Hallo Freunde,
was, meint ihr, lässt einen vor Nervosität und Anspannung zittern? Eine Präsentation. Die Führerscheinprüfung. Abitur… Oder aber das Dolmetschen hoher Botschaftsangehörige vor dem lokalen Fernsehen 🙂 Letzteres durfte ich vergangenen Dienstag durchmachen, und zwar spontan. Was war passiert?
Wie schon kurz angeteasert fand vor genau einer Woche die feierliche Vergabe der Deutschen Sprachdiplome der ersten Stufe am Gymnasium Nr. 2 statt. Erwartet wurde hoher Besuch, die stellvertretende Botschafterin Frau Luther sowie der Koordinator der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen Herrn Lieberknecht. Gespannt und leicht nervös wartete ich zusammen mit dem DSD-Lehrer Herr Czerwinski auf den schwarzen BMW mit rotem Diplomaten-Nummernschild. Als dieser dann vor der Schule hielt, zog er sofort die Aufmerksamkeit der Presse auf sich – allein das Auto wurde bestimmt zig Mal abgelichtet. Wir begrüßten unsere Gäste und ich wurde als engagierter Kulturweit-Freiwilliger vorgestellt – ich drückte den Herrschaften die Hand und geleitete sie zum Direktor zum Empfang. Die Leute vom Sender wollten um jeden Preis ein Interview, deshalb schlüpfte ich kurzerhand in die Rolle des bilingualen Dolmetschers und gab mein bestes, die offiziellen Worte möglichst flüssig ins russische zu transferieren. Anschließend führte ich Herrn Lieberknecht und Frau Luther mit weichen Knien in den Veranstaltungssaal, ein anerkennendes Schulterklopfen ließ mich jedoch schnell zuversichtlicher werden. Die eigentliche Zeremonie war sehr formal und offiziell, alle wichtigen Herrschaften hielten eine Rede und unter tosendem Applaus wurden die Diplomanden für ihre Leistungen geehrt; ergänzt wurde alles durch ausgefeilte musikalische Beiträge verschiedener Schüler. Alles sollte und musste perfekt sein! Als Herr Lieberknecht auf die Bühne gebeten wurde, um ebenfalls ein paar Worte an die Anwesenden zu richten, sollte ich wieder als Übersetzer fungieren – unvorbereitet und aufgeregt wie ich war, wiederholte ich doch gleich erstmal den ersten Absatz, ohne es zu merken, auf deutsch; anstatt ihn, wie eigentlich gewollt, ins Russische zu Übersetzen. Als ich mir meines Fehlers bewusst wurde, wäre ich am liebsten im Boden versunken – Herr Lieberknecht nahm es dagegen mit Humor und zwinkerte mit aufmunternd zu. Dieses Mal bewältigte ich die Aufgabe ohne Aufhänger und Fehler; dann nahm ich mit zufriedenem Gefühl wieder Platz.
Nach der Veranstaltung führte ich die Herrschaften noch durch die Schule und unterhielt mich mit ihnen über Arbeit und Privatleben. Sowohl Frau Luther als auch Herr Lieberknecht sind absolut herzliche und gütige Menschen, denen es wirklich um das Wohl der Menschen im Land geht – ich freue mich sehr darauf, in der Zukunft näher mit ihnen zusammenzuarbeiten. Bevor sie wieder ins Auto stiegen, gaben mir beide die Hand sowie ihre Visitenkarten, dankten mir für die erwiesene Hilfe und und bekundeten mir, sich auf ein Wiedersehen mit mir sehr zu freuen – den Weg nach Hause legte ich stolz mit erhobenen Kopf zurück 🙂
Am Donnerstag machte ich mich nach der Schule auf nach Minsk – das Goethe Institut hatte zu einem gemeinsamen Projekttreffen am Freitag geladen, Fahrtkosten und 2 Übernachtungen inklusive. Am Bahnhof angekommen, traf ich auf die völlig aufgelöste Amelie, die ihre Tasche im Bus liegengelassen hatte…Nach etwas rumfragen und einigen Telefonaten mit Amelies Ansprechperson löste sich das Problem glücklicherweise, am nächsten Morgen konnte Amelie ihr vermisstes Gepäckstück heil und unversehrt abholen. Zusammen machten wir uns auf die Suche nach den anderen, die zusammen zu einer weißrussischen Restaurantkette essen gegangen sind; uns wurde fix die entsprechende Metrostation mitgeteilt und viel Glück bei der Suche gewünscht. Dort angekommen, fanden wir zwar tatsächlich schnell zum Restaurant – aber die anderen nicht darin vor… Wir