Schule ≠ SchülerInnen + LehrerInnen

Ein Pförtner, der in der Nähe der Tür sitzt, ist der Herr über die Zweitschlüssel der Kabinette und über die Handwerker und Arbeiter, die in der Schule und um die Schule herum für Ordnung sorgen. Er hat auch einen Schlüssel für die Lehrergaderobe. Denn das ist eine weitere Besonderheit der Schule Nr. 506 (vielleicht gibt es das auch in anderen russischen Schulen, dann wäre es eben eine weitere nationale Besonderheit): Es gibt einen Gaderobenraum, der auch von verschiedenen Damen bewacht und geordnet wird. Dort hängen die SchülerInnen nach Klassen aufsteigend sortiert ihre Jacken auf und wechseln auch ihre Schule, damit der Dreck der Straße nicht durch de Schule getragen wird. Die LehrerInnen haben einen abschließbaren Extrabereich – allerdings halten sich nicht alle an die „Schuhwechselregel“…

Im Erdgeschoss lernen die Grundschüler, außerdem ist hier die Sporthalle und der Musiksaal. Im ersten Stock sind „normale“ Räume und die Fachräume für Naturwissenschaften und die Caféteria. Außerdem ist hier das Sekretariat und der Raum der Schulleitung sowie das Lehrerzimmer, das allerdings wegen des Kabinett-Systems nicht so viel genutzt wird.

Es gibt in russischen Schulen viel mehr „sonstiges“, also nicht unterrichtendes Personal. Da sind der Pförtner und die Gaderobendamen. Es gibt Köche in der Caféteria und weiteres Personal. Es gibt Putzfrauen, die den ganzen Tag über etwas zu reinigen finden (sogar die Blätter der Pflanzen werden gesäubert). Es gibt eine Truppe Männer, die Schnee schippen oder Sträucher beschneiden oder Zäune reparieren oder Rasen mähen. Es gibt eine Frau, die den Computerraum leitet und dort auch einen Schreibtisch hat. All diese Berufe sind mir bis jetzt aufgefallen – vielleicht gibt es noch mehr.

An der Schule Nr. 506 gibt es (fast) nur Lehrerinnen. Soweit ich das überblicke, sind die zwei männlichen Lehrkräfte stundenweise für die vormilitärische Ausbildung der SchülerInnen in der Schule anwesend. Darum ist der Fachberater, der von der Zentralstelle für Auslandschulwesen entsendet worden ist und die SprachdiplomsschülerInnen unterrichtet schon an sich ein Ereignis und sehr beliebt. Die Schule wird auch von zwei Frauen geleitet, ich kenne allerdings nur die stellvertretende Schulleiterin…

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Allgemein und von außen

Bevor das Schuljahr zu Ende ist, möchte ich von meiner Einsatzstelle berichten. Das ist sicher vor allem für meine NachfolgerInnen interessant, aber auch für die „übrige Welt“. Denn sooft bekommt man ja keinen Einblick in eine russische Schule.

Die Schulen in Russland haben Nummern und Namen, allerdings sind die Namen nicht gebräuchlich – ich wollte den meiner Schule gerne wissen und habe mich bei einer Zehntklässlerin erkundigt. Sie wusste nicht einmal, dass ihre Schule einen Namen hat. Die Schulen sind, soweit ich weiß, chronologisch nummeriert. Darum findet man die höheren Schulnummern meistens in den äußeren Bezirken der Stadt, wo sie mit den Plattenbauten nach dem Krieg gebaut wurden, als die Wohnungsnot gelöst und eine Infrastruktur auch in den Außenbezirken geschaffen werden sollte.

