Im Rahmen ihres Sprachdiploms müssen die 10. Klassen das Thema: Deutsche in St. Petersburg heute bearbeiten. Ich habe deshalb begonnen, in der Geschichte nach Verbindungen zu suchen. Ein interessantes Element findet man in dieser vierteiligen Dokumentation.

Wer also etwas tiefer in die Deutsch-Russische Geschichte eintauchen möchte, kann es hier tun.

Vielleicht werde ich in nächster Zeit noch auf weitere Spuren stoßen und diese hier dokumentieren.

Publiziert am von Hanna Viehöfer-Jürgens | Kommentare deaktiviert für Geschichte: Marionettenfäden und graue Mäuse

V. Touristin – In der Wiege der Stadt und unterwegs

Bevor mir die Erlebnisse davonlaufen und der Regen alles fortspült, will ich berichten. Darum wird sich das Illustrieren noch ein bisschen verzögern.

Um es kurz zu fassen: Am 20. April habe ich viel gelernt:

  • St. Petersburg war früher sehr klein: War doch die Festung auf der Haseninsel die ganze Stadt! Das vergisst man heute schnell, wenn man von Peter dem Großen und seinen Verdiensten um die Stadt spricht. Ist sein Palast heute zwar am Rande der Stadt, aber dennoch gut erreichbar, lag er früher weit ab vom Lebenszentrum. Ähnlich wie beim Kreml in Moskau gab es erst einen kleinen, umfriedeten Raum, in dem sich das ganze Leben abspielte. In Moskau siedelten sich schnell rundherum Menschen an – in St. Petersburg war dort allerdings Wasser und Sumpf. Dennoch hatte die Stadt (immerhin Hauptstadt eines großen Reiches) alles, was die Zivilisation ausmacht. So werden auch heute noch 85% des Münzgeldes ganz Russlands auf der Peter-und-Paulsfestung geprägt! Insgesamt wirkt die Anlage wie eine Verkleinerung einer viel größeren Stadt oder vielleicht auch wie eine exemplarische Ausstellung St. Petersburgs.
  • Die St. Petersburger Zaren scheinen recht humane Gefängnisse gehabt zu haben. Das ist natürlich ein heikles Thema: Aus der Distanz scheint es mir, als zeige man in Ausstellungssituationen vor allem der jüngeren Vergangenheit alles Grausame und Schlechte besonders deutlich und explizit, damit deutlich wird, dass sich die Nation bewusst mit der Vergangenheit auseinandersetzt und diese ausarbeitet. Hier in St. Petersburg erlebe ich Stolz: Auf die Stadt, auf die Geschichte, auf die Entwicklung und den Istzustand. Etwas anderes erwartet man als Touristin in einer großartigen Stadt auch erst einmal nicht. Aber wenn es dann um Gefängnisse und Haftbedingungen geht, dann fängt man doch an, nachzudenken. Als erstes fiel mir also im Gefängnis auf der Festung zuerst auf, dass die englischsprachigen Exponatinformationen so knapp wie möglich gehalten waren. Ohne die Führung wäre mir vieles verborgen geblieben. Als zweites irritiert, dass die Zellen, die wie in der Zarenzeit ausgestattet sein sollen, mit Streifentapete ausgekleidet sind. Auf Nachfrage wurde wiederholt, dies sei die Originaleinrichtung. Drittens sind alle Spuren an die Sowjetzeit getilgt worden. Keine Wachanlagen wie in Hohenschönhausen oder anderswo. Auch wenn die zur Veranschaulichung ausgestellten Puppen in Lebensgröße recht sozialistisch uniformiert aussehen. Und im übrigen sei nur die Zeit bis zu den 20er Jahren erforscht, die Zeit bis 1951, von der man theoretisch wisse, werde noch im Archiv bearbeitet. Ende, wir müssen schnell weiter.Aber nun rein informativ: Zuerst hatten die Gefängnisinsassen Holzbetten, die aber nach einem