durchforstetet also das gesamte Restaurantgebäude, welches wirklich riesig ist. Die Situation war absurd – 2 deutsche Freiwillige schaffen es, sich abends in einer Millionenstadt zurechtzufinden, scheitern jedoch daran, eine andere deutsche Gruppe innerhalb eines Restaurants aufzustöbern 😀 Nach 20 Minuten vergeblicher Suche klingelten die anderen durch und teilten uns mit, sie säßen im 2. Stock. Amelie und ich sahen uns verblüfft an – die einzige Treppe im Restaurant verfügte über 3 Stufen, von einem weiteren Stockwerk konnte gar nicht die Rede sein. Als wir schon beschlossen hatten, verzweifelt die Bedienung nach einem versteckten Dachboden zu fragen, erinnerten wir uns plötzlich an die Bezeichnung RestaurantKETTE. Konnte es sein, dass es im Umkreis von 500 Metern 2 identische Restaurants gab? Tatsächlich, von der Metrostation aus gesehen in der anderen Richtung stand das exakt selbe Restaurant – nur eben zweistöckig! Und da saßen auch die anderen, genüsslich ihren Nachtisch essend. Da das Buffet in 5 Minuten schließen sollte schnappten Amelie und ich uns jeder eine Kleinigkeit und schlangen diese herunter, um an diesem Abend nicht mit komplett leerem Magen ins Bett zu müssen 🙂 Zusammen liefen wir zum Hostel, wo wir auch auf die fehlenden Freiwilligen trafen. Anschließend ging es hinaus in das Minsker Nachtleben…
Zu sehr übertreiben konnten wir nicht, denn Freitag ging es um Punkt 10 Uhr mit dem Seminarprogramm los. Nach einem sehr unterhaltsamen Energizer tauschten wir uns zu bisherigen Eindrücken und Erfahrungen in Belarus aus, das allgemeine Stimmungsbild war erfreulicherweise sehr positiv! Anschließend ging es an die Gestaltung eines gemeinsamen Freiwilligenprojektes. Was soll ich sagen – es gab so viele tolle, kreative Ideen, dass sich die Gruppe nach regem Gedankenaustausch spaltete und wir nun insgesamt an 2 Projekten arbeiten! Auf den genauen Inhalt gehe ich jedoch erst ein, wenn es an die konkrete Umsetzung geht; aktuell gibt es nur einen groben Plan, an dem es zu feilen gilt 🙂
Nach einem produktiven Seminartag samt mehrgängigem Mittagessen hatten wir den komplette Abend für uns! Während die anderen es diesmal etwas ruhiger angehen wollten, verspürte das Suicide-Squad, bestehend aus Amelie, Lotti, Anna, Chiara und mir, den Wunsch nach Action. Durch Tanja aus dem Goetheinstitut machten wir Bekanntschaft mit Vitali, einem zwanzigjährigen Studenten für Deutsch als Lehramt. Wir schlossen ihn sofort in unser Herz – Vitali ist offen, aufrichtig, humorvoll und einfach nur cool drauf. Er erklärte sich bereit, uns unter seine Fittiche zu nehmen; und so brachen wir auf, um Minsk von einer uns noch unbekannten Seite kennenzulernen. Zuerst ging es in ein unter Studenten sehr beliebtes Cafe, wo es die besten Blinis (russische Crepes) sowie das slawische Nationalgetränk Medowucha (würzig-süßer Honiggeschmack, super lecker) zu kosten gab. Anschließend wollten wir uns einen Blick von oben auf die nächtliche City verschaffen. Anstatt jedoch zur überteuerten und überlaufenen Aussichtsplattform zu laufen, führte Vitali uns zu einem Insider-Aussichtspunkt: Dabei handelte es sich um ein ultraexklusives und sauteures Panoramaview-Restaurant im obersten Geschoss eines Hochhauses, mitten im Zentrum der weißrussischen Metropole. Anstelle einer Treppe war ein gläserner Fahrstuhl am Gebäuderand installiert – wir huschten hinein und genossen den malerischen Ausblick. Oben angekommen hämmerte Vitali wie wild auf den „Close Doors“-Knopf, der Fahrstuhl schwebte gemächlich wieder zu Boden und wir hatten kostenlos den besten Blick vom zentralsten Punkt in Minsk ergattert. Das Lichtermeer unter uns war so atemberaubend, dass ich leider nicht dazu gekommen bin, ein paar vernünftige Fotos zu schießen – doch meine innere Kamera hat fleißig gearbeitet, und die wunderschönen Lichtakzente sind für immer in meinem Langzeitgedächtnis hinterlegt!
