Neu im Land und schon gleich wieder weg…

Einen Tag nach mir kamen deutsche Austauschschüler aus Freudenstadt im Schwarzwald in Ulcinj an. Das ist der Grund dafür, dass ich die Schule noch nicht von innen gesehen habe, sondern die ganze Zeit mit den deutschen und den montenegrinischen Schülern unterwegs war.
Am ersten Tag wurden wir beim Bürgermeister der Stadt empfangen. Klingt vielleicht ein bisschen unspektakulär, ist hier aber eine riesengroße Ehre. Er ging sogar um den riesengroßen Konferenztisch herum und schüttelte jedem einzeln die Hand. Kurt, mein Kollege, meinte, eigentlich dürfe man sich die Hand danach nicht mehr waschen, so als hätte man dem Papst die Hand gegeben. Weil man das von Deutschland so nicht kennt, standen die deutschen Schüler nicht auf, als der Bürgermeister kam. Die stellvertretende Bürgermeisterin, die fließend deutsch sprach, wies uns gleich darauf hin, dass es hier etwas anders läuft.
Als der Bürgermeister seine Ansprache hielt, konnte ich mich gleich davon überzeugen, wie gut die montenegrinischen Schüler deutsch sprechen. Zwei Mädels lieferten aus dem Stegreif eine Simultanübersetzung von wirtschaftlichen und politischen Fakten, die viele andere vermutlich nicht mal in ihrer eigenen Sprache verstehen würden. Extrem beeindruckend!
Danach stand eine Führung durch die Altstadt auf dem Programm. Eine Deutschlehrerin vom Gymnasium erklärte kurz ein paar historische Dinge und erzählte Geschichten und Sagen, die mit der Altstadt in Verbindung stehen. Sehr interessant, allerdings waren alle froh, dass es so kurz war, die Sonne brannte und brennt hier nämlich immer noch unbarmherzig von morgens bis abends.
Gestern stand dann ein längerer Ausflug auf dem Programm: Kaum in Montenegro angekommen, musste ich das Land auch schon wieder verlassen, allerdings nur um im Nachbarland Albanien eine Festung und die Stadt Shkodra zu besichtigen. Hier zeigte sich, dass es hilfreich sein kann, Fan des 1. FC Kaiserslautern zu sein, bin ich doch durch regelmäßige Besuche des Betzenbergs im Bergsteigen geübt. Belohnt wurde man hier allerdings nicht mit mehr oder minder katastrophalem Fußball, sondern mit einem atemberaubenden Ausblick über die Landschaft Albaniens.
IMG_3379

Rechts die Stadt Shkodra und im Hintergrund ausnahmsweise nicht das Meer sondern ein See

Rechts die Stadt Shkodra und im Hintergrund ausnahmsweise nicht das Meer sondern ein See


