Rastaman Vibration
Nach dem ich die ersten beiden Blogartikel mit der Frage begonnen habe “Woran denkt ihr, wenn ihr an Jamaika denkt?“ und Bob Marley ja eigentlich immer zu den ersten Assoziationen gehört, möchte ich in diesem Beitrag fragen: Woran denkt ihr, wenn ihr an Bob Marley denkt? Bestimmt neben vielen Songs auch an den Rastafarianismus.
Haile Selassie
1968 bekannte sich Bob Marley mit seinem Song “Selassie is the Chapel” zur Rastafari-Religion. Seine Frau, Rita Marley, hatte darauf einen großen Einfluss. Sie bejubelte bei seinem Jamaikabesuch 1966 wie tausende andere Jamaikaner den äthiopischen Kaiser, Haile Selassie, den die Rastafaris als Messias verehren. Rund 100.000 gläubige Rastas strömten zum Flughafen, um ihn zu empfangen. Die Rastas wurden wie die meisten Jamaikaner während der britischen Kolonialzeit unterdrückt und hofften nun, die Karibik nach Afrika verlassen zu können.
Die Rastafaris sind eine Glaubensgemeinschaft. Die Bibel ist ihre heilige Schrift. Dort spielt der afrikanische Kontinent eine entscheidende Rolle. Ägypten war beispielsweise Zufluchtsort für Abraham (1. Mose 12), auch Äthiopien ein Land von Reichtum und Einfluss. Als Haile Selassie 1930 mit haufenweise biblischen Bezügen gekrönt wurde (er selbst verfolgte seine Abstammung bis König Salomon), interpretierten das die Rastas als Prophezeiung eines afrikanischen Messiah und Herrschers.
Die Rastas identifizierten sich nicht nur mit Haile Selassie als Messiah, sondern auch mit den Stämmen Israels, die nach Babylon verschleppt wurden und ins gelobte Land zurückkehrten. Sie sehen sich in einer ähnlichen Lage, denn so wie die Israelis nach Babylon verschleppt wurden, wurden die Sklaven aus Afrika in die Karibik deportiert. Nun wollen sie, motiviert auch durch einen ihrer wichtigsten Vordenker Marcus Garvey, ins gelobte Land zurückkehren. Dass Äthopien für viele so anziehend ist, kann auch noch darauf zurückgehen, dass es als eines der wenigen Länder Afrikas nie dauerhaft kolonialisiert wurde und daher besonderen Stolz verkörpert.
Marcus Garvey
Er war nicht nur 1. Nationalheld Jamaikas, sondern auch einer der bedeutesten Vordenker des Rastafarianismus. Garvey prangerte Ungleichheit sowie schlechte Löhne und fehlende politische Mitbestimmung afrikanisch-stämmiger Menschen an und warb für eine Rückkehr eines Teils der Sklavennachfahren nach Afrika. Er träumte von einem geeinten Afrika, das zur Weltmacht aufsteigt und gründete die “Universal Negro Improvement Association” (UNIA), die den Zusammenschluss afrikanisch-stämmiger Menschen zum Ziel hatte. Bekannt ist auch das “Back to Africa Movement”, das die Menschen dazu aufrief, nach Afrika zurückzukehren, um dort ihre kulturelle und politische Selbstbestimmung wiederzuerlangen und eine unabhängige afrikanische Nation aufzubauen. 1916 emigrierte Garvey in die USA, wo er auch für spätere Bürgerrechtler*innen eine inspirierende Person war.
„Marcus Garvey was the first man, on a mass scale, and level, to give millions of Negroes a sense of dignity and destiny, and make the Negro feel that he is somebody.“
(Martin Luther King)
Einige Afroamerikaner*innen distanzierten sich von Garvey, da sie sich als Minderheit integrieren wollten, während Garvey sie zur Emmigration aufforderte. Doch in Jamaika, wo Menschen afrikanischer Abstammung die Mehrheit waren und sind, verfing seine Botschaft, wohl auch, weil er als Rebell von den Machthabern verfolgt wurde (er kam ins Gefängnis oder ihm wurde trotz Manadat der Einzug in ein Parlament verwehrt).