Aufstand, bei dem mit Holzlatten auf Wärter eingeschlagen wurde, gegen im Boden verankerte Metallbetten ausgetauscht wurden. Jede Zelle verfügte über ein Fenster, einen Tisch, eine Waschschüssel (später auch einen Wasseranschluss) und ein abdeckbares Miniplumpsklo. Man durfte einige private Gegenstände mitnehmen, Verwandte durften Essen bringen und gegen Aufpreis bekam man eine Extraration. Zwei Zellen teilten sich einen Ofen – Hofgang war jeden Tag für 15 Minuten. Man muss zu dieser Schilderung sagen, dass sie die vom Lehrer aus dem Russischen übersetzten Worte wiedergibt und leider nicht zu überprüfen ist. Und das Gefängnis wurde vor allem für die Untersuchungshaft verwendet, also galten andere Maßstäbe als in der Haft nach Verurteilung.
  • Alle Romanows (Zarenfamilie aus St. Petersburg) sind auf der Peter-und-Paulsfestung begraben.Wer nicht in St. Petersburg starb, wie die letzte Zarenfamilie, die in Jekaterinburg ermordet wurde, wurde hierher umgebettet. Diese Familie ist allerdings in einer Sonderkapelle untergebracht, da die russisch-orthodoxe Kirche bezweifelt, dass es sich bei den 1998 beigesetzten Knochen wirklich um adlige handelt und deshalb eine Anerkennung verweigert. Auch die Frau von Zar Alexander III., die nach der Oktoberrevolution in ihre Heimat Dänemark ausgesiedelt war, wurde 2006 hierher überführt, weil ihr Platz in der Gruft von Roskilde benötigt wurde.Natürlich sind nicht alle Kinder und Kindeskinder in dieser Kirche begraben. Aber dass hier 53 Grabstätten sind, lässt die Größe der Kirche auch nicht vermuten.
  • Diese russisch-orthodoxe Kirche hat eine Kanzel: Daran sieht man, wie sehr Peter der Große von der europäischen Kultur geprägt war. Sicher hatte er in Holland Kanzeln gesehen und so etwas auch für seine Kirche vorgesehen. Die hiesigen Priester wussten nichts damit anzufangen, sodass die der Legende nach nur einmal verwendet wurde: Als Leo Tolstoi exkommuniziert wurde.
  • Irgendwann muss ich um 12 Uhr auf der Festung sein: Denn dann wird jeden Tag ein Kanonenschuss abgegeben, angeblich ununterbrochen seit Gründung der Stadt (oder Installierung der Kanone…) Das finde ich ziemlich skurril – aber die Geschichte hat die Petersburger vor weiterer Kanonisierung bewahrt: So wurden früher bei der Geburt eines Zarensohnes 301 und bei der Geburt einer Zarentochter immerhin 101 Salutschüsse abgegeben.
  • In einer Ecke der Festungsmauer, aber außerhalb der Anlage, also direkt am Ufer der Neva stehen fast jeden Tag zwei Männer, die sich sonnen – und das nicht nur bei Sonnenschein. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen!
  • Wind macht müde: Dieser Tag war so windig wie kein anderer seit ich hier bin. Dabei herrschten weniger einzelne heftige Böen, sondern ein steter, starker Wind. Obwohl ich weder viel gelaufen, noch andere kräftezehrende Aktivitäten unternommen habe, fühlte ich mich nachmittags ausgelaugt – oder vielleicht auch leergepustet…

Das war eigentlich weniger praktisch, da es doch nachts/über Nacht nach Moskau gehen sollte. Aber statt vorzuschlafen habe ich mit Zuhause videotelefoniert und leckeren Salat gegessen. Ein bisschen Bananenkuchen aus dem Topf. Um 23:30 Uhr habe ich mich dann auf den Weg zum Bahnhof nach Moskau (denn die einzelnen Zielrichtungen haben hier eigene Bahnhöfe) gemacht, der netterweise in Fußnähe liegt – fast wie früher…

