Abenteuerwahnsinn
Entgegen aller Pläne und Vorhaben wird diese Rundmail wohl doch kürzer ausfallen als erwartet, bin ich doch schon wieder auf dem Sprung zur nächsten Reise. Aber trotzdem möchte ich noch kurz von meinem letzten, vollkommen verrückten Urlaub erzählen. Ich hatte mir eine Woche frei genommen – Überstunden abfeiern. Mit den beiden Wochenenden ergaben das mehr als zehn Tage. Und die wollte ich auch richtig ausnutzen. So machte ich mich Freitag in aller Frühe auf den Weg nach Douala, der anderen Großstadt und das industrielle Zentrum Kameruns. Von dort wollte ich gleich weiter nach Koumba, der Hauptstadt der Südwest-Provinz und dort Freunde besuchen. Laut Reiseführer gab es von Douala vier Mal am Tag einen Zug. Nun ja, an dieser Stelle merkte ich, dass der Reiseführer schon sechs Jahre alt ist: der Zug fährt nur noch zwei Mal die Woche und war gestern Abend abgefahren. Die sich am Bahnhof befindenden Polizisten waren sehr hilfsbereit und meinten, der Zug fahre immer von Mbanga ab, ein Ort, der sich circa eine Stunde entfernt befindet. Sie erklärten, sie würden den Zug für mich anrufen und er würde für mich warten, bis ich dort war. Trotz aller möglichen Beeilungen kam ich natürlich zu spät am Bahnhof an. Nichts ist pünktlich in Kamerun, aber dieser Zug eben doch. Nun gut, der nächste sollte in fünf Stunden kommengut, da musste aso eine Alternativlösung her. Und wie sah die aus? Von Mbanga nach Koumba gibt es keine direkte Straße, man hätte mit dem
Auto einen wahnsinnigen Umweg fahren müssen. Die Lösung? Mit einem großen Reiserucksack ein Motorrad nehmen, das auf einem Trampelpfad immer zwischen und an den Gleisen entlang bis nach Koumba fährt. Die Zwischenfrage meines Motorradfahrers, ob ich mir Sorgen mache, weil doch ein Zug kommen könnte, konnte mir dann auch nichts mehr anhaben. So kam ich nach einem gesamten Tag Zugfahrt schließlich erschöpft und vor allem verstaubt in Koumba an. Nach einem Tag viel Sonne, viel Staub und viele Mücken ging die Fahrt dann schließlich weiter nach Bafoussam, der Hauptstadt der Westprovinz. Dort kannte ich mich inzwischen aus, wollte auch nur eine Nacht Zwischenstation machen, bevor es am nächsten Morgen weiter nach Bangangté ging, eine Stunde südlich von Bafoussam. Dort wollte ich mich mit einem Freund treffen, mit dem ich zusammen in sein Dorf Bazou fahren und dort ein bisschen Abstand von jeder Großstadt finden wollte. Ich hatte also das Glück als vermeintliche Ehefrau in das Dorf einzureisen, was mir sofort jedes Tor und Tür öffnete. Der Empfang war unendlich herzlich und ich sollte in den zwei folgenden Tagen diese Leute unheimlich schätzen lernen. Wir übernachteten die Tage im Haus des Onkels – ein reiner Männerhaushalt. Ein reines Abenteuer. Ohne fließend Wasser, Wasser wurde im 5km weit entfernten Fluss geholt. Nur dass Männer offensichtlich weniger Bedarf an Wasser haben. Aber ich passte mich an. Uns wurde eins der beiden Zimmer des Hauses zur Verfügung gestellt, die anderen fünf Personen des Haushalts zwängten sich auf die andere Matratze.
Ein anderer Onkel (Familienbeziehungen sind hier nicht so einfach herauszukriegen, da sie meistens einfach nur nach Sympathie und Bekanntheit vergeben werden) lud uns zum Frühstück am nächsten Morgen ein. Als wir dort am nächsten Morgen ankamen, trafen wir ihn jedoch, am Boden zerstört: er sei die gesamte Nacht jagen gewesen, hätte aber nichts gefangen und schäme sich jetzt ganz entsetzlich. Auch unsere Beteuerungen, dass das Ganze nicht schlimm sei, halfen nichts. Eine andere Mama schenkte mir eine große Tüte Koki (bring ich mit, ist sooo lecker!!!), umarmte mich und hatte zum Abschied Tränen in den Augen. Solche Geschichten häufen sich.
