Dobar dan, ja sam Jana. Kako ste?
Wie unschwer zu erkennen ist (oder vielleicht auch schwer), hatte ich nun auch meinen ersten Sprachunterricht. Den bekomme ich von Artan, einem Kollegen in der Grundschule. Wir verabredeten uns in der Mittagspause in der Schule. Für mich ein enormer Service, mussten meine Vorgänger doch jeweils unseren Berg, Meterizi, ganz runter, und den anderen Berg, Pinjesh, ganz hoch wandern, um zu den geheimen Schätzen der montenegrinischen Sprache vorzudringen. Ich hatte es also schön bequem. Gut, dann konnte es ja losgehen. Zuerst das Alphabet. Grundsätzlich dasselbe wie in Deutschland, mit einigen zusätzlichen Buchstaben. Ich brauche sie nicht alle aufzuzählen, denn für meine deutschen Ohren klangen sie ALLE GLEICH! Irgendwas zwischen tsch und tj… Als ich kurz vorm Verzweifeln stand, meinte Artan, es wäre ja nicht schlimm, wenn ich sie nicht auseinander halten könnte, die Leute würden mich trotzdem verstehen, es ist dann halt nur falsch. Sehr beruhigend! Jetzt am Wochenende habe ich mal angefangen, meine ersten Vokabeln zu lernen und ein bisschen in die Aussprache reinzukommen, es sieht nicht mehr ganz so düster aus wie am Anfang, vielleicht werden diese Sprache und ich ja doch noch Freunde. Wenn es mal ein bisschen hakt, muss ich einfach immer an Artans Standardspruch denken, meiner Meinung nach die perfekte Mischung zwischen Motivation und Drohung: „Ja, es ist schwer, aber denk dran, Albanisch ist noch schwerer.“ Na dann…
Nachdem ich Kurt am Montag Bericht erstatten musste, wie denn meine Vertretungsstunde gelaufen war, konnte ich beruhigt feststellen, dass ich den fehlenden Laptop nicht einfach nicht gefunden habe, er war tatsächlich nicht da. Kurt hatte ihn zum Seminar mitgenommen und vergessen, dass ich dann ja keinen Film schauen kann. Ich wurde aber zum Ausgleich für meine pädagogischen Qualitäten (haha!!) und meine Flexibilität gelobt. Die Schülern fanden es auch nicht so schrecklich, wie ich zuerst befürchtet hatte und im Rückblick war die Diskussion auch nicht so entsetzlich, wie ich sie im letzten Eintrag unter dem traumatisierenden Eindruck meines ungebetenen Besuchers dargestellt habe. Im Rückblick ist die Debatte nur wieder ein weiteres Indiz für die Toleranz und Offenherzigkeit der Bewohner dieser Stadt. Klar, nicht in Bezug auf Homosexualität, aber ich vermute, dass es einfach noch ein bisschen Zeit braucht, bis man sich auch in diese Richtung öffnet. Die Äußerungen der Schüler hatten mich so mitgenommen, dass ich den gesamten Rest unter den Tisch fallen ließ. Ich musste auch erst reflektieren, was es bedeutet, dass die Schüler z.B. mit dem Begriff Antisemitismus nichts anfangen konnte. Ich erklärte, was das Wort bedeutet und das war ihnen auch klar, aber sie verstanden nicht, warum jemand auf die Idee kommen sollte, Juden zu diskriminieren. Ich erzählte etwas vom 2. Weltkrieg, sie wussten auch, dass Juden in den Konzentrationslagern umgebracht wurden, aber für sie ist das Geschichte, das hat nichts mit ihrem Leben zu tun. Anschließend wurde mir bewusst, dass eigentlich die Schüler mir etwas über Toleranz beibringen sollten. Ich wollte nicht locker lassen und die Schüler aus ihrer Reserve locken. Und so begann ich, von Israel und dem Nah-Ost-Konflikt zu erzählen, weil ich mir eine für mich logische Kausalkette bildete nach dem Motto, das sind ja fast alles Moslems, die müssen da ja eine Meinung zu haben. Ich habe ich immer für relativ frei von Vorurteilen gehalten, jetzt musste ich erkennen, dass ich da noch eine Menge Nachholbedarf habe. Die Schüler verstanden den Grund und das Wesen für Antisemitismus nämlich immer noch nicht und es ist eigentlich die schönste Erkenntnis der Welt, dass ich es ihnen nicht besser erklären konnte. Es gibt einfach keinen Grund und es kommt im Horizont dieser Jugendlichen nicht vor, jemanden wegen seiner Religion oder seiner Herkunft zu diskriminieren. Diesen Freitag durfte ich Kurt, der nach Deutschland musste, wieder vertreten und habe den Film noch gezeigt. Er kam gut an und ich hatte das Gefühl, dass die Schüler gerne nochmal darüber gesprochen hätten, aber es war ausgemacht, dass sie in der Stunde für ihren Test nächste Woche lernen sollten und mir dabei Fragen stellen sollten. Jeder, dessen Schulzeit noch nicht allzu lange zurückliegt, weiß, dass in Vertretungsstunden die wenigsten dazu zu motivieren sind, wirklich zu arbeiten, und so bestand meine Arbeit weniger im Beantworten von grammatikalischen Fragen, als vielmehr darin, Stadt-Land-Fluss spielende oder quatschende Schüler zumindest so ruhig zu halten, dass man sie nicht im ganzen Schulhaus hört, was mir mal mehr, mal weniger gut gelang.