Motiviert auch durch seine Vision, erhofften sich die Rastas von Haile Selassie bei seinem Jamaikabesuch 1966 Emigrationsmöglichkeiten nach Äthiopien. Der zeigt jedoch wenig Interesse daran, schließlich war sein Land wirtschaftlich schwach und brauchte deshalb keine Masseneinwanderung ungelernter Arbeitskräfte aus Jamaika. Auch seine Karibikreise, die ihn nach Jamaika führte, hatte nichts mit den Rastas zu tun, dennoch kam es zu einem Treffen mit Rasta-Vertretern, wo er sie auffordert, vor der Auswanderung erst die schwarzen Jamaikaner zu befreien (so zumindest die Überlieferung). Diese rückt nun in weite Ferne. Viele Rastas wandten sich nun verstärkt der Kunst, Literatur und nicht zuletzt der Musik zu, um den schwarzen Jamaikanern eine Identität zu geben.
Leonard Howell
Doch bevor wir uns nun, anlässlich seines 80. Geburtstages, auf eine Reise durch das Bob-Marley-Universum begeben, der die Rastafaris weltweit bekannt gemacht hat, darf ein wichtiger Teil der Rastafari Geschichte nicht unter den Tisch fallen. Und er beginnt noch vor dem Besuch des äthiopischen Kaisers.
In den 1950er Jahren entwickelte Leonard Howell (“erster” Rasta und Schüler von Marcus Garvey) mit Gleichgesinnten in einer Kommune in den Blue Mountains die Rastafari-Religion. Der verbotene Ganja-Anbau, der für ihre Spiritualität eine entscheidende Rolle spielte, oder auch die Dreadlocks, konnten als Demonstration gegen gesellschaftliche Ideale und die Obrigkeit verstanden werden. Und so wurde es auch von ihnen gedeutet, weshab die Polizei die Kommune mehrfach wegen illegalen Drogenanbaus räumte. Sie verjagten schlussendlich die Bewohner, vernichteten die Cannabisplantagen und zerstörten die Siedlungen.
Die Rastas werden zur Massenbewegung – und ecken an
Nun zogen viele der Vertriebenen Rastas in die Hauptstadt Kingston, wo sie weiter predigten und wo ihre Botschaften gerade bei den Armen verfingen. In den Elendsvierteln wie Trenchtwon entwickelte sich der Rastafarianismus nun zur Massenbewegung.
Die sozialen Spannungen zwischen den Rastafaris und der Elite eskalierten 1963. Eine Rastafari-Siedlung an der Nordküste sollte für den Tourismus weichen. Es kommt in der Folge zu Protest und ein weißer Tankwart überschüttete einen Rasta mit Benzin. Auf Hilfe der Polizei, die ihn erschoss, konnte er nicht hoffen. Er überlebte schwer verletzt und brannte als Rache die Tankstelle mit fünf weiteren Rastas ab. Sie töteten den Besitzer und jeweils einen unschuldigen Autofahrer, Hotelgast und Vorarbeiter. Polizei und bewaffnete Zivilisten jagten anschließend die Täter. Es starben acht Menschen.
Daraufhin gab der Premierminister den Befehl, alle Rastas ins „Gefängnis oder Grab“ zu bringen. Die Rastafari-Viertel und Camps wurden nun von Polizisten und Soldaten gestürmt, Bewohnern wurden die Dreadlocks abgeschnitten, sie wurden misshandelt und ermordet. Es war der letzte große Zusammenstoß der Rastas mit der Obrigkeit. In den Folgejahren versuchte man aufeinander zuzugehen, auch wenn Diskriminierung gegen Rastas bis heute exisitiert. Es gibt immer noch Schulen, die in ihren Dresscode-Regeln Dreadlocks verbieten.