  • Russische Liegewägen sind toll! Nachdem ich statt bei den Lehrern bei drei Schülerinnen einquartiert worden war (denen ich mich dann doch noch näher fühle), staunten wir über das „Hygienepaket“: Einfache Latschen (die allerdings für die Toilette mehr als nötig waren), Zahnbürste, Zahnpasta, Erfrischungstuch…Aber das gehört hier eigentlich gar nicht mehr hin, denn der Zug fuhr um 00:40 Uhr am 21. April ab…
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IV. Touristin – ohne Worte

Nach der Buchstabenflut der letzten Tage eine andere Art der „Berichterstattung“. Vielleicht mache ich das jetzt öfter, dann reisen Eure Augen auch mit…

1. Kapitel St. Petersburg

 

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III. Touristin – Asiaten und Frühjahrsputz

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Man sollte St. Petersburg nicht verlassen, ohne den Zarensommersitz „Petershof“ zu besuchen. Allerdings ist diese Anlage vor allem bekannt für seine unzähligen Springbrunnen und Wasserspiele und wird erst im Mai eröffnet, wenn Wasser ohne Gefahr für Rohre fließen kann und … Weiterlesen

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II. Touristin – Einblicke und Überraschungen

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Am Dienstag, den 17. April, stand bei immer noch sehr ungemütlichem Wetter ein Besuch im Marinsky-Palast an. Da eine Fahrt zur Schule und mit der Gruppe in die Stadt zurück für mich bar jeden Sinnes gewesen wäre, hatten wir uns … Weiterlesen

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I. Touristin – ein Schnelldurchgang durch 300 Jahre bei eisigem Wind

In der Nacht von Sonntag auf Montag kam die Austauschklasse der Schule in St. Petersburg an und als sie am Morgen mit ihren Gastgebern aus der 10. Klasse das Haus verließen, hatte es nachts gefroren und es herrschte der unangenehmste Wind, den ich hier bis jetzt erlebt habe. Zum Glück (und anders auch gar nicht möglich wegen der Dimensionen dieser Stadt) unternahmen wir – denn ich kann die Österreicher zum „Touri“-Programm begleiten, um die Stadt dann auch mal kennenzulernen – eine Rundfahrt per Bus. Der Bus war wahrscheinlich extra ausgesucht worden…

Als erstes fuhren wir durch mir bekannte Gebiete: Vorbei an den Хрущёвки (Chruschtschowki), die im Modellbauverfahren die Wohnungsprobleme der 1960er Jahre lösen sollten und nur als Übergangsvariante gedacht waren, vorbei an den „Häusern der Deutschen“, die von Kriegsgefangenen als Reparationsleistung gebaut wurden und auch wegen ihrer Optik sehr beliebt sind. All das findet man in der näheren oder ferneren Umgebung der Schule. Dieses Gebiet wurde während der Belagerung vollständig zerstört und ist deshalb von verschiedenen Stilen der Sowjetzeit geprägt. Hier steht die letzte Leninstatue St. Petersburgs und ein riesiges Monumentalgebäude, das Stalin als Zentrum des „sozialistischen Leningrads“ errichten ließ. In diese Ära fällt auch das Mahnmal oder Denkmal an die Belagerung St. Petersburg. Ich wusste zwar vorher, dass es diese gab, aber mehr nicht.

Darum als Information: 900 Tage wurde St. Petersburg von der deutschen Wehrmacht belagert. Im September 1941 begann die Operation, die die völlige Zerstörung Leningrads zum Ziel hatte. Da sich in der folgenden Zeit (die Belagerung endete im Januar 1944) zeigte, dass der Widerstand der Armee und der Bevölkerung zu groß war, um dieses Ziel zu erreichen, wurde die Stadt isoliert. Die Lebensmittel wurden gleich zu Beginn der Belagerung bei einem Bombenangriff zum Großteil vernichtet und der Winter 1941/1942 war der kälteste seit langer Zeit. Die Versuche, durch Flugzeuge und über den zugefrorenen Ladogasee Lebensmittel in die Stadt zu bringen, waren selten erfolgreich und die Wehrmacht verschärfte die Situation zusätzlich durch das Einschleusen gefälschter Lebensmittelbezugskarten. Während dieser Zeit starben rund zwei Millionen Russen in und um St. Petersburg, die meisten der 750.000 Zivilisten verhungerten.

