Ich nähere mich der Flugzeugtür, trete hinaus und werde erschlagen – von drückender Hitze und heftigem Wind! Willkommen in Hongkong, 23 Uhr, 31° C und 96% Luftfeuchtigkeit…
Einen Tag später als geplant sind wir in Hongkong gelandet, unser Flug wurde wegen des Taifuns Vincent verschoben, der an unserem eigentlichen Anreisetag noch im Perlflussdelta wütete. Die Schäden, die Vincent angerichtet hat, sehen wir auf unserer Busfahrt nach Kowloon deutlich: Am Straßenrand liegen abgebrochene Äste und entwurzelte Bäume. Letzte Auswirkungen sind immer noch zu spüren, besonders eindrucksvoll, als auf der Brücke zwischen der Flughafeninsel und dem Festland eine Windböe gegen unseren Bus drückt und ihn erzittern lässt.
Wir, das sind Sebastian, Simon und ich, die drei kulturweit-Freiwilligen in Ulaanbaatar, auf Abschlussfahrt. Denn das Ende unseres Freiwilligen Sozialen Jahres ist in greifbare Nähe gerückt. Unsere Wahl fiel auf Hongkong und Macao, weil diese beiden Sonderverwaltungszonen Chinas, einfach mit einem Direktflug von Ulaanbaatar zu erreichen sind und Visa direkt bei der Einreise erteilen. Außerdem wollten wir ein weiteres Gebiet besuchen, dessen Lauf der Geschichte durch die Mongolen verändert wurde. Diese haben für Hongkong, genauer die Halbinsel Kowloon, eine wichtige Rolle gespielt. Hatte dieser Teil des chinesischen Reiches lange keine Beachtung gefunden, änderte sich das, als der letzte Kaiser der Song-Dynastie im späten 13. Jahrhundert auf der Flucht vor den Mongolen durch dieses Gebiet kam. Laut der Überlieferung hat dieser Kowloon seinen Namen gegeben: Der Kaiser sah auf der Halbinsel acht Berge und schloss, dass dort acht Drachen leben müssten. Daraufhin wurde er darauf hingewiesen, dass es mit ihm neun Drachen sein. So lässt sich der Name aus den kantonesischen Wörtern für „neun“ und „Drache“ herleiten. Nach dem Durchzug des Kaisers konnte sich Hongkong nicht mehr vor den Augen des großen Reichs verstecken und befand sich fort hin in seinem Einflussbereich.
Angekommen an der Chungking Mansion in Kowloon, checken wir in unser Hostel ein und machen uns schließlich noch auf den Weg zu McDonald’s. Nachdem wir die Klimaanlage in unserem Zimmer in Betrieb genommen haben, fallen wir ins Bett. Am nächsten Tag verlassen wir Hongkong jedoch nach dem Frühstück schon wieder und besteigen eine Fähre nach Macao, wo wir drei Tage verbringen werden. In Macao merkt man deutlich den Einfluss der ehemaligen portugiesischen Kolonialherren. In seiner Altstadt versprüht Macao portugiesischen Charme, die Küche ist reich mit portugiesischen Zutaten und Geschmacksrichtungen und ein must-eat ist „Seradurra“. Die Wohnviertel sind jedoch chinesisch geprägt, ältere Bewohner sprechen nur Kantonesisch. Eine ganz andere Welt sind die Casinos – tausende Chinesen und einige Ausländer verbringen ihre Zeit in diesen surrealen Vergnügungstempeln, spielen Tag und Nacht und machen dadurch Macaos Casinos zu den weltweit umsatzstärksten. Bei strömenden Regen tauchen wir während der drei Tage in all diese Vielfalt ein: Wir durchstreifen die Altstadt, besuchen das Geschichtsmuseum sowie das Maritimmuseum, essen portugiesisch und chinesisch, erkunden den Ah Ma Tempel und Kirchen. Wir besuchen verschiedenste Casinos, verbringen einen Abend im Lisboa, Stunden auf dem Taipa Strip, sehen uns das „Venetian“ an, gehen in die Iceworld und erleben das „House of Dancing Water“.
