Einmal Star und zurück
Unaufhörlich tickte der Zeiger meiner Armbanduhr gegen den Bücherstapel auf dem Tisch an. Letzterer wurde jedoch immer größer und draußen wurde es immer dunkler. Wir hatten am Mittag eine Lieferung Bücher bekommen, natürlich vollkommen unsortiert, die sich nun langsam aber sicher gen Decke aufhäuften. Und immer noch stand eine Kiste ungeöffnet in der Ecke. Immer länger wurde ihr Schatten, damit wir es ja nicht wagen würden sie über Nacht dort liegen zu lassen. Schließlich fiel die Entscheidung jedoch zu Gunsten des inneren Schweinehundes: zu groß die Erschöpfung, zu spät der Abend. Droh uns nur Kiste, du und welche Armee!
Ich lief die Treppen hinunter zur Bibliothek. Einmal schnell „Hallo“ sagen und dann ab nach Hause – dachte ich. Doch wie so oft kam es anders. Diesmal in Form eines golden glitzernden Etwas auf dem Schreibtisch des Bibliothekars. Schwarze Punkte und bengalische Schriftzeichen formten sich zu einem Mikrofon, aus Pappe war eine rundliche Karte ausgestanzt. „Eine Einladung“, erklärte I – und was für eine! Ein paar befreundete Musiker und ein Designer hatten keine Lust zur Verleihung der „5th Citycell Channel-I Bangladesh Music Awards“ zu fahren und so lag diese schwere Pflicht nun auf den Schultern zweier unbedarfter deutscher Praktikanten. Um diese Bürde leichter tragen zu können, warfen wir uns natürlich in Schale und fuhren in Begleitung von Z und dessen Freund T ins Sheraton Hotel.
Der Saal war schon halb gefüllt, Fernsehkameras und Platzanweiserinnen rannten herum, auf der Bühne wurden letzte Elemente der Dekoration befestigt. Unauffällig setzten wir und zur anonymen Masse in die Mitte. An der linken und rechten Ecke des Raumes wurde mit der Beleuchtung experimentiert; befrackte Geiger schienen abwechselnd blau und rot. Staunend verfolgte ich die Bewegung des Kamerakrans und merkte kaum wie meine Begleiter aufstanden und von einer netten jungen Dame ans linke Ende der Stuhlreihen geführt wurden. Natürlich lief ich hinterher und fand mich auf einmal inmitten des Who-is-Who in Bangladesh wieder.
Da wir mit dem Gedanken gespielt hatten, für die Feier zu „1 Jahr PASCH in Bangladesh“ einen bekannten Musiker einzuladen, hatte ich mir die Tage zu vor gefühlte 100 bengalische Musikvideos angeschaut und diese Leute saßen nun neben mir. Oder hinter mir. Oder zwei Reihen vor mir. Egal wo ich hinsah, überall Promis. Rapper, Rocker, Schlagersänger, Gitarristen, Schlagzeuger, Playbacksänger, Schönlinge und alte Männer mit Sonnenbrille. So ist das also, wenn man auf den Eintrittskarten von Bangladeshs (je nach Quelle) berühmtester Band auf die Verleihung des wichtigsten Musikpreises geht. Und eines Bookletdesigners.
Nach einer halben Stunde wurde es langsam ruhiger, die Lichter gingen aus und durch Lautsprecher wurde die Liveübertragung angezählt. Mit triumphaler Musikbegleitung kam eine glitzernde junge Frau auf die Bühne, die uns nun die nächsten zweieinhalb Stunden zuquasseln sollte. Nach und nach wurden nun in einer Kategorie nach der anderen Preise vergeben, auf der Leinwand wurden die Leute, die um uns herumsaßen nocheinmal gezeigt und jeweils einer von vier bekam dann den Preis, ein goldenes Mikrofon – wie einfallsreich. Die Show war langweilig. Die meiste Zeit war die Moderatorin am Reden, das Publikum redete auch und wenn nicht zwei Männer, zwei Reihen hinter mir und eine Reihe vor mir, nicht auf die Sieger gewettet hätten und sich nach jeder Verleihung lauthals angeschrien hätten, wäre ich vermutlich eingeschlafen. Stattdessen war auf einmal das beste Albumcover an der Reihe und Diana gewann. Also nicht sie sondern der, welcher eigentlich an ihrer statt hätte kommen sollen. So stand jedoch auf einmal die Kamera neben uns und sie war groß im Bild und ehe wir es uns versahen stand sie auf der Bühne, grinste etwas schüchtern in die Runde und bekam einen Preis zu- aber nicht das Wort erteilt. Glück für sie, schade für uns. Großer Applaus im Raum, tausend Gratulationen, fünfhundert Visitenkarten und nur ab und zu die Erklärung „Ich bin eigentlich gar nicht Plan B, ich vertrete ihn nur“.
Ja, da hat man also nun nen Musikpreis, ruft dann den eigentlichen Gewinner an und der meint dann „Ne Diana, also auf son scheiß Messingmikrofon hab ich echt kein Bock, nimm du mal mit nach Deutschland“. Dann fährt man eben mal mit dem Auto und lauter Musik in ein Restaurant und stellt erstmal den Preis auf den Tisch. (Zum Vergleich, ihr seid in irgendeinem Lokal in eurer Stadt und auf einmal kommt jemand rein, stellt nen Grammy auf den Tisch und bestellt). Das goldene Ding wirkte jedenfalls auf die anderen Gäste wie auch die Kellner wie ein Magnet, hinter jedem von uns standen während des ganzen Essens mindestens 2 Kellner, die uns jeden Wunsch von den Augen ab lasen.
Da das Ganze ein All-You-Can-Eat Restaurant war – und Efes hieß, das entsprechende Bier aber natürlich niemand kannte – fuhren wir zwei Stunden später ziemlich satt an die Tanke, machten dumme Sprüche, uns über alles und jeden lustig und fühlten uns wirklich wie eine stadtbekannte Band.
Naja, fühlt sich toll an, aber man kann dieses Gefühl – warum finden mich jetzt eigentlich alle toll? – schon ganz gut nachvollziehen – gab bei uns ja wirklich keinen richtigen Grund.
Ich bin wieder heil nach Hause zurückgekommen, auf dem Boden geblieben und zurück in Deutschland hoffentlich immer noch der Alte 😉
„Hey, hey, hey, I was a Dhaka Rockstar!“
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Wow, Du hast einen tollen Anzug an!