Werte Leser,
als jemand, der sich mit Polen beschäftigt und gerne Sehenswürdigkeiten besucht, darf man natürlich ein Gebäude nicht verpassen: Die Marienburg.
Heimstatt des Deutschen Ordens, Hauptstadt ihres Staates, polnische königliche Residenz, preußische Kaserne: Die Marienburg war auf viele Weisen von zentraler politischer Bedeutung.
Der Deutsche Orden wurde um 1190 im Heiligen Land als Spitalgemeinschaft gegründet und 1198 zum geistlichen Ritterorden erhoben, der bis heute besteht. Nach dem Scheitern der Kreuzzüge war der Orden im Mittelalter maßgeblich an der deutschen Ostkolonisation und der teils gewaltsamen Christianisierung des Baltikums beteiligt. Der Orden gründete dort einen eigenen Staat, der in seiner Blütezeit, als er auch das Gebiet des Schwertbrüder- oder Livländischen Ordens umfasste, bis nach Estland reichte und einer der reichsten und mächtigsten Staaten Mitteleuropas war. Nach der verheerenden Niederlage der Ritter bei Tannenberg im Jahre 1410 gegen Polen-Litauen begann der Niedergang dieses Staates, der im Jahre 1525 säkularisiert und damit zum Herzogtum Preußen umgewandelt wurde.
Während ihrer Herrschaft überzogen die Deutschordensritter das Baltikum mit einer Vielzahl von Burgen, die gleichzeitig Verteidigungsanlagen, Verwaltungszentren und Klöster waren.
Eine solche war die Marienburg, deren Bau im 13. Jahrhundert begann. 1280 wurde das befestigte Konventshaus bezogen. Im Jahr 1309 machte der Orden die Marienburg zu seinem Sitz , woraufhin das Konventshaus in einem vierzigjährigen Umbau in das Hochschloss, den zentralen Teil der Burg verwandelt wurde. Die ehemalige Vorburg erfuhr eine Erweiterung zum Mittelschloss und im 14. und 15. Jahrhundert wurde eine neue, große Vorburg außerhalb der alten Anlage errichtet. Im dreizehnjährigen Kriege besetzten im Jahre 1457 polnische Truppen die Burg, der Hochmeister floh nach Königsberg und musste im Zweiten Frieden von Thorn die Herrschaft Polens über Burg und Umland anerkennen. Bis zur Säkularisierung des Ordensstaates 1525 befand sich der Sitz des Ordens in Königsberg. Das Hochschloss der Marienburg wurde in ein Lager umgewandelt, während im Mittelschloss Beamte untergebracht waren. Die Burg verfiel schleichend, bis im 17. Jahrhundert in der Burg Königsgemächer eingerichtet wurden. Während das Gebäude die Schwedenkriege gut überstand, brannte 1644 der Dachstuhl des Hochschlosses ab. Die Renovierungsarbeiten orientierten sich am Barockstil und waren leider so langsam, dass das Gebäude schneller verfiel, als die genannten fortschritten. Unter August dem Starken wurde im 18. Jahrhundert das Hochschlss endlich wieder neu eingedeckt und der Turm erhielt einen barocken Helm. In dem genannten Jahrhundert zogen Jesuiten in den Bau ein und errichteten zischen Kirche und Mittelschloss ein Kolleg.
