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Ab nach Belém!

Bom dia  todas e todos,

tudo bem?

Hallo alle,

alles gut?

Ich bin so unfassbar dankbar, für alles, was passiert ist. Und ich bin sehr dankbar, dass ich die Möglichkeit hatte, Belém kennenzulernen – den Ort, an dem ich ein Jahr gearbeitet hätte.

Am Sonntag, 15.03.2020 geht es für mich los. Ich habe immer noch keine E-Mail von kulturweit mit einer Aufforderung zur Rückkehr nach Deutschland bekommen, also deutet das Goethe-Institut dies als ein gutes Zeichen und ich darf am Sonntagmorgen nach Belém fliegen. Ich bin extrem dankbar dafür, dass meine Ansprechpartnerinnen am Goethe-Institut uns von Anfang an so positiv gestimmt haben und Himmel und Erde in Bewegung gesetzt haben, damit wir doch noch noch bleiben dürfen.

Der Uber-Fahrer ist ein wahrer Gentleman. Seinen Bart hat er perfekt gestutzt und er blickt mich mit wachen Augen an: Er ist höflich, fragt mich nach meiner Lieblingsmusik und redet mit einer sehr ruhigen und bedachten Art, die mir sehr imponiert. Auf unserer 35-minütigen Autofahrt schaffen wir es, ganz verschiedene Themen anzureißen, sogar bis zur brasilianischen Bildungspolitik kommen wir.

Am Flughafen verläuft alles normal, ich sehe mehr Menschen als erwartet mit Mundschutz. Nervös nippe ich am cafezinho und esse ein pão de queijo dazu – ein typisch brasilianisches Käsebrötchen.

Ich steige in ein eiskalt gekühltes Flugzeug. Wir fliegen 3 Stunden und 50 Minuten. Mein Blick bleibt während des gesamten Fluges an der Scheibe kleben:

 

 

Plötzlich erspähe ich Regenwald, dunkle Büsche und sehr viel Wasser. Mein Instinkt (und der Blick auf die Uhr) verraten mir, dass wir im Landeanflug auf Belém sein müssen.

Das Wasser hat eine bräunliche Färbung und es regnet wie verrückt. Das Flugzeug fliegt weiter nach Macapá, es legt nur einen Zwischenstopp in Belém ein.

Gelandet. Umgeben von Hochhäusern, dem kräftigen Amazonas-Fluss und dunklem Gebüsch. Ich steige aus dem Flieger und mir schlägt eine atemberaubende Feuchtigkeit entgegen. Ich nehme meinen schweißnassen Koffer an mich und laufe strammen Schrittes Richtung Ausgang, wo mich Tiago, mein Ansprechpartner an der Schule, bereits erwartet. „Wir haben 90% Luftfeuchtigkeit heute“, teilt er mir auf dem Weg zum Auto mit. „Das passt“, denke ich mir.

Im Auto plaudern wir ein wenig. Tiago sagt mir, dass ich erstmal ankommen soll und erst in einer Woche an die Schule darf. Es ist eine öffentliche Schule mit mehr als 1000 Schüler*Innen und sie möchten lieber kein Risiko eingehen, indem sie einen Freiwilligen aus einem Corona-Risikogebiet in den Unterricht lassen. Absolut verständlich!

Wir fahren zu meinem neuen Zuhause – dem Ort, an dem ich meine ersten Monate in Belém verbringen sollte. Es ist ein schönes Pfarrhaus der evangelisch-lutheranischen Kirche im Amazonas-Stil, hinter einem abgeriegelten Hof führt ein enger Pfad zu einem kleinen Häuschen mit zwei Stockwerken. Im zweiten Stock wohnt Nicolau, der Pastor der Kirche. Er ist Mitte sechzig, trägt ein kleinen Bart und wirkt sehr freundlich.