Das Mahnmal bildet im Prinzip den Mittelpunkt eines Kreisels und befindet sich in der Nähe des Ortes, an dem die Befreiung begann. Hier sind verschiedene Bevölkerungsgruppen symbolisch dargestellt, die die Befreiung ermöglichten. Die Soldaten, die Frauen und Kinder in den Fabriken, die Arbeiter. Im Innenbereich werden die Auszeichnungen der Stadt dargestellt und es brennen ewige Feuer. Dazu wird dramatische Musik abgespielt, meist die Leningrader Sinfonie, die Schostakowitsch während der Belagerung in der Stadt schrieb und die auch noch während dieser Zeit hier uraufgeführt wurde. Überragt wird die ganze Anlage durch einen Obelisken, auf dem die Daten der Belagerung verewigt sind. Es ist vielen St. Petersburgern sehr wichtig, dass von einer „Belagerung“ gesprochen wird, denn dadurch werde das Unrecht deutlicher, dass ihrer Stadt widerfahren sei. Denn „Krieg“ würde aktive Kampfhandlungen der russischen Armee suggerieren, die aber nur die Stadt bewahrt habe.

Bei allem Leid, das die Belagerung mit sich brachte, sind die St. Petersburger aber dankbar, dass ihre Stadt nicht dem Erdboden gleichgemacht wurde. Deshalb kann man heute zwar nicht mehr die alten Paläste aus den Zeiten Peters I. in Strelna sehen, aber die historische Stadtanlage, die unter Katharina der Großen wuchs, ist fast vollständig original erhalten.

Anschließend vollzogen wir einen Zeitsprung und fuhren in den historischen Teil St. Petersburgs. Das Smolny-Kloster, das mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur schwer zu erreichen ist, wurde als Altersruhesitz für die Zarin Elisabeth I. geplant und gebaut, aber diese verstarb vor der Fertigstellung. So wurde 1764 hier die erste Universität für Frauen gegründet und der Klosterkomplex wurde als Wohnstift für die Studentinnen verwendet. Dem eigentlichen Zweck hat das Gebäude also nie gedient. Auch die Kirche wird heute nur als Konzertsaal benutzt und soll die beste Akustik in St. Petersburg haben. In der Zeit der Oktoberrevolution tagte hier der Arbeiter- und Soldatenrat und in der Sowjetzeit war es Regierungssitz, bis Moskau wieder Hauptstadt wurde.

Eine Zeitreise war auch die Fahrt entlang der Neva. Auf dieser „Lebensader der Stadt“ trieben an diesem Schwellentag zum Frühling die Eisschollen des Ladogasees der Ostsee entgegen und passierten hier exemplarisch die Geschichte St. Petersburgs. Denn hier stehen noch alte Industriegebäude, neue entstehen. Hier steht das Gebäude des Geheimdienstes, in dem während der Stalinzeit unzählige Menschen ohne Prozess interniert wurden und viele starben. Hier passiert man die goldene Spitze der Peter-und-Pauls-Festung und den Panzerkreuzer „Aurora“, der die Oktoberrevolution eröffnete. Hier sind die Paläste des Hochadels der Petersburger Blütezeit und hier steht der Winterpalast der Zarenfamilie. Während wir im Bus saßen, wussten wir oft nicht, ob der Blick nach rechts mehr lohnt als der nach links, sodass der Kopf hin und her schnellte.

Das heutige St. Petersburg erlebten wir bei der Fahrt zum Passagierhafen. Die Dimensionen lassen sich in dieser Jahreszeit nicht erahnen, da keine Megaliner ankern. Aber in der Hauptsaison können hier sechs bis acht der größten Ostseeschiffe liegen. Der Passagierhafen ist ein ehrgeiziges Projekt, dass im wahrsten Sinne des Wortes auf Sand gebaut ist (im übertragenen sicher nicht, da die Branche der Kreuzfahrten wächst und St. Petersburg schön bleibt). Um mehr Land und Baufläche zu gewinnen, wird seit der Gründungszeit Petersburgs Sand aus dem Finnischen Meerbusen an Land aufgeschüttet. Das hat heutzutage für die Schifffahrt auch den Vorteil, dass das Meer tiefer wird, denn unter natürlichen Bedingungen würde der Meerbusen irgendwann verlanden. Es wirkt allerdings surreal, wenn man am ausgeschilderten Pier steht, auch die Uferbefestigung und Poller zum Vertäuen der Schiffe sieht, aber kein Meer. Die Karussells, die sogar in Betrieb waren, krönen das Ganze dann noch, denn hierher wird niemand mehr kommen, um die Aussicht aufs Meer zu genießen.

