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Noch zu retten?

Es sind wieder Ferien und ich sitze im Garten bei 35 Grad und habe wieder Lust, zu schreiben.

Ein gut gefülltes Semester liegt hinter mir, ich musste in den letzten Tagen und Wochen wieder lernen, was es heißt, zu entspannen, zu lesen, die Gedanken schweifen zu lassen.

Der Wind weht ruhig, die Straßen sind leergefegt und über den hohen Maisfelder strahlt ein verdächtig blauer Himmel. Keine Wolke weit und breit. Die weißen Familienvans parken perfekt in den mit weißer Farbe und wahrscheinlich in DIN-Norm angestrichenen Markierungen. Die Rolladen sind heruntergezogen. Auf der Wiese spielen sonst wohl Kinder. Im Wald zwitschern die Vögel, ein scheues Reh huscht über den manikürten Trampelpfad. Es kommen Momente, in denen man sich fragt: Wer bin ich? Was mache ich hier überhaupt?

Zeit, um nachzudenken.

Eine Tickermeldung jagt die andere, Hitzesommer, Dürre in Frankreich, Fischsterben in der Oder, Wal in der Seine gestorben, Waldbrände im Herz, ach ja: Corona-Zahlen steigen; der Herbst wird wild, Covid-19 gibt es ja auch noch…

Vor allem der Klimawandel ist es, der bei mir in Ansätzen eine Weltschmerz-Erfahrung auslöst. Letztes Jahr verschlug uns das Hochwasser an der Ahr den Atem: Tote. Menschen, deren Hab und Gut wegschwamm. Die sich alles von 0 aufbauen mussten. Wir merkten: Der Klimawandel, das ist nichts, das im fernen Afrika in Dürrekatastrophen passiert oder an weitentfernten Polkappen, die abschmelzen, sondern er kann uns direkt in unseren heimischen Vorgärten treffen.

Und diesen Sommer? Ist irgendwem schon die starke Wespenpräsenz aufgefallen? Die andauernde Hitze? Die von Algen geplagten Flüsse? Es wird düster.

Klar, wir alle genießen die lauen Sommerabende, halten kurz inne, wenn wir den Geruch des Sommers in der Nase spüren (irgendetwas zwischen Wassermelone, Bionade, warmer Erde und gemähtem Rasen) und saugen die Sonnenstrahlen auf.

Beiträge wie „Starke Regen gab es früher auch“ oder „Wir hatten doch früher auch warme Sommer“ stören, machen sogar aggressiv. Sie kommen meistens von älteren Menschen, die die Konsequenzen des Klimawandels nicht mehr erleben werden. Ich möchte hier kein Alten-Bashing betreiben, aber ich finde es arrogant, von uns, der Generation Z oder wie auch immer man uns bezeichnen mag, Verzicht zu verlangen, während

Natürlich ist die Schuld nicht allein beim Otto Normalverbraucher, der heute bierschlürfend mit Mitte 60 im Sessel sitzt, zu suchen oder gar bei unseren geliebten Großeltern, sondern bei den Staatenlenkern, Politikmachenden und Abgeordneten, die verantwortlich GEWESEN WÄREN, die Gefahr zu erkennen (nochmals: spätestens seit den 70ern warnt der Club of Rome vor einer Klimaerwärmung!) und entsprechend zu handeln.

Erinnern wir uns doch: Selbst vor 10 Jahren war das Thema Klimawandel nicht sonderlich attraktiv, höchstens ein Sparten- und Wahlkampfthema für die Grünen. Schaut man sich Spots zur Bundestagswahl 2017 an, merkt man, dass der Klimawandel und seine Folgen eine lästige Randerscheinung war: Ja, er musste irgendwie rein. Meistens verpackt in Formulierungen wie „für eine saubere Zukunft“, dazu für wenige Sekunden ein paar Windradbildchen und lachende Kinder auf einer Wiese.

Man kann ja von Greta Thunberg und den schulstreikenden Kids (ich selbst habe an keiner Demo teilgenommen) halten, was man will: Sie haben es auf alle Fälle geschafft, das Thema Zukunft auf die Straße zu bringen. Wenngleich nach meinem Geschmack öfter über das Schulschwänzen gesprochen wurde als über das inhaltliche Anliegen, beherrschten die Streiks wochenlang die Schlagzeilen

Wie wird die Welt in 50 Jahren aussehen? Mit welchem Blick wird der 30-, 40-, 50- und 60-jährige Mark auf diesen Zeilen blicken? Welche wird er milde belächeln (es war doch alles schlimmer), welche wird er für übertrieben halten?

