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Abenteuerwahnsinn

Entgegen aller Pläne und Vorhaben wird diese Rundmail wohl doch kürzer ausfallen als erwartet, bin ich doch schon wieder auf dem Sprung zur nächsten Reise. Aber trotzdem möchte ich noch kurz von meinem letzten, vollkommen verrückten Urlaub erzählen. Ich hatte mir eine Woche frei genommen – Überstunden abfeiern. Mit den beiden Wochenenden ergaben das mehr als zehn Tage. Und die wollte ich auch richtig ausnutzen. So machte ich mich Freitag in aller Frühe auf den Weg nach Douala, der anderen Großstadt und das industrielle Zentrum Kameruns. Von dort wollte ich gleich weiter nach Koumba, der Hauptstadt der Südwest-Provinz und dort Freunde besuchen. Laut Reiseführer gab es von Douala vier Mal am Tag einen Zug. Nun ja, an dieser Stelle merkte ich, dass der Reiseführer schon sechs Jahre alt ist: der Zug fährt nur noch zwei Mal die Woche und war gestern Abend abgefahren. Die sich am Bahnhof befindenden Polizisten waren sehr hilfsbereit und meinten, der Zug fahre immer von Mbanga ab, ein Ort, der sich circa eine Stunde entfernt befindet. Sie erklärten, sie würden den Zug für mich anrufen und er würde für mich warten, bis ich dort war. Trotz aller möglichen Beeilungen kam ich natürlich zu spät am Bahnhof an. Nichts ist pünktlich in Kamerun, aber dieser Zug eben doch. Nun gut, der nächste sollte in fünf Stunden kommengut, da musste aso eine Alternativlösung her. Und wie sah die aus? Von Mbanga nach Koumba gibt es keine direkte Straße, man hätte mit dem Auto einen wahnsinnigen Umweg fahren müssen. Die Lösung? Mit einem großen Reiserucksack ein Motorrad nehmen, das auf einem Trampelpfad immer zwischen und an den Gleisen entlang bis nach Koumba fährt. Die Zwischenfrage meines Motorradfahrers, ob ich mir Sorgen mache, weil doch ein Zug kommen könnte, konnte mir dann auch nichts mehr anhaben. So kam ich nach einem gesamten Tag Zugfahrt schließlich erschöpft und vor allem verstaubt in Koumba an. Nach einem Tag viel Sonne, viel Staub und viele Mücken ging die Fahrt dann schließlich weiter nach Bafoussam, der Hauptstadt der Westprovinz. Dort kannte ich mich inzwischen aus, wollte auch nur eine Nacht Zwischenstation machen, bevor es am nächsten Morgen weiter nach Bangangté ging, eine Stunde südlich von Bafoussam. Dort wollte ich mich mit einem Freund treffen, mit dem ich zusammen in sein Dorf Bazou fahren und dort ein bisschen Abstand von jeder Großstadt finden wollte. Ich hatte also das Glück als vermeintliche Ehefrau in das Dorf einzureisen, was mir sofort jedes Tor und Tür öffnete. Der Empfang war unendlich herzlich und ich sollte in den zwei folgenden Tagen diese Leute unheimlich schätzen lernen. Wir übernachteten die Tage im Haus des Onkels – ein reiner Männerhaushalt. Ein reines Abenteuer. Ohne fließend Wasser, Wasser wurde im 5km weit entfernten Fluss geholt. Nur dass Männer offensichtlich weniger Bedarf an Wasser haben. Aber ich passte mich an. Uns wurde eins der beiden Zimmer des Hauses zur Verfügung gestellt, die anderen fünf Personen des Haushalts zwängten sich auf die andere Matratze.

Ein anderer Onkel (Familienbeziehungen sind hier nicht so einfach herauszukriegen, da sie meistens einfach nur nach Sympathie und Bekanntheit vergeben werden) lud uns zum Frühstück am nächsten Morgen ein. Als wir dort am nächsten Morgen ankamen, trafen wir ihn jedoch, am Boden zerstört: er sei die gesamte Nacht jagen gewesen, hätte aber nichts gefangen und schäme sich jetzt ganz entsetzlich. Auch unsere Beteuerungen, dass das Ganze nicht schlimm sei, halfen nichts. Eine andere Mama schenkte mir eine große Tüte Koki (bring ich mit, ist sooo lecker!!!), umarmte mich und hatte zum Abschied Tränen in den Augen. Solche Geschichten häufen sich.

Soweit die eine Seite, aber es gibt auch eine andere. Das Dorfleben ist wahnsinnig reglementiert, jeder Schritt wird überwacht und es gibt Dinge, die man tut und andere, die man eben nicht tut. So wird abends immer in Gruppe getrunken: derjenige, der ein bisschen Geld in der Tasche findet, teilt mit allen anderen. Und von Leuten, die von außen kommen, wird auch erwartet, dass sie etwas ausgeben. Ich habe versucht, es nicht zu übertreiben, aber um ein bisschen dazuzugehören, wurde eben doch Matango (Palmwein) erwartet.

Das Dorfleben (siehe Fotos) bietet überhaupt neben Jagd und Landwirtschaft wenig Abwechslung. So wird ein Großteil des Tages damit zugebracht, Palmwein zu trinken und zu diskutieren. Wasser zu trinken, kennen die meisten nicht, sie bleiben lieber beim Palmwein. Nach ihrer Auffassung macht der ja auch nicht betrunken. Dafür sind die Leute aber doch die ganze Zeit ganz schön beschickert. Mann und Frau leben recht getrennt ihren Alltag. Die Frauen in der Küche, die Männer auf der Jagd und beim Palmwein. Wobei die Frauen dabei auch nicht nachstehen, sie sind der Überzeugung, dass sie dadurch so schöne Kinder haben.

Alles in allem waren das zwei wahnsinnig spannende Tage, auch wenn ich mich mit vielen nicht unterhalten konnte: immer auf der Suche danach, das zu tun, was von mir erwartet wird, ohne dabei Dinge zu tun, hinter denen ich selbst nicht stehe. Die Menschen leben ihr Leben noch vollständig in Abhängigkeit von der Natur, wenn sie gibt, geht es ihnen gut, wenn nicht, dann nicht. Wobei sie es dabei bei dem fruchtbaren Vulkanboden noch wirklich gut haben. Auch nach einer Woche kann ich meine Erfahrungen, Gefühle und Erlebnisse dort gar nicht in Worte fassen. Nach zwei Tagen machten wir uns weiter auf den Weg: Zwischenstopp in Bafoussam und Dschang und weiter nach Bamenda, der Hauptstadt der Nordwestprovinz, von wo wir loslegen wollten die Ringroad, eine „Straße“, die einmal rund durch die Provinz geht, mitten durch eine wunderschöne, weite Graslandschaft, die einem immer wieder zeigte, dass es auch noch unbewohnte Gegenden auf dieser Erde gibt. Diese Tage waren geprägt von viel viel Adrenalin, Buschtaxis und Motorräder auf regenglitschigen Schlammstrecken und einmal mitten durch den Fluss, weil der Weg eben durch den Fluss geht – das lässt das Abenteurerherz höher schlagen. Nach noch einem halben Tag auf dem Rücken der Pferde (natürlich ohne Sattel, ganz nach Fulani-Manier, eine wunderbare Art zu reiten!!) machten wir uns auf den langen Rückweg.

Eine aufregende Woche liegt hinter mir und ich musste mich die ersten Tage erst einmal zwangsausruhen, weil der Regen, der uns auf dem Motorrad erwischt hatte, dann doch seine Spuren hinterlassen hatte. Und diese Woche hieß es unter anderem Koffer kaufen für den Rückflug. Das war auch so eine Geschichte: weil ich selbst ja niemals die guten Preise erreichen könnte – im Normalfall gelingt mir das inzwischen, aber bei so etwas großem wie einem Koffer… – wurde ein Freund vorgeschickt. Der handelte wirklich gut aus und damit niemand merkt, dass ich dahinter stecke, gingen wir noch einmal in die Boutique, taten so, als ob wir uns nicht kennen, er berührte im Vorbeigehen zwei Koffer, ich schaute sie mir an, nickte leicht und ging. Und er kaufte dann den Koffer. Was für ein Versteckspiel.

Und nun?

Jetzt habe ich Urlaub. Ein angenehmes Gefühl, auch wenn ich ja eigentlich gerade erst aus den Ferien zurückgekommen bin. Und heute Abend geht es auf die große Reise in die Nordprovinzen. Wieder ein anderes Kamerun. Kamerun verallgemeinern? Meiner Meinung nach durch die ganzen unterschiedlichen Kulturen und Völker nicht möglich. So bin ich jetzt gespannt auf den voll und ganz muslimischen Norden. Heute Abend geht es mit dem alten deutschen Kolonialzug nach Ngaoundere.

