Besuch beim Faschingsmeer in Colonia del Sacramento
Am Samstag stand ein kleiner Ausflug zu meinem Arbeitgeber an. Ja, richtig, denn Colonia del Sacramento ist UNESCO-Weltkulturerbe und hinter kulturweit steht ja im Wesentlichen die Deutsche UNESCO-Kommission, womit ich quasi meinen Arbeitgeber besuche, auch wenn ich mir „nur“ die Altstadt ansehe und die örtliche UNESCO-Kommission gar nicht erst im Stadtplan zu suchen beginne.
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- Dieses Stadtportal begrüßt alle Touristen
- Wer’s immer noch nicht glauben kann, hier der Beweis: Colonia ist Weltkulturerbe!
- Der Faro von Colonia del Sacramento
- Der Faro, vom Strand aus gesehen
- Nach einer Woche Regen blickt auch endlich mal wieder die Sonne hinter dem Leuchtturm hervor
- Mittelmeerfeeling am Río de la Plata
- Nordseeflair am Río de la Plata: ein bisschen wie in Pellworm…
- Jetzt weiß ich, warum nur Achtjährige eintreten dürfen: Kletterpartie im Leuchtturm. Wobei das den Kleinen sicher auch gut gefallen würde…
- Völkerverständigung in Colonia: Uruguay und Argentinien sind normalerweise eher Konkurrenten
- Basílica del Sanctíssimo Sacramento
- Wo samma denn? A, immer noch am Río de la Plata. Na dann is ja gut…
- Ein Bild, wie es typischer für Colonia nicht sein könnte
- Am Ende eines langen Tages hat auch das Wetter keine Lust mehr und bietet einen ähnlichen Anblick wie neulich bei Jana in Montenegro: https://kulturweit.blog/montenegro2015/2015/09/25/dunkle-wolken-im-paradies/
Die Basilika
Colonia del Sacramento also, sicherlich eines der Höhepunkte einer jeden wie auch immer motivierten Uruguay-Reise, jahrhundertelanger Zankapfel zwischen Portugal und Spanien. Das schlägt sich auch im Stadtbild nieder: die Portugiesen scherten sich einen Dreck um irgendwelche utopischen Renaissance-Ideale, deswegen verlaufen die Straßenzüge hier (zumindest in der Altstadt) etwas ungeordneter, als ich es in San José de Mayo vergangene Woche kennengelernt habe. Laut Reiseführer würde dies zusammen mit der kolonialzeitlichen Architektur ein ähnliches Stadtbild wie in der Altstadt von Lissabon. In Lissabon war ich zum letzten Mal als kleines Kind, das hätte man mir mal früher sagen sollen.
Bleiben wir bei der Architektur: die Basílica del Sanctísimo Sacramento kann es, Weltkulturerbe hin oder her, bei Weitem nicht mit der Kathedrale von San José aufnehmen, da mag das Sakrament so heilig sein wie es will. Schon die Fassade enttäuscht als schlichtlangweiliges Weiß ohne jeden Farbtupfer. Innen wird’s nicht besser: während in San José de Mayo zumindest noch die Wände der Kathedrale bemalt waren, herrscht hier eine neoklassizistische Innenarchitektur mit Säulenformationen vor, die man sicher als dorisch und sonstwieisch einordnen kann (ich kann’s nicht) und ansonsten blankweißen Wänden. Ich verabscheue den Neoklassizismus. Der erinnert mich immer an Goethes Faust, den der bayerische Gymnasiallehrplan uns auch 183 Jahre nach dem Tod des Autors immer noch schmackhaft zu machen versucht. Zudem finde ich, dass der Neoklassizismus kein geeigneter Kirchenbaustil ist. Und zu guter Letzt ist Weiß schlicht und einfach: langweilig.
Das Mobiliar passt leider (oder zum Glück?) nicht zur Innenarchitektur. Das draußen so groß angekündigte Allerheiligste Sakrament muss sich mit einer Monstranz aus Holz begnügen. An der Wand hängen Ölschinken aus der spanischen Renaissance, und in einer Nische findet sich eine gotische Altarwand. Am Ausgang wird darauf hingewiesen, dass sich ein Artefakt der Guaraní-Indios momentan leider in den Vatikanischen Museen befinde, disculpe las molestias. Aha. Dort war ich vor über einem Jahr, ich hab’s damals leider nicht gesehen.