Nach dieser Fahrt durch Stadt und Zeit waren wir alle erschöpft und durchgefroren, da der Wind eisig war. Da war es sehr angenehm, dass mich von meinem warmen Zimmer nur zwei Metrostationen trennten…

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Etwas Neues

Fast schon symbolisch kann man es deuten, dass ich am Ostersonntag umzog. Zwar bin ich mir nicht sicher, welches meiner beiden Osterfeste denn nun meines war – das meiner Konfession oder das meines Aufenthaltes, aber an einem sonnigen Ostervormittag umzuziehen, ist schön!

Nach dem Frühstück fuhren wir mit dem Gepäck im Auto zur Metro und dann zu dritt mit Koffer, zwei Taschen und Rucksack in die Stadt. Der Weg von der Metrostation zur Wohnung fühlte sich sehr lange an und der Weg in den 5. Stock schien einer Bergerklimmung nahezukommen. Auch nach drei Tagen spüre ich das Gewicht des Koffers noch in den Schultern…

Aber wie schön ist es, in ein sonnendurchflutetes Zimmer zu kommen und zu wissen, dass man hier nun erst einmal angekommen ist. Die nächste Stunde verbrachte ich mit Saubermachen und Kofferauspacken und „Einrichten“ – aber die Schrankwand ist zu groß für meine Habseligkeiten. Zwar hatte ich am Montag schon das Nötigste an Lebensmitteln hier deponiert, aber vieles fehlte noch. Also ging ich anschließend erst im Viertel spazieren, um mich orientieren zu können und auf dem Rückweg einkaufen. In der Sonne war es in der Winterjacke fast schon zu warm und selbst hier mitten in der Stadt hörte man Vögel zwitschern.

Abends kochte ich – endlich! Mal schauen, wie lange mein Plan, immer mindestens die doppelte Menge zuzubereiten, um nicht jeden Tag die Küche zu belagern, funktioniert. Dieses Mal auf jeden Fall schon. Ich habe hier nun einen Kühlschrank in meinem Zimmer (und seit Dienstag auch einen Wasserkocher!!!), ein Bord mit Geschirr in der Küche, freien Zugriff auf alle Töpfe und Pfannen und Werkzeuge und die Mikrowelle und leider keinen Stöpsel im Waschbecken. Das Abwaschen gestaltet sich so etwas schwieriger, ist aber machbar.

Später gab es für die liebe Familie via Skype noch eine Zimmerführung und dann entklappte ich mein Bett für die erste Nacht.

Einige Impressionen aus meinem Zimmer:

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II. Ostern

Ein Fest in einem anderen Land, in einer anderen Tradition, in einer anderen Familie und doch als Teil des Ganzen. So würde ich meine Ostererfahrung hier in Russland beschreiben. Einen österlichen Vorlauf gab es nicht: Kein Karfreitag und am Samstag war ein normaler Schultag. Als ich aber nach Hause kam, waren die Vorbereitungen schon im Gange. Die Wohnung wurde geputzt, die Eier gefärbt und der am Vortag gebackene Kuchen sollte eine Schokoladenglasur bekommen. Als ich in die Küche kam, wurde die Schokolade gerade in einer Pfanne über der Flamme erhitzt. Nach dem Umbau in ein Wasserbad war es schwer, die Schokolade richtig flüssig zu bekommen, da sie angebrannt war. Aber mit etwas Butter statt Milch schafften wir auch das und der schwammartige Kuchen ließ sich leidlich glasieren. Aber als dann bunte Zuckerstreusel als Krönung hinzukamen und alle Kuchen und Eier auf dem Tisch versammelt waren, entstand auch bei mir ein Festgefühl.

