Alltag?
Auch das verrückte K
amerun wird einmal Normalität und das sensationell Neue wird Gewohnheit. Dementsprechend bekommt man das Gefühl, dass es gar nichts zu berichten gibt. Erst wenn man drüber nachdenkt, fallen die kleinen Anekdoten auf.
Es geschehen noch Zeichen und Wunder: heute bekam ich zwei Briefe, einer abgeschickt Anfang April, der andere Mitte Mai. Der war aber leider nur zur Hälfte lesbar, die Regenzeit hatte der Post wohl einen Strich durch die Rechnung gemacht. Aber was erwartet man auch?
Gestern fuhr die Polizei mit „Blaulicht“ an mir vorbei: man stelle sich einen kleinen roten Ford vor, in dem sechs uniformierte Menschen sitzen, der Fahrer hupt ununterbrochen und fährt mit einer rasenden Geschwindigkeit die Straßen entlang. Wahrscheinlich musste der Präsident mal aufs Klo, denn sonst sind Polizisten nicht zu so viel Elan zu bewegen, sondern eher dafür da, um das Leben hier noch komplizierter zu machen als es sowieso schon ist. Besonders für die Taxifahrer. Verkehrspolizisten tragen hier übrigens immer noch die Helme, die man aus alten Kolonialfilmen kennt, nicht umsonst heißen sie ‚casque colonial’. Von den Golden Sounds (die, von denen auch die Ursprungsversion von dem WM-Lied: „Zaminamina zangalewa“ kommt) gibt es zu diesem Helm auch ein Lied: „Touche pas a mon casque colonial“ (Berühre meinen Kolonialhelm nicht). Mit eben solchen Verkehrspolizisten habe ich neuerdings öfter das Vergnügen. Wie ich in einer meiner ersten Mails beschrieben habe, funktioniert das öffentliche Verkehrssystem hier mit Taxen. Man stellt sich an den Straßenrand und brüllt jedem vorbeikommendem Taxi sein Ziel ins Seitenfenster, entweder er hupt oder er fährt weiter. Dadurch kommt es an manchen Ecken zu enorm langen Taxischlangen. Weil Kamerun dem Präsidenten zufolge ja kaum andere Probleme hat, wird eben hier für „Ordnung“ gesorgt. Im Extremfall so wie bei mir am Montag: ich wollte abends von der Arbeit aus dem Stadtviertel Bastos zu einem Freund nach Fouda fahren (einmal quer durch die Stadt, wer sich nicht die Mühe machen will, GoogleMaps zu befragen). Ich steige also ins Taxi ein, 100 Meter weiter wird das Taxi von einem Polizisten angehalten, weil das Taxi angeblich nicht richtig an den Rand gefahren ist. Normales Prozedere: der Taxifahrer gibt seine Mappe mit den Papieren und da drin sind ganz säuberlich ein paar Francs versteckt, damit man weiterfah
ren kann. Ist das nicht der Fall, gibt es irgendein Dokument, das angeblich oder wirklich fehlt. Dieses Mal hatte „mein“ Taxifahrer offensichtlich keine Lust, zu schmieren, also entschied ich nach einer halben Stunde, mir ein anderes Taxi zu suchen. Dann, inzwischen ein paar Kreuzungen weiter, an einer Ecke, an der immer unendlich viele Leute auf ein Taxi warten: mein Taxi reiht sich in die Taxischlange ein und wird auf einmal von einem Polizisten rausgewinkt, er hätte die Kurve geschnitten. Ich weiß nicht so genau, was in den Taxifahrer gefahren ist, jedenfalls regte er sich furchtbar auf, das Ende vom Lied war, dass der Polizist ihm die Plakette aus dem Taxi entriss, der Fahrer daraufhin auf den