Deshalb muss ich jetzt auch mal schnell noch duschen, wer weiß, wann ich das nächste Mal an fließend Wasser komme.

Bis dahin alles Liebe!!!

Karin

Alltag?

Auch das verrückte Kamerun wird einmal Normalität und das sensationell Neue wird Gewohnheit. Dementsprechend bekommt man das Gefühl, dass es gar nichts zu berichten gibt. Erst wenn man drüber nachdenkt, fallen die kleinen Anekdoten auf.

Es geschehen noch Zeichen und Wunder: heute bekam ich zwei Briefe, einer abgeschickt Anfang April, der andere Mitte Mai. Der war aber leider nur zur Hälfte lesbar, die Regenzeit hatte der Post wohl einen Strich durch die Rechnung gemacht. Aber was erwartet man auch?

Gestern fuhr die Polizei mit „Blaulicht“ an mir vorbei: man stelle sich einen kleinen roten Ford vor, in dem sechs uniformierte Menschen sitzen, der Fahrer hupt ununterbrochen und fährt mit einer rasenden Geschwindigkeit die Straßen entlang. Wahrscheinlich musste der Präsident mal aufs Klo, denn sonst sind Polizisten nicht zu so viel Elan zu bewegen, sondern eher dafür da, um das Leben hier noch komplizierter zu machen als es sowieso schon ist. Besonders für die Taxifahrer. Verkehrspolizisten tragen hier übrigens immer noch die Helme, die man aus alten Kolonialfilmen kennt, nicht umsonst heißen sie ‚casque colonial’. Von den Golden Sounds (die, von denen auch die Ursprungsversion von dem WM-Lied: „Zaminamina zangalewa“ kommt) gibt es zu diesem Helm auch ein Lied: „Touche pas a mon casque colonial“ (Berühre meinen Kolonialhelm nicht). Mit eben solchen Verkehrspolizisten habe ich neuerdings öfter das Vergnügen. Wie ich in einer meiner ersten Mails beschrieben habe, funktioniert das öffentliche Verkehrssystem hier mit Taxen. Man stellt sich an den Straßenrand und brüllt jedem vorbeikommendem Taxi sein Ziel ins Seitenfenster, entweder er hupt oder er fährt weiter. Dadurch kommt es an manchen Ecken zu enorm langen Taxischlangen. Weil Kamerun dem Präsidenten zufolge ja kaum andere Probleme hat, wird eben hier für „Ordnung“ gesorgt. Im Extremfall so wie bei mir am Montag: ich wollte abends von der Arbeit aus dem Stadtviertel Bastos zu einem Freund nach Fouda fahren (einmal quer durch die Stadt, wer sich nicht die Mühe machen will, GoogleMaps zu befragen). Ich steige also ins Taxi ein, 100 Meter weiter wird das Taxi von einem Polizisten angehalten, weil das Taxi angeblich nicht richtig an den Rand gefahren ist. Normales Prozedere: der Taxifahrer gibt seine Mappe mit den Papieren und da drin sind ganz säuberlich ein paar Francs versteckt, damit man weiterfahren kann. Ist das nicht der Fall, gibt es irgendein Dokument, das angeblich oder wirklich fehlt. Dieses Mal hatte „mein“ Taxifahrer offensichtlich keine Lust, zu schmieren, also entschied ich nach einer halben Stunde, mir ein anderes Taxi zu suchen. Dann, inzwischen ein paar Kreuzungen weiter, an einer Ecke, an der immer unendlich viele Leute auf ein Taxi warten: mein Taxi reiht sich in die Taxischlange ein und wird auf einmal von einem Polizisten rausgewinkt, er hätte die Kurve geschnitten. Ich weiß nicht so genau, was in den Taxifahrer gefahren ist, jedenfalls regte er sich furchtbar auf, das Ende vom Lied war, dass der Polizist ihm die Plakette aus dem Taxi entriss, der Fahrer daraufhin auf den Polizisten losging und sich zuerst die beiden, dann immer mehr von den Umstehenden auch, schlugen. Auch hier entschied ich: da muss wohl ein neues Taxi her. Gesagt, getan, an der Ecke geht es auch recht schnell. Nur leider war der Motor dieses Taxis in den späten Abendstunden wohl schon etwas aufgeheizt, jedenfalls gab er leider den Geist auf. Da ich aber inzwischen schon nicht mehr so weit weg war, beschloss ich, zu laufen. Und hatte natürlich ausgerechnet einen von den sehr wenigen pünktlichen Kamerunern warten lassen…

Vor mittlerweile fast drei Wochen kam ich vom Zwischenseminar in Kenia zurück. Das waren einmal vollständig andere Afrika-Erfahrungen und ich lernte erst nach ein paar Tagen, dass es keinen Sinn macht, alles mit Kamerun zu vergleichen. Der Hinflug nach Nairobi war schon irgendwie ein bisschen typisch zu nennen. Ich hatte abends noch schnell eine Veranstaltung zu eröffnen und die Schauspieler, denen ich gesagt habe, dass ich sofort nach der Eröffnung weg muss, meinten, ich solle es doch nicht so eilig haben, Kenya Airways käme immer zu spät. Ich wollte mich nicht so hundertprozentig darauf verlassen und ließ mich dann doch so halbwegs pünktlich zum Flughafen bringen. Ein großer Fehler, durfte ich dann doch sechs Stunden in der Wartehalle sitzen. Und das bei zehn Grad, weil die europäischen oder japanischen Klimaanlagen leider nicht bedient werden können oder weil der Zuständige gerade nicht da war. Nun ja, ich hatte auch die Nacht vorher nicht geschlafen, weil ich einen Freund aus dem Gefängnis holen musste. Der hatte nämlich seinen Personalausweis zu Hause vergessen und war von der Polizei aufgegriffen worden. Nach fünf Stunden durfte er dann einen Anruf tätigen und da ich als Weiße doch keinen so kleinen Einfluss habe, fiel eben nachts um vier die Wahl auf mich.  Nairobi selbst bietet nicht viel Besonderes, das Leben dort ist einerseits wahnsinnig gefährlich, da man nach Einbruch der Dunkelheit weder allein noch in der Gruppe einen Schritt vor die Tür machen kann. Deshalb hat jeder einen privaten Taxifahrer, der dann angerufen wird, einen vor der eigenen Haustür abholt (möglichst noch in der Einfahrt) und direkt dort absetzt, wo man hin möchte. Das Leben spielt sich arg hinter den Mauern ab, auch wenn die Kenianer unheimlich freundlich sind, dabei aber um einiges distanzierter und viel viel zurückhaltender als die Kameruner. Dafür aber auch weniger aggressiv. Da war er wieder, der Vergleich. Man kommt wohl nicht so ganz drumrum und wahrscheinlich ist an dem Sprichwort „An das erste afrikanische Land hängt man sein Herz, da kommt kein anderes gegen an.“, doch etwas dran.

Ansonsten ist Kenia einfach auch ein sehr touristisches Land und so um einiges weiter entwickelt. Ein „weißes“ Leben ist besonders in Nairobi ziemlich gut möglich, ich habe erstmal Gummibärchen und Shampoo gekauft. Trotzdem oder gerade deshalb war ich nach den zehn Tagen, von denen ich die letzten Tage als Urlaub an der Küste drangehängt hatte, irgendwie wieder froh nach Kamerun zu kommen. Obwohl es auch merkwürdig war: wegzufliegen, aber nicht nach Hause zu fliegen.