Jetzt haben viele Schulen ein Problem, da die Kinder- bzw. SchülerInnenzahlen wie in so vielen Ländern rückläufig sind. Viele Schule müssen sich deshalb besonders profilieren. Zur Veranschaulichung der „Schuldichte“ lässt sich folgendes berichten: In der Straße „meiner“ Schule steht ca. 500 Meter entfernt eine andere Schule, die auch baugleich ist – allerdings ist die mit roten Fließen verkleidet, während die Schule Nr. 506 mit blauen Fließen verkleidet ist. Geht man ca. 5 Minuten ins Wohngebiet, kommt man an einer weiteren, baugleichen Schule vorbei…

Zu den Schulen gehört meistens noch ein Kindergarten. Er ist von der Grundstruktur gleich gebaut – von oben betrachtet gleicht der Grundriss einem römischen I, wobei die horizontalen „Striche“ deutlich länger sind – meist aber ein Geschoss flacher (Kindergartenkinder sind ja auch kleiner…).

Zu allen Schulen gehört auch ein Sportplatz  und theoretisch soll auch eine Schwimmhalle schnell zu erreichen sein. Allerdings war das die Planung – mittlerweile mussten viele Schwimmhallen schließen, sodass der Schwimmunterricht nicht mehr an allen Schulen erteilt werden kann. „Meine“ Schule hat aber das Glück, die Schwimmhalle eine benachbarten Firma nutzen zu können. Ob es einen Schulhof gibt, liegt in der Gestaltung der Schule. In der Schule Nr. 506 gibt es keine Schulhof mit Geräten zum Turnen oder Bänke zum Ausruhen – allerdings gibt es einen sonnenbeschienenen Außenbereich, den man „zum Auslüften“ benutzen könnte. Gesehen habe ich da aber noch keine Kinder.

Von außen sehen die Schulen nicht einladend aus – die Bemalung  der unteren Wandbereiche macht „meine“ Schule etwas bunter. Sonst dominiert die Farbe Grau. Auch der Eingang wirkt nicht wie die Visitenkarte der Schule – ein Schild über der schweren Metalltür gibt einfach Nummer und Profil der Schule bekannt.

 

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Menschen bei der Arbeit

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Auf dem Vorbereitungsseminar haben wir verschiedenes zum Thema „fair berichten“ gelernt. Wobei gelernt es eigentlich nicht trifft, denn vielmehr wurden wir für etwas sensibilisiert, was ich so noch nie bedacht habe. Es geht hierbei vor allem um die Weise, wie … Weiterlesen

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Auf der Straße…

Verschiedenes. Menschen und Sachen.

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Цветы*

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Ich glaube, dass es hier in Russland – oder wenigstens in St. Petersburg – viel mehr Blumengeschäfte gibt, als anderswo auf der Welt. Vielleicht ein Ausdruck alter Verbundenheit mit Holland? Oder der ganzjähige Wunsch nach Grün? Der kleine täglich Luxus? … Weiterlesen

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Ich habe die nun endlich verfassten Artikel rückdatiert, damit die Chronologie erhalten bleibt. Ich hoffe, dass das keine Verwirrung stiftet. Viele Grüße in die Welt aus dem verregneten St. Petersburg…

Publiziert am von Hanna Viehöfer-Jürgens | Kommentare deaktiviert für Erklärung

Ich komme mit dem Schreiben nicht hinterher, trotz einiger freier Tage. Aber Moskau ist ja auch groß… und so dauert das Berichten von unserem Ausflug dorthin etwas länger.

Vielleicht berichte ich heute/in den nächsten Tagen erst von den Exkursionen in der St. Petersbuger Umgebung und widme mich dann ganz der Hauptstadt – mal sehen.

Jetzt nur ein Bild…

Publiziert am von Hanna Viehöfer-Jürgens | Kommentare deaktiviert für Kurze Botschaft

VIII. Touristin – In Massen

Das Wetter war an diesem letzten Ausflugstag mit den Österreichern immer noch sehr aprilig. Regenschauer wechselten sich mit Sonnenaugenblicken ab, es war frisch, aber nicht kalt. Mit dem Bus ging es wieder heraus aus der Stadt, nach Puschkin. Seitdem ich wusste, dass es einen Stadtteil oder einen Ort namens Puschkin gibt, überlegte ich, ob der Dichter von hierher stammte und deshalb diesen Namen trug, oder ob der Ort nach ihm benannt wurde.