Er drückt mir ein Paar schwarze Havaianas, die brasilianischen Schlappen, in die Hand und zeigt mir mein kleines Zimmer. Er redet sehr schnell, er besitzt den typischen Dialekt aus dem Nordwesten, sodass ich anfangs nur 60% von dem verstehe, was er sagt. Das Zimmer ist leer, lediglich ein Bett ohne Bezug samt Kopfkissen und eine Kommode aus Amazonas-Holz schmücken es. Es gefällt mir. „Wir müssen es unbedingt mal streichen“, sagt Nicolau. „Sehr gerne!“. Ich muss schmunzeln bei dem Gedanken. Ich wollte ja schließlich meine handwerklichen und motorischen Fähigkeiten trainieren – Gebiete, auf denen ich, sagen wir, etwas Nachholbedarf habe.

Home Sweet Home

 

Die evangelisch-lutheranische Kirche, im Amazonas-Baustil

 

 

À propos … Darf ich vorstellen? Meine neuen Mitbewohner heißen von nun an Isabella und Alessandro. Sie sind Katzen. Und verdammt süße Katzen. Vor allem Isabella ist sehr zahm und sucht ständig Nähe zu mir. Jedes Mal, ich das Haus verlasse oder hineinkomme, bohrt sie sich mit ihren Krallen fest in meinen Turnschuh. Um sich loszulösen, verlangt sie eine Extra-Streicheleinheit von mir …

Isabella, wir mögen uns sehr!

Alessandro

Danach gehen wir mittagessen. Wir steigen in Nicolaus Fiat, das Auto der Kirche,und befahren die breitspurige Avenida João Paulo II bis wir in einer sehr schmalen und steilen Straße halten. Neben einer Zweigstelle der Policía Federal, der Bundespolizei – dem Ort, an dem ich mich eigentlich innerhalb der ersten drei Monaten registrieren muss, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten, erspähe ich eine typisch brasilianische Churrascaria, ein brasilianisches Barbecue-Restaurant. Lachend und mit Kohldampf betreten Tiago, Nicolau und ich das kleine Lokal. Es handelt sich um ein sogenanntes Kilo-Restaurant, das heißt, man macht sich den Teller ordentlich voll und legt ihn anschließend auf eine Waage. In dieser klassischen Churrascaria läuft der Essensgang wie folgt ab: Zunächst serviert man sich verschiedene Vorspeisen: frittierter Maniok (mandioca), Reis (arroz), schwarze und braune Bohnen (feijão), geröstetes Maniokmehl (farofa), Krabben (cangurejo), (Kartoffel-)Salat. Anschließend geht man zum Grillmeister, der sich an mehrere rotierende Fleischspieße zu schaffen macht. Mit einer Zange nimmt sich jeder Kunde unterschiedlich große Fleischstücke (Picanha, Schweinelende, Speck, Wurst) frisch vom Spieß. Dann wird bezahlt. Ich habe großen Hunger, also wird es etwas teurer.

Ein typisch brasilianisches Mittagessen: Fleisch, Bohnen, Reis, Farofa – dazu Kartoffelpüree

Beim Essen führen wir den klassischen Small-Talk. Ich berichte von Deutschland, meiner Familie und meiner Vorfreude auf das kommende Jahr in Brasilien. Das Fleisch schmeckt köstlich. Nicht zu durch, genau perfekt. Dazu das fluffige Maniokmehl mit dem zarten Reis im Mund und es entsteht ein wahres Feuerwerk der Geschmacksrichtungen…

Zum Trinken gibt’s den typisch brasilianischen Softdrink Guaraná, aus der Guaraná-Pflanze gewonnnen, die sehr koffeinhaltig ist. Und açaí. Was ist açaí ? Açaí ist so etwas wie ein Nationalheiligtum im Norden Brasiliens. Als Superfood eroberte sich die kleine Beere aus dem Amazonas ihren Weg in zahlreiche Strandbars und Fitness-Stores des Landes, wo sie von vielen Sportlern als Energiebooster konsumiert wird. Viele Brasilianer kennen açaí als sorvete, als Eis. Hier in Belém wird açaí als Pudding gegessen oder vielmehr getrunken, vermischt mit – wer hätte es gedacht – Maniokmehl (oder wahlweise auch mit Zucker).