Wie wahrscheinlich bei den meisten, waren die folgenden Tage und Wochen vor allem von der WM geprägt – wer hätte gedacht, dass ich das Prinzip jemals verstehen würde, wenn das auch nur, weil das Goethe-Institut mich dazu zwang. Wenn auch nur indirekt: Public Viewing. Auch die folgenden Wochenenden waren relativ ruhig, beziehungsweise das, was man bei mir als ruhig bezeichnet: ich blieb in Yaoundé, hatte viele Theaterproben und vor allem viele, viele Feiern: Abschiedsfeiern, Beerdigungen (sind hier häufiger, weil der Familien- und Verwandtenkreis so groß ist) und eine deutsch-kamerunische Hochzeit. Auf dem Standesamt mal wieder die Entdeckung, dass Kamerun wirklich nichts von Emanzipation hält. Weder inoffiziell noch offiziell. Es wurden die wichtigsten Artikel des Hochzeitsvertrages verlesen. Der erste lautete folgendermaßen: „Der Ehemann ist der Chef der Familie. Die Frau muss alles tun, um diesem zu gefallen und für ihn im Haus zu sorgen. Der Ehemann ist im Gegenzug dazu verpflichtet, für den finanziellen Unterhalt zu sorgen.“ Dass die Realität in den meisten Fällen genauso aussieht, liegt aber nicht nur an den Männern. Die meisten Frauen sind der festen Überzeugung, dass Männer weder kochen noch saubermachen können und lassen ihn deshalb die Küche nicht betreten, oft wird er auch sehr rüde herausgescheucht. Auch polygame Männer bilden da keine Ausnahme. Ansonsten war die Hochzeitsfeier rein kulturell schon ein Abenteuer: ihre Eltern, die kein Wort Französisch sprachen, seine Eltern, die auch nur schlecht Französisch sprechen und alle gemeinsam an einem Tisch. Und irgendwie versteht man sich doch. Über kleinere Unstimmigkeiten wird gern hinweggesehen und als ich die Braut etwas zum Ablauf des Abends fragte (nämlich, wann die Geschenke übergeben werden), meinte sie: „Alles, nur kein Protokoll.“ Das gibt es nämlich sonst immer und kann einen einzigen Abend unendlich lang werden lassen. Das durfte ich, wieder einmal, bei einem Termin in einem Gymnasium feststellen. Zum Abschluss des Schuljahres wurden dort die besten Schüler (aller Fächer, aller Klassenstufen) gekürt. Nicht nur, dass das Ganze mit zwei Stunden Verspätung los ging (das war aber nicht so schlimm, ich kam ja auch erst eine Stunde später), sondern es wartete eine lange Palette an Preisübergaben und „auflockernden“ Zwischensentenzen. Nach drei Stunden konnte man die aber auch nicht mehr sehen. Und hinterher hatte ich auch noch das große Vergnügen, beim großen Essen den Minister für höhere Bildung zu treffen, der natürlich an dieser Veranstaltung teilnahm und zahlreiche der hohen Tiere Kameruns, wie zum Beispiel einen der Mitarbeiter bei SNH (der kamerunischen Ölfirma, die das ganze Geld einsacken). Eine mir bisher weniger bekannte gesellschaftliche Schicht, aber ich muss doch ehrlich sagen, auch eine mir weniger sympathische. Ich bleibe doch lieber beim „kleinen Mann“, da weiß man woran man ist und kann viel ungezwungener Spaß haben. So wie auf der Hochzeitsfeier. Geschenke muss man in Kamerun übrigens tanzend überreichen. Ich habe mich bei Bikutsi und Pongo nicht so schlecht geschlagen.

Letzte Woche war auch die Aufführung unserer Theateraufführung – ich glaube, Bilder sprechen mehr als Worte. Nach viel Ärger und Differenzen im Vorhinein haben wir es doch zu einer schönen Aufführung gebracht. Und irgendwie bin ich doch auch ein bisschen stolz.

Seit ich diese Mail fertig geschrieben habe, ist schon wieder einige Zeit vergangen und vor allem viel passiert. Aber das muss ich erstmal selber verarbeiten und schreibe dann in ein paar Tagen noch mal. Bevor ich mich dann zu meiner nächsten Reise in den Norden aufmache.

Bis dahin grüße ich erst einmal ganz ganz herzlich aus dem inzwischen nicht mehr so besonders warmen Kamerun – Regenzeit ist doof!

Karin

Schildkrötenentscheidungen

Und wieder ist eine ganze Zeit um, ich hatte mir fest vorgenommen, mich früher zu melden, aber wie das immer so ist mit den Vorhaben, kann man sie nur schwer halten. Dieses Mal habe ich sogar eine handfeste Ausrede. Nicht nur, dass ich unheimlich viel arbeiten und nebenbei noch Bewerbungen schreiben musste, ich war auch viel krank. Inzwischen habe ich die Aussage vom deutschen Arzt, dass ich sterben werde, da geht es mir doch gleich wieder besser. Mein Körper hat offensichtlich einen solchen Schock gekriegt, dass er sich spontan erholt hat.

Mit viel Erstaunen und vielleicht auch ein bisschen Erschrecken habe ich festgestellt, dass die meisten kamerunischen Realitäten und Obskuritäten für mich inzwischen Normalität und Gewohnheit geworden ist. Wenn man einen eigenen Platz im Bus hat und ihn nicht mit mindestens zwei Leuten teilt, kommt man sich doch sehr einsam vor, vor allem, weil man sich in den Kurven alleine grade halten muss und nicht von den anderen mitgehalten wird. Preise hängen vor allem von deiner Diskutierfreudigkeit (da habe ich’s gut) und deiner kamerunischen Verbindung ab (auch da habe ich es gut, der Erfindungsfreudigkeit ist keine Grenzen gesetzt; meistens zieht die Geschichte am besten, dass ich mit einem Kameruner verheiratet bin und mindestens drei Kinder habe). Diskussionen über die Hautfarbe sind ebenso häufig wie Diskussionen über Politik und Fußball.

Es liegen auch wieder wunderbare Reisen hinter mir. Vor einigen Wochen fuhren wir das erste Mal in den Westen und entdeckten dort ein vollständig anderes Kamerun. Die Bamiléké sind bekannt dafür, dass sie Händler sind und genau diese Feststellung machten wir dort auch: Bamiléké können und wollen Geld aus allem und jedem machen. Ansonsten wurden wir einfach eingeführt in die Welt der Mythen und Geschichten. Da die meisten meiner Freunde Bamiléké sind, war das für mich noch einmal besonders interessant. Regiert und verwaltet werden die meisten Regionen Kameruns noch durch Chefs oder Könige. Titel werden dabei sehr beliebig vergeben und es scheint dazwischen auch keine Rangordnung zu geben. Im Westen sind die Chefferien, also Königtümer besonders prächtig und die Rolle der Könige wirklich noch ziemlich groß, sie werden von der Regierung auch wirklich dafür bezahlt, die Region zu verwalten. Dass dabei wahrscheinlich das meiste Geld für die vielen Frauen draufgeht, ist dabei Nebensache. Wir besichtigten mehrere solcher Chefferien und aus allen Informationen, die man so erhielt, bastelte ich mir ein Bild zusammen. Auch wenn alle Chefferien natürlich so ihre eigenen Regeln haben, kann man vieles doch verallgemeinern. So der Initiationsritus des Königs: dieser wird mit seinem Assistenten und vier seiner Frauen für neun Wochen isoliert und muss mehrere Riten durchmachen. Wenn nach den neun Wochen keine der Frauen schwanger ist, wird er geköpft und sein Assistent König. Er hatte dann bewiesen, dass er als König nicht geeignet ist. Die Frauen der Könige werden vererbt an den Thronfolger, meist einer der Söhne. Die Frauen des Vaters dürfen jedoch nicht berührt werden, sondern haben sozusagen schon ihren Dienst abgeleistet. So unvorstellbar und für die Frauen unerträglich uns das alles vorkommt, kamerunische Frauen sehen das oft anders. Die Konzeption von Beziehung und vor allem von Ehe ist einfach eine ganz andere. Ich habe mich im Bus lange mit polygamen älteren Frauen unterhalten, die sich wunderten, dass ich nicht wollte, dass mein Mann noch andere Frauen hatte. Sie wunderten sich daraufhin nur und meinten, dass man so doch, sobald die Kinder groß sind, machen kann, was man will und sich nicht mehr um den Mann kümmern muss, weil das ja die jüngeren Frauen übernehmen. Die beiden waren auch wirklich frei in allen ihren Aktivitäten. Nur ist das eben nicht die Art von Ehe, die man sich als Mitteleuropäer vorstellt. Aber ich versuche einfach, zu verstehen, zu akzeptieren, zu tolerieren und vor allem, die ganze Zeit so zu tun, als sei das alles komplett normal und gar nichts Besonderes.

Ein interessantes Erlebnis war auch der wirklich gelebte Magieglaube, von dem mich meine Freunde in Yaoundé schon immer überzeugen wollten, der einem aber natürlich auf den Dörfern noch viel mehr über den Weg läuft. Die Schildkröte, die entscheidet, wer der Schuldige ist; die Spinne, die den Dieb findet; der Totemwald, der nicht betreten werden darf; magische Seen und Hexerei – dies alles sind nur einige der Geschichten, die einem so über den Weg laufen. Wahrscheinlich schütteln auch wieder einige von euch die Köpfe vor Unglauben, aber andererseits funktionieren die Dinge seit Jahrhunderten hier so und unerklärbare Dinge werden eben durch Magie erklärt. Tradition und Moderne werden hier einfach komplett ineinander verwoben, so beim Königspalast in Bandjoun, der vor drei Jahren abgebrannt ist und jetzt wieder aufgebaut wird. Die Schnitzereien der Säulen wurden eben einfach an das moderne Leben angepasst und bilden jetzt eben Eto’o (der berühmteste kamerunische Fußballer), Paul Byia (der Präsident), Eko Roosevelt (ein kamerunischer Musiker) und andere Bekanntheiten wie Ronaldinho und den Papst ab. Alle unproblematisch nebeneinander und neben traditionellen Figuren.

