Schildkrötenentscheidungen
Und wieder ist eine ganze Zeit um, ich hatte mir fest vorgenommen, mich früher zu melden, aber wi
e das immer so ist mit den Vorhaben, kann man sie nur schwer halten. Dieses Mal habe ich sogar eine handfeste Ausrede. Nicht nur, dass ich unheimlich viel arbeiten und nebenbei noch Bewerbungen schreiben musste, ich war auch viel krank. Inzwischen habe ich die Aussage vom deutschen Arzt, dass ich sterben werde, da geht es mir doch gleich wieder besser. Mein Körper hat offensichtlich einen solchen Schock gekriegt, dass er sich spontan erholt hat.
Mit viel Erstaunen und vielleicht auch ein bisschen Erschrecken habe ich festgestellt, dass die meisten kamerunischen Realitäten und Obskuritäten für mich inzwischen Normalität und Gewohnheit geworden ist. Wenn man einen eigenen Platz im Bus hat und ihn nicht mit mindestens zwei Leuten teilt, kommt man sich doch sehr einsam vor, vor allem, weil man sich in den Kurven alleine grade halten muss und nicht von den anderen mitgehalten wird. Preise hängen vor allem von deiner Diskutierfreudigkeit (da habe ich’s gut) und deiner kamerunischen Verbindung ab (auch da habe ich es gut, der Erfindungsfreudigkeit ist keine Grenzen gesetzt; meistens zieht die Geschichte am besten, dass ich mit einem Kameruner verheiratet bin und mindestens drei Kinder habe). Diskussionen über die Hautfarbe sind ebenso häufig wie Diskussionen über Politik und Fußball.
Es liegen auch wieder wunderbare Reisen hinter mir. Vor einigen Wochen fuhren wir das erste Mal in den Westen und entdeckten dort ein vollständig anderes Kamerun. Die Bamiléké sind bekannt dafür, dass sie Händler sind und genau diese Feststellung machten wir dort auch: Bamiléké können und wollen Geld aus allem und jedem mac
hen. Ansonsten wurden wir einfach eingeführt in die Welt der Mythen und Geschichten. Da die meisten meiner Freunde Bamiléké sind, war das für mich noch einmal besonders interessant. Regiert und verwaltet werden die meisten Regionen Kameruns noch durch Chefs oder Könige. Titel werden dabei sehr beliebig vergeben und es scheint dazwischen auch keine Rangordnung zu geben. Im Westen sind die Chefferien, also Königtümer besonders prächtig und die Rolle der Könige wirklich noch ziemlich groß, sie werden von der Regierung auch wirklich dafür bezahlt, die Region zu verwalten. Dass dabei wahrscheinlich das meiste Geld für die vielen Frauen draufgeht, ist dabei Nebensache. Wir besichtigten mehrere solcher Chefferien und aus allen Informationen, die man so erhielt, bastelte ich mir ein Bild zusammen. Auch wenn alle Chefferien natürlich so ihre eigenen Regeln haben, kann man vieles doch verallgemeinern. So der Initiationsritus des Königs: dieser wird mit seinem Assistenten und vier seiner Frauen für neun Wochen isoliert und muss mehrere Riten durchmachen. Wenn nach den neun Wochen keine der Frauen schwanger ist, wird er geköpft und sein Assistent König. Er hatte dann bewiesen, dass er als König nicht geeignet ist. Die Frauen der Könige werden vererbt an den Thronfolger, meist einer der Söhne. Die Frauen des Vaters dürfen jedoch nicht berührt werden, sondern haben sozusagen schon ihren Dienst abgeleistet. So unvorstellbar und für die Frauen unerträglich uns das alles vorkommt, kamerunische Frauen sehen das oft anders. Die Konzeption von Beziehung und vor allem von Ehe ist einfach eine ganz andere. Ich habe mich im Bus lange mit polygamen älteren Frauen unterhalten, die sich wunderten, dass ich nicht wollte, dass mein Mann noch andere Frauen hatte. Sie wunderten sich daraufhin nur und meinten, dass man so doch, sobald die Kinder groß sind, machen kann, was man will und sich nicht mehr um den Mann kümmern muss, weil das ja die jüngeren Frauen übernehmen. Die beiden waren auch wirklich frei in allen ihren Aktivitäten. Nur ist das eben nicht die Art von Ehe, die man sich als Mitteleuropäer vorstellt. Aber ich versuche einfach, zu verstehen, zu akzeptieren, zu tolerieren und vor allem, die ganze Zeit so zu tun, als sei das alles komplett normal und gar nichts Besonderes.
