 100 Leute, neben den Teilnehmern waren der Direktor sowie interessierte Lehrer und Schüler anderer Klassen anwesend. Deshalb führte ich die Veranstaltung auch auf russisch durch, was sehr gut ankam. Was soll ich sagen – zu meiner Genugtuung lief es perfekt: Die Fotos trafen auf Ausrufe der Begeisterung, die Sieger liefen ehrfurchtsvoll zum epischen Bundesliga-Intro ein und der Direktor hielt eine lange Rede, in der er seiner Anerkennung und Achtung für das Projekt Ausdruck verlieh. Alles war gelungen!
Ein paar wenige Fotos möchte ich mit euch teilen; wer an mehr interessiert ist, kann mich gerne privat anschreiben:
„Aller guten Dinge sind drei“
„Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen“
„Mit Kanonen auf Spatzen schießen“
„Mit dem Kopf durch die Wand wollen“
„Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“
„Auch ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn“
Und noch viele weitere tolle Bilder mehr!
Die letzten beiden Tage habe ich viel in der Schule gearbeitet, hier stehen aktuell bei den 6. Klässlern die schriftlichen und mündlichen Prüfungen fürs A1 – Niveau an und ich darf tatkräftig mithelfen. Übrigens bin ich vor 3 Wochen umgezogen, die neue Wohnung ist einfach riesig und ich fühle mich nach der Schule in den großen, leeren Zimmern ziemlich allein… Am Wochenende habe ich deshalb ein paar hiesige Freunde eingeladen, um das neue Zuhause gebührend einzuweihen und den vielen Platz auszufüllen 😉 Ich freue mich schon darauf!
Bis dahin gibt es aber noch einiges zu erledigen, deshalb mache ich an dieser Stelle Schluss und melde mich nach Möglichkeit pünktlich zu den Feiertagen. Jetzt wünsche ich euch aber schon mal frohe Weihnachten!
Bis demnächst und habt euch lieb,
Euer MisterRomantic
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