Viele in meiner Generation möchten Kinder in die Welt setzen. Doch immer häufiger höre ich, auch in eher unpolitischen Kreisen, dass man zweifele, Kinder in die Welt zu setzen. Wenn wir schon in 60,70 Jahren aus dem Lebensspiel scheiden und eine vertrocknete, verpestete und überschwemmte Erde hinterlassen werden, wie sehen dann wohl die Lebenschancen meiner Kinder, Enkelkinder und Urenkelkinder aus?

Ich möchte hier wirklich nicht den Teufel an die Wand malen, trotzdem ist es mir ein inneres Bedürfnis, dies loszuwerden. Auf der anderen Seite versuche ich, uneingeschränkten Optimismus walten zu lassen. Heute ist doch ein schöner Tag. Carpe diem.

Es gibt diesen schönen Satz: Im Grunde haben beide unrecht – der Optimist und der Pessismist. Aber der Optimist lebt besser.

Bemerkenswert finde ich, wie vielen Menschen das Thema Klimakatastrophe und somit ihre eigene Lebensqualität nicht interessiert. Hier ist der Vergleich zu meiner mexikanischen Heimat interessant: In Mexiko besitzt die Klimakrise bei weitem nicht die mediale Aufmerksamkeit, die sie verdient hat – und das obwohl Mexiko-Stadt in den Abgasen erstickt, neue Ölraffinerien aus dem Boden sprießen und ein neuer Touristenzug an der Karibikküste Korallenriffe zerstört. Das liegt meines Erachtens daran, dass es in Ländern wie Mexiko ganz andere Probleme gibt: Korruption, Drogenkrieg, Kriminalität und ein marodes Staatswesen. Wer in einem solchen Land Angst hat, das Haus zu verlassen, der kümmert sich wenig um globale Makrophänomene. Wenn täglich Frauen entführt, vergewaltigt und von Banden ermordet werden, wenn Todeslisten für Journalisten nur aufgrund ihrer Tätigkeit angefertigt werden, wenn ein Staat die Sicherheit seiner Bürger nicht mehr gewährleisten kann, dann erscheint diese Nicht-Beachtung verständlich.

Klar, ich lebe im Süden Deutschland, in Hanglage, es sind heiße Sommer – uns werden die Auswirkungen des Klimawandels auch bei höheren Temperaturen nicht so hart treffen.

Aber wer fragt unsere holländischen Freunde entlang des Meeres? Und wie werden die politischen Reaktionen sein, wenn sich Menschen aus Westafrika auf den Weg machen, weil die Dürren oder Überschwemmungen ihre Ernten vernichten, die auch unsere Lebensgrundlage hier sichern?

Ich blicke in ihre Gesichter: Noch lachen sie. Ob ihnen die Zerstörung der Welt am Allerwertesten vorbeigeht? Wahrscheinlich.

Ich nehme mich da nicht raus: Auch ich esse gelegentlich Fleisch, fliege mit dem Flugzeug in den Urlaub, fahre Auto. Ich kann und möchte etwas ändern.

Das Schlimme ist das Gefühl der Machtlosigkeit: Man fühlt sich als Individuum unfähig, irgendetwas zu tun. Klar, jeder kann Maßnahmen in seiner persönlichen Lebenssituation einleiten und dadurch ruhig auf dem Daunenkissen schlafen, aber es braucht ja auch globale, internationale Lösungen!

Und von Politikern bekommt man zu hören; JA, ABER Deutschland ist ja nur für 2 Prozent der Netto-CO2-Emissionen zuständig.

Oder: Vielleicht wird es doch gar nicht so schlimm. Entspann Dich doch einmal. Wer weiß, wie es in 20 Jahren hier aussieht?

Was bringt es, bei mir zuhause das Licht auszuschalten und aufs Rad zu steigen, während in China neue Kohlekraftwerke gebaut, Flüsse durch Bekleidungsunternehmen verunreinigt oder in Brasilien pro Minute ein Fußballfeld Regenwald abgeholzt wird?

