Sonnenbrand im November

Das hätte ich mir auch nicht träumen lassen (und ich bin sicher, ein Großteil meiner Freunde wird mich für diese Information hassen), aber es ist eine Tatsache: Ich hatte einen Sonnenbrand.
Ich war am Montag bei strahlendem Sonnenschein und etwa 20°C mit Gästen von Kurt unterwegs, die für eine Woche in Montenegro sind und mit einem Leihwagen einen Ausflug machten. Eigentlich wollten wir nach Kotor, aber weil wir die schönere Strecke durch die Berge nahmen, mit vielen Serpentinen, rostigen Leitplanken und rasendem Gegenverkehr auf einer einspurigen Straße, mussten wir dementsprechend vorsichtig und langsam fahren, sodass wir nur bis Budva kamen. Doch auch die Altstadt dort ist wirklich sehenswert.

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Und die Strecke hat sich wirklich gelohnt. Man fährt erst von Ulcinj Richtung Podgorica, biegt aber vorher in die Berge ab. Dann schlängeln sich enge Kurven an steilen Wänden vorbei, ab und zu durchquert man ein einsames Bergdorf, aber die Sicht ist wirklich atemberaubend.

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Die Straße führt nach Cetinje, der ehemaligen Hauptstadt Montenegros. Kurz vor der Stadt stoppten wir zum Fotografieren kurz in einem kleinen Dorf im Tal. Wir waren mitten im Nationalpark und das Dorf lag an einem kleinen Fluss. Eigentlich wollten wir Kaffee trinken, leider gab es aber mal wieder keinen Strom, das passiert hier ausgesprochen oft, sodass wir uns nur kurz umsahen. Ein Mann bot uns für 25€ eine zweistündige Bootsfahrt an, aber wir hatte leider keine Zeit. Ich war persönlich auch dafür, den Ort so schnell wie möglich zu verlassen, denn wenn ich mal einen Horrorfilm drehen wollte, wäre das der ideale Schauplatz. Die Uferpromenade ließ den Charme längst vergangener Tage nur noch vereinzelt aufblitzen, die herrschaftliche Treppe, der Brunnen und die Geländer bröckelten und wurden von verfallenen Häusern eingerahmt.

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Die Hauptstraße, früher wohl von vielen Geschäften gesäumt, ist nur noch eine Ansammlung dreckiger Schaufester, die Natur hat schon begonnen, sich die Häuser zurückzuerobern.

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Und trotzdem leben hier noch Menschen, auch junge Menschen, Kinder. Die Perspektivlosigkeit ist atemberaubend und passt zu einem Gespräch, das wir gestern mit den Schülern am Gymnasium hatten. Es ging ums den Unterschied zwischen Freundschaften früher und heute und in Deutschland und Montenegro. Ein wichtiger Aspekt war, dass viele Freundschaften heute am Leistungsdruck in den Schulen und in der Gesellschaft zerbrechen, weil der Konkurrenzkampf so groß ist. Wir fragten die Schüler, ob sie auch Leistungsdruck haben. Einige bejahten das, ihre Eltern würden schon darauf achten, dass die Noten in Ordnung sind. Viele sagten aber, dass es ihren Eltern egal sei, weil der Vater manchmal selbst zwei Universitätsabschlüsse hat und heute in Ulcinj Taxi fährt. Als Akademiker hat man keine Zukunftsaussichten in diesem Land. Ich kann natürlich nicht wirklich beurteilen, woran das liegt. Das ist alles nur gefährliches Halbwissen, aber ganz offensichtlich spielt die Korruption eine große Rolle. Wenn man jemanden kennt, der jemanden kennt, dann kann man vielleicht einen Job bekommen, aber ohne Beziehungen hat man fast keine Chancen. Und Änderung ist nicht in Sicht. Es gab zwar in den letzten Wochen immer mal wieder Proteste in der Hauptstadt, die zum Teil auch gewalttätig wurden, wahrscheinlich der einzige Grund, weswegen die Tagesschau berichtet hat ( http://www.tagesschau.de/ausland/montenegro-107.html ), diese richteten sich zwar auch gegen die zutiefst korrupte Regierung, waren allerdings von radikalen Serben initiiert, die eine Öffnung des Landes gegenüber dem Westen, der EU und speziell einen NATO-Beitritt verhindern wollen. Man kann darüber denken, was man will, speziell die expansive Politik der NATO und die damit verknüpfte Eskalation des Ukraine-Konflikts, ist durchaus stark anzuzweifeln und zu kritisieren. Die von der radikalen serbischen Gruppierung gewünschte Annäherung an Russland ist aber wohl auch keine zufriedenstellende Alternative. Der Tagesschau-Bericht zeigte mal wieder eindrucksvoll, wie vorsichtig man mit solchen stark verkürzten Darstellungen sein muss. Ich reihe mich nicht ein, in die Strömungen, die der Presse Lügen und Manipulation vorwerfen, die Berichte waren ja auch nicht falsch, sie zeigten nur keinerlei Hintergründe oder Motivierung der Beteiligten, da sie sich ausschließlich auf die gewalttätigen Ausschreitungen konzentrierten, ohne die die Proteste vermutlich nicht erwähnenswert gewesen wären. Man kann die kompakten Nachrichten der Tagesschau oder jeder anderen Nachrichten-Sendung also nur als Anstoß nehmen, sich auf anderen Kanälen weitergehend zu informieren und sich so eine fundierte Meinung zu bilden.