Auch die LGBTQ+ Community erfährt auf Jamaika Diskriminierung und ist längst nicht so akzeptiert wie in Deutschland. In Dancehall-Musiktexten wurde und wird mitunter immer noch offen zu Gewalt gegen Homosexuelle aufgerufen. Die Community ist noch weit davon entfernt, wirklich toleriert zu werden. Gerade der Schwulenhass lässt sich auch, wie so vieles, auf die kolonialen Verbrechen zurückführen. Sklaven wurden von Sklavenhaltern misshandelt und vergewaltigt. Das ist eine kulturell-historisch-psychologische Erinnerung für viele Jamaikaner*innen, wurde mir gesagt.
Diskriminierung exisitierte und exisitiert auf Jamaika, wie auch in Europa und auf der ganzen Welt, in verschiedenen Formen. Fast schon ironisch, dass eine dieser diskriminierten Gruppen, die Rastas, nun für viele Menschen auf der Welt das Bild von Jamaika prägen. Ihre Musik, der Reggae, wurde zum unverwechselbaren Sound der Insel mit seinem bekanntesten Vertreter, Bob Marley, der am 06.02.2025 seinen 80 Geburtstag gefeiert hätte.
Bob Marley – One Love
Aus dem schnellen Skagesang entwickelte sich zunächst der Rocksteady und schließlich in den 1960ern der langsame, gechillte Reggae. Die Texte haben oft einen religiösen oder politischen Bezug.
In den 1970ern feierte der bekannteste Reggae-Sänger Bob Marley mit den Wailers weltweite Erfolge, während in seiner Heimat das Chaos weiter ausbrach. Jamaika war von schweren politischen Konflikten und gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern der People’s National Party (PNP) und der Jamaica Labour Party (JLP) geprägt. Insbesondere in Kingston, wo die beiden Parteien ihre stärksten Basen hatten, kam es zu bewaffneten Straßenkämpfen und schweren Unruhen, z.B. an der Mountain-View-Avenue.
Bob Marleys berühmtes One-Love-Konzert 1978 sollte ein Zeichen der Versöhnung und des Friedens setzen, als er die beiden politischen Führer Michael Manley und Edward Seaga zusammen auf die Bühne brachte. Dennoch blieb die politische Gewalt in den Jahren danach bestehen, erst nach den Wahlen 1980 nahm sie allmählich ab.
Zwei Jahre vor dem Konzert überlebte Bob Marley ein Attentat, kehrte Jamaika danach zunächst den Rücken, kam dann aber für das One Love Konzert zurück. 1981 starb er mit nur 36 Jahren an Krebst. Eine Konservative Behandlung lehnte er ab. Seine Musik und seine Visionen werden immer Teil der jamaikanischen DNA sein. Er war der bisher einzige Künstler auf der Welt, für den eine staatliche Trauerfeier abgehalten wurde. Das zeigt, welche Bedeutung seine Musik und seine Ideen für die Jamaikaner*innen haben. Und sie sind heute noch viel populärer, als zu seinen Lebzeiten.
Deshalb fragen sich einige Jamaikaner*innen, warum sein Geburtstag noch kein Nationalfeiertag ist, da er ja DAS Gesicht Jamaikas in der Welt ist. Sieht die politische Elite ihn im Endeffekt doch (noch) als Gefahr? Seine Songtexte kritisieren ja auch das politische System, welches sich in vielen Bereichen, das sagen mir einige Jamaikaner*innen, nicht grundlegend verändert hat. Wie ich schon an anderer Stelle mehrfach beschrieben habe, ist die koloniale Vergangenheit immer noch allgegenwärtig und somit gibt es natürlich auch nach wie vor Menschen, die davon bis heute profitieren.
„Emancipate yourself from mental slavery, none but ourselves can free our mind“
(Redemption Song, Bob Marley, 1980)
Dies ist eine der bekanntesten Botschaften aus Marleys Songtexten, die auf Marcus Garvey zurückgeht. Für viele Rastafaris ist er ihre Mission, für viele Jamaikaner*innen eine Identifikation, doch für das „System“ an mancher Stelle vielleicht doch auch ein Aufruf zur Revolution und damit eine Bedrohung?
