Kurz nachdem man hier zum letzten Mal von mir gehört hat, habe ich mich auf meine bis jetzt längste (und teuerste) Reise hier in Rumänien begeben. Als hätten wir gesagt: „Einmal quer durchs Land bitte!“
Das Ganze begann in Oradea, so gegen halb acht Abends, als wir in den Nachtzug nach Bukarest stiegen. Wir, das sind Henning und Samuel ( Freiwillige aus Sebeș), Nicole und ich. Man braucht von hier aus mehr als zwölf Stunden in die Hauptstadt obwohl die Strecke kürzer ist als die zwischen Berlin und München. Wir wollten uns kein Schlafabteil leisten, sodass wir die Nacht in den normalen Sitzen verbrachten. Wir haben uns an diesem Abend gegenseitig die ‘‘Karten“ gelegt, alte Oliven gesnackt und gefühlt fünfzig Schlafpositionen ausprobiert. Die Lampen in dem Abteil kamen mir vor wie Tageslichtscheinwerfer, aber wir haben einfach ganz fix Masken zweckentfremdet. Es war sehr lustig zu beobachten, wie die Nacht so unterschiedlich genutzt wurde. Wir haben durchgeschlafen und geschnarcht, sind alle zwei Stunden aufgewacht und haben gelesen oder saßen vor dem Laptop und haben Mails beantwortet und Texte geschrieben. Es gab sehr wenige Momente in denen wir alle gleichzeitig geschlafen haben. Einer dieser wenigen Momente war natürlich das Einfahren in den Bahnhof, kurz bevor wir komplett verpeilt in Bukarest aus dem Zug purzelten. Nachdem fast jede*r von uns drei Kaffee geschlürft hatte, hieß es so viel von Bukarest zu erkunden wie es geht. Wir gönnten uns nämlich eine Übernachtung bei anderen Freiwilligen auf dem Weg zu unserem eigentlichen Ziel, und hatten somit einen Tag aus dem es möglichst viel herauszuholen galt. Ich versuche jetzt mal diesen Tag kurz und knackig zusammenzufassen. Wir wollten in die Kunstgallerie gehen, standen aber vor verschlossenen Toren. Wir sind fast verhungert, haben irgendwann ein Restaurant gefunden, das trugt den Namen “Aubergine“. Ich habe in keinem Restaurant in Rumänien besser gegessen! Das Parlament ist das zweitgrößte Verwaltungsgebäude der Welt und auf noch viel größer als ihr es euch vorstellt! Wir waren in einer zeitgenössischen Kunstaustellung in einem Seitenflügel des Parlaments und total positiv überrascht! Wir haben versucht uns impfen zu lassen (es ist teilweise möglich das auch als Ausländerin ohne Registrierung oder Termin zu machen), es scheiterte daran, dass wir kein Auto für das Drive- Through Prinzip hatten.
Das Schlafdefizit wurde definitiv nicht aufgeholt als wir an dem Abend völlig erschöpft erst mitten in der Nacht in die Betten bzw. Schlafsäcke fielen. Relativ ungünstig kam am nächsten Morgen die Nachricht von einer Frau am Bahnhof die uns mitteilte, dass unser Zug ausgebucht war. Damit war nicht zu rechnen, wir hatten also keinen Plan B. Wir rannten verzweifelt zu einem Busbahnhof und haben gehofft, dass wir noch vier Plätze ergattern können und nicht allzu viele Reisende diese Variante als Plan B wählten. Lange Rede, kurzer Sinn: wir haben die nächsten Stunden in einem Gewächshausähnlichem Bus verbracht und mehr oder weniger versucht zu schlafen. Abends stoßen wir dann auf Luca und Joena, Freiwillige aus Brașov und Deva. Wir waren am anderen Ende des Landes angekommen…
Zu Sechst hatten wir ein paar Zimmer in einer kleinen Familien- Pension in Tulcea gebucht. Der Plan war der Hochsaison, und ebenso prophezeiten Mückenplage zu entgehen, denn wir hatten vor das Donaudelta zu erkunden. Wir haben insgesamt drei volle Tage in Tulcea verbracht und uns das mit der Tagesplanung etwas leichter vorgestellt. Dadurch, dass wir uns noch in der Nebensaison befanden und zusätzlich an diesem Wochenende in Rumänien orthodoxe Ostern gefeiert wurden haben wir mehr Zeit mit der Recherche über Kanuverleihe, Bootstouren und Wanderrouten verbracht als uns lieb war. Aber zumindest an zwei von drei Tagen wussten wir schon am Abend vorher in welches Boot wir steigen würden! An unserem ersten Tag im Delta haben wir gar nicht viele Kanäle und naturbelassene Gegenden erkundet, sondern sind in den Küstenort Sulina gefahren. Ein Wassertaxi brachte uns über einen Haupt Arm des Deltas bis an den Hafen. Dieser war allerdings weiter entfernt vom Schwarzen Meer als ich dachte. Der Plan war nämlich, einmal ins kühle Nass zu hüpfen und ein Bier am Strand trinken. Wir haben uns zu Viert ins Meer getraut, welches uns wahnsinnig lang nur bis zur Hüfte reichte. Im Schwarzen Meer zu baden und unter kalten Wellen durchzutauchen, einen Wasserkampf auf den Sandbänken zu veranstalten- definitiv ein Marmeladenglasmoment. Ein Gefühl das ich gerne einfangen würde, um zwischendurch immer wieder zurück in die Erinnerung eintauchen zu können, im wahrsten Sinne des Wortes… Am zweiten Tag hat unser Vermieter uns während des Frühstücks ein kleines Boot vermittelt, welches uns zu einem Fischerdorf brachte. Da das Donaudelta so wahnsinnig groß ist (mehr als 4000 km²) sind wir meistens sehr flott unterwegs gewesen. Ansonsten hätten wir viel zu lange benötigt um in die engen, verzweigten Kanäle zu gelangen. An unserem ersten richtigen Tag im Delta haben wir deshalb nicht so wahnsinnig viele Details entdecken und beobachten können, der Fokus lag eher darauf von A nach B zu kommen. Dennoch ist uns ein Adler begegnet, sowie ein paar Eisvögel, Reiher, Haubentaucher, eine Schlange usw. Mit den Rufen von Kuckucken und Möwen im Hintergrund hielten wir an diesem Tag hoffnungsvoll Ausschau nach Pelikanen und Wildpferden. Doch wir sollten noch kein Glück haben…