Am späten Nachmittag fuhren wir dann zu einer Kirche und mir war nicht ganz klar, was dort passieren sollte. Weil das Osteressen gesegnet werden sollte, traf man auf dem Parkplatz viele Menschen, die meist diverse Tüten bei sich hatten. Nachdem die Männer die Kopfbedeckung abgesetzt und die Frauen ein Tuch umgeschlungen hatten, betraten wir die Kirche. Vor dem Tor hatten sich viele BettlerInnen versammelt, die auch (vor allem) mit Essen reichlich bedacht wurden. Da kam es noch zu einem witzigen Zwischenfall: Der kleine Wasja ging zielstrebig zu einer älteren Frau und nahm das Geld aus ihrer Schale. Das nahm die Frau ihm aber nicht übel, sondern lachte und segnete ihn – natürlich bekam sie das Geld zurück…

Der Kircheninnenraum ist von einem Gang umgeben und während wir dort entlang gingen, wunderte ich mich schon, warum die Menschen das Essen auf Tische stellten und dann daneben Position bezogen, als wollten sie es bewachen. Nach einem kurzen Besuch im Innenraum suchten auch wir uns einen freien Tisch. Hier wurde dann alles aufgebaut und mit Kerzen bestückt. Als der kraftvolle Gesang der Geistlichen näher kam, wurden alle Kerzen entzündet. Die Geistlichen (ihren genauen Status kenne ich nicht) kamen zu dritt: der erste versprengte große Mengen Weihwasser auf die Gemeinde und das Essen, manchmal so viel, dass man unter einem Schwall kalten Wassers zusammenzuckte. Kinder wurden vorgeschoben, die wassergetränkt in Geschrei ausbrachen. Der zweite trug eine Tablett voll Osterkuchen – eine Spende der Gläubigen. Der dritte sammelte auf einem ebenso großen Tablett die übliche Form von Spenden ein…

Nachdem die Segnung vorüber war, wurden die Speisen in aller Eile eingepackt, denn der Platz musste für die nächsten freigemacht werden.

Viele Menschen stellten sich nun an, um eine Ikone zu küssen und zu beten – manche fielen vor ihr auf die Knie, andere krochen die letzten Meter dorthin. Kleine Kinder wurden an sie gedrückt und alle küssten sie und legten die Stirn an die über und über mit Blumen geschmückte Darstellung Jesu. Wir „Kinder“ waren auf dem Turm der Kirche gewesen und hatten auf den Stadtteil „Peterhof“ geguckt – auch das Delta der Neva war zu erahnen. Hier gab es viele alte Ikonen, viele Pflanzen und auch Informationen zur Geschichte der Kirche. Die Bilder von der Zeit der Belagerung (dazu in einem anderen Artikel mehr) und der Sowjetzeit machen die wechselvolle Geschichte des Glaubens und der Kirche hier in Russland deutlich. Der Stadtteil „Peterhof“ lag mitten im Kampf-/Belagerungsgebiet, sodass auch die Kirche stark beschädigt wurde. Das Erschreckendste aber ist, dass zwischen den Bildern, die 1944 aufgenommen wurden und denen, die 1980 entstanden, kein Unterschied bestand. Es waren nur Birken im zerbrochenen Mauerwerk gewachsen.

Nach dem Kirchenbesuch kam die Familie der Tante und eine Nachbarin mit, um gemeinsam zu essen. Da die Küche für uns schon zu fünft recht eng wurde, nahmen alle zehn im Wohnzimmer Platz. Es gab gekochte und zerstampfte Kartoffeln, einen Salat aus Kohl, Zwiebeln, Erbsen und Paprika, Brot, Orangen und Osterkuchen. Dazu bekamen alle, die älter als zehn Jahren waren, ein kleines Glas Wein zum Anstoßen und es wurden Wünsche ausgesprochen. Das obligatorische Teetrinken nach der Mahlzeit mussten wir in zwei Etappen machen, da nicht genug Becher da waren. Fast bis Mitternacht waren die Gäste da – die Kinder wurden immer müder und deshalb lauter und ruppiger – ein normales Familienfest eben…