„Emancipate yourself from mental slavery“ würde in seiner Umsetzung vermutlich das ganze politische System verändern, das bisher von Korruption gezeichnet ist. Und daran haben die Akteure, die davon profitieren, vermutlich kein großes Interesse.
In der Bevölkerung herrscht eine große Resignation, wenn es um Politik geht. Denn für viele Menschen verändert sich seit Jahren nichts, egal, welche der beiden Parteien regiert. Der Zugang zur politischen Teilhabe ist den meisten Jamaikanern verwehrt. Der bürokratische Aufwand, sich ins Wählerverzeichnis eintragen zu lassen, ist hoch und an Bedingungen geknüpft, die in der Regel nur wohlhabendere Jamaikaner*innen erfüllen können. Bei der Wahl 2020 lagt die Wahlbeteiligung bei nur 37%.
Wie ich schon an anderer Stelle geschrieben habe, ist Klassismus auf Jamaika sehr ausgeprägt (z.B. Uptown/Downtown). Umso größer ist der Stolz, wenn es Menschen wie Bob Marley, der in einem der Armenviertel (Trenchtown) aufgewachsen ist, schaffen, aus diesem Kreislauf auszubrechen. Das erklärt mitunter auch den Erfolg des Dancehall Musikers Vybz Kartel, den ich euch im ersten Artikel schon vorgestellt habe.
Die musikalische Entwicklung vom Reggae zu Dancehall ist sehr spanennd. Die Dancehall Musik ist vor allem schneller, elektronischer, mitunter auch agressiver, sowohl musikalisch, als auch in den Botschaften. Während Reggae eine positive Botschaft zu vermitteln versucht (One Love, Positive Vibration, etc.), bringen Dancehall-Texte oft Wut gegenüber sozialen Normen zum Ausdruck, mituner auch in aggressiven Texten.
Die Entwicklung ist vielleicht auch Ausdruck einer Frustration darüber, dass die Botschaft des Reggaes zwar bei vielen Menschen verfängt, aber noch nicht so in der Praxis zu sehen ist. Bob Marley singt von One Love, während vor allem in Kingston oder Spanish Town bis heute immer wieder Nachrichten von Schießereien die Runde machen.
Und dennoch werden viele Menschen nicht müde, diese Botschaften aufrechtzuerhalten und mit Leben zu erfüllen. Und das spürt man, wenn man sich auf Jamaika aufhält. Die postive Einstellung vieler Jamaikaner *innen zum Leben und die grundsätzliche Zufriedenheit damit lässt sich auch nicht dadurch erschüttern, dass für die meisten das Leben ja auch ein täglicher Stresstest ist, um genug Geld aufzubringen.
Da bleibt mir ein Satz eines Taxifahrers in Erinnerung. „Jamaika ist für mich das beste Land der Welt. Natürlich haben wir Probleme, aber die gibt es überall auf der Welt. Natürlich müssen wir hart arbeiten, aber das musst du wo anders auch. Hier hast du tolle Menschen, ein wunderschönes Land und tolle Musik. Alles, was man zum Leben braucht“.
Nnatürlich muss an dieser Stelle auch gesagt sein, dass ich vor allem mit Menschen ins Gespräch komme, die grundsätzlich irgendwie über die Runden kommen. Doch auch wenn ich durch Dörfer in den Bergen laufe, wo der Lebensstandard offensichtlich nicht so hoch ist, begegnen mir die Menschen mit einer inspirierenden, positiven Ausstrahlung. Das ist etwas, was ich versuche, so auch in mein Leben in Deutschland mitzunehmen.
Bilder:
Quellen:
- Hauptsächlich Informationen, die ich in Gesprächen und auf Veranstaltungen aufgeschnappt habe
- Zum Rastafarianism habe ich in der GEO EPOCHE 104/2020: Die Karibik (Text von Dominik Bardow) nachgelesen
- Informationen zu Marcus Garvey aus der Liberty Hall in Kingston