Açaí-Pudding

Ich kann kaum beschreiben, wie mir açaí schmeckt. Etwas salzig und erdig, aber trotzdem gut. Der braune Rohrzucker hilft da ein bisschen …

Ich habe miich auf jeden Fall sattgegessen. Wir gehen zurück zu Nicolau, wo mich Tiago mit seinem Auto in den Supermarkt um die Ecke mitnimmt. Ich möchte meinen ersten Wocheneinkauf in Brasilien erledigen, hiphiphurra. Tiago hat mir netterweise einen Ventilator geliehen, den ich nachts sehr brauchen werde 😉 Ich schlendere durch den kleinen Supermarkt und versuche mir einen Überblick zu verschaffen: Viel Obst und Gemüse, viele Bohnen, viel Reis. Große Kanister stilles Wasser, da man das Leitungswasser wie so oft in Lateinamerika nicht trinken kann.

Ich entscheide mich dagegen, Bettbezug und Kopfkissen gleich zu kaufen, schließlich weiß ich ja noch nicht, ob ich das ganze Jahr hier bleiben darf.

Tiago ich kaufen Zahnpasta, Weißbrot (pão branco), Schinken (presunto), Käse (queijo), Papaya (mamão), Mango (manga), Limetten (limão), Duschgel. Das übliche Zeugs halt … Hier in Brasilien gibt es ähnliche Marken wie in Mexiko, die bekannteste Brotmarke“Bimbo“ heißt hier allerdings „Pullman“. Allgemein haben die Geschäfte, die Straßenzüge und Häuser hier große Ähnlichkeit zu meiner mexikanischen Heimat Cuernavaca.

 

Tiago und ich fahren durch sehr arme Straßen. An den Bordsteinkanten sammelt sich der Müll der letzten Wochen. Hinzu kommt, dass es in Belém, so wie bei meiner Ankunft, jeden Tag fett regnet. Und ich rede nicht von „Gewitterchen“ oder einem leichten Nieselregen, wie wir ihn aus Deutschland kennen, NEIN: Niagara-Fälle. Die verwandeln Belém in ein zweites Atlantis. Das hat schöne und nicht so schöne Seiten. Die Abfälle auf den Straßen, die sonst in der Sonne brutzeln, entfalten bei Regen ihren wahren Geruch. Alles wirkt schwerer, träger, dunkler und nasser. Aber die Menschen scheint es nicht zu stören. In Shorts und FlipFlops gehen sie trotzdem ihren Verpflichtungen nach und unterhalten sich locker. Anders als in Rio, wo die cariocas, die Einwohner, bekennende Regenhasser sind und Verabredungen bei wenigen Tröpfchen bereits absagen. Ich empfinde den Regen irgendwie als erfrischend, nach den durchgängigen 30°C wirkt es wie eine kalte Dusche. Die Regen dauern auch nicht lange – sie fangen wie aus dem nichts an und können nach 10 Minuten wieder vorbei sein.

Die täglichen Amazonas-Mittagsregen haben hier im Norden auch eine tagesbestimmende Zeitkompenente: Man trifft sich mit Freunden „antes da chuva“ oder „depois da chuva„- vor oder nach dem Regen.

Wenn ihr wissen wollt, von was ich rede: Das war die Regensaison mit starken Hochwassern, die kurz vor meiner Ankunft auftraten:

Regenwasser in Belém

Gut gelaunt gehe ich wieder zu Nicolau. Er besitzt weder einen Fernseher noch sonstige elektronische Unterhaltungsinstrumente, also verbringen wir den Abend bei acai und etwas Obst. Er erzählt mir von seinen Sozialprojekten mit den Armen auf der Straße, seinen Werdegang als Pfarrer und dass seine Freundin 25 Minuten von ihm entfernt wohnt. Wir verstehen uns wirklich sehr gut. Auf einmal holt er eine riesige Schale aus dem Wohnzimmer. „Diese Schale haben Indianer  im Regenwald von Pará angefertigt.“ Wie alt sie ist, frage ich ihn. „Über 100 Jahre“. Ich bin schwer beeindruckt und taste das Gefäß vorsichtig an. Darf ich mein Obst hineinlegen, das ich heute gekauft habe? Nicolau lächelt.

Erschlagen von so vielen unterschiedlichen Eindrücken falle ich in mein unbezogenes Bett. Meine Jacke dient mir als Kopfkissen. Der Ventilator summt eine leise Melodie, die mich in den Schlaf wiegt.

 

Ich freue mich auf mein neues Leben.

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