Durch die zahlreichen Frauen gibt es auch unheimlich viele Menschen, die irgendwie mit der Königsfamilie verwandt sind. Der König in Bafoussam bildete den Höhepunkt mit über 120 Frauen, laut eigenen Aussagen weiß er es selbst gar nicht so genau. Auch wenn das vielleicht alles nicht so klingt, die Könige sind meistens sehr gebildete Männer, viele von ihnen haben in Europa oder zumindest in einer kamerunischen Großstadt studiert und sind dann eben, als ihr Vater starb und sie das Königsamt geerbt haben, in ihr Dorf zurückgekehrt – meist offensichtlich ohne große Probleme sich wieder in diesen Traditionen zurechtzufinden. Diese sind einfach wahnsinnig tief verwurzelt. Auch meine Freunde sind doch relativ überzeugt von dem System der Chefferien, weil sie meinen, dass ein König es sich nicht leisten kann, ungerecht zu richten oder unbedacht zu handeln, da er sofort sämtlichen Respekt verlieren würde. Das sei das Schlimmste, das passieren könnte, denn dann würde er auch nicht mehr als fähig angesehen werden, um Rituale durchzuführen und dann spätestens treten die sieben Assistenten, die so genannten Notablen, in Aktion. Zu werten habe ich mir abgewöhnt, weil das System und das gesamte Verständnis einfach so unterschiedlich sind und ich möchte nicht darüber urteilen, was besser und was schlechter ist. Anders ist es jedenfalls, das ist sicher.

Aber oft auch lustig. Ich nehme die meisten Sachen einfach mit Humor, was nicht immer leicht fällt, vor allem, wenn einem wieder einmal die Hautfarbe im Weg steht. Ein paar Tage später im Bus an der Busstation jedoch wurde mir bescheinigt, dass ich schon mindestens so gut diskutiere wie eine Kamerunerin. Wir wollten eigentlich in ein benachbartes Dorf fahren, um dort die Wasserfälle zu sehen. Aber irgendwie hatte wie immer alles ein bisschen länger gedauert und so entschieden wir uns, nachdem wir eine Stunde vergeblich im Bus gewartet hatten, doch gleich zurück nach Yaoundé zu fahren. Dabei bekamen wir mit, dass die anderen schon viel länger warteten. Also beschloss ich, mit dem Busfahrer zu diskutieren, um das Geld zurückzubekommen. Und Geld, das man einmal ausgegeben hat, bekommt man nur schwerlich zurück. Aber laut werden und mit der Polizei drohen hilft da schon viel. Das Ganze wurde immer absurder und es scharten sich immer mehr Kameruner, unter ihnen auch Straßenverkäufer, andere Busfahrer und Guthabenverkäufer um mich herum, um die Weiße zu sehen, die den Busfahrer zur Schnecke macht. Die Männer im Bus mischten sich dann irgendwann auch ein, zuerst war nicht so ganz entschieden, gegen wen sich eigentlich der Hass richtete, sie entschieden sich dann aber doch, dass man sich mit einer Frau nicht schlägt und gingen auf den Busfahrer los. Und ich mittendrin mit den Tickets in der Hand und der ständigen Aussage, dass ich sofort gehe und ihn in Ruhe lasse, sobald er mir das Geld zurückgibt. Ich weiß nicht, was wozu geführt hat: letztendlich bekam ich jedenfalls das Geld wieder und den Applaus von 50 Kamerunern dazu – was für ein Erfolgserlebnis. Und zu den Wasserfällen und zusätzlich noch zu einem wunderschönen Kratersee fuhren wir eben ein paar Wochen später.

Letztens kam ich nach Hause, traf auf mehrere bekannte Gesichter und wie jeden Abend auf die vielen Kinder, die Fußball, auf-der-Klobrille-den-Hügel-Runterrutschen oder Papiertiere basteln spielten. Sie begrüßten mich wie immer und ein kleiner, vielleicht vierjähriger (wobei das hier immer schwer zu schätzen ist, manche Kinder sind im Wachstum sehr zurück) Junge blickte von seinem Kamel aus Zeitungspapier hoch und musterte mich von oben bis unten mit sowohl kritischem als auch sehr erstaunten Blick. Nachdem ich mir, wie immer, alle Tiere betrachtet hatte, wollte ich eigentlich weitergehen. Auf einmal kam der Junge, strich mir mit fester Hand über den Arm und schaute sich dann die Innenflächen seiner Hand an, dann erstaunt mich und strich mir noch einmal über den Arm. Gleicher Effekt. Daraufhin traute er sich endlich den Mund aufzumachen und fragte: „Aber, geht das denn nicht ab?“

Sonst kennt mich inzwischen nahezu jeder im Viertel, weiß, dass man mit mir nicht über Preise diskutieren kann, dass ich „weiße Preise“ sowieso nicht akzeptiere, weil ich die „schwarzen Preise“ kenne. Eine der Mamas auf dem Markt kam letztens sehr unglücklich zu mir, weil sie von einer meiner „Schwestern“ (also einer anderen Weißen) betrogen worden sei. Daraufhin zeigte sie mir ein Geldstück, das sie für 500 Francs gehalten hatte, dass in Wirklichkeit chinesisches oder japanisches Geld war. So viel zur weißen Ehrlichkeit, von der hier immer ausgegangen wird. Sie meinte, ich sollte doch meine Schwester mal fragen, ob sie ihr richtiges Geld geben könne – denn es kennen sich ja alle Weißen in der Stadt.

Kamerun – ein Zwischenfazit?

Es geht mir gut hier, die Lautstärke der Leute entspricht ungefähr meiner, wobei Ohrstöpsel auf Reisen immer noch mein wichtigstes Accessoire darstellen. Auch so dieses absolute nicht darauf Achten, wie andere aussehen oder wie sie sich kleiden. Ich dachte immer schon, ich würde da wenig drauf achten, wurde aber eines Besseren belehrt. Meinen Eindruck der ersten Monate, dass hier alle wahnsinnig egoistisch sind, muss ich ein wenig berichtigen. Hier herrscht einfach die Einstellung: wenn dich etwas stört oder Du etwas willst, dann kannst Du es ja sagen. Wer nichts sagt, der braucht offensichtlich auch nichts. Inzwischen bin ich da auch schon weniger diplomatisch und viel direkter. So habe ich letztens klipp und klar gesagt, dass man mich gefälligst am Wochenende nicht vor 7 Uhr morgens anrufen darf, weil ich doch ein wenig ausschlafen möchte. Was zu großem Unverständnis führte und Fragen wie: Schläfst Du in Deutschland auch so viel? Mit der Erwartungshaltung der Leute habe ich immer noch Probleme, da bei einem Angebot eher nicht nur die ganze Hand genommen wird, sondern man komplett aufgegessen wird. Der Ausdruck: Je veux pas que tu me manges! (Ich möchte nicht, dass du mich aufisst!!) ist inzwischen schon fester Bestandteil meines Repertoires. Und immer noch versuche ich den kamerunischen Männern klar zu machen, dass sie bestimmt keine weiße Frau wollen, weil die sich nicht um die Kinder kümmern, kein Essen machen und sich auch sonst nicht anständig um die Männer kümmern. Meistens ernte ich große und erstaunte Blicke. Auch mein Standardsatz auf eine Liebeserklärung: „L’amour n’est pas une question de couleur de peau!“ (Die Liebe ist keine Frage der Hautfarbe.) zieht nur bedingt.

Ansonsten mag ich einfach die offene und direkte Art, die Spontaneität und Flexibilität meiner Freunde, zu jeder Zeit für jede Schandtat bereit zu sein. Wenn wir abends noch mal einen trinken gehen, gibt es überhaupt gar keine Diskussionen, wer mich nach Hause bringt, bzw. die Männer machen das unter sich aus und teilen es mir dann nur noch mit.Sie gehen einfach davon aus, dass ich hier ohne Familie ganz schön einsam bin und kommen mich deshalb ständig besuchen, fragen, ob es mir gut geht und als ich krank war, war auch immer jemand da. Auch wenn die Heilmethoden ein wenig verwunderlich sind: „Karin, lass uns mal ein Bier trinken gehen, das tut dir sicher gut.“ Na, da ich noch nicht ernsthaft krank war, wird es wohl geholfen haben.

Die nächsten Wochen werden ruhiger und ich komme vielleicht mal öfter dazu, etwas zu schreiben. Andererseits mache ich auch einfach mehr Urlaub, nachdem die letzten Wochen doch arg anstrengend waren. Da das Goethe-Institut mit die einzige Kulturinstitution ist, nimmt die Arbeit kein Ende. Es gibt genügend Anfragen und Bedürfnisse, diese alle zu erfüllen, ist nicht unbedingt das Leichteste. Deshalb genieße ich jetzt noch ein wenig die Ruhe in Kenia und melde mich, wenn ich wieder zurück bin.