Gemeinsam mit der Nachbarin haben wir noch einen Teil des Ostergottesdienstes in Moskau im Fernsehen geschaut. Die Kirche voller stehender Menschen mit Kerzen // Putin mit beinahe steifen Lippen beim Osterausruf: „христос воскресе“ (christos woskres=Christus ist auferstanden), der sehr oft wiederholt und aufgegriffen wurden // Geistliche, die im Eilschritt weihrauschschwenkend um die Ikone ziehen // ein Chor, der schief singt // andächtige Menschen.

Am Sonntagmorgen aßen wir zum Frühstück neben dem Osterkuchen auch etwas Osterquark: Entwässerter Quark mit Rosinen und Orangengeschmack. Und danach galt es, mein ganzes Gepäck in die Stadt, in mein Zimmer zu schaffen…

Christos waskresje! Frohe Ostern!

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Wer suchet, der findet

Montag, 9. April: Endlich hat mein Suchen nach einer Unterkunft für die übrige Zeit ein Ende gefunden. Schon lange habe ich gesucht: Auf Deutsch und auf Englisch, nach WG-Zimmern und Apartments. Aber man findet kaum etwas, was als Freiwillige zu bezahlen wäre.

Aber manchmal zahlt sich Ausdauer aus: Ich habe Irina gefunden, die Zimmer in St. Petersburg für kurze und lange Zeiträume vermittelt und Englisch kann. Die Zimmer ihrer Internetpräsenz sind nicht mehr verfügbar gewesen, doch sie schlug mir in meinem finanziellen Rahmen verschiedene Möglichkeiten vor: Showdown am Montag. Nachdem unser Telefonat am Sonntag nur zu Verwirrung geführt hatte, herrschte am Montagvormittag reger E-Mail-Verkehr – wie gut, dass ich frei hatte.

Als wir dann für den Nachmittag drei Besichtigungstermine ausgemacht hatten, wurde ich doch nervös. Schließlich kannte ich von Irina nur ein altes Foto auf ihrer Internetseite und ein Zimmer hatte ich auch noch nie gemietet.

Zu allem Überfluss fuhr ich auch noch eine Station zu weit in der Metro. Aber dieses Mal hatte ich mich informiert, wo ich die Adresse finde. Irina und ich fanden uns vor dem Haus schnell: zwei ausschauhaltende Menschen mit Handy in der Hand. Den Eingang zum Haus fanden wir allerdings nicht so schnell, da er in einer Seitenstraße liegt. Ein kleines Schild an der Haustür verriet mir bereits, dass ich hier Erfolg haben würde…

Im fünften Stock russischer Zählung (also im vierten Stock deutscher Zählung) vermietet eine Familie ein Zimmer mit zwei Fenstern, in die um 17 Uhr die Sonne schien, hoher Decke und Schaukelstuhl. Dieses Zimmer gefiel mir sofort, aber wir beschlossen aus reiner Neugierde noch ein weiteres zu besichtigen. Dieses „zweite Zimmer“ war eher eine dunkle Kammer am Ende eines Flurs, den man bei Tageslicht nicht sehen wollte. Die Badewanne stand auf Betonbrocken und die Vermieterin wollte nicht sagen, wieviele Menschen in der Wohnung leben. Schnell haben wir die Flucht ergriffen.

Seit Mittwoch bin ich nun Mieterin eines Zimmers im Herzen St. Petersburgs. Zur nächsten Metrostation brauche ich ca. 10 Minuten, zum Nevski-Prospekt unnennenswert länger. Nur zur Schule brauche ich fast eine Stunde… Ich habe einen Mietvertrag und die erste Rate bezahlt und einen Schlüssel.

