Werte Leser,
derweil ich zu schreiben begann, zog das nächtliche Deutschland an mir vorbei, welches Sturmtief Uli, welches eben noch wind- und regenpeitschend über das Land hinwegezogen war, gerade aus seinem Griff entlassen hattte. Nach meinem Weihnachts- und Sylvesteraufenthalt in der alten Heimat ging es nun wieder zurück in die neue Heimat, die ich bei aller Freude, wieder zu Hause bei meinem Lieben zu sein, schon zu vermissen begonnen hatte.
Vor einiger Zeit sagte mir eine Person, die mir sehr viel bedeutet, mithilfe meines Blogs könne sie Polen per Fernschreiben kennen lernen. Um diesem Lobe, das sicher mehr ist, als ich verdient habe, einigermaßen gerecht zu werden, werde ich im Folgenden über einige Städte, von denen eine detaillierte Beschreibung noch aussteht, eine kurze Übersicht geben.
Die Stadt, mit der ich beginnen möchte, ist meine neue Heimatstadt Thorn. In der Wojewodschaft Kujawien-Pommern, deren Parlament sie auch beherbergt, am Ufer der Weichsel gelegen, ist sie eine wichtige Studentenstadt. Die Studenten bilden daher auch einen nicht unerheblichen Teil der etwas mehr als zweihunderttausend Einwohner.
Im dreizehnten Jahrhundert von Deutschordensrittern gegründet, wuchs die Stadt zu einem Handelszentrum heran und trat der Hanse bei. Noch heute sind auf der Hauptstraße der Innenstadt die Wappen und Namen sämtlicher Hansestädte ins Pflaster eingelassen. Zwischen dem Orden und dem Königreich Polen kam es immer wieder zu Konflikten, sodass in Thorn im fünfzehnten Jahrhundert zwei große Friedensschlüsse zwischen den Konfliktparteien nötig wurden.
Im 16. Jahrhundert nahm Thorn die Reformation an und im siebzehnten fand hier das Thorner Religionsgespräch zur Verständigung der Konfessionen statt. Mit der zweiten polnischen Teilung wurde Stadt Preußen zugeschlagen und blieb bis 1918 mit einer Unterbrechung von 1807 bis 1815 preußisch. Danach wurde es im wiederhergestellten Polen Hauptstadt der Wojewodschaft Großpommern, nach dem zweiten Weltkrieg wurde Pommern verkleinert und Bromberg zur Hauptstadt, erst seit 1999 ist Thorn Sitz des Parlamentes von Kujawien-Pommern.
Das von weitläufigen Hochhaussiedlungen umgebene Stadtzentrum liegt direkt an der Weichsel hinter der noch erhaltenen backsteinernen Stadtmauer und bildet eine prächtige Silhouette, die sich seit hunderten von Jahren kaum verändert hat. Am beeindruckensten ist sicherlich der Dom, ein wuchtiges Bauwerk im Stile der nordischen Backsteingotik, das merkwürdigerweise von Ferne noch beeindruckender scheint als aus der Nähe. Dieser Herr-Tur-Tur-Effekt mag daher rühren, dass der Dom nicht am Marktplatz steht und von daher nicht über einen Platz hinweg bewundert werden kann. Am Marktplatz steht das alte Rathaus, ein teilweise im gotischen und teilweise im Renaissancestil aus Backsteinen errichtetes Bauwerk mit einem Innenhof und einem vierzig Meter hohen Uhrturm. Von diesem Turm aus sieht man mehrere weitere Kirchen, zwei davon sind im selben backsteingotischen Stil errichtet worden wie der Dom, eine ist ein neugotisches Gebäude aus wilhelminischer Zeit mit dem höchsten Turm der Stadt und eine, die Heilig-Geist-Kirche direkt am Marktplatz fällt mit ihren barocken Formen ein bisschen aus dem zum größten Teil gotischen Stil der Stadt. Es ist vielleicht interessant zu wissen, dass das Rathaus das Vorbild für das Rathaus von Berlin war.
Bromberg ist Sitz der Wojewodschaftsregierung von Kujawien-Pommern und befindet sich mit Thorn angeblich in einem Wettstreit um politische, kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung.
