Warum die Realität einfach passiert und sich nicht planen lässt!

Juhu, ich habe es geschafft, ich habe meine erste eigene Unterrichtswoche überlebt. Ich muss dazu sagen, es war eigentlich keine ganze Woche, die Achter wurden mir ja erlassen und auch den Nachmittagsunterricht durfte ich ausfallen lassen. Aber trotzdem ist es ein gutes Gefühl. Das Gefühl, etwas geschafft zu haben. Ich durfte mich eine Woche als Lehrerin fühlen. Wie mag das wohl sein? Ich stehe vorne und muss die ganze Chose leiten, alle warten darauf, was ich sage, was zu tun ist. Liebe noch von der Schule gequälte Seelen, ich sage euch, das reine Konsumieren von Unterricht ist angenehmer.

Jetzt lastete auf meinen Schultern ja nicht mal die Verantwortung, diesen Schülern etwas beibringen zu müssen. Ich bin nicht verantwortlich, dass sie eine komplette neue Sprache lernen, Fortschritte machen und am Ende noch ihr DSD-Examen schaffen, was ihr Leben für immer verändern könnte ,um vielleicht in Deutschland zu studieren, weil sie dann in Deutschland sind und mein Land besser machen und AM ENDE VIELLEICHT EINER VON IHNEN DIE WELT RETTET??? Puuuuh, ich stelle fest, ein Lehrer hat schon eine enorme Verantwortung. Nein, für mich ging es in erster Linie darum, die Stunden zu füllen, mit irgendwas, was Spaß macht und im besten Fall noch etwas mit der deutschen Sprache zu tun hat. Ich erarbeitete mit Kurt einen Masterplan, aber wie das mit Plänen so ist, meistens sind sie bei mir ausschließlich dazu da, mich im Vorfeld zu beruhigen, dass ich mir nicht so viele Gedanken mache.
In meinem Leben ist wahrlich noch nicht viel Elementares schief gelaufen. Das war meistens Glück oder der Verdienst anderer lieber Menschen, aber jede noch so verzwickte Situation ließ sich irgendwie bereinigen. Ich habe gelernt, dass das Leben immer weitergeht, dass zwar blöde Sachen passieren und immer wieder passieren werden, aber dass man nach vorne schauen muss, anstatt sich sein ganzes Leben Gedanken über seine Misserfolge zu machen.

Und die Wochen fing wahrlich alles andere als gut an.

Wir hatten fast allen Klassen vorher gesagt, dass sie nächste Woche bei mir Unterricht haben. Das hatte zum einen zum Ziel, gezielte Drohungen aussprechen zu können, was passiert, wenn sie sich nicht benehmen, zum anderen sollten Situationen wie die Folgende verhindert werden.

Die Siebtklässler waren letzte Woche nämlich nicht da, weil sie drei Tage in einer Jugendherberge in Cetinje waren. Also konnten wir sie nicht vorwarnen. Wenn Kurt nämlich normalerweise fehlt, gehen die Schüler in den Deutschunterricht der montenegrinischen Deutschlehrer, der immer zeitgleich stattfindet. Jetzt hatte sich bis zu den Schülern rumgesprochen, dass Kurt nicht da ist, aber dass der Unterricht trotzdem stattfand, wussten sie nicht. Und so saß ich am Montag plötzlich mit drei Schülern da. Ich wollte eigentlich mit ihnen singen, was ich dann aber, aus wohl verständlichen Gründen, spontan bleiben ließ. Stattdessen spielten wir „Ich-sehe-was-was-du-nicht-siehst“, um die Vokabeln für die Zimmereinrichtung zu wiederholen, und anschließend Galgenmännchen. Ich weiß, nicht sehr kreativ und auch pädagogisch eher weniger wertvoll, aber die Kinder hatten Freude und das hat mir dann in dem Moment auch gereicht. Ich hatte übrigens auch meinen Spaß, da ich mich die ganze Stunde göttlich darüber amüsieren konnte, dass Almir, mein geheimer Lieblingsschüler, mich mit einem donnernden, aber unfassbar herzlichen „Guten Morgen, Herr Schlegel“ begrüßte. Er merkte schnell, dass irgendetwas nicht stimmen konnte, und brach, gemeinsam mit mir, in schallendes Gelächter aus.