Bĭkele mvoi ai madiŋ mekobo ai wo!

(Tschüss und ich möchte mit euch reden!) Naja, mein Wortschatz ist doch noch sehr beschränkt, aber es wird besser und besser!

Alles Liebe

Karin

Kamerunerin??

Mbembe amos bivoé wam!

Ye one mvoi?

Ich weiß, es ist wirklich eine ganze Weile her, dass ich nichts von mir hören lassen habe. Ich habe inzwischen so viele Überstunden, dass ich eine Woche frei nehmen kann und außerdem ganz viele schöne Erlebnisse und Stunden im Gepäck. Das Leben hier unten schläft auch nicht. Außer sonntags. Wenn man nicht weg gefahren ist, kann man nur entweder in die Kirche gehen, waschen oder Freunde besuchen. Meistens mache ich Freundehopping. Heute aber bisher noch nicht, stattdessen war ich brav arbeiten im Radio. Da ich nächste Woche zwei Kulturveranstaltungen des Goethe-Institutes (wer will, kann ja mal gucken, was bei uns so los ist: www.goethe.de/kamerun) organisiere, die auch angekündigt werden wollen, war ich heute mit der einen Künstlerin bei zwei Radiosendern. Aufregend, aber irgendwie auch Gewöhnungssache, schließlich war ich letzte Woche schon bei mehreren. Alles sehr unterschiedlich organisiert.

In den letzten Wochen war wahnsinnig viel los, ich werde so langsam mehr und mehr kamerunisiert, das habe ich spätestens festgestellt, als ich Mitte letzter Woche mit dem gleichen Taxifahrer wie ganz zu Beginn mitgefahren bin. Mir wäre das wahrscheinlich gar nicht aufgefallen. Als sich jedoch mein Sitznachbar aus Spaß darüber beschwerte, wie ich denn als Weiße auf die Idee kommen könnte, nur 100 F CFA (Kurzstrecke im Taxi, muss man vorher ankündigen und daher die Entfernungen kennen- gelingt mir inzwischen ganz gut) zu bezahlen, meinte der Taxifahrer, das sei schon in Ordnung, ich sei schon vollständig Kamerunerin, er würde von mir gar nicht mehr Geld nehmen wollen. Man würde das schon an meiner Ausdrucksweise hören. Tja, so schnell geht das also. Spätestens seit Freitag bin ich wirklich Kamerunerin, da mir mein gesamtes Hab und Gut morgens um zehn von der Taxi-Mafia abgenommen wurde. Hinterher wurde mir von einem deutschen Kollegen erklärt, dieses Szenario sei eine Masche, jeder der es weiß, weiß es auch zu verhindern. Nun gut, ich jetzt auch. Das Ganze funktioniert folgendermaßen: Man sagt sein Ziel, im Taxi sind schon fünf Leute drin. Deshalb setzt man sich zu dem, der vorne sitzt (ist normal, macht man hier immer, sonst gilt ein Auto nicht als voll.) Dann suchen die Leute im Taxi ein Ablenkmanöver, der Spiegel der gerichtet werden muss oder sonst irgendwas. Bei mir war es der Sitz, der immer nach hinten rutschte und das gesamte Taxi gab mir Tipps, wie ich mich besser hinsetze, wo ich meinen Arm hintun soll und so weiter. Dann meinten sie irgendwann, der Stuhl ginge nicht zu reparieren, ich solle mir ein anderes Taxi suchen. Dort stellte ich dann fest, dass Handy, Fotoapparat, Portmonnee und Kreditkarte weg sind. Sehr ärgerlich, dafür wieder was gelernt. Zum Glück nicht der Pass, den nimmt man nur als Kopie mit. Gott sei Dank habe ich auch wirklich nette Kollegen, die mir die nächsten Wochen erstmal über die Runden helfen, bis die neue Kreditkarte über die Botschaftspost da ist. Auch ein Abenteuer.

Abgesehen von diesem Zwischenfall genieße ich mein Leben hier in vollen Zügen. Vor einigen Wochen waren wir am Wochenende in Mbalmayo, einer kleinen Stadt am Njango in der Nähe von Yaoundé. Die Stadt hat noch viele deutsche Züge, unter anderem eine deutsche Kirche. Nach einem kleinen Rundgang kam ich auf die glorreiche Idee, dass man doch in einer pirogue (die kleinen Fischerboote aus einem ausgehöhlten Stamm) in ein kleines, ca. 18 km entferntes Dorf fahren könnte. Gesagt getan, Problem bestand erstmal nur darin, einen Fischer zu finden, der sich dazu bereit erklärte. Also fragte ich einfach beliebig Leute auf der Straße. Die ersten beiden jungen Herren hatten zwar selbst keine pirogue, meinten aber jemanden mit einer zu kennen. Dorthin machten wir uns auf den Weg. Dessen Boot war leider kaputt, er wusste aber, dass ein Freund eine hat. Der war zwar unterwegs zum Fischen, dessen Frau brachte uns aber zu seinem Bruder. Der sprach zwar leider nur Ewondo, aber meine Ewondokenntnisse reichten inzwischen so weit, zu fragen, ob er uns in das Dorf Ebogo bringen könnte. Und los ging die Reise. Sein Boot war noch in Ebogo, also fuhren wir mit dem Taxi dahin, um dann mit der Pirogue zurückzufahren. Erst noch Benzin in Fantaflaschen holen und los ging es. In Ebogo machten wir erst eine kleine Tour durch den Wald, wo ich das Kind in mir raus lassen konnte und Affe an Lianen spielte. Und dann ging die 35 km lange Tour am Fluss entlang los. Eigentlich schnell getan, weil die Pirogue sogar einen Motor hatte. Nur leider fiel der jeden Kilometer (ohne Übertreibung!) aus. Am Anfang machte man sich noch Sorgen, doch irgendwann hatte man sich dran gewöhnt und genoss jedes Mal die ungewohnte Ruhe und lächelte still in sich hinein, weil unsere Begleiter unheimlich besorgt waren, ins Wasser zu fallen. Kameruner können nämlich grundsätzlich nicht schwimmen und wenn sie sagen, dass sie schwimmen können, dann heißt das, dass sie sich gerade so über Wasser halten. Eine Erfahrung, die ich später noch ausgeprägter machen sollte. Die Fahrt dauerte auf diese Weise um einiges länger als geplant, vor allem, weil wir dann auch noch in einen Strudel kamen und der Motor leider vollständig versagte. Da unsere Pirogue außerdem größer war als die anderen, gab es einige Probleme durch diesen Strudel zu kommen ohne auf Grund zu stoßen. Doch die Fischer rundherum waren hilfsbereit, ich durfte vom Boot heraus deren Pirogue halten, während sie unsere Pirogue durchs Wasser schoben und zogen. Wir als Weiße kamen uns doch sehr hochnäsig vor, so im trockenen Boot zu sitzen, aber glücklicherweise blieben unsere beiden schwarzen Begleiter auch passiv. Kurz vor Mbalmayo fiel der Motor dann komplett aus bzw. zur Hälfte ins Wasser. Ein großartiges Erlebnis trotz oder gerade wegen aller Zwischenfälle, sich so mit dem Boot durch den Regenwald zu schlängeln.