Bereits im 12. Jahrhundert gab es an der Stelle von Bromberg eine Siedlung. Im 14. Jahrhundert vom Deutschen Orden zerstört, erhielt die Siedlung 1346 das Stadtrecht.Im 16. Jahrhundert war Bromberg eine der größten Städte Polens. 1657 war sie Schauplatz des Vertrages von Bromberg, der den Frieden zwischen Polen und Schweden regelte. Im Großen Nordischen Krieg wurde die Stadt völlig zerstört und war darun am Anfang der preußischen Herrschaft im Jahre 1772 nur noch ein Dorf. Aber schon bald erlebte die Stadt in Folge des Baus eines Kanals einen wirtschaftlichen Aufschwung und die Stadt wuchs während des 19. Jahrhunderts so stark, dass sie größer wurde als Thorn. Die deutsche Mehrheit in der Stadt wurde zu Minderheit, gegen die es zu Anfang des Zweiten Weltkriegs Pogrome gab, was von der nationalsozialistischen Propaganda ausgeschlachtet wurde. Die Nationalsozialistischen machten sich verschiedener Gräueltaten unter den Stadtbürgern schuldig. Nach dem Krieg wurde Bromberg die Hauptstadt von Pommern und später von Kujawien-Pommern.
Heute ist Bromberg bekannt für seine Oper, seine Philharmonie und das größte Opernfestival Polens.
In Sachen Schönheit kann es gegen Thorn sicher nicht bestehen, aber es hat seine charmanten Ecken. Mitten durch die Stadt zieht sich die Brahe und umfließt eine kleine Insel. Wegen der vielen kleinen Brücken hat ein Viertel den Spitznamen „Bromberger Venedig“. Direkt am Flussufer liegt auch der Stadtkern mit seinen vielen klassizistischen, in Pastelltönen gestrichenen Häusern. Anders als in Thorn findet man fast keine Gotik, dafür aber einige Fachwerkhäuser, die mich natürlich an meine Heimat erinnerten. Um den Stadtkern herum finden sich viele großzügige Jugendstilbauten unter den Stadthäusern, aber leider sind außerhalb des Zentrums die allermeisten Häuser sehr heruntergekommen. Während bei einigen nur der Verputz blättert, sind bei anderen die Wände völlig nackt, wieder andere stehen leer und die Dächer eingestürzt. Woher der beklagenswerte Zustand dieser eigentlich prächtigen Stadt rührt, ist mir unbekannt, aber auch die verfallensten Häuser sind sauber, die Bürgersteige wohlgefegt und die Fensterbänke hinter den verrotteten Rahmen hübsch dekoriert, weswegen ich vermute, dass es sich nicht um Verwahrlosung, sondern schlicht um mangelnde finanzielle Mittel zum Renovieren handelt.
Nach zwei kleineren Städten will ich mich nun einer ganz großen zuwenden, genauer gesagt der größten Polens, der Hauptstadt Warschau. Wie Deutschland auch, besitzt Polen keine Primatstadt, also keine Stadt, die gleichzeitig Hauptstadt, mit Abstand größte Agglomeration (das ist in Deutschland das Ruhrgebiet, in Polen Schlesien) sowie absolutes wirtschaftliches und kulturelles Zentrum wäre. Dennoch ist Warschau eine wahre Metropole.
Anfang des 14. Jahrhunderts wurde die Stadt als Nachfolgerin mehrer Marktflecken an der wichtigen Handelroute nach Litauen und Russland gegründet. 1413 nahm der damalige Herzog von Masowien seinen Sitz in Warschau. Im Jahre 1526 wurde Warschau in den polnischen Staat eingesetzt. Schon bald wurde die Stadt das Zentrum des Königreichs: Ab 1569 fanden hier die Landtage statt, ab 1573 auch die Königswahlen, und schon siebzig Jahre nach der Integration in den Staat Polen wurde Warschau seine Hauptstadt.
Obwohl Warschau im 16. Jahrhundert massiv wuchs und sich auf die andere Seite der Weichsel ausbreitete, blieb es im Schatten der Krönungsstadt Warschau, ausdem es erst im 18. Jahrhundert hinaustreten konnte. Es wurde zum kulturellen Zentrum Polens, wo 1791 die erste Verfassung Europas verabschiedet wurde. Nach Polens dritter Teilung im Jahre 1795 verlor Warschau seinen Hauptstadtstatus, aber schon 1807 erhliet es ihn wieder, zunächst als Hauptstadt des Herzogtums Warschau, ab 1815 als Hauptstadt Kongresspolens. Nach dessen Auflösung stand die Stadt bis zur Unabhängigkeit Polens nach dem Ersten Weltkrieg unter russischer Herrschaft, unter der es industrialisiert wurde. Der Ausbau der Infrastruktur ging im unabhängigen Polen weiter.