Polizisten losging und sich zuerst die beiden, dann immer mehr von den Umstehenden auch, schlugen. Auch hier entschied ich: da muss wohl ein neues Taxi her. Gesagt, getan, an der Ecke geht es auch recht schnell. Nur leider war der Motor dieses Taxis in den späten Abendstunden wohl schon etwas aufgeheizt, jedenfalls gab er leider den Geist auf. Da ich aber inzwischen schon nicht mehr so weit weg war, beschloss ich, zu laufen. Und hatte natürlich ausgerechnet einen von den sehr wenigen pünktlichen Kamerunern warten lassen…
Vor mittlerweile fast drei Wochen kam ich vom Zwischenseminar in Kenia zurück. Das waren einmal vollständig andere Afrika-Erfahrungen und ich lernte erst n
ach ein paar Tagen, dass es keinen Sinn macht, alles mit Kamerun zu vergleichen. Der Hinflug nach Nairobi war schon irgendwie ein bisschen typisch zu nennen. Ich hatte abends noch schnell eine Veranstaltung zu eröffnen und die Schauspieler, denen ich gesagt habe, dass ich sofort nach der Eröffnung weg muss, meinten, ich solle es doch nicht so eilig haben, Kenya Airways käme immer zu spät. Ich wollte mich nicht so hundertprozentig darauf verlassen und ließ mich dann doch so halbwegs pünktlich zum Flughafen bringen. Ein großer Fehler, durfte ich dann doch sechs Stunden in der Wartehalle sitzen. Und das bei zehn Grad, weil die europäischen oder japanischen Klimaanlagen leider nicht bedient werden können oder weil der Zuständige gerade nicht da war. Nun ja, ich hatte auch die Nacht vorher nicht geschlafen, weil ich einen Freund aus dem Gefängnis holen musste. Der hatte nämlich seinen Personalausweis zu Hause vergessen und war von der Polizei aufgegriffen worden. Nach fünf Stunden durfte er dann einen Anruf tätigen und da ich als Weiße doch keinen so kleinen Einfluss habe, fiel eben nachts um vier die Wahl auf mich. Nairobi selbst bietet nicht viel Besonderes, das Leben dort ist einerseits wahnsinnig gefährlich, da man nach Einbruch der Dunkelheit weder allein noch in der Gruppe einen Schritt vor die Tür machen kann. Deshalb hat jeder einen privaten Taxifahrer, der dann angerufen wird, einen vor der eigenen Haustür abholt (möglichst noch in der Einfahrt) und direkt dort absetzt, wo man hin möchte. Das Leben spielt sich arg hinter den Mauern ab, auch wenn die Kenianer unheimlich freundlich sind, dabei aber um einiges distanzierter und viel viel zurückhaltender als die Kameruner. Dafür aber auch weniger aggressiv. Da war er wieder, der Vergleich. Man kommt wohl nicht so ganz drumrum und wahrscheinlich ist an dem Sprichwort „An das erste afrikanische Land hängt man sein Herz, da kommt kein anderes gegen an.“, doch etwas dran.
Ansonsten ist Kenia einfach auch ein sehr touristisches Land und so um einiges weiter entwickelt. Ein „weißes“ Leben ist besonders in Nairobi ziemlich gut möglich, ich habe erstmal Gummibärchen und Shampoo gekauft. Trotzdem oder gerade deshalb war ich nach den zehn Tagen, von denen ich die letzten Tage als Urlaub an der Küste drangehängt hatte, irgendwie wieder froh nach Kamerun zu kommen. Obwohl es auch merkwürdig war: wegzufliegen, aber nicht nach Hause zu fliegen.