Panorama vom Altstadt-Leuchtturm
Die Altstadt von Colonia del Sacramento entschädigt dagegen für die enttäuschende Kirche. Und mehr als das. Die diversen kolonialzeitlichen Häuser, allesamt nicht besonders hoch und auch nicht, wie so oft in deutschen Städten, von glasstrotzenden Bankhochhäusern in der Neustadt überragt und von Modeketten unterbrochen, schaffen ein einzigartiges Ambiente. Nur Coca-Cola ist omnipräsent und versorgt die etwas zu zahlreichen ausländischen Touristen, die aber alle Spanisch sprechen. Es reist eben keiner 11.000 Kilometer weit, um sich Colonia del Sacramento anzugucken. Nur ein paar verrückte kulturweit-Freiwillige…
Dank des Verzichts auf Bürohochhäuser gewährt der Leuchtturm von Colonia del Sacramento einen atemberaubenden Blick über die Dächer der Stadt, obwohl er gerade einmal rund 30 Meter hoch ist. Für 20 uruguayische Pesos Eintritt (ca. 60 Cent) lässt einen der Marineangehörige am Eingang den Turm besteigen, wenn man älter als acht Jahre ist. Bei eventuellen Wartezeiten kann man sich die Webeflyer der örtlichen Marineschule ansehen, die für die Ausbildung zum Marineoffizier, zivil oder militärisch, werben. Ob sich viele Touristen finden, die das interessiert?
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, deswegen kann ich hier nach längeren Verhandlungen mit meiner Bildbearbeitungssoftware mein (Fast-)360°-Panoramafoto von der Leuchtturmspitze aus einfügen. Ich überlege übrigens, Wikipedia das Bild zu schenken, die haben nämlich noch keins. Ich scheue aber die aufwändige Registrierung als Wikipedia-Nutzer. Falls ein Wikipedianer das hier liest: bitte melden!
Last but not least: das Faschingsmeer
Die eigentliche Attraktion nach Basilika, Altstadt und Leuchtturm ist jedoch der Strand. Der Río de la Plata ist ein Faschingsmeer, der, je nachdem, wohin ich meinen Blick richte, so tut, als wäre er die Nordatlantikküste in Frankreich, Irland oder Schottland, oder die spanische Mittelmeerküste. Auf der einen Seite moosüberwachsene Granitfelsen und Gischt, auf der anderen Palmen und andalusische Kacheln an den Häusern. Eine Kostprobe des Wassers hätte mir bewiesen: das „Meer“ ist gar keins, sondern ein Süßwasserfluss. Die Fotos, die ich in der folgenden Bildergalerie veröffentliche, sind somit ein exzellentes Beispiel für die Manipulationsmacht eines Fotografen:
- Wie oft mussten wir in der Schule Caspar David Friedrichs „Wanderer im Nebelmeer“ analysieren… und dann steht der hier direkt vor mir!
- Der Beweis: das hier waren Fotos von einem Fluss! Am Horizont lässt sich Buenos Aires erahnen
Jedes dieser Bilder zeigt nur einen ganz bestimmten Ausschnitt. Bei diesen Ausschnitten habe ich darauf geachtet, dass sie menschenleer sind und auch keinerlei menschliche Einflüsse, wie Schiffe oder Hafenanlagen, zu sehen sind. So entsteht der Eindruck, als wären die Bilder an einem riesigen, menschenleeren Areal entstanden, und der Río sei weitestgehend unbefahren. In Wirklichkeit befinden wir uns mitten in der Stadt, das gewählte Areal ist äußerst überschaubar, und auf dem Río de la Plata ist ordentlich Verkehr. Nichtsdestotrotz eine kleine Ruheinsel vom Trubel der touristischen Altstadt – und ein schöner Blick auf das Faschingsmeer.