Klappe die zweite

Hallo Ihr Lieben,

ich weiß, es ist wirklich schon eine ganze Weile her, dass ich euch geschrieben habe. Die Zeit vergeht hier wie im Flug, man lernt wahnsinnig schnell Leute kennen und alle wollen mit einem Dinge unternehmen. So kommt es, dass die Zeit, die ich bei mir in der Wohnung verbringe, wirklich nur sehr knapp bemessen ist. Aber ihr wisst ja, dass ich das eigentlich brauche. Inzwischen gibt es auch immer mehr zu tun für mich im Goethe-Institut und ich rutsche in die Kulturszene hinein.

So waren die letzten zwei Wochen sehr kunterbunt. Nachdem ich die ersten anderthalb Wochen primär damit verbracht habe, Kulturleuten die Hände zu schütteln und freundlich zu lächeln, geht es inzwischen darum, nicht nur zu lächeln, sondern auch freundliche Worte zu wechseln und nach dem Befinden des Gegenübers zu fragen. Deutsche Repräsentantin zu sein ist gar nicht so leicht. Letzte Woche Samstag fand im Rahmen einer Deutscholympiade (In Kamerun liebt man jegliche Form von Olympiade oder Wettbewerb, ganz egal, ob es hinterher etwas zu gewinnen gibt oder nicht) eine Ausstellung des Goethe-Institutes über Jugendliche in Deutschland statt. Hinterher durften die Schüler Fragen stellen und da wurden kulturelle Unterschiede erst richtig sichtbar. Fragen wie: wie können sich Jugendliche in Deutschland trauen, sich mitten auf der Straße zu küssen, haben die denn gar keinen Respekt vor den Älteren? Wieso gehen nur 11% der Jugendlichen in die Kirche?, Wieso gehen die Jugendlichen nicht gerne in die Schule?, Sind die Jugendlichen rassistisch? Und vor allem die brennende Frage: Wie sind die Deutschen? waren für mich doch eine besondere Herausforderung – so diplomatisch wie möglich bleiben, wahre Dinge über Deutschland erzählen ohne sich zu positiv oder zu negativ zu äußern, Stereotype ausräumen ohne deutsche Eigenschaften zu leugnen. Am meisten Aufruhr bewirkte wohl die unschuldige Frage eines Mädchens, sie habe gehört, die Deutschen könnten nicht tanzen und wollte gern mal sehen, ob das auch wirklich so sei. Dazu muss gesagt werden, dass ich, um besser gesehen zu werden, während der ganzen Diskussion auf einem Tisch – als eine Art Bühnenersatz – stand. Nun, ich folgte dann doch nicht meinem ersten Impuls, zu fliehen, weil ich mir dachte, das würde exakt jeglichen deutschen Stereotypen entsprechen. So wagte ich die Flucht nach vorn und erklärte mich einverstanden. Mein Arbeitskollege und ich hatten am Abend vorher eine CD mit typischer deutscher Musik zusammengestellt. Mit der Frage, was denn typische junge deutsche Musik ist, habe ich einen Nachmittag gekämpft und dann eine bunte Mischung aus allem gemacht, was sich in der Bibliothek und auf meinem Laptop so fand. Der Tabledance zählt nun also auch zu einem weiteren abgehakten Punkt auf meiner ToDo-Liste. In der Woche drauf durfte ich gleich den Inspektoren (also sozusagen den Fachberatern der jeweiligen Provinzen) das Lied „Ein Vogel wollte Hochzeit machen“ beibringen. Zu lustig, zu sehen, wie sich über 50jährige über ein Kinderlied freuen und nicht mehr aufhören wollen.

Und neben der Arbeit? Ich glaube, die Aussage eines Freundes passt ganz gut: In Europa tun immer alle so, als hätten sie keine Zeit, obwohl sie vielleicht welche haben. In Afrika tun alle so, als hätten sie Zeit, obwohl sie eigentlich keine haben. Ich kann das nur unterschreiben. Es ist wichtiger, noch ein paar freundliche Worte mit der Straßenverkäuferin, die man kennt, mit dem Wächter, der jeden Morgen fragt, wie es geht oder mit der Reinigungskraft, die jeden Tag durchs Zimmer kommt, zu wechseln, als halbwegs pünktlich zu einem Termin zu kommen. Von der persönlichen Seite kann man das wirklich nur genießen: jeder hat immer ein freundliches Wort und zumindest 5 Minuten Zeit, denn was ändert es schon, wenn man 5 Minuten später kommt? Problematisch dabei ist nur, dass sich so langsam die 5 Minuten häufen, weil einen als Weiße einfach jeder kennt und auch jeder 5 Minuten haben will. Das wird dann schon komplizierter. So langsam häufen sich auch die Heiratsanträge und ich bekomme Gewohnheit darin, sie zu beantworten. Nur als mich letztens eine Frau im Taxi fragte, ob ich nicht die Frau ihres Bruders werden wolle, der suche noch eine, war ich dann doch etwas baff und hatte nicht so schnell eine schlagfertige Antwort parat.