Wie wahrscheinlich bei den meisten, waren die folgenden Tage und Wochen vor allem von der WM geprägt – wer hätte gedacht, dass ich das Prinzip jemals verstehen würde, wenn das auch nur, weil das Goethe-Institut mich dazu zwang. Wenn auch nur indirekt: Public Viewing. Auch die folgenden Wochenenden waren relativ ruhig, beziehungsweise das, was man bei mir als ruhig bezeichnet: ich blieb in Yaoundé, hatte viele Theaterproben und vor allem viele, viele Feiern: Abschiedsfeiern, Beerdigungen (sind hier häufiger, weil der Familien- und Verwandtenkreis so groß ist) und eine deutsch-kamerunische Hochzeit. Auf dem Standesamt mal wieder die Entdeckung, dass Kamerun wirklich nichts von Emanzipation hält. Weder inoffiziell noch offiziell. Es wurden die wichtigsten Artikel des Hochzeitsvertrages verlesen. Der erste lautete folgendermaßen: „Der Ehemann ist der Chef der Familie. Die Frau muss alles tun, um diesem zu gefallen und für ihn im Haus zu sorgen. Der Ehemann ist im Gegenzug dazu verpflichtet, für den finanziellen Unterhalt zu sorgen.“ Dass die Realität in den meisten Fällen genauso aussieht, liegt aber nicht nur an den Männern. Die meisten Frauen sind der festen Überzeugung, dass Männer weder kochen noch saubermachen können und lassen ihn deshalb die Küche nicht betreten, oft wird er auch sehr rüde herausgescheucht. Auch polygame Männer bilden da keine Ausnahme. Ansonsten war die Hochzeitsfeier rein kulturell schon ein Abenteuer: ihre Eltern, die kein Wort Französisch sprachen, seine Eltern, die auch nur schlecht Französisch sprechen und alle gemeinsam an einem Tisch. Und irgendwie versteht man sich doch. Über kleinere Unstimmigkeiten wird gern hinweggesehen und als ich die Braut etwas zum Ablauf des Abends fragte (nämlich, wann die Geschenke übergeben werden), meinte sie: „Alles, nur kein Protokoll.“ Das gibt es nämlich sonst immer und kann einen einzigen Abend unendlich lang werden lassen. Das durfte ich, wieder einmal, bei einem Termin in einem Gymnasium feststellen. Zum Abschluss des Schuljahres wurden dort die besten Schüler (aller Fächer, aller Klassenstufen) gekürt. Nicht nur, dass das Ganze mit zwei Stunden Verspätung los ging (das war aber nicht so schlimm, ich kam ja auch erst eine Stunde später), sondern es wartete eine lange Palette an Preisübergaben und „auflockernden“ Zwischensentenzen. Nach drei Stunden konnte man die aber auch nicht mehr sehen. Und hinterher hatte ich auch noch das große Vergnügen, beim großen Essen den Minister für höhere Bildung zu treffen, der natürlich an dieser Veranstaltung teilnahm und zahlreiche der hohen Tiere Kameruns, wie zum Beispiel einen der Mitarbeiter bei SNH (der kamerunischen Ölfirma, die das ganze Geld einsacken). Eine mir bisher weniger bekannte gesellschaftliche Schicht, aber ich muss doch ehrlich sagen, auch eine mir weniger sympathische. Ich bleibe doch lieber beim „kleinen Mann“, da weiß man woran man ist und kann viel ungezwungener Spaß haben. So wie auf der Hochzeitsfeier. Geschenke muss man in Kamerun übrigens tanzend überreichen. Ich habe mich bei Bikutsi und Pongo nicht so schlecht geschlagen.
Letzte Woche war auch die Aufführung unserer Theateraufführung – ich glaube, Bilder sprechen mehr als Worte. Nach viel Ärger und Differenzen im Vorhinein haben wir es doch zu einer schönen Aufführung gebracht. Und irgendwie bin ich doch auch ein bisschen stolz.
Seit ich diese Mail fertig geschrieben habe, ist schon wieder einige Zeit vergangen und vor allem viel passiert. Aber das muss ich erstmal selber verarbeiten und schreibe dann in ein paar Tagen noch mal. Bevor ich mich dann zu meiner nächsten Reise in den Norden aufmache.
Bis dahin grüße ich erst einmal ganz ganz herzlich aus dem inzwischen nicht mehr so besonders warmen Kamerun – Regenzeit ist doof!
Karin
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Endlich mal ein Blog, der echte informative Artikel veröffentlicht. Bedauerlicherweise ist hierzulande die Bloggerei nicht wirklich vorhanden, hier hat der User aber einen echten Mehrwert. Ich finde auch teilweise die Kommentare sehr interessant. Da sieht man, dass sich jemand echte Arbeit gemacht hat.