Ein interessantes Erlebnis war auch der wirklich gelebte Magieglaube, von dem mich meine Freunde in Yaoundé schon immer überzeugen wollten, der einem aber natürlich auf den Dörfern noch viel mehr über den Weg läuft. Die Schildkröte, die entscheidet, wer der Schuldige ist; die Spinne, die den Dieb findet; der Totemwald, der nicht betreten werden darf; magische Seen und Hexerei – dies alles sind nur einige der Geschichten, die einem so über den Weg laufen. Wahrscheinlich schütteln auch wieder einige von euch die Köpfe vor Unglauben, aber andererseits funktionieren die Dinge seit Jahrhunderten hier so und unerklärbare Dinge werden eben durch Magie erklärt. Tradition und Moderne werden hier einfach komplett ineinander verwoben, so beim Königspalast in Bandjoun, der vor drei Jahren abgebrannt ist und jetzt wieder aufgebaut wird. Die Schnitzereien der Säulen wurden eben einfach an das moderne Leben angepasst und bilden jetzt eben Eto’o (der berühmteste kamerunische Fußballer), Paul Byia (der Präsident), Eko Roosevelt (ein kamerunischer Musiker) und andere Bekanntheiten wie Ronaldinho und den Papst ab. Alle unproblematisch nebeneinander und neben traditionellen Figuren.
Durch die zahlreichen Frauen gibt es auch unheimlich viele Menschen, die irgendwie mit der Königsfamilie verwandt sind. Der König in Bafoussam bildete den Höhepunkt mit über 120 Frauen, laut eigenen Aussagen weiß er es selbst gar nicht so genau. Auch wenn das vielleicht alles nicht so klingt, die Könige sind meistens sehr gebildete Männer, viele von ihnen haben in Europa oder zumindest in einer kamerunischen Großstadt studiert und sind dann eben, als ihr Vater starb und sie das Königsamt geerbt haben, in ihr Dorf zurückgekehrt – meist offensichtlich ohne große Probleme sich wieder in diesen Traditionen zurechtzufinden. Diese sind einfach wahnsinnig tief verwurzelt. Auch meine Freunde sind doch relativ überzeugt von dem System der Chefferien, weil sie meinen, dass ein König es sich nicht leisten kann, ungerecht zu richten oder unbedacht zu handeln, da er sofort sämtlichen Respekt verlieren würde. Das sei das Schlimmste, das passieren könnte, denn dann würde er auch nicht mehr als fähig angesehen werden, um Rituale durchzuführen und dann spätestens treten die sieben Assistenten, die so genannten Notablen, in Aktion. Zu werten habe ich mir abgewöhnt, weil das System und das gesamte Verständnis einfach so unterschiedlich sind und ich möchte nicht darüber urteilen, was besser und was schlechter ist. Anders ist es jedenfalls, das ist sicher.
Aber oft auch lustig. Ich nehme die meisten Sachen einfach mit Humor, was nicht immer leicht fällt, vor allem, wenn einem wieder einmal die Hautfarbe im Weg steht. Ein paar Tage später im Bus an der Busstation jedoch wurde mir bescheinigt, dass ich schon mindestens so gut diskutiere wie eine Kamerunerin. Wir wollten eigentlich in ein benachbartes Dorf fahren, um dort die Wasserfälle zu sehen. Aber irgendwie hatte wie immer alles ein bisschen länger gedauert und so entschieden wir uns, nachdem wir eine Stunde vergeblich im Bus gewartet hatten, doch gleich zurück nach Yaoundé zu fahren. Dabei bekamen wir mit, dass die anderen schon viel länger warteten. Also beschloss ich, mit dem Busfahrer zu diskutieren, um das Geld zurückzubekommen. Und Geld, das man einmal ausgegeben hat, bekommt man nur schwerlich zurück. Aber laut werden und mit der Polizei drohen hilft da schon viel. Das Ganze wurde immer absurder und es scharten sich immer mehr Kameruner, unter ihnen auch Straßenverkäufer, andere Busfahrer und Guthabenverkäufer um mich herum, um die Weiße zu sehen, die den Busfahrer zur Schnecke macht. Die Männer im Bus misch
ten sich dann irgendwann auch ein, zuerst war nicht so ganz entschieden, gegen wen sich eigentlich der Hass richtete, sie entschieden sich dann aber doch, dass man sich mit einer Frau nicht schlägt und gingen auf den Busfahrer los. Und ich mittendrin mit den Tickets in der Hand und der ständigen Aussage, dass ich sofort gehe und ihn in Ruhe lasse, sobald er mir das Geld zurückgibt. Ich weiß nicht, was wozu geführt hat: letztendlich bekam ich jedenfalls das Geld wieder und den Applaus von 50 Kamerunern dazu – was für ein Erfolgserlebnis. Und zu den Wasserfällen und zusätzlich noch zu einem wunderschönen Kratersee fuhren wir eben ein paar Wochen später.