Der Witz ist, dass die Wissenschaft uns sagt: Wenn wir es nur schaffen, die Erderwärmung unter 1,5 Grad zu halten, werden wir die schlimmen Naturphänomene (Hochwasser, Dürre …) nicht in dieser Intensität erleben, wie wenn wir dieses Ziel überschreiten. Und klar, man traf sich im Herbst 2015 in Paris für schöne Bilder, unterschrieb einen Vertrag, den Staatenlenker wie „Obama“ als historisch bezeichneten, es fielen die Vokabeln „Zukunft“, „künftige Generationen“ und „Verantwortung“. Danach kam Trump, wir wissen, wie es weiterging, aber auch vermeintlich progressive westliche Industriestaaten (Deutschland hust) hielten den Vertrag nicht ein. Ich weiß noch, wie ich voller Wut und Tränen war, als ich in der Küche die Liveübertragung aus dem Rosengarten des Weißen Hauses anschaute – bei der Trump den Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen ankündigte.

Jeder Tesla, den ich in den darauffolgenden Tage auf der Straße herumfahren sah, war für mich ein Lichtblick, eine Karosse der (Energie)Freiheit an einem ergrauten Horizont.

Es gibt jedoch noch eine weitere zu berücksichtigende Tatsache: Viele Schwellenländer sehnen sich dieses Wachstum und diesen Wohlstand herbei, Länder wie Indien streben nach diesem Industrieniveau und werden dieses irgendwann erreichen. Dies bedeutet auch einen höheren Verbrauch, mehr Ressourcen, mehr Emissionen. Und warum sollen wir diesen Staaten jetzt sagen: „Wir haben genug CO2 in die Atmosphäre geschleudert und hören damit auf, jetzt müsst Ihr Euch aber auch daran halten“.

Dieses Wachstum steht ihnen zu, dieser Wohlstand ist verdient. Das ist analog zu meiner Generation, die jetzt verzichten soll: Auf das Auto, das Eigenheim, Flugreisen, Fleischkonsum. Tragen wir die Schuld? Und warum dürfen ältere Menschen unbekümmert durchs Leben gehen?

Doch es löst die Probleme nicht. Auch der Generationenkonflikt hilft uns nicht weiter.

Wann wachen alle auf?

Ich fühle mich scheinheilig und wie ein Fanatiker!

Ich glaube, ich werde bei meinem Optimismus bleiben. Ja, die Lage ist schwierig, es kommen harte Zeiten auf uns zu. Die fetten Jahre sind vorbei! Aber ich und Du haben die Wahl, mit welcher Einstellung wir durchs Leben angesichts dieser horrenden Tatsachen spazieren. Möchte ich für den Rest meines Lebens wie ein Griesgram spazieren und mir Sorgen um alles und jeden machen?

Ja, die Wissenschaft (ja, ich spreche bewusst von DER Wissenschaft, da sich 99% einig sind, dass der Klimawandel real ist und es schneller außergewöhnlicher Lösungen bedarf) und Klimaforscher*innen sprechen eine unmissverständliche Sprache.

Ich habe die Hoffnung, dass es uns noch irgendwie gelingt, die Kurve zu kriegen. Dass wir alle – Staats- und Regierungschefs als auch globale Bürger*innen – unser Verhalten ändern, unsere Lösungen und Konzepte überarbeiten und uns der Tragweite der Situation bewusst werden. Dass ich meinen Enkeln einmal sagen kann: Wir haben es doch noch geschafft und die erneuerbaren Energien für uns neu entdeckt, Wälder, Äcker und Moore geschont, unsere Ernährung umgestellt und insgesamt Mutter Erde so anfingen zu behandeln, wie wir selbst als Teil von ihr behandelt werden möchten.

Das ist der Traum, die Vision, die mich antreibt. Ich bin gespannt, was ich in 20 Jahren über diese Zeilen sagen werde.

Ich blicke zurück in meinen Wald: Hier ist noch alles ruhig. Keine Kettensäge ist zu hören, die Sonne bohrt sich ruhig durch das Dickicht der Bäume, vereinzelt Vogelgezwitscher, hier und da eine kleine Feldmaus, die das Laub durcheinanderwirbelt.

Auf einmal: Unbestimmte Motorgeräusche. Man hört Rascheln, Tiere verstecken sich, wo kommt dieses Geheule her? Es ist ein Waldarbeiter, der ein paar Bäume zurechtstutzt. Ein paar von ihnen hat er bereits gefällt, sie liegen ihm zu Füßen. Wir haben es wohl nicht verstanden.

 

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