Am Wochenende drauf fuhren die andere deutsche Praktikantin und ich einen Freund in Kribi besuchen – der wahrscheinlich einzige touristische Ort in Kamerun, am Strand. Das Wasser ist wärmer als Badewanne, nur mit mehr Wellen. Samstagnachmittag fuhren wir zu den Chutes de Lobé, den einzigen Wasserfällen der Welt, die direkt (beziehungsweise fast direkt) ins Meer fallen. Natürlich kam Karin auf die Schnapsidee, diese oberhalb zu Fuß zu überqueren. Am Ende waren wir alle sehr nass, aber auch sehr glücklich, hatten wir doch verstanden, wie man einen Wasserfall am besten überquert: fühlen, tasten, nicht auf glitschige Steine treten, sondern nur auf Pflanzen im Wasser, die helfen nämlich, Halt zu finden. Am nächsten Tag fuhren wir in das benachbarte kleine Fischerdorf Londji, idyllisch am Strand gelegen und weil Sonntag war, waren auch alle Boot da und die Kirchen gefüllt. Sofern 400 Menschen die insgesamt sechs Kirchen füllen können. Jedenfalls tönte über all der Idylle ein ständiger mehr oder weniger melodischer Singsang bzw. moralische Lehren über die Sünden des täglichen Lebens. Dafür ist im Gottesdienst bei einer Mindestdauer von drei Stunden ja auch genug Zeit. Manche Leute kommen deshalb auch extra nur zu dem Teil des Gottesdienstes, in dem getanzt wird – nachvollziehbar, auch wenn die Pfarrer verzweifelt versuchen, dagegen anzukämpfen, indem sie die Gottesdienstuhrzeiten immer mal wieder verändern, leider vergeblich, weil sich doch alles herumspricht. Nachmittags, zurück in Kribi, ging es zum Abschied noch mal an den Strand. Ich schwamm mit jemandem (den ich im Wasser getroffen habe), ein ganzes Stück weit raus, woraufhin er mir versicherte, dass ich die einzige Weiße bin, die jemals diesen Fleck Erde beschwommen hätte, weil alle anderen Weißen immer Angst vor dem Meer hätten. Wieder zurück mit Boden unter den Füßen, standen ungefähr 35 Kameruner Männer mit großen Augen im Wasser und fragten mich, wie ich das denn bitte auf die Beine gestellt hätte, ob es da draußen nicht tief sei und ob man da noch stehen könnte. Was ich verneinte und ihnen zeigte, wie Schwimmen funktioniert. Daraufhin versicherten sie sich erstmal, dass ich nicht lüge und meine Beine wirklich nicht den Boden berühren. Dann überlegten sie eine Weile, probierten ein bisschen und meinten dann, das liege an meinem Gewicht, sie seien einfach zu schwer, das Wasser trage sie nicht. Von da an hatte ich für die nächsten drei Stunden 35 Schüler zwischen fünf und fünfzig Jahren. Zumindest einige von ihnen hatten am Ende die Grundzüge verstanden. Leider mussten wir uns dann in Richtung Bus bewegen und die Heimreise antreten. Busfahren ist immer ein besonderes Abenteuer und braucht viel Geduld, Ausdauer und vor allem starke Nerven: wenn vorne die betrunkene Mami mit mir durch den Bus auf Ewondo diskutiert, in der Mitte sich die Männer streiten, wer neben mir sitzen darf und von hinten ständig lautstark Tipps kommen, wie man sich gegen all das wehren sollte, dann muss man doch tief durchatmen, um sich nicht in einen deutschen ICE zu wünschen. Kameruner mischen sich gerne in alles ein und scheren sich nicht darum, ob sie vielleicht andere stören könnten. Dementsprechend hoch ist der Lärmpegel. Meine Ohrstöpsel tun mir gute Dienste, aber all das ist auch eine Gewöhnungssache. Dafür wird man auch einfach überall mit hin genommen, darf alles mit machen und ist immer und überall willkommen. Man tut in Kamerun alles, um dem Gast das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Was andererseits auch jeder Gast erwartet, wenn er bei dir zu Besuch ist und das kann zu jeder Tages- und Nachtzeit und vor allem meistens ohne Ankündigung der Fall sein. Dass man sonntags vielleicht einmal länger als nur bis acht schlafen will, wird als merkwürdige Marotte aufgefasst und jedes Zeichen, dem Gast abends zu zeigen, dass man so langsam ins Bett möchte, wird geflissentlich übersehen. Hier müssen Dinge schon direkt ausgesprochen werden, aber das wird dafür auch nicht als unhöflich angesehen – wer etwas möchte oder nicht möchte, kann das schließlich auch sagen. Aber dass man manchmal das Bedürfnis nach ein wenig Privatsphäre hat, kann sich hier kaum jemand vorstellen, das Leben findet nun einmal quasi öffentlich statt. Heute hat man mir zumindest eine Stunde allein gegönnt, bevor die Nachbarin kam, um eine Fernsehserie zu schauen.

Seit gestern habe ich auch den enorm großen Vorteil, Ehrenmitglied eines Dorfes in der Nähe von Bamenda (Nord-West Provinz von Kamerun, anglophoner Teil des Landes) zu sein. Was mir das nützt, wird sich zeigen. Wie es dazu kam? So wie es mir hier irgendwie meistens geht: ich war auf dem Weg zu einem Freund, da traf ich auf eine Gruppe von jungen, schon ziemlich angetrunkenen Leuten. Meine neugierige Frage, was denn gefeiert würde, wurde ausführlich und sehr kompliziert beantwortet: offensichtlich war einige Jahre vorher jemand aus der Familie gestorben und deshalb wurde ihm zu Ehren jedes Jahr eine mehr oder weniger große Versammlung gemacht, mit eher mehr als weniger Alkohol. Man muss aber auch zugeben, dass es beim Palmwein schnell geht, vor allem bei der Wärme. Als ich das herausgefunden hatte, war ich auch schon mitten drin: Komm doch mit, wir haben nachher Versammlung, die ist größer als die hier. Und wie ich so bin, ändere ich spontan meine Pläne, beziehungsweise verschiebe sie auf später. Und los geht die Wanderung, eigentlich nur ein paar Häuser weiter, aber in Kamerun läuft man nicht schnell, vor allem nicht sonntags. Bei der etwas größeren Versammlung angekommen, wird erstmal Palmwein ausgeschenkt, natürlich mir zuerst, schließlich bin ich Gast. Doch dann gehen die Diskussionen einfach weiter, als wäre ich nicht da. Leider in ihrer Sprache, die mir nicht geläufig ist. So verbringe ich die nächsten eineinhalb Stunden damit, zu versuchen herauszukriegen, um was es geht, ohne ein Wort zu verstehen. Manchmal fällt ein englisches Wort, so wie Zeit- oder Geldangaben, die meisten Volkssprachen haben für Tage, Wochen, Monate und sonstige Zeitrelationen keine Begriffe. Irgendwann hatte ich heraus, dass sich jeden Sonntag alle Menschen aus einem Dorf versammeln, die sich in Yaoundé befinden. Ziel ist es eigentlich, dem Dorf zu helfen, unter anderem einen Brunnen zu bauen und Elektrizität dorthin zu bringen. Bisher habe ich das Gefühl, es bleibt bei den Diskussionen und dem Palmwein, aber vielleicht täuscht der Eindruck auch. Irgendwann war es dann an mir, mich vorzustellen. Nachdem ich mich zuerst entschuldigt hatte, dass ich mich leider nur auf Englisch vorstellen kann und dass ich in Hosen gekommen bin (bei traditionellen Treffen ist es doch noch Regel, im Kleid zu kommen, aber als ich aus dem Haus gegangen bin, wusste ich ja noch nicht, dass mein Sonntag Abend auf einer solchen Versammlung enden würde), wurde ich mit Begeisterung und viel Feierlichkeit aufgenommen und willkommen geheißen. Ich hatte gezeigt, dass ich ihre Kultur akzeptiere, was mit lautem Klatschen und Begeisterungsaufrufen aufgenommen wurde. Jetzt stehe ich also auf der Liste der Ehreneinwohner des Dorfes, dessen Name ich schon wieder vergessen habe und dessen Sprache ich nicht spreche. Aber jeder dort wird mich mit Begeisterung in seinem Haus aufnehmen, wenn ich zu Besuch komme.

Inzwischen ist es so, dass ich, wenn ich morgens aus dem Haus gehe, mehr Zeit als gewöhnlich einplanen muss, weil doch mit jedem, den man auf der Straße trifft, noch ein oder zwei Worte gewechselt werden müssen, bevor es nicht unfreundlich erscheint, darauf zu verweisen, dass man zur Arbeit muss. Und inzwischen kenn ich doch die meisten und gehöre oft schon dazu. Aber ein bisschen fremd bleibt man wohl immer, obwohl das manchmal auch nur das Gefühl ist, in der Runde etwas Besonderes zu sein. Und das muss auch nicht schlecht sein.

Ich grüße und drücke euch alle ganz herzlich und hoffe, dass in Deutschland inzwischen auch der Frühling eingekehrt ist. Jetzt, nachdem sich die Vulkanwolke verzogen hat.

Eure Karin

PS: Wer die Begrüßung leider nicht verstanden hat, bekommt hier gratis noch eine Übersetzung dazu:

Guten Tag meine Freunde!

Wie geht’s?

Klappe die zweite

Hallo Ihr Lieben,

ich weiß, es ist wirklich schon eine ganze Weile her, dass ich euch geschrieben habe. Die Zeit vergeht hier wie im Flug, man lernt wahnsinnig schnell Leute kennen und alle wollen mit einem Dinge unternehmen. So kommt es, dass die Zeit, die ich bei mir in der Wohnung verbringe, wirklich nur sehr knapp bemessen ist. Aber ihr wisst ja, dass ich das eigentlich brauche. Inzwischen gibt es auch immer mehr zu tun für mich im Goethe-Institut und ich rutsche in die Kulturszene hinein.