Letztens kam ich nach Hause, traf auf mehrere bekannte Gesichter und wie jeden Abend auf die vielen Kinder, die Fußball, auf-der-Klobrille-den-Hügel-Runterrutschen oder Papiertiere basteln spielten. Sie begrüßten mich wie immer und ein kleiner, vielleicht vierjähriger (wobei das hier immer schwer zu schätzen ist, manche Kinder sind im Wachstum sehr zurück) Junge blickte von seinem Kamel aus Zeitungspapier hoch und musterte mich von oben bis unten mit sowohl kritischem als auch sehr erstaunten Blick. Nachdem ich mir, wie immer, alle Tiere betrachtet hatte, wollte ich eigentlich weitergehen. Auf einmal kam der Junge, strich mir mit fester Hand über den Arm und schaute sich dann die Innenflächen seiner Hand an, dann erstaunt mich und strich mir noch einmal über den Arm. Gleicher Effekt. Daraufhin traute er sich endlich den Mund aufzumachen und fragte: „Aber, geht das denn nicht ab?“
Sonst kennt mich inzwischen nahezu jeder im Viertel, weiß, dass man mit mir nicht über Preise diskutieren kann, dass ich „weiße Preise“ sowieso nicht akzeptiere, weil ich die „schwarzen Preise“ kenne. Eine der Mamas auf dem Markt kam letztens sehr unglücklich zu mir, weil sie von einer meiner „Schwestern“ (also einer anderen Weißen) betrogen worden sei. Daraufhin zeigte sie mir ein Geldstück, das sie für 500 Francs gehalten hatte, dass in Wirklichkeit chinesisches oder japanisches Geld war. So viel zur weißen Ehrlichkeit, von der hier immer ausgegangen wird. Sie meinte, ich sollte doch meine Schwester mal fragen, ob sie ihr richtiges Geld geben könne – denn es kennen sich ja alle Weißen in der Stadt.
Kamerun – ein Zwischenfazit?
Es geht mir gut hier, die Lautstärke der Leute entspricht ungefähr meiner, wobei Ohrstöpsel auf Reisen immer noch mein wichtigstes Accessoire darstellen. Auch so dieses absolute nicht darauf Achten, wie andere aussehen oder wie sie sich kleiden. Ich dachte immer schon, ich würde da wenig drauf achten, wurde aber e
ines Besseren belehrt. Meinen Eindruck der ersten Monate, dass hier alle wahnsinnig egoistisch sind, muss ich ein wenig berichtigen. Hier herrscht einfach die Einstellung: wenn dich etwas stört oder Du etwas willst, dann kannst Du es ja sagen. Wer nichts sagt, der braucht offensichtlich auch nichts. Inzwischen bin ich da auch schon weniger diplomatisch und viel direkter. So habe ich letztens klipp und klar gesagt, dass man mich gefälligst am Wochenende nicht vor 7 Uhr morgens anrufen darf, weil ich doch ein wenig ausschlafen möchte. Was zu großem Unverständnis führte und Fragen wie: Schläfst Du in Deutschland auch so viel? Mit der Erwartungshaltung der Leute habe ich immer noch Probleme, da bei einem Angebot eher nicht nur die ganze Hand genommen wird, sondern man komplett aufgegessen wird. Der Ausdruck: Je veux pas que tu me manges! (Ich möchte nicht, dass du mich aufisst!!) ist inzwischen schon fester Bestandteil meines Repertoires. Und immer noch versuche ich den kamerunischen Männern klar zu machen, dass sie bestimmt keine weiße Frau wollen, weil die sich nicht um die Kinder kümmern, kein Essen machen und sich auch sonst nicht anständig um die Männer kümmern. Meistens ernte ich große und erstaunte Blicke. Auch mein Standardsatz auf eine Liebeserklärung: „L’amour n’est pas une question de couleur de peau!“ (Die Liebe ist keine Frage der Hautfarbe.) zieht nur bedingt.
Ansonsten mag ich einfach die offene und direkte Art, die Spontaneität und Flexibilität meiner Freunde, zu jeder Zeit für jede Schandtat bereit zu sein. Wenn wir abends noch mal einen trinken gehen, gibt es überhaupt gar keine Diskussionen, wer mich nach Hause bringt, bzw. die Männer machen das unter sich aus und teilen es mir dann nur noch mit.Sie gehen einfach davon aus, dass ich hier ohne Familie ganz schön einsam bin und kommen mich deshalb ständig besuchen, fragen, ob es mir gut geht und als ich krank war, war auch immer jemand da. Auch wenn die Heilmethoden ein wenig verwunderlich sind: „Karin, lass uns mal ein Bier trinken gehen, das tut dir sicher gut.“ Na, da ich noch nicht ernsthaft krank war, wird es wohl geholfen haben.
Die nächsten Wochen werden ruhiger und ich komme vielleicht mal öfter dazu, etwas zu schreiben. Andererseits mache ich auch einfach mehr Urlaub, nachdem die letzten Wochen doch arg anstrengend waren. Da das Goethe-Institut mit die einzige Kulturinstitution ist, nimmt die Arbeit kein Ende. Es gibt genügend Anfragen und Bedürfnisse, diese alle zu erfüllen, ist nicht unbedingt das Leichteste. Deshalb genieße ich jetzt noch ein wenig die Ruhe in Kenia und melde mich, wenn ich wieder zurück bin.
Bĭkele mvoi ai madiŋ mekobo ai wo!
(Tschüss und ich möchte mit euch reden!) Naja, mein Wortschatz ist doch noch sehr beschränkt, aber es wird besser und besser!
Alles Liebe
Karin
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Na hey ich wusst ja gar nicht dass du einen Blog hast, aber ich les ja fleißig deine Mails.
Wir braten hier grad bei afrikanischen Temperaturen!!! Hoffe, dir gehts gesundheitlich und sowieso rundum gut.
Liebe Grüße!