Auf einer Demonstration

Werte Leser,

heute kann ich von einer Demonstration berichten. Die Demonstranten warfen der polnischen Regierung vor, das Internet zensieren zu wollen. Wie kam es dazu?

Bereits seit einigen Jahren gibt es Überlegungen, den Urheberschutz im Internet zu verstärken. Mehrere Verbände US-Amerikanischer Unterhaltungsfirmen haben sich dafür zur International Intellectual Property Alliance (IIPA) zusammengeschlossen, um für eine Verschärfung der Maßnahmen gegen Urheberrechtsverletzungen einzutreten. Der Verband arbeitet eng mit der US-Regierung zusammen, so hat zum Beispiel WikiLeaks enthüllt, dass im Jahre 2010 der US-Botschafter in Spanien der dortigen Regierung gedroht, das Land auf eine schwarze Liste von Ländern zu setzen, die die Urheberrechte nicht genügend schützen. In Neuseeland, Frankreich und Großbritannien wurden bereits Gesetze erlassen, die es ermöglichen, nicht nur die Betreiber, sondern auch die Nutzer von Internet-Tauschbörsen relativ leicht zu belangen oder sie von der Nutzung des Internets auszuschließen. In den USA gibt es noch kein solches Gesetz, aber es existieren die Gesetzesvorschläge Stop Online Piracy Act (Sopa) und Protect IP Act,  (Pipa), welche es ermöglichen sollen, sowohl amerikanische als auch ausländische Websites zu sperren, wenn sie das amerikanische Urheberrecht verletzen oder mit Seiten verlinkt sind, die solches tun. Aufgrund der massiven Proteste ist die für diese Woche geplante Abstimmung vorerst aufgeschoben worden.

Es gibt jedoch noch ein weiteres Vorhaben: Das Anti Counterfeting Trade Agreement (Acta). Über dieses internationale Abkommen wird bereits seit 2006 verhandelt, im März 2010 wurde eine erste Vorabversion veröffentlicht. Sie sah unter anderem vor, dass sich die teilnehmenden Staaten dazu verpflichten sollten, Gesetze zu beschließen, die Internetprovider für die urheberrechtlichen Vergehen ihrer Kunden haftbar zu machen. Dies jedoch würde es notwendig machen, dass die Provider ihre Kunden überwachen, um  ihnen bei wiederholten  Urheberrechtsverletzungen die Verbindung zu kappen. Deshalb und wegen der nichtöffentlichen Verhandlungen gab es massive Proteste. Der Rat der Europäischen Union und die Europäische Kommission stimmten der leicht abeschwächten Finalversion des Vertrages im Dezember 2011 auf einer nichtöffentlichen Sitzung des Landwirtschafts- und Fischereirates zu, heute, am 26. Januar 2012, unterzeichneten 22 EU-Staaten, darunter auch Deutschland und Polen, das Abkommen, welches nun noch auf europäischer wie nationaler Ebene ratifiziert werden muss.

Um dagegen zu protestieren, traf sich gestern um 17.00 Uhr auf dem Marktplatz von Thorn eine große Menge überwiegend junger Menschen, die mit allerhand Plakaten, die von einfacher Kritik bis hin zur Gleichsetzung von Acta mit dem Deutschen Reich in der Zeit des Nationalsozialimus verschiedenste Botschaften enthielten, ausgerüstet waren. Ich kam gerade vom Sprachkurs, der um 16.30 Uhr geendet hatte, als ich zwei Freunde traf, die mich über die Demonstration informierten. Die Menschen riefen Parolen wie: „Dies ist Polen, Herr Tusk“, „Wir haben unsere Freiheit nicht für Acta erkämpft“,“Acta ist Zensur“ oder auch „Wer nicht hüpft, der ist für Acta“, was selbstverständlich einen wilden Tanz hervorrief. Während der Veranstaltung wurde plötzlich bekanntgegeben, dass die Stadtverwaltung von Thorn die angemeldete Demonstration verboten habe, aber weil sie bereits in vollem Gange war, änderte das nichts. Die Polizei überwachte die Sicherheit auf dem Platz, aber griff nicht weiter ein. Zum Glück war das auch nicht nötig, denn die Demonstration verlief völlig friedlich. Zur Protestaktion wurden 6.000 Teilnehmer erwartet, aber ich zweifle daran, dass es tatsächlich so viele waren. In Krakau sollen 15.000 Demonstranten gewesen sein.

Unabhängig von meiner persönlichen Auffassung zum neuen Abkommen erfüllte mich diese Demonstration mit Freude. Die Stimmung war zu keinem Zeitpunkt bedrohlich, die Bürger nahmen mit aller Selbstverständlichkeit ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahr, dass sich die Polen vor über zwanzig Jahren genau dadurch erkämpft haben, dass sie Ähnliches taten wie die Demonstranten gestern.