Letzten Samstag war ich zusammen mit einer kamerunischen Freundin auf einer Beerdigung – sie wollte mir mal zeigen, wie das in Kamerun so abläuft. Beerdigungen dauern hier mindestens einen Tag, wir sind nur zur zweiten Hälfte hingegangen. Die eigentliche Veranstaltung findet im Freien statt, das ganze Dorf geht hin und weil das so lange dauert, schläft man zwischendurch ein bisschen auf seinem Stuhl, holt sich ein Mittagessen, um kurz danach wieder in Tränen auszubrechen und voller Trauer die Lieder mitzusingen. Das hält aber nicht davon ab, dauerhaft die Kamera auf den gläsernen Sarg oder weinende Leute zu halten, die Leute wunderten sich doch sehr über meine anfängliche Scheu, den Fotoapparat rauszuholen. Sie ermunterten mich sogar: Geh doch hin, geh doch die Tote anschauen, soll ich dich neben ihr filmen? Ein wenig ein merkwürdiges Gefühl, aber ich habe gelernt, einfach alles mit offenen Augen zu betrachten, zu akzeptieren und erstmal mitzumachen, ohne zu kritisieren. Typisch war vor allem, wie wir zu der Beerdigung hingekommen sind: wir wollten uns eigentlich ein Taxi dépôt nehmen, das heißt, ein Taxi nur für uns allein, das uns dorthin bringt. Auf dem Weg zur Straße hielt jedoch ein junger Herr, der uns dorthin bringen würde – natürlich mit dem Stolz, eine Weiße irgendwohin zu bringen – und so wurde uns der Weg doch sehr vereinfacht. Nach der Beerdigung zurück in Yaoundé wurde ich natürlich noch allen Freunden, Familienmitgliedern und anderen Bekannten vorgestellt, lernte die Kinder kennen, die erstaunt feststellten, dass ich „whitise“ (bitte sehr französisch ausgesprochen vorstellen, ich wusste zuerst überhaupt nicht, wovon sie reden) und deshalb aber auch gar nichts verstehe. Es ist schwierig, hier in Kamerun die wirklichen Verwandtschaftsbeziehungen zu klären, nennt sich doch jeder untereinander ‚ma soeur’ (meine Schwester) oder ‚mon frère’ (mein Bruder) oder mit anderen Familienbezeichnungen. Auch Aisha, die Frau von Gegenüber, bei der wir meistens essen gehe, ist bereits ‚ma soeur’. Die Erklärung dafür ist laut meinen kamerunischen Freunden, dass wir doch alle Teil einer großen Familie seien. Ich gehöre wohl jetzt auch dazu und als Beweis habe ich seit gestern Essen für die nächsten drei Tage bei mir zu Hause. Ich war letzte Woche Sonntag in der Kirche, fiel erstmal negativ auf, weil ich keinen Rock anhatte und auch nichts hatte, um meinen Kopf zu bedecken; wurde dann aber herzlich willkommen geheißen, musste sogar aufstehen und es wurde ein Willkommenslied für mich gesungen. So schnell ist man Teil der Familie; die ‚Mamas’, die ich hier habe, will ich gar nicht anfangen zu zählen, obwohl ich die meisten von ihnen erst einmal gesehen habe.

Morgen habe ich zum ersten Mal Ewondo-Sprachkurs. Bin schon sehr gespannt, auch wenn sich meine Freunde, jeder Einzelne, schon beschwert haben, dass ich doch besser ihre/seine Muttersprache lernen solle. Davon gibt es aber mindestens 400, das wird also schwierig. Ich fange also mal mit Ewondo (daher kommt übrigens auch der Name Yaoundé, weil die Deutschen Ewondo nicht aussprechen konnten) an.

Nächste Woche ist Ostern und ich bin zu einer Taufe eingeladen, ich hatte mir fest vorgenommen, nicht negativ aufzufallen und einen Rock zu tragen, bis mir auffiel, dass das eine katholische Taufe ist – da darf man kommen, wie man will. Ich freu mich schon drauf, Gottesdienst ist immer großes Fest mit viel Tanzen. Tanzen ist überhaupt ein besonderes Thema hier – so verklemmt die Leute sonst mit der Moral sind, beim Tanzen lassen sie alles fallen. Die Bewegungen, die sie machen, sind pure sexuelle Anspielungen. Da kommt man sich als Deutsche doch sehr prüde und unbeweglich. Aber gut, auch das kann sich ja noch ändern.

Alles alles Liebe

Eure Karin

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