Auch dieses Rätsel wurde heute gelöst, neben der Frage, ob der Palast denn schon geöffnet sei. Interessanterweise sind wir nämlich dorthin aufgebrochen, ohne sicher zu wissen, dass die Sehenswürdigkeiten auch zu besichtigen seien. Denn die russische Internetseite machte dazu keine Angaben und die englischsprachige verkündete die Öffnung am 1. Mai.

Aber in Puschkin – das nach dem Dichter benannt wurde, als der alte Name „Zarendorf“ politisch nicht mehr tragbar war – trafen wir dann die ersten Touristenmassen – und längst nicht nur russische. Es war sogar so voll, dass wir im Ekaterina-Palast regelmäßig unsere Fremdenführerin verloren. Aber auch hier hat die Massenpublikumserfahrung der St. Petersburger Sehenswürdigkeiten etwas Neues auf den Markt gebracht: Jeder Gruppenteilnehmer bekommt einen Ohrstöpsel und einen Empfänger, der mit dem Mikrofon der Fremdenführerin verbunden ist. So kann man die Dame verlieren und trotzdem der Führung folgen. Allerdings hat das Sendesystem eine geringe Reichweite – wenn man nichts mehr hört, sollte man schnell die Gruppe finden, um nicht von japanischen, englischen oder spanischen Gruppen geschluckt zu werden. Weil so viele Menschen diesen Palast genau an diesem Freitag besuchen wollten, mussten wir durch die Räume mehr rennen als schreiten. Zum Glück gab auch irgendwann mein Fotoapparat den Geist auf (denn ich hatte ihn nicht aufgeladen, da ich von diesem Ausflug nichts wusste – ich war in Erwartung eines normalen Freitags in die Schule gekommen…), sonst hätte ich den Gang durch die historischen Räume später anhand meiner Bilder nachvollziehen müssen.

Nur im Bernsteinzimmer war Fotografierverbot. Allerdings lässt sich heute mit Handys recht unauffällig fotografieren, sodass während unserer kurzen Anwesenheit in diesem Raum sicher an die 50 Fotos gemacht wurden… Das Bernsteinzimmer ist wohl mehr Mythos als Attraktion. Natürlich hat es einen unschätzbaren Wert und zeugt von einer umwerfenden Geschicklichkeit der Bernsteinschnitzer, aber die mir bekannten Fotos vermitteln weit mehr Eindruck, als der Raum dann macht (vielleicht bin ich durch die allgemeine Pracht dieser Stadt aber schon abgestumpft…). Die Rekonstruktion halte ich für reine Verschwendung – eine Bild/Fotoausstellung hätte gereicht und den Mythos nicht zerstört. Wer will das „echte“ Bernsteinzimmer denn jetzt noch wiederfinden, sind doch mehrere Millionen Dollar für seine Rekonstruktion ausgegeben worden? Vielleicht kann man es ja auch gar nicht mehr finden…

Auch hier denke ich, dass die Bilder mehr vermitteln als meine Worte.

Einiges sei aber noch erzählt: Der Palast wurde also für die Zarin Katharina gebaut und ist berühmt für seine grellblaue Farbe. Er wurde während der Belagerung sehr zerstört und bis jetzt sind längst nicht alle Zimmer restauriert. So kann man nur die Repräsentationszimmer sehen – Einblicke ins zarische Leben gibt es aber nicht. Warum der Ort nicht mehr „Царское Село“ (Zarskoje Selo=Zarendorf) heißt? In dem zarischen Lyzeum wurde die Elite des Landes ausgebildet, darunter auch ein in literarischer Hinsicht vielversprechender junger Mann namens Alexander Sergejewitsch Puschkin. Dessen Abschlussrede soll einen berühmten Schriftsteller der damaligen Zeit zu der Aussage gebracht haben „Nun kann ich sterben