An der Grenze bemerkte ich wieder meine bereits erwähnte Unerfahrenheit mit Grenzkontrollen. Es gab Probleme, weil irgendeine Liste gefehlt hatte, alle Pässe mussten eingesammelt werden, obwohl sie später gar nicht gebraucht wurden. Es bleibt mir unbegreiflich, warum ich einen in der Landschaft so fließenden Übergang nicht einfach übertreten darf, weil vor Urzeiten eine willkürliche, durch Kriege und Krisen immer wieder veränderte Linie gezogen wurde. Uniformen machen mir Angst und geben mir kein Gefühl von Sicherheit, sondern ein Gefühl der ständigen Bedrohung. Noch vor wenigen Tagen konnte ich einfach so sagen, dass offene Grenzen etwas sind, was ich vermissen werde, doch die Realität machte mir einen dicken, schwarzen Strich durch die Rechnung, weil unsere Politiker ja scheinbar glauben, dass die Flüchtlinge weg sind, wenn man sie nur nicht mehr sehen kann und flugs mal die Grenze zu Österreich dicht machten.
Doch wenn mich die Grenzen nerven, gibt es auch wesentlich schlimmere Schicksale, als hier in Ulcinj zu bleiben. Mein Blick vom Balkon ist es schon wert, sich mit Stempeln, Pässen und Zollbeamten rumzuschlagen.
IMG_3348
Die Menschen sind wahnsinnig nett, es gibt aber immer wieder Dinge, die ich lernen muss.
Ein kleiner Überblick:
Was ich nicht darf: meine Rechnungen im Restaurant selbst bezahlen. Als ich mit meiner Vorgängerin Alex unterwegs war, die gefühlt die gesamte Stadt kennt, wurden wir ständig und überall eingeladen und durften selbst nach lautstarkem Protest nicht bezahlen. Auch meine deutschen Kollegen scheinen sich schon so weit akklimatisiert zu haben, dass sie zumindest diese Eigenheit der Montenegriner und Albaner übernommen haben.
Was ich nicht darf: versuchen, montenegrinisch zu reden. Vorneweg, mein Montenegrinisch beschränkt sich auf ca. 5 Wörter. Den Sprachkurs habe ich noch nicht angefangen, ich könnte also kein vernünftiges Gespräch führen. Das muss ich aber auch nicht. Ich muss nur durch die Straßen laufen und mich auf deutsch unterhalten, ich werde ständig angesprochen: „Deutsch? Ja, ja, guten Tag, wie geht’s? Wie ist Ulcinj?“ Danach erzählen die Menschen, dass vor dem Krieg immer sehr viele deutsche Touristen kamen, jetzt allerdings nicht mehr. Doch daher können zumindest die älteren fast ausnahmslos deutsch und freuen sich, ihre Sprachkenntnisse mal wieder aufzufrischen. Sie hoffen nämlich, dass in Zukunft wieder mehr Touristen aus Deutschland kommen. (An dieser Stelle ein Insider-Tipp: Es lohnt sich 😀 )
Was ich nicht darf: eine der zahlreichen Katzen, die scheinbar auf meinem Balkon wohnen, in meine Wohnung lassen. Das hat meine Vermieterin ausdrücklich gesagt, doch ich kann sie beruhigen: Die Katzen mögen mich nicht. Ich darf sie nicht streicheln, dann rennen sie gleich weg und sie kucken mich immer an, als wollten sie sagen: „Was willst du eigentlich hier?“ Kurt meinte, Katzen wären bestechlich, doch auch mein Joghurt konnte sie nicht abschließend überzeugen, mich in ihrem Revier zu akzeptieren. Hat jemand einen heißen Tipp für mich?
Was ich nicht darf: mir Gedanken über meine Vorurteile machen. Die sind nämlich alle von vorne bis hinten völliger Blödsinn! Eigentlich brauche ich nur Kurt zu zitieren, um die Absurdität aller Vorurteile zu verdeutlichen. Er fragte mich, ob ich schon wisse, dass hier 80% der Einwohner Albaner seien, und damit ja auch 80% Moslems. Als ich das bejahte, sagte er: „Ja, das sieht man ja auch, die Mädels sind ja alle total verschleiert, bei manchen sieht man nicht mal den Bauchnabel.“ Und das stimmt, mit diesen knappen Klamotten hätten meine Eltern mich vermutlich nicht auf die Straße gelassen, abgesehen davon, dass das bei mir ja auch keiner sehen will 😉
Alles in allem ist es also bis jetzt eine wirklich tolle Zeit, ich warte darauf, was passiert, wenn dann der Alltag richtig losgeht, d.h. die deutschen Austauschschüler wieder weg sind und die Schule losgeht, und wie die Stadt aussieht, wenn die letzten Touristen weg sind, weil man mir schon verraten hat, dass dann ziemlich tote Hose ist. Egal, dann schaue ich eben weiter aufs Meer und teile meine wirren Gedanken mit euch und der ganzen Welt 🙂

Zur Werkzeugleiste springen