Das neunzehnte Jahrhundert mit seiner Begeisterung für das Mittelalter brachte gute Zeiten für das Schloss als Baudenkmal. Im Jahre 1816 gründeten die Preußen, die das Land inzwischen beherrschten, die Schlossverwaltung Marienburg, die für die Rekonstruktion des Schlosses Sorge tragen sollte. 1819 wurde August Gersdorff mit der Bauleitung betraut und übernahm diese Aufgabe bis 1850. Namhafte Künstler wie Karl Friedrich Schinkel, der für mehrere großartige klassizistische Bauten verantwortlich zeichnet, arbeiteten unter Gersdorffs Federführung. Gersdorrfs Nachfolger wurde ein Herr von Quast, der den Wiederaufbau bis 1876 leitete. 1881 begann eine neue Phase des Wiederaufbaus, die wissenschaftliche Phase. Interessanterweise wurde der wissenschaftliche Wiederaufbau, unter der Schirmherrschaft des Kaisers, ähnlich wie der des Kölner Doms, mit Einnahmen aus Lotterien finanziert. 1931 war der Aufbau weitgehend fertiggestellt und das Schloss wurde als Museum für Inneneinrichtung verwendet, beherbergte bald aber auch wertvolle Militaria, Kunstwerke, archäeologische Fundstücke und sogar Dachpfannen vom Kaiserpalast in Peking. Bald darauf geriet auch die Marienburg in den Strudel der Ereignisse, die wir heute als grausigstes Kapitel deutscher Geschichte kennen. In ihrem Bestreben, geschichtsträchtige Orte als Denkmäler der von ihnen herbeiphantasierten glorreichen, und direkt in die nationalsozialistische Bewegung mündende Vergangenheit einer ebenso erfundenen germanischen Rasse zu instrumentalisieren, veranstalteten die Nationalsozialisten in der Burg große Festakte, so zum Beispiel die Proklamation der Rückkehr Westpreußens ins Reich und Treueschwüre der Hitlerjugend oder von an die Ostfront abkommandierten Wehrmachtssoldaten. Ab 1941 wurde die Burg gegen Luftangriffe befestigt, doch das nützte ihr wenig: Bei der Schlacht der Kampfgruppe Marienburg gegen die Zweite Sturmarmee der Roten Armee wurden vier fünftel der Stadt zerstört und die Burg schwer beschädigt. Die Kirche, die Madonnenstatue, der Turm und Teile ds Ostflügels wurden vom Artelleriefeuer zertrümmert. Nach dem Kriege übernahm das Warschauer Museum der polnischen Streitkräfte die Burg für fünf Jahre und führte erste Reparaturen durch, danach kam das Gebäude für zehn Jahre an den Polnischen Fremdenverkehrs- und Landeskundeverein für die Burg, der sich weiter mit der Restaurierung beschäftigte. Seit 1961 ist die Burg im Besitz des Schlosmuseums und wurde systematisch rekonstruiert und zum Raum für zahlreiche Austellungen gemacht.
Nach diesem möglichst knappen und hoffentlich nicht zu langweiligen Abriss zur sehr langen Geschichte des Gemäuers folgt nun endlich die Beschreibung der Burg.
Nach Malbork kommt man von Thorn aus innerhalb von zweieinhalb Stunden mit dem Zug, die Strecke Richtung Norden führt durch Flachland und später durch sanfte Hügel.
Die Stadt Malbork wird beherrscht von der Burg, welche die Stadt im übertragenen Sinne und wörtlich in den Schatten stellt. Nach einem kurzen Gang durch die ordentliche, aber wenig reizvolle Fußgängerzone stand ich vor dem von einem Graben umgebenen Gebirge aus Backstein. In den unzerstörbar nur scheinenden Burgmauern finden sich Einschusslocher, Spuren der starken Beschädigung der Burg im Jahre 1945. Noch eine weitere Spur des Krieges ist sofort zu sehen: Eine Vertiefung in der Mauer, darin ein großes Werbeplakat für die Stiftung „Mater Dei“. Einst befand sich hier eine acht Meter Statue Mariä und die Stiftung setzt sich für ihre Rekonstruktion ein. Nach einem Spaziergang am Burggraben entlang kam ich auf einen weitläufigen, rot ummauerten und mit langen, roten Wirtschaftsgebäuden bestandenen Hof, den Rest der Vorburg. In den Gebäuden befinden sich heute Restaurants und ein Hotel, umgeben von Andenkenbuden. So hat der Tourismus die einstige wirtschaftliche Aktivität mit den Kornspeichern, den Ställen, der Brauerei, der Glockengießerei und anderen Werkstätten ersetzt.