Spät abends landen wir auf Hongkong Island und nehmen die U-Bahn nach Tsim Sha Tsui, Kowloon, um wieder im selben Hostel abzusteigen. Am nächsten Morgen besteigen wir direkt wieder eine Fähre nach Hongkong Island, diesmal ist es jedoch hell und sonnig, und wir können die kurze Überfahrt mit tollem Blick auf die Skyline in vollen Zügen genießen. Wir machen uns auf durch das geschäftige Viertel „Central“ zu den „Midlevels“, um dort mit der längsten Rolltreppe der Welt weiter hinauf zu fahren. Unser Ziel ist „The Peak“, eine der höchsten Stellen auf Hongkong Island. Auf dem Weg streifen wir durch einen Tierpark und erreichen schließlich die „Peaktram“, eine Zahnradbahn, die uns an die Spitze bringen wird. Oben angekommen erklimmen wir mithilfe weiterer Rolltreppen eine Dachterrasse, die als Aussichtsplattform fungiert. Und was für eine Aussicht das ist! Wir blicken hinunter auf Hongkong Island und hinüber zur Skyline Kowloons, sehen Wohnviertel, regen Schiffsverkehr, wunderschöne Buchten, unberührte, dicht bewaldete Hügel – und das alles auf engstem Raum. Wir spazieren eine Runde auf dem „Morning Trail“ und steigen dann wieder hinunter durch die „Midlevels“ bis nach „Central“. Am nächsten Tag bleiben wir in Kowloon, besuchen das Geschichts- bzw. Wissenschaftsmuseum, laufen auf der „Avenue of Stars“, blicken auf Hongkong Island, erleben die Lasershow „Symphonie of Lights“ und schlendern über einen Nachtmarkt.
Da wir nun so viel vom städtischen Hongkong erlebt haben, machen wir uns auf den Weg nach „Cheung Chau“, einer kleineren Insel in Hongkongs Gewässern. Dort herrscht auf der Promenade bunter Trubel, geht man jedoch einige Schritten in die Gässchen hinein, erlebt man den dörflichen Charakter der Ansiedlung. Uns zieht es zunächst an den Strand, danach machen wir uns auf die Suche nach der „Italian Bay“, die uns unser Reiseführer empfiehlt. Nach einem schweißtreibenden Spaziergang finden wir diese, um feststellen zu müssen, dass auch hier Vincent sein Unwesen getrieben hat. Der Strand und das Wasser um die leicht von Wellen umspielten Felsen sind mit Müll bedeckt. Auf unserem Weg zurück erklimmen wir Klippen und sehen riesige Spinnen, es fühlt sich an, als seien wir mitten im „Fluch der Karibik“. Schließlich leihen wir uns eine Rikscha, fahren entlang des Hafens und zu weiteren Buchten. Zum Abendessen gibt es in einem der vielen Restaurants Fisch und Shrimps – frisch gefangen. Dazu geht die Sonne in einem gewaltigen Feuerball unter.
In den nächsten beiden Tagen trennen sich unsere Wege, haben wir doch alle andere Interessen und Dinge, die wir noch sehen möchten. Während die Jungs den Tag im „Ocean Park“ verbringen, schlendere ich durch „Central“ und fahre mit einer doppelstöckigen Straßenbahn nach „Causeway Bay“, einem weiteren Einkaufsparadies in dieser Stadt des Konsums. Während sich die Straßenbahn zwischen den Hochhäusern entlang schlängelt und mir die verschiedensten, verheißungsvollen Gerüche aus kleinen Restaurants und Cafés in die Nase steigen, denke ich darüber nach, dass dies einst die Promenade der Insel war.
Ein weiterer Ausflug führt mich nach „Tsuen Wan“, der ersten Siedlung im Territorium. Dort laufe ich durch verschlungene, grüne Wohnviertel, sehe Tempel neben Wohnblöcken und besuche ein traditionelles Dorf, das als Museum erhalten geblieben ist. Diese Dörfer waren die Wohneinheit einer Familie, es gab dort eine Halle zur Lagerung, eine für Versammlungen und eine zur Ahnenverehrung. Darum herum standen die Wohnhäuser, alles zusammen wurde von einer Mauer umgeben. Beeindruckt von der Ruhe in dieser Siedlung begebe ich mich auf den Rückweg ins laute Kowloon. Dort verbringen wir unseren letzten Abend.
Mit dieser bunten Palette an Eindrücken fliegen wir zurück nach Ulaanbaatar. Zehn ereignisreiche, tolle Tage sind schnell vergangen, der Abschied ist noch einmal näher gerückt. Simon wird am Dienstag, Sebastian am Donnerstag nach Deutschland zurückkehren. Ich jedoch bleibe noch drei Wochen in der Mongolei, die mir im Laufe des letzten Jahres zur zweiten Heimat geworden ist.