Als der Beitrag ausgestrahlt wurde, bekam ich sofort nervöse Nachfragen von zu Hause, ob denn hier in Ulcinj alles in Ordnung sei. Ja, hier ist alles in Ordnung. Ich hatte jetzt zwei Monate Zeit, zu versuchen, das Wesen dieser Stadt zumindest ansatzweise zu begreifen und ich denke, ich kann sagen, dass sich die Bewohner hier niemals wegen solch banalen Dingen wie Politik oder auch Religion die Köpfe einschlagen würden. Auch die Menschen hier leiden unter der schlechten wirtschaftlichen Lage, unter der Korruption der Staatslenker und der Verwaltung, aber es scheint so, als beschränkten sich die Menschen hier auf Kritik und auf ihre tägliche Arbeit, mit der sie der Perspektivlosigkeit zu entgehen versuchen. Und die Schüler strengen sich in der Schule natürlich trotzdem an. Gerade in Deutsch. Denn obwohl man hier mit einem Abitur oder gar einem Uniabschluss nicht so viel anfangen kann, bestenfalls einen Job als Kellner, ist die Situation in Deutschland ganz anders. Das Land debattiert im Zuge der Flüchtlingskrise über Zuwanderung aller Art, erklärt Montenegro und Albanien, in denen Homosexuelle und Sinti und Roma aufs Schlimmste diskriminiert werden, wenn sie nicht gar in Lebensgefahr sind, mal eben so im Vorbeigehen zu sicheren Herkunftsländern, um den Zuzug aus diesen Gegenden zu verhindern. Unabhängig von Asylanträgen gibt es ja aber auch noch einige andere Kanäle, über die Jugendliche hier in Deutschland eine Zukunft suchen können, seien es Stipendien für ein Studium oder, wie es jetzt bei zweien unserer Schüler der Fall ist, Praktika bei deutschen Firmen, die händeringend qualifizierte Mitarbeiter suchen und sich mangels Alternative im eigenen Land, weil die Flüchtlinge ja unerklärlicherweise lange nicht arbeiten dürfen, eben woanders umsehen. Für die Beiden ist das eine wahnsinnig tolle Chance, die Kurt ihnen vermittelt hat, weil sie erstens für kurze Zeit in Deutschland leben können und zweitens zumindest mal einen Fuß in der Tür haben, die sie nach Deutschland führt. Denn obwohl es sich aus meiner total egozentrischen Perspektive hier sehr angenehm leben lässt, ist das für die Jugendlichen, die hier bleiben müssen und nicht nach einem Jahr wieder ins behütete Deutschland zurück dürfen, keine gute Alternative.
Doch auch in dieser tollen Stadt ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Ich habe bereits viel von Toleranz berichtet. Das stimmt auch alles, doch es gibt auch immer mal wieder dunkle Seiten. Von der vorherrschenden Homophobie habe ich ja schon geschrieben. Jetzt ist nochmal etwas passiert, was mich wirklich erschüttert hat. Thomas, einer von Kurts Gästen, mit denen ich den oben beschriebenen Ausflug machte, hat eine körperliche Behinderung. Ich weiß nicht, was es genau ist, aber er ist sehr klein und hat außergewöhnliche Augen. Man sieht ihm die Behinderung an, ich konnte aber in der kurzen Zeit, die ich mit ihm verbrachte, keine Einschränkungen feststellen. Als er aber einmal alleine in der Stadt unterwegs war, wurde er von Kindern mit Steinen beworfen. Natürlich, dieses Phänomen kennt man, das gab es bei uns vor vielleicht hundert Jahren auch, aber ich bin es ehrlich gesagt leid, solche Ereignisse mit einer irgendwie gearteten Rückständigkeit einer Gesellschaft zu entschuldigen. Das ist so abstoßend und widerlich, dass man es nicht erklären und schon gar nicht entschuldigen kann, das kann man nur verurteilen und sich fragen, was das für eine Erziehung ist, die diese Kinder genossen haben, wenn sie einen Menschen, den sie nicht kennen, von dem sie nichts wissen, nur auf Grund seines Aussehens nicht mal mehr diskriminieren, sondern ganz bewusst dessen Verletzung in Kauf nehmen. Wie kann man auf solche Ideen kommen?

Es fällt mir schwer, solche Dinge auszublenden, wenn ich am Strand spazieren gehe, mit einem kosovarischen Architekten aus Deutschland auf der Terrasse des höchsten Hauses der Altstadt in der Mittagssonne Tee schlürfe, von einem Wirt den dritten Schnaps ausgegeben bekomme, weil ich ihm die Rechnung zusammengerechnet habe, vor Stolz kaum an mich halten kann, weil ich schon auf Montenegrinisch Käse kaufen kann oder mich mit einem alten Mann über Gott und die Welt unterhalte, ohne dass wir uns gegenseitig verstehen, weil er nur Montenegrinisch spricht und meine zwei Sprachstunden mich noch nicht so weit gebracht haben. Das sind wundervolle Dinge und ich muss mich zwingen, sie nicht in Frage zu stellen, weil Einzelne nicht in diese Idylle passen. Genauso wenig, wie ich alles beschönigen will, will ich negative Erlebnisse auf die Gesamtheit beziehen, denn das hat dieser Ort nicht verdient.

2 Kommentare

  1. Jan Doria · 7. November 2015

    Na, einen Sonnebrand habe ich auch bekommen auf meinem letzten Ausflug. Nur eben nicht im Herbst, sondern in dem, was die Uruguayos trotz stetiger Annäherung an die 30-Grad-Marke „Frühling“ nennen. Und schöne Panoramen gab’s in Piriápolis auch: https://kulturweit.blog/janenuruguay/2015/11/03/ausflug-zum-heiligen-marienkaefer/

    • Jana Ballweber · 7. November 2015

      Jaaaa, auf der Südhalbkugel zählt das ja nicht… 😀 Aber man könnte hier sogar noch im Meer schwimmen gehen, wenn ich nicht so ein entsetzlicher Warmduscher wäre… Und das ist für November schon bemerkenswert!

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