Soweit die eine Seite, aber es gibt auch eine andere. Das Dorfleben ist wahnsinnig reglementiert, jeder Schritt wird überwacht und es gibt Dinge, die man tut und andere, die man eben nicht tut. So wird abends immer in Gruppe getrunken: derjenige, der ein bisschen Geld in der Tasche findet, teilt mit allen anderen. Und von Leuten, die von außen kommen, wird auch erwartet, dass sie etwas ausgeben. Ich habe versucht, es nicht zu übertreiben, aber um ein bisschen dazuzugehören, wurde eben doch Matango (Palmwein) erwartet.
Das Dorfleben (siehe Fotos) bietet überhaupt neben Jagd und Landwirtschaft wenig Abwechslung. So wird ein Großteil des Tages damit zugebracht, Palmwein zu trinken und zu diskutieren. Wasser zu trinken, kennen die meisten nicht, sie bleiben lieber beim Palmwein. Nach ihrer Auffassung macht der ja auch nicht betrunken. Dafür sind die Leute aber doch die ganze Zeit ganz schön beschickert. Mann und Frau leben recht getrennt ihren Alltag. Die Frauen in der Küche, die Männer auf der Jagd und beim Palmwein. Wobei die Frauen dabei auch nicht nachstehen, sie sind der Überzeugung, dass sie dadurch so schöne Kinder haben.
Alles in allem waren das zwei wahnsinnig spannende Tage, auch wenn ich mich mit vielen nicht unterhalten konnte: immer auf der Suche danach, das zu tun, was von mir erwartet wird, ohne dabei Dinge zu tun, hinter denen ich selbst nicht stehe. Die Menschen leben ihr Leben noch vollständig in Abhängigkeit von der Natur, wenn sie gibt, geht es ihnen gut, wenn nicht, dann nicht. Wobei sie es dabei bei dem fruchtbaren Vulkanboden noch wirklich gut haben. Auch nach einer Woche kann ich meine Erfahrungen, Gefühle und Erlebnisse dort gar nicht in Worte fassen. Nach zwei Tagen machten wir uns weiter auf den Weg: Zwischenstopp in Bafoussam und Dschang und weiter nach Bamenda, der Hauptstadt der Nordwestprovinz, von wo wir loslegen wollten die Ringroad, eine „Straße“, die einmal rund durch die Provinz geht, mitten durch eine wunderschöne, weite Graslandschaft, die einem immer wieder zeigte, dass es auch noch unbewohnte Gegenden auf dieser Erde gibt. Diese Tage waren geprägt von viel viel Adrenalin, Buschtaxis und Motorräder auf regenglitschigen Schlammstrecken und einmal mitten durch den Fluss, weil der Weg eben durch den Fluss geht – das lässt das Abenteurerherz höher schlagen. Nach noch einem halben Tag auf dem Rücken der Pferde (natürlich ohne Sattel, ganz nach Fulani-Manier, eine wunderbare Art zu reiten!!) machten wir uns auf den langen Rückweg.
Eine aufregende Woche liegt hinter mir und ich musste mich die ersten Tage erst einmal zwangsausruhen, weil der Regen, der uns auf dem Motorrad erwischt hatte, dann doch seine Spuren hinterlassen hatte. Und diese Woche hieß es unter anderem Koffer kaufen für den Rückflug. Das war auch so eine Geschichte: weil ich selbst ja niemals die guten Preise erreichen könnte – im Normalfall gelingt mir das inzwischen, aber bei so etwas großem wie einem Koffer… – wurde ein Freund vorgeschickt. Der handelte wirklich gut aus und damit niemand merkt, dass ich dahinter stecke, gingen wir noch einmal in die Boutique, taten so, als ob wir uns nicht kennen, er berührte im Vorbeigehen zwei Koffer, ich schaute sie mir an, nickte leicht und ging. Und er kaufte dann den Koffer. Was für ein Versteckspiel.
Und nun?
Jetzt habe ich Urlaub. Ein angenehmes Gefühl, auch wenn ich ja eigentlich gerade erst aus den Ferien zurückgekommen bin. Und heute Abend geht es auf die große Reise in die Nordprovinzen. Wieder ein anderes Kamerun. Kamerun verallgemeinern? Meiner Meinung nach durch die ganzen unterschiedlichen Kulturen und Völker nicht möglich. So bin ich jetzt gespannt auf den voll und ganz muslimischen Norden. Heute Abend geht es mit dem alten deutschen Kolonialzug nach Ngaoundere.
Deshalb muss ich jetzt auch mal schnell noch duschen, wer weiß, wann ich das nächste Mal an fließend Wasser komme.
Bis dahin alles Liebe!!!
Karin