Dahinter ragt das Mittelschloss auf, das man über eine Brücke und durch einen von Wehrgängen geschützten Zwinger betritt. Das Mittelschloss umschließt einen großen rechteckigen Hof. In einem Gebäudeteil findet sich ein Museum voller Bernsteinkunst in Glasvitrinen unter stimmungsvoller Beleuchtung, zusammen mit Informationen über die Entstehung des Bernsteins vor Jahrmillionen und die Bedeutung des „nordischen Goldes“ für den Ostseehandel, im Stockwerk darüber eine Ausstellung mit Waffen aus verschiedenen Epochen und von verschiedenen Völkern. In einem anderem Gebäude war früher die Infirmerie („das Haus der Schwachen“), oder, wie der Orden es nannte, die Firmarie („das Haus der Stärkung“) also das Krankenhaus untergebracht. Verglichen mit der sanitäterischen Anfangszeit des Ordens war es allerdings von der Hauptsache zur Nebensache geschrumpft. Das prächtigste Bauwerk des Mittelschlosses ist die Residenz des Hochmeisters mit ihrer spätgotischen Fassade. Im Inneren gibt es neben schicken, aber ungemütlichen Gemächern des Hochmeisters drei sogenannte Rempter, große Speise- und Veranstaltungssäle. Der gewaltige Große Rempter wurde für die größten Veranstaltungen, zum Beispiel für die Kapitelsitzungen genutzt. Der Sommerrempter gilt mit seinen filigranen, spätgotischen Gewölbe und den großen Fenstern als schönster Raum des Schlosses. Heute scheinen die schneeweißen Wände fast im lichtdurchströmen Raume zu schweben, aber zu Zeiten der Ordensritter muss der Eindruck dank bunter Bemalung ganz anders gewesen sein. Einst wurde bei einer Belagerung versucht, den zentralen Pfeiler des Sommerrempters zu zerschießen und damit den Saal zum Einsturz zu bringen, aber die Kanonenkugel traf die Rückwand, in der sie sich noch heute befindet. Der Winterrempter hat viel kleinere Fenster, um so wenig Wärme wie möglich zu verlieren, und enthält eine Fußbodenheizung: Mit einem Ofen wurde Luft erhitzt und durch Rohre unter den Winterempter geleitet, wo man Holzdeckel im Boden öffnen konnte, um die Luft ausströmen zu lassen. Versorgt wurden die Gäste in den Remptern aus einer Küche heraus, deren Herd so groß ist, dass unter dem Rauchabzug ein Elefant Platz fände. (Wobei man bedenken muss, dass er wegen der mangelnden Höhe des Abzugssaumes nicht unter den Abzug treten könnte und für ein Gelingen des Versuchs bereits im geringen Alter dort untergebracht werden und dann dort aufwachsen müsste). Zu guter Letzt enthält die Residenz noch eine Privatkapelle, in welcher der Hochmeister zu beten pflegte. Zwischen Mitte- und Hochschloss ist der Pfaffenturm, in dem die Schlossgeistlichen lebten. Zwar waren die Ordensritter als Mönche natürlich auch alle Geistliche, aber die meisten arbeiteten nicht als solche.
Über eine Zugbrücke betritt man das Hochschloss. Das Hochschloss umschließt einen viel kleineren Hof, in dessen Mitte ein von einem als Symbol für das Opfer Jesu fungierenden Statue eines Pelikans, der seine Jungen mit seinem Blut füttert, bekrönter Brunnen sich befindet, sodass die Ordensritter im Falle einer Belagerung über eine von der Außenwelt unabhängige Wasserversorgung verfügten. Im ersten Stock führt klostertypisch ein Kreuzgang zum kontemplativen Wandeln um den Hof. Im ersten Stock gibt es außerdem einen weiteren, mit schon benannten Heizsystem ausgestatteten Rempter, der allerdings im Eifer des neunzehnten Jahrhunderts zum Kapitelsaal rekonstruiert wurde, außerdem die Büros der wichtigsten Ordensfunktionäre, den Konventsrempter, die Konventsstube und das Dormitorium. Außerdem befindet sich im Hochschloss die Schlosskirche, deren Inneres ein grausiges Bild bietet. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie völlig zerstört, danach wieder aufgebaut, aber nicht vollständig rekonstruiert. Die Decke ist aus Beton, die Wände sind voller Einschusslöcher und auf dem Boden des Kirchenschiffs liegen zersplitterte Teile der einstige Innenausstattung. Zurzeit wird erwogen, die Kirche zu einstiger Pracht wiedererstehen zu lassen oder sie so zu lassen, wie sie ist, als Mahnmahl menschlicher Zerstörungswut. Die Zusatzgebühr wert ist der Aufstieg auf den Hauptturm der Burg, von dem aus sich ein herrlicher Blick auf die Burg und die Stadt bietet und sich die militärische Raffinesse des Burggrundrisses erschließt. An der Rückseite des Hochschlosses findet sich der Rosengarten des Hochmeisters, die weitläufigen Gartenanlagen dahinter sind einem Wohngebiet gewichen. Erwähnenswert sind vielleicht noch eine Mühe und der Ordensfriedhof zwischen dem Hochschlosse und der Umfassungsmauer.
Nun soll es aber genug der langen Beschreibung sein, denn mir ist klar, dass es für euch, werte Leser, noch anstrengender sein muss, alles aufzunehmen, als für mich, der nach etlichen Stunden die Burg verließ, übervoll mit Eindrücken und dennoch wohl wissend, viele Details übergangen zu haben, weil sich ein so großes und altes Gebäude nicht an einem Tag wirklich beschauen lässt. Der erste Eindruck aber ist sehr stark, und jedem Touristen sei eine Besichtigung ans Herz gelegt, es gibt auch Broschüren und Audioguides auf Deutsch.
Das war es einstweilen, aber ein oder zwei Artikel stehen sicher noch aus.