Das schwärzeste Kapitel Warschaus begann mit dem Bombardement durch die Wehrmacht ab dem 1. September 1939. Am Ende des Monats stand die Stadt unter der brutalen Herrschaft der Nationalsozialisten, die 800.000 Leben forderte. Trotz der Übermacht der Besatzer gab es Menschen, die es wagten, gegen das Unrecht vorzugehen. 1943 kämpften unbewaffnete Juden aus dem Ghetto gegen die Unterdrücker, aber wie man weiß, hatten sie keine Chance. Der zweite Warschauer Aufstand wurde von der Armia Krajowa (Heimatarmee), einer geheimen Widerstandsorganisation getragen, aber auch er scheiterte. Anschließend wurde die überlebende Bevölkerung Warschaus aus der Stadt vertrieben und dieselbe völlig zerstört. Erschreckend ist, dass die Rote Armee zum Zeitpunkt des Aufstandes bereits in Praga, dem auf der anderen Seite der Weichsel gelegenen Teil der Stadt lagerte, aber den Widrstandskämpfern keinerlei Hilfe angedeien ließ. Im Gegenteil, nachdem die Sowjets ihre Herrschaft über Polen aufgerichtet hatten, verhafteten sie viele Mitglieder der Heimatarmee und der Exilregierung, um jede Opposition zu beseitigen.
Unter der Herrschaft der Sowjets entstanden in Warschau zunächst Gebäude des sogenannten Sozialistischen Klassizismus, also dem schweren, antikisierenden Stil des Stalinismus, später sehr viele Plattenbauten. Nach 1989 wurde Warschau zum größten Wirtschafts- und Finanzzentrum Ostmitteleuropas.
Diese vielfältige Geschichte sieht man der Stadt deutlich an. Es scheint, als seien mehrere Städte am selben Ort miteinander verschmolzen. Es gibt breite Prachtstraßen mit riesigen klassizistischen oder sozialistisch-neoklassizistischen Palästen, endlose Reihen trostloser Nachkriegsplattenbauten, von denen einige wirklich sehr „unbürgerlich“ aussehen, eine pittoreske Altstadt und ein modernes, metropolitanes Zentrum.
Den Mittelpunkt von Warschau bildet der Kulturpalast, mit 230 Metern das höchste Gebäude Polens. Der Kulturpalast wurde von 1952 bis 1955 errichtet und war ein „Geschenk“ Stalins an die Volksrepublik Polen. „Geschenk“ hieß in diesem Fall, dass sowjetische Architekten das Gebäude entwarfen, während polnische Steuerzahler es bezahlen und polnische Arbeiter es bauen mussten. Ich habe einmal gehört, die kommunistische Partei soll damals von Stalin vor die Wahl gestellt worden, ob sie den Palast oder eine U-Bahn haben wollte und habe sich Zwecks der Eigenlegitimation für den Palast entschieden. Ob diese Geschichte wahr ist, weiß ich nicht, Tatsache ist jedenfalls, dass man dem Gebäude seine Herkunft deutlich ansieht: Aus einem Sockel mit einer riesigen Säulenkollonade erhebt sich ein mächtiger Steinquader, darauf ein Turm und darauf eine prunkvolle Laterne, alles bekrönt von prunkvollem Zierrat. Damit erinnert der Kulturpalast deutlich an die sogenannten „Sieben Schwestern“, sieben Gebäude aus der stalinistischen Zeit in Moskau. Der Kulturpalast ist sicher das unbeliebteste Wahrzeichen Warschaus, denn er ist nicht nur nicht sehr schön, sondern auch das steingewordene Symbol für die Unterdrückung. Schon mehrfach stand zur Debatte, das Gebäude abzureißen, einstweilen ist man so verblieben, es einfach so lange mit Wolkenkratzern zu umgeben, bis man es nicht mehr sieht. Das ist sicher noch nicht gelungen, aber die Wolkenkratzer sind wirklich beeindruckend. Zwischen den Hochhäusern steht das Einkaufszentrum „Die Goldenen Terassen“, dessen Glasdach so gestaltet ist, dass es gleich einem Tsunami auf die Straße zu fluten scheint.
Ein Stück entfernt befindet sich die hübsche Altstadt mit ihren bunten Häusern und einem Wald aus Kaminen. Am Rand der Altstadt liegt der Schlossplatz mit dem namensgebenden Schloss, Teilen der alten Stadtbefestigung und einer großen Kirche.
Die Beschreibung von Schneidemühl, Posen und Krakau wird in Kürze folgen.