Nach diesem einmaligen Erlebnis führte Vitali uns zu DEM Partyhotspot in Minsk – in das etwas abseits von den Tourimeilen gelegene Club-Restaurant DRUZYA für die einheimische High-Society. Als wir es betraten, fühlen wir uns sofort mega underdressed – hier wimmelte es nur so von wunderschönen jungen Frauen in eleganten Abendkleidern sowie wohlhabenden Anzug-und Hemdträgern. Dies stellte jedoch absolut kein Problem dar, hier wurde jeder aufgenommen, wenn er nur bereit war, zu tanzen und Spaß zu haben! Zu unserem großen Erstaunen entdeckten wir sogar ein paar Kinder, die sich ohne Müdigkeitserscheinungen mit ihren Eltern auf der Tanzfläche tummelten. An der Bar gab es 5 Sorten selbstgebrautes Bier, auf der Bühne performte eine coole Band, deren charismatische Sängerin abwechselnd mitreißende englische und russische Hits schmetterte. Für uns gab es jedenfalls kein Halten, gemeinsam wurde angestoßen, getanzt und gesungen. Die Stimmung wurde immer ausgelassener, die songs immer nostalgischer und dank ein paar Wodka-O („typisch Deutsche“, schmunzelte der Barkeeper) stieg der Alkoholpegel – als wir bei ikonischen sowjetischen Klassikern angelangt waren, warfen wir uns endgültig in die singende Menge und ließen uns in die späte Nacht davontragen…
Irgendwann hieß es dann auch aufbrechen -wir verabschiedeten uns von Vitali sowie Tanja, die spontan dazu gekommen war, schüttelten einen sehr aufdringlichen älteren Herrn ab und ließen uns zu 5. in ein Taxi fallen. Der Fahrer sah sich etwas argwöhnisch die 4 kichernden Mädchen auf der Rückbank an und fragte mich mit hochgezogenen Augenbrauen, wie ich mir das vorstellen würde. Ich erwiderte „Так сойдёт, не волнуетесь“, was so viel bedeutet wie „Das passt schon, keine Sorge“ 🙂 Der Taxifahrer zuckte mit den Schultern und beschleunigte, bevor der ältere Herr sich wieder zu uns ins Auto lehnen konnte. An der Metrostation ließ er uns raus, wir gaben ordentlich Trinkgeld und machten uns auf die Sache nach einem Mitternachtssnack. Da McDonalds und co. um 3 Uhr nachts alle schon geschlossen hatten, liefen wir angeheitert und etwas planlos durch die Gegend, bis am Horizont der leuchtende deutsche Schriftzug „Döner Kebab“ auftauchte. Die Döner schmeckten unerwartet ausgezeichnet, wir lernten freundliche deutsche Fußball Fans kennen und stürzten, im Hostel angekommen, komplett ausgelaugt in unsere Betten. Dieser Abend war legen…wartet noch, gleich kommt es…-DÄR! Спасибо, товарищи!
Am Samstag wurden wir durch lautes Klopfen an die Tür unsanft aus dem Schlaf gerissen und sollten schleunigst das Zimmer räumen – dabei hatten einige von uns einen ziemlichen Kater zu vermelden 😉 Nach ausgiebigem Wachwerden auf dem Gemeinschaftssofa trennte man sich wieder in zwei Gruppen – uns stand ein weiterer Tag in Minsk bevor, doch das Suicide-Squad fühlte sich nicht fit genug für ausgiebige Museumsbesuche. Stattdessen ging es in ein gemütliches Restaurant, wo ich mir bei chilliger Rockmusik eine russische Anti-Hangover-Suppe genehmigte (bestehend aus eingelegten Gurken, gemixt mit herzhaftem Fleisch, Oliven und Zitrusfrüchten ist sie ein wahres Aufputschmittel für die Sinne!) und dann klein beigab und den Mädchen auf einen Designermarkt folgte. Ich fühlte mich wie ein armer Typ, den seine Freundin zum Shoppen mitschleppt – nur hatte ich einen ganzen Harem dabei :D. Froh, endlich wieder raus zu sein, schlenderte ich mit den anderen noch etwas durch die Stadt und verabschiedete schließlich alle, die am späten Nachmittag wieder nach Hause fahren mussten. Amelie, Tabea und ich trafen uns mit Tanja, die uns nach Baranowitschi bringen sollte. Eine Autofahrt mit interessanten Dialogen sowie eine Pizza beim Cocktail-Italiener später lagen wir, Quizduell spielend, jeder in seinem Bett und ließen uns von unserer Müdigkeit übermannen.
In der Zentralbibliothek fand am Sonntag ein sogenannter Jahrmarkt statt, in dessen Rahmen verschiedene kleine Workshop-Stationen zu deutschen Themen angeboten wurden. Außerdem waren viele Handwerker aus der Region eingeladen, an deren Ständen man für wenig Geld wunderschöne selbstgemachte Puppen, Holzfigürchen, Schmuck, Tücher und vieles mehr erwerben konnte. Die eigentlichen Workshops waren vom Umfang her zu vernachlässigen; es galt, ein Bild eines deutschen Märchens auszumalen oder ein Deutschlandpuzzle zusammenzulegen. Trotzdem hatten wir alle drei viel Spaß, wir trafen auf viele kleine liebe Kinder mit leuchtenden Augen sowie insgesamt offene und herzliche Menschen. Nach einem abschließenden Mittagessen drückte ich Amelie und Tabea zum Abschied, dankte ihnen für das schöne Wochenende und ließ mich vom Marschrutka-Kleinbus dem Sonnenuntergang entgegenfahren, hinter dem der Alltag an der Schule auf mich wartet…
Pinsk im Licht der Abendsonne
Ich hoffe, ihr hattet auch alle ein schönes Wochenende 🙂
Machts gut und habt euch lieb!
Euer MisterRomantic