So waren die letzten zwei Wochen sehr kunterbunt. Nachdem ich die ersten anderthalb Wochen primär damit verbracht habe, Kulturleuten die Hände zu schütteln und freundlich zu lächeln, geht es inzwischen darum, nicht nur zu lächeln, sondern auch freundliche Worte zu wechseln und nach dem Befinden des Gegenübers zu fragen. Deutsche Repräsentantin zu sein ist gar nicht so leicht. Letzte Woche Samstag fand im Rahmen einer Deutscholympiade (In Kamerun liebt man jegliche Form von Olympiade oder Wettbewerb, ganz egal, ob es hinterher etwas zu gewinnen gibt oder nicht) eine Ausstellung des Goethe-Institutes über Jugendliche in Deutschland statt. Hinterher durften die Schüler Fragen stellen und da wurden kulturelle Unterschiede erst richtig sichtbar. Fragen wie: wie können sich Jugendliche in Deutschland trauen, sich mitten auf der Straße zu küssen, haben die denn gar keinen Respekt vor den Älteren? Wieso gehen nur 11% der Jugendlichen in die Kirche?, Wieso gehen die Jugendlichen nicht gerne in die Schule?, Sind die Jugendlichen rassistisch? Und vor allem die brennende Frage: Wie sind die Deutschen? waren für mich doch eine besondere Herausforderung – so diplomatisch wie möglich bleiben, wahre Dinge über Deutschland erzählen ohne sich zu positiv oder zu negativ zu äußern, Stereotype ausräumen ohne deutsche Eigenschaften zu leugnen. Am meisten Aufruhr bewirkte wohl die unschuldige Frage eines Mädchens, sie habe gehört, die Deutschen könnten nicht tanzen und wollte gern mal sehen, ob das auch wirklich so sei. Dazu muss gesagt werden, dass ich, um besser gesehen zu werden, während der ganzen Diskussion auf einem Tisch – als eine Art Bühnenersatz – stand. Nun, ich folgte dann doch nicht meinem ersten Impuls, zu fliehen, weil ich mir dachte, das würde exakt jeglichen deutschen Stereotypen entsprechen. So wagte ich die Flucht nach vorn und erklärte mich einverstanden. Mein Arbeitskollege und ich hatten am Abend vorher eine CD mit typischer deutscher Musik zusammengestellt. Mit der Frage, was denn typische junge deutsche Musik ist, habe ich einen Nachmittag gekämpft und dann eine bunte Mischung aus allem gemacht, was sich in der Bibliothek und auf meinem Laptop so fand. Der Tabledance zählt nun also auch zu einem weiteren abgehakten Punkt auf meiner ToDo-Liste. In der Woche drauf durfte ich gleich den Inspektoren (also sozusagen den Fachberatern der jeweiligen Provinzen) das Lied „Ein Vogel wollte Hochzeit machen“ beibringen. Zu lustig, zu sehen, wie sich über 50jährige über ein Kinderlied freuen und nicht mehr aufhören wollen.

Und neben der Arbeit? Ich glaube, die Aussage eines Freundes passt ganz gut: In Europa tun immer alle so, als hätten sie keine Zeit, obwohl sie vielleicht welche haben. In Afrika tun alle so, als hätten sie Zeit, obwohl sie eigentlich keine haben. Ich kann das nur unterschreiben. Es ist wichtiger, noch ein paar freundliche Worte mit der Straßenverkäuferin, die man kennt, mit dem Wächter, der jeden Morgen fragt, wie es geht oder mit der Reinigungskraft, die jeden Tag durchs Zimmer kommt, zu wechseln, als halbwegs pünktlich zu einem Termin zu kommen. Von der persönlichen Seite kann man das wirklich nur genießen: jeder hat immer ein freundliches Wort und zumindest 5 Minuten Zeit, denn was ändert es schon, wenn man 5 Minuten später kommt? Problematisch dabei ist nur, dass sich so langsam die 5 Minuten häufen, weil einen als Weiße einfach jeder kennt und auch jeder 5 Minuten haben will. Das wird dann schon komplizierter. So langsam häufen sich auch die Heiratsanträge und ich bekomme Gewohnheit darin, sie zu beantworten. Nur als mich letztens eine Frau im Taxi fragte, ob ich nicht die Frau ihres Bruders werden wolle, der suche noch eine, war ich dann doch etwas baff und hatte nicht so schnell eine schlagfertige Antwort parat.

Letzten Samstag war ich zusammen mit einer kamerunischen Freundin auf einer Beerdigung – sie wollte mir mal zeigen, wie das in Kamerun so abläuft. Beerdigungen dauern hier mindestens einen Tag, wir sind nur zur zweiten Hälfte hingegangen. Die eigentliche Veranstaltung findet im Freien statt, das ganze Dorf geht hin und weil das so lange dauert, schläft man zwischendurch ein bisschen auf seinem Stuhl, holt sich ein Mittagessen, um kurz danach wieder in Tränen auszubrechen und voller Trauer die Lieder mitzusingen. Das hält aber nicht davon ab, dauerhaft die Kamera auf den gläsernen Sarg oder weinende Leute zu halten, die Leute wunderten sich doch sehr über meine anfängliche Scheu, den Fotoapparat rauszuholen. Sie ermunterten mich sogar: Geh doch hin, geh doch die Tote anschauen, soll ich dich neben ihr filmen? Ein wenig ein merkwürdiges Gefühl, aber ich habe gelernt, einfach alles mit offenen Augen zu betrachten, zu akzeptieren und erstmal mitzumachen, ohne zu kritisieren. Typisch war vor allem, wie wir zu der Beerdigung hingekommen sind: wir wollten uns eigentlich ein Taxi dépôt nehmen, das heißt, ein Taxi nur für uns allein, das uns dorthin bringt. Auf dem Weg zur Straße hielt jedoch ein junger Herr, der uns dorthin bringen würde – natürlich mit dem Stolz, eine Weiße irgendwohin zu bringen – und so wurde uns der Weg doch sehr vereinfacht. Nach der Beerdigung zurück in Yaoundé wurde ich natürlich noch allen Freunden, Familienmitgliedern und anderen Bekannten vorgestellt, lernte die Kinder kennen, die erstaunt feststellten, dass ich „whitise“ (bitte sehr französisch ausgesprochen vorstellen, ich wusste zuerst überhaupt nicht, wovon sie reden) und deshalb aber auch gar nichts verstehe. Es ist schwierig, hier in Kamerun die wirklichen Verwandtschaftsbeziehungen zu klären, nennt sich doch jeder untereinander ‚ma soeur’ (meine Schwester) oder ‚mon frère’ (mein Bruder) oder mit anderen Familienbezeichnungen. Auch Aisha, die Frau von Gegenüber, bei der wir meistens essen gehe, ist bereits ‚ma soeur’. Die Erklärung dafür ist laut meinen kamerunischen Freunden, dass wir doch alle Teil einer großen Familie seien. Ich gehöre wohl jetzt auch dazu und als Beweis habe ich seit gestern Essen für die nächsten drei Tage bei mir zu Hause. Ich war letzte Woche Sonntag in der Kirche, fiel erstmal negativ auf, weil ich keinen Rock anhatte und auch nichts hatte, um meinen Kopf zu bedecken; wurde dann aber herzlich willkommen geheißen, musste sogar aufstehen und es wurde ein Willkommenslied für mich gesungen. So schnell ist man Teil der Familie; die ‚Mamas’, die ich hier habe, will ich gar nicht anfangen zu zählen, obwohl ich die meisten von ihnen erst einmal gesehen habe.

Morgen habe ich zum ersten Mal Ewondo-Sprachkurs. Bin schon sehr gespannt, auch wenn sich meine Freunde, jeder Einzelne, schon beschwert haben, dass ich doch besser ihre/seine Muttersprache lernen solle. Davon gibt es aber mindestens 400, das wird also schwierig. Ich fange also mal mit Ewondo (daher kommt übrigens auch der Name Yaoundé, weil die Deutschen Ewondo nicht aussprechen konnten) an.

Nächste Woche ist Ostern und ich bin zu einer Taufe eingeladen, ich hatte mir fest vorgenommen, nicht negativ aufzufallen und einen Rock zu tragen, bis mir auffiel, dass das eine katholische Taufe ist – da darf man kommen, wie man will. Ich freu mich schon drauf, Gottesdienst ist immer großes Fest mit viel Tanzen. Tanzen ist überhaupt ein besonderes Thema hier – so verklemmt die Leute sonst mit der Moral sind, beim Tanzen lassen sie alles fallen. Die Bewegungen, die sie machen, sind pure sexuelle Anspielungen. Da kommt man sich als Deutsche doch sehr prüde und unbeweglich. Aber gut, auch das kann sich ja noch ändern.