Am Sonntag werde ich mein neues Heim beziehen, dann gibt es auch Fotos. In meinem Kühlschrank sind schon einige lebenswichtige Dinge (wie Brot) untergebracht (dieses allerdings eingefroren, da ich es nicht verschimmelt sehen will). In der Küche habe ich ein eigenes Bord und einen Geschirrständer. Und ich werde nicht mehr aus dem Koffer leben müssen. Ich freue mich jetzt sehr auf diesen neuen Abschnitt – das nächste Kapitel – aber ich werde die Familienzugehörigkeit und Kümmerung sicher ein bisschen vermissen. Auch wenn von meinen Gastgebern hier wahrscheinlich keiner vorbeikommt:

Danke euch für alle guten Dingen, die ihr mir gegeben habt. Für die Fürsorge, die Freude, die Sprache, das gemeinsame Lachen und das Essen. Auch wenn es für euch vielleicht unvorstellbar ist: Ich hatte NIE Heimweh! Vielen Dank! Спасибо большое!

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I. Ostern

Ostern ist für mich im Laufe der Zeit das schönste Fest im Kirchenjahr geworden. Und auch dieses Jahr war der Ostersonntag ein besonderer Tag, schließlich bin ich in St. Petersburg!

Das Osterfest der Russisch-Orthodoxen Kirche ist in diesem Jahr eine Woche später, am 15 April. Die Differenz zum Osterfest der katholischen oder evangelischen Kirche ist jedes Jahr unterschiedlich – die Feiertage werden hier nach dem julianischen Kalender berechnet.

In St. Petersburg direkt am Nevski-Prospekt steht die Hauptkirche der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde Russlands. In der Petrikirche fand am Ostersonntag also ein Gottesdienst in Russisch und Deutsch statt. Um pünktlich um 10:30 Uhr da zusein, brach ich bereits um 8:30 Uhr auf – im Schneegestöber. Dieses Jahr konnte ich den Frühling zu Ostern nur fühlen, nicht sehen.

Der Gottesdienst war in vielerlei Hinsicht besonders: Dass die Petrikirche zur Sowjetzeit ein Schwimmbad war, kann man im Innenraum nicht übersehen. Der Boden ist grau gefliest, die „Emporen“ sind tribünenartig aufgebaut: Aus Holzlatten und Metallrohren. Aber auch den Kirchenraum von 1833 kann man gut sehen. Der Gottesdienst fing auch nicht um 10:30 Uhr an – bis 11 Uhr wurden Bänke getragen, Kerzen angezündet, hektisch herumgelaufen und ständig kamen Menschen. Der stete Zufluss an Menschen hörte auch die übrige Zeit nicht auf, erstaunlich war aber, dass die allermeisten blieben: egal, ob ein spanischsprechendes junges Ehepaar, das ihr Erstaunen über die Geschichte der Kirche laut zum Ausdruck brachte („piscina!“), ein Asiate mit riesiger Fotoausrüstung oder die alte Dame, die vom Einkaufen kam. Alle 20 Minuten kam mindestens ein neuer Schwung Menschen. Der Gottesdienst wurde außerdem zweisprachig gehalten und wurde deshalb doppelt so lang: Lesungen, Gebete und Predigt in doppelter Ausführung. Die Lieder der Gemeinde und des Chores waren allerdings Deutsch. Als die Gemeinde um 13 Uhr aufgefordert wurde, sie gegenseitig frohe Ostern zu wünschen, gingen doch einige. Sie glaubten wohl, der Gottesdienst sei beendet, da viele Menschen nicht nur ihrem Banknachbarn die Hand gaben, sondern durch die Kirche liefen. Während des Gottesdienstes wurde auch viel fotographiert und private Begrüßungsrunden veranstaltet.

Vielleicht ist mir das alles deshalb so aufgefallen, weil das übrige, formale Gottesdienstgeschehen sonst so war, wie ich es gewohnt bin. Sogar die Auswahl und Reihenfolge der Lieder waren so wie in Deutschland.

Nach dem Ende des Gottesdienstes um 13:30 Uhr gab es noch einen Stand, an dem man gegen eine Spende ein Gebäckstück bekam. So lernte ich einige Gemeindemitglieder kennen und wurde herzlich eingeladen, wiederzukommen. Nun bin ich gespannt auf das russische Osterfest dieses Wochenende!

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