Doch trotz ihrer Lautstärke waren die meisten Schüler immer liebenswürdig, eben nur ein bisschen zu laut. Wenn ich mir vorstelle, man stellt in Deutschland eine Assistentin ohne Lehrerausbildung mit der einzigen Kompetenz, noch lauter schreien zu können als die Schüler, vor eine pubertierende zehnte Klasse, das gäbe wahrscheinlich Mord und Totschlag. Hier war es zwar laut, aber eben nur laut und nicht unverschämt. An dieser Stelle muss ich, um zumindest den Anschein von Ausgewogenheit zu erwecken, jedoch Milica, die Tochter meiner Vermieter zitieren, die mir auf dem Weg zur Schule verriet, dass die Schüler nur im Deutschunterricht so vorbildlich seien. Die deutschen Lehrer hätten eben Autorität. Im Grunde scheint also alles wie in Deutschland zu sein, ich hatte nur Glück mit meinen Kollegen Kurt und Armin!
Dieses Glück weiß ich wirklich zu schätzen, nicht nur in Bezug auf Autorität. Weil Ulcinj eine Kleinstadt mit deutlich dörflichem Charakter ist, eine in sich abgeschlossene Gemeinschaft, empfinde ich es als schwer, Anschluss zu finden. Das ist nicht schlimm, denn ich arbeite relativ viel und habe auch überraschenderweise kaum ein Problem mit Einsamkeit. Ich habe auch so viele Begegnungen zu verarbeiten, die zwar manchmal flüchtig sind, mich aber dennoch so nachhaltig beeindrucken, dass ich froh bin, viel Zeit für mich zu haben. Und doch ist es schön, ab und zu mit jemandem zu reden, der meine Sprache spricht. Und es sind tolle Gespräche, Diskussionen über Gott und die Welt. Hier kann ich noch was lernen und ich hoffe, dass ich nicht total intellektuell verkopft zurückkomme, angesichts des philosophisch hohen Niveaus unserer Diskurse.
Ansonsten bin ich fleißig damit beschäftigt, mich weiter in diese Stadt zu verlieben. Klar habe ich Heimweh, ich war ziemlich neidisch als Kurt jetzt am Wochenende nach Hause gefahren ist, aber ich fühle mich hier auch wohl. Wenn ich in meine Wohnung gehe, gehe ich nach Hause, ich bin stolz, die geheimen Schleichwege der Stadt zu kennen und bin überglücklich, wenn ich Ende Oktober barfuß auf einem Felsen sitze, der von Wellen umspült wird und den man nur erreicht, wenn man durchs flache Meereswasser watet. Auf diesem Felsen sitze ich, höre dem Meer zu und schreibe unsäglich schlechte Gedichte. Ich stecke die Nase in die Sonne, fröstle, wenn die Wellen spritzen und meine Füße nass machen und fühle, dass ich zumindest im Herzen neben der Pfalz einen zweiten kleinen Ort gefunden habe, wo ich einen Anflug von Heimat spüre. Und solange mir nicht wieder Katzen auf den Balkon kotzen oder Mäuse eine Invasion auf meine Wohnung starten (wenn die Mäuse wenigstens orange wären und mit den Augen klappern könnten…), kann ich ganz ruhig auf meinem Balkon sitzen, mit Tee in der Hand und Katze auf dem Schoß, und mich freuen, dass ich hier glücklich bin und trotzdem in Deutschland vieles auf mich wartet, dass es lohnt, Heimweh zu haben. Meine Familie, meine Freunde, mein Saxophon, mein Orchester, meine Bücher, der FCK (wobei, im Moment bin ich ganz froh dass zwischen uns ca. 1.600 km liegen, siehe Derby gestern), einfach die ganze wunderschöne Pfalz!