Alles alles Liebe

Eure Karin

erste Eindrücke

Liebe Freunde,

es ist soweit: ich darf mich nun fast ganz offiziell mit dem Titel Bachelor of Arts bezeichnen. Gut, ich gebe zu, es fehlen noch die letzten Details, wie zum Beispiel das Ergebnis meiner Abschlussarbeit oder ein Zeugnis. Doch dies, wie gesagt, Kleinigkeiten. Nachdem ich vor fast vier Wochen meine Arbeit abgegeben habe, war die Erleichterung groß, doch ein wenig leer fühlte ich mich doch, so ganz ohne das, was mich die letzten Monate beschäftigt hatte.  Dafür blieb aber nicht besonders viel Zeit, denn wie immer hatte ich knapp kalkuliert und steckte kurz darauf in den Vorbereitungen für mein nächstes ‚Projekt’: Kamerun. Ich hatte mich letztes Jahr bei Kulturweit, dem Freiwilligendienst des Auswärtigen Amtes, dessen Fokus auf der interkulturellen Zusammenarbeit liegt, beworben  und im Dezember erfahren, dass mein Einsatzort Kamerun sei. In den letzten Monaten verbrachte ich dann meine Zeit neben der Bachelorarbeit mit Visum, zahlreichen Impfungen und ähnlichen Reisevorbereitungen. Nach zehn Tagen intensivem Vorbereitungsseminar in Werbellinsee mit verschiedensten Workshops, der Möglichkeit, die anderen Freiwilligen näher kennenzulernen und einem obligatorischen Besuch im Auswärtigen Amt mit Fototermin mit Westerwelle, hatte ich noch einmal drei Tage zum Packen, bevor es endgültig losging. Und so sitze ich nun auf meinem Balkon in Yaoundé, der Hauptstadt von Kamerun und kann es noch nicht so ganz glauben. Eine Stadt, die nie leise ist und in der man quasi nie allein ist. Eine Stadt, die wahnsinnig grün und gleichzeitig schmutzig und eklig ist.

Heute geht mein zweiter vollständiger Tag zu Ende und heute habe ich es endlich mal geschafft, ein bisschen allein und zu Fuß die Stadt zu erkunden. Die Leute vom Goethe-Institut, wo ich die nächsten sechs Monate arbeiten werde, kümmern sich wahnsinnig lieb um mich und besonders die Leiterin will mich am liebsten keinen Schritt allein zu Fuß vor die Tür gehen lassen. So wurde ich bisher vom Fahrer Mister Ali überallhin gebracht. Ali hat inzwischen den Ehrgeiz entwickelt, mich in sämtliche Biersorten Kameruns einzuweisen. So habe ich mich gleich am ersten Abend dazu überreden lassen, noch ein „kleines“ Bier mitzutrinken. Klein ist hier relativ, die Einheitsgröße sind 1-Liter-Flaschen, drunter gibt’s nichts. Aber gut, ich habe mich angestrengt, Ali nicht zu enttäuschen.

Heute wurde ich dann in die Selbstständigkeit entlassen und ich habe mich prompt in der Stadt verlaufen. Schon mal versucht, eine Stadt ohne Stadtplan, ohne Straßennamen und ohne Sonne, nach der man sich richtungsmäßig orientieren kann, zu erkunden? Heute Vormittag gab es nämlich erst einmal einen richtigen tropischen Regenschauer, der laut den wettergeprobteren Leuten im Institut doch ungewöhnlich lang dauerte und dementsprechend die Straßen unter Wasser setzte. Heute Nachmittag war es dafür wieder trocken und ich machte mich auf den Weg. Über meine Hautfarbe bin ich nun auch nicht mehr im Zweifel, nachdem ich ungefähr, und das ist nicht übertrieben, 80 Mal als ‚la blanche’ (die Weiße) bezeichnet wurde. Also nie wieder ein Wort darüber, dass ich so braun sei! Besonders die Männer freuen sich, wenn man ihnen zurück Hallo sagt, sie anlächelt und ihr Angebot, sie nach Hause zu begleiten, dankend und vielleicht etwas bedauernd ablehnt. Nachdem ich also vom Goethe-Institut, das sich in einem der reichsten Viertel Yaoundés befindet, über einige Umwege im Stadtzentrum angekommen war, war das Lächeln auf meinem Gesicht ein wenig eingefroren. Aber das merkte niemand, das Highlight für die Leute auf der Straße scheint es zu sein, überhaupt von einer Weißen angelächelt zu werden. Dann häufen sich die Komplimente unabhängig davon, ob man einen Mann oder eine Frau angelächelt hat. Zuerst hatte ich Angst, dass vor allem die Männer mich anfassen und irgendwie bedrängen würden, doch im Gegenteil: eine gewisse Distanz wird immer gewahrt. Durch mein wenig zielgerichtetes Schlendern durch die Stadt kam ich unglücklicherweise in einen der weniger gut betuchten Vororte der Stadt, ein interessantes, wenn auch unheimliches und etwas beklemmendes Erlebnis. Ich muss auch ehrlich sagen, dass ich nicht lange dort geblieben bin und mich schnell wieder auf den Rückweg gemacht habe. Vielleicht später, wenn ich mich ein bisschen besser auskenne. Höhepunkt des Tages war meine erste Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Das System ist so praktisch wie einfach: es fahren unzählige Taxis durch die ganze Stadt und man steht einfach am Straßenrand und hat einen suchenden Blick. Als Weiße braucht man den nicht mal, die Taxis fahren sowieso langsam an dir vorbei. Dann rufst du ins Fenster deinen Zielort und entweder der Taxifahrer hält an oder fährt weiter, je nachdem, wohin die anderen Fahrgäste wollen. Meistens sitzt man zu acht in einem Fünf-Mann-Auto. Da kann man nur hoffen, nicht in den Berufsverkehr zu kommen. Normale Entfernungen kosten 200 CFA (also ca. 25 Cent), je weiter und je weniger Fahrgäste umso teurer. Aber das ist Verhandlungssache und letztendlich persönliche Entscheidung des Taxifahrers.

Kamerun auf den ersten Blick erscheint total verrückt: Schweine werden lebendig aufs Dach gebunden und auf diese Weise transportiert, es gibt tatsächlich am zentralen Kreisverkehr eine Straße, die quer durch geht und mit der man die gesamte Runde vermeidet. Diese ist jedoch für den Präsidenten der Republik reserviert und man riskiert hohe Strafen, wenn man die Straße trotzdem benutzt. Ein Frühstück gemeinsam mit zahlreichen bunten Geckos finden hier alle normal, für mich noch ein totales Abenteuer. Auto darf sich hier einfach alles nennen, das vier Räder hat, obwohl ich mir selbst da nicht sicher bin.

Was Kamerun auf den zweiten Blick bedeutet, kann ich noch nicht sagen. Das werde ich die nächsten Wochen erforschen, erleben und diskutieren. Gestern habe ich auf der Abschlussveranstaltung des Frauenfilmfestivals ‚Mis me binga’ den Organisator kennengelernt, der an der Universität Yaoundé I Filmwissenschaften studiert und mir jetzt die Stadt von der seiner Meinung nach richtigen Seite zeigen will. Er kommt aus einem kleinen Dorf im Westen Kameruns und sein Stamm ist dort nach den traditionellen Hierarchien sortiert. So gibt es einen ‚Chef de village’, der sieben so genannte ‚Notables’ hat. Er meinte das Prinzip sei sehr ähnlich zu Jesus und seinen Jüngern, nur dass die mehr waren. Er ist einer von den Notablen und gab zu, dass das nicht so besonders viel Sinn macht, wenn man sich selbst in der Hauptstadt befindet. Aber das ist ein ererbtes Amt. Jedenfalls will er mich demnächst mal mit ins Dorf nehmen. Na, das kann spannend werden.

Ihr seht, ich bin gut angekommen und lebe mich so langsam ein. Noch bin ich die Abende nur kaputt und will einfach nur schlafen. Ich meine, 40 Grad Temperaturunterschied wollen auch erstmal gemeistert werden!! Außerdem das übliche organisatorische Chaos mit Bank und Wohnung und natürlich kommt noch eine Portion Heimweh dazu.

Ich freue mich deshalb immer über Meldungen von euch! Wie zu erwarten, dauert das in Kamerun alles etwas länger und ist etwas komplizierter. Internetverbindung habe ich meistens im Goethe-Institut, wenn da nicht mal wieder alles zusammenbricht. Ich freue mich natürlich auch wahnsinnig über Post!!

Hier meine Kontaktdaten:

Karin Gäbel

c/o Goethe-Institut Kamerun

Bastos

Rue Joseph Mballa Eloumden (Rue 1.077)

1067 Yaoundé

Kamerun

Fotos kommen das nächste Mal, ich bin momentan noch etwas schüchtern mit Fotografieren und muss mich erstmal an die Mentalität hier gewöhnen.

Herzallerliebste Grüße aus dem fernen Afrika!!

Eure Karin

Hallo Welt!

Howdy beim »kulturweit« Blog!
Das ist dein erster, automatisch erstellter, Artikel. Editiere oder lösche ihn und fange mit dem Bloggen an!
Wie laufen deine Vorbereitungen, bist du fit für deine Zeit im Ausland? Ängste, Vorfreude,… ?!

Viel Spaß!

Dein »kulturweit« Blog Team

 
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