Aber wir haben uns zum Glück am letzten Tag noch einmal für einen Vormittag auf dem Wasser entschieden. Und siehe da, wir kamen voll auf unsere Kosten. Von Pelikanen über Wiedehopfe bis hin zu Wildpferden war alles dabei. Unser Guide bei dieser Tour hat zwischendurch immer wieder den Motor ausgemacht, sodass wir gefühlt hunderten Fröschen lauschen und ungestört riesigen Vogelschwärmen beim Brüten zusehen konnten! Das Boot hatte einen überdachten Bereich und draußen ungefähr drei Plätze an der Spitze des Bootes. Man ist dort vorne immer richtig schön nass geworden, wenn Gegenverkehr vorüber fuhr. Es hat sich angefühlt als würde man fliegen. Mit wehenden Haaren und Sonnenstrahlen im Gesicht haben wir Wettrennen mit Haubentauchern, Pelikanen und Schwanenfamilien gemacht. Wir haben hinter jeder Kurve neue Tiere entdeckt, Reiher gezählt und mit einer großen Familie Wildpferden gepicknickt.
Ich habe schon am Anfang erwähnt, dass diese Reise die mit Abstand teuerste war. Nicht nur die Bootstouren haben Kosten verursacht, die normalerweise nicht anfallen, wir haben zum Beispiel auch Geld für Bustickets aus dem Fenster geschmissen. Die Rückfahrt war nämlich ein ganzes Abenteuer für sich. Hier die Kurzfassung: unser eigentlicher Zug wurde gecancelt. Eine andere Direktverbindung nach Bukarest ließ sich nicht auftreiben. Also war die Idee mit zwei Busfahrten in die Hauptstadt zu kommen. Das Ticket für den zweiten Bus musste man verbindlich kaufen um sich die Sitzplätze zu reservieren. Und, dass der erste Bus uns mitnimmt, das haben wir einfach gehofft. Ich hätte sehr gerne unsere Blicke gesehen als uns die Frau hinterm Schalter mitteilte, dass das definitiv nicht passieren wird. Nicole und ich mussten aber auf jeden Fall den Nachtzug in Bukarest erreichen. Der Plan war also um (fast) jeden Preis nach Bukarest zu kommen. Und so ist es eine Route über Constanța geworden, die uns sogar in der Umsteigezeit erlaubte noch einmal das Meer zu sehen. Ich habe auf der Rückfahrt kaum geschlafen, dafür aber Rumänien beim Erwachen zuschauen können…
Seitdem haben wir keine größeren Ausflüge mehr gemacht. Die Zeit verging, der Mai stand vor der Tür (dieser ist jetzt auch schon fast wieder vorbei) und das Wetter ist noch immer im April- Modus. Mein persönliches kleines Mai- Highlight war die erste Impfung mit Biontech. Wir haben doch noch die volle Drive- Through Erfahrung machen können und auch ohne Aufenthaltsberechtigung hat für mich alles problemlos geklappt. Ich hätte nicht gedacht, dass ich für eine Spritze durch ein heruntergekurbeltes Fenster so dankbar sein könnte! Der Schulalltag hat uns alle, denke ich, wieder voll eingeholt. Mittlerweile ist es an unserem Gymnasium erlaubt, dass alle Kinder in die Schule kommen. Die Nachricht kam ziemlich überraschend, aber wir haben sie natürlich dankend aufgenommen. Ich hatte mich an das ruhige und fast verlassene Gebäude gewöhnt und hier noch nie einen normalen Schulbetrieb erlebt. Ich wusste nicht, dass die Schule eine äußerst laute Klingel hat die die Pausen einläutet und beendet. Ich habe herausgefunden, dass 27 willensstarke Sechstklässler (die seit Oktober zum ersten Mal wieder in der Schule sind) gegen zwei Freiwillige ein etwas unausgeglichenes Verhältnis bilden. Ich gewöhne mich langsam wieder daran mir selbst Pausenbrote zu schmieren und stehe schon wieder auf Kriegsfuß mit den Straßenbahnlinien. Zu der Aufhebung des Onlineunterrichts kamen außerdem zwei Lockerungen, die mich sehr glücklich machen. Es wurde nämlich die Ausgangssperre sowie die Maskenpflicht im Freien aufgehoben. Am Wochenende haben Nicole und ich uns eine Pizza in der Stadt gegönnt. Wir waren sehr verdutzt, als auch um halb zehn noch Menschenmengen in Bars saßen und auf den Straßen unterwegs waren. Nach einem klärenden Anruf bei einer Bekannten, hat sich unsere Vermutung bestätigt. Nicole und Ich haben das sofort mit einem Eis gefeiert und sind staunend durch die Innenstadt spaziert. Es hat sich so angefühlt, als würde der ganze Ort unterwegs sein und feiern.
Als hätte sich uns über Nacht eine ganz neue Stadt gezeigt…