Ich stellte wieder fest, dass nichts so verbindend ist, wie Lachen. Denn obwohl ich aus einem anderen Land komme, eine andere Sprache spreche, einige Jahre älter und ganz anderes sozialisiert bin, lachen wir alle in derselben Sprache. Die schönsten Momente mit meinen Schüler empfinde ich dann, wenn wir gemeinsam lachen, weil wir dann über Landes-, Sprach- und Kulturgrenzen hinweg Verbündete sind.
Vielleicht ist das das einzig probate Mittel gegen den Terrorismus und alle Kriege in der Welt: Wir sollten die schlechten Menschen alle gemeinsam auslachen. Die, die noch zu retten sind, werden mit einsteigen, weil ihr Herz dem Schönen irgendwann nicht mehr widerstehen kann, und die anderen, deren Seelen schon tot sind, kann man dann
behutsam abschöpfen und die Menschheit vor ihnen schützen.

Aber ich schweife ab, zurück zu meinem harten Alltag als Lehrerin. Nach den Siebenern kamen nämlich die Neuner. Und es kamen viele Neuner, zu viele! Ich schaute, ich staunte und stellte fest, dass ich die Hälfte noch nie gesehen hatte. Nach viel Verwirrung meinerseits und verzweifelten Aufklärungsversuchen von Seiten der Schüler, stellte sich heraus, dass Artans Klasse mal eben mitgekommen ist, weil er ja auch in der Schweiz war und sie nicht wussten, wo sie hinsollten. Tja, ich leider auch nicht, und so fiel mir nicht Schlagfertigeres ein, als sie einfach stumpf wegzuschicken. Sie haben ihre eigentliche Vertretungslehrerin dann aber scheinbar noch gefunden.

Mit den Neunern wollte ich eigentlich einen Film kucken, musste aber schnell feststellen, dass der Film auf dem Laptop leider nicht existierte. Also musste ich nochmal improvisieren und schaute stattdessen ein kleines Filmchen über Berlin und das Wachsfigurenkabinett, das wir in der Woche zuvor schon mit den Achtern geschaut hatten, und ließ die Schüler dazu Aufgaben lösen. Erkenntnis: Die Schüler kennen ausnahmslos alle Angela Merkel, wissen aber nicht, was sie genau macht, und keiner kannte Franz Beckenbauer, Olli Kahn war aber zumindest einigen bekannt.

Nach diesem Chaos-Tag nahm ich mir vor, dass am nächsten Tag im Gymnasium alles ein bisschen geordneter ablaufen sollte. Ich bereitete mich akribisch vor, um allen Eventualitäten vorzubeugen. Ich hatte einen Plan, wenn die Technik nicht funktionieren sollte, wenn nur wenige Schüler da sein sollten, wenn die Schüler keine Lust auf meine Ideen haben sollten. Also konnte ja nichts schiefgehen. Dachte ich, bis ich ein paar Minuten vor Beginn der zweiten Stunde vor der Schule auf eine Schülerin aus der zweiten Klasse traf, die mir zu erklären versuchte, was mich heute heimsuchen sollte. Aus mir unerklärlichen Gründen gab es Kurzstunden, das heißt, die zweite Stunde war schon so gut wie vorbei, meine Schüler weg und den Plan für die kommenden Stunden durfte ich auch mal wieder umwerfen, weil jede Stunde nur 30 Minuten hatte. Mit fast schon stoischer Gleichgültigkeit nahm ich es zur Kenntnis, spielte mit beiden ersten Klassen Tabu und machte mich wieder ein bisschen geknickt auf den Heimweg.

Weil es statistisch gesehen eigentlich unmöglich ist, dass noch mehr Chaos entsteht, verliefen die drei verbliebenen Tage etwas ruhiger. Ich konnte meinen Plan eigentlich ganz gut durchziehen, die Neuner durften „MfG“ von den Fantastischen Vier bearbeiten und den fehlenden Film, den ich mir vom Laptop im Gymnasium kopiert hatte, anschauen, die Siebener schauten ebenfalls einen Film und waren erstaunlich leicht dazu zu bringen, mit Enthusiasmus und Hingabe „Marmor, Stein und Eisen bricht“ zu schmettern, die Einser durften im Gymnasium das grandiose Gedicht „Ein schlechter Schüler“ bearbeiten und die Zweier bearbeiteten und sangen „Meine Deutschlehrerin“ von den Wise Guys.

Ich habe keine Ahnung, ob meine Schüler in dieser Woche etwas dazugelernt haben, ob es ihnen Spaß gemacht hat und wie ich mich so geschlagen habe, aber im Nachhinein bin ich eigentlich ganz zufrieden mit mir. Ich bin zwar mit meiner Entscheidung „Lehrer werden-ja oder nein?“ noch nicht so richtig weitergekommen, aber es war auf jeden Fall ein tolles Gefühl, mal Master of Desaster sein zu dürfen, völlig frei zu sein, was man tun will und Menschen etwas beizubringen, sie zu beobachten und sich auch mit ihnen zu freuen. Ich bin ja nicht wirklich Lehrerin, gerade im Gymnasium, wo die Schüler vielleicht zwei oder drei Jahre jünger sind als ich, fühle ich mich oft mehr so als „Erste unter Gleichen“. Ich sage, was wir tun, aber bei der Ausführung des Ganzen sind wir ein Team und arbeiten zusammen auf das große Ziel hin, nämlich gut Deutsch zu sprechen.

Jetzt freue ich mich erstmal auf eine Woche Seminar in Serbien. Ich freue mich darauf, mal wieder ein neues Land, zumindest ansatzweise, kennenzulernen, meine bisherige Zeit ein bisschen zu reflektieren und vor allem meine Mit-Balkan-Freiwilligen wiederzusehen! Auf eine geile Zeit!

2 Kommentare

  1. Jan Doria · 20. November 2015

    Ich will dir ja nicht unnötig Angst machen, aber in der ZEIT stand neulich (ich finde die genaue Stelle leider nicht mehr), dass einer US-amerikanischen Studie zufolge der Unterschied zwischen einem guten Lehrer und einem schlechten Lehrer, der vor der Schulklasse steht, in nur einem Schuljahr einen zukünftigen Gehaltsunterschied von über 200.000 USD für die gesamte Schulklasse ausmachen kann. Wer einen guten Lehrer hatte, ist demnach weniger anfällig für Arbeitslosigkeit, Drogen, Kriminalität und Terrorismus. Gute Lehrer, so das Fazit, können das Leben ihrer Schützlinge langjährig prägen – und grundlegend verändern.

    Bei der Lektüre dieser Sätze musste ich an einige meiner eigenen „alten“ Lehrer denken, die mich geprägt haben, die mich in meinem Denken im positiven Sinne tief beeinflusst haben und mich ein Stück weit zu dem gemacht haben, was ich bin. Der Beruf des Lehrers (und des Kindergärtners) ist nicht, wie mein Vater immer behauptete, einfach nur „angewandte Bastel- und Klebekunde“, sondern einer der verantwortungsvollsten Berufsbilder überhaupt (das im Verhältnis dazu wie üblich viel zu schlecht bezahlt ist). Das macht mich demütig, wenn ich nun selber vor der Klasse stehe. Ich weiß nicht, was die Kinder von einem Freiwilligen von vielen mitnehmen werden – aber dass es sie verändert, steht fest.

    Ansonsten bin ich beinahe neidisch auf deine Gymnasiasten! Hier auf dem Colegio bewegen wir uns auf A1-Niveau, wenn die Kinder ruhig sind, und auf gar keinem, wenn sie Lärm machen. Vergiss verlorene Filme – eine Horde Grundschüler zu beschäftigen ist eine ganz andere Herausforderung!

    • Jana Ballweber · 22. November 2015

      Lass es mich so ausdrücken, lieber Jan: Deine special Infos haben nicht gerade zu meiner Beruhigung beigetragen! 😀
      Ich sehe das so: Ich bin in einer Position, in der ich die Schüler positiv beeinflussen kann, aber für eine nachhaltige negative Beeinflussung bin ich einfach nicht wichtig genug 😀 Da mache ich mir keine Illusionen…
      Und auf meine Schüler kann man auch wirklich neidisch sein, viele sind nämlich auch abgesehen von ihren guten Sprachkenntnissen tolle Menschen! Man glaubt wieder an eine bessere Zukunft, wenn man sich so viel mit freundlichen, idealistischen, jungen Menschen beschäftigt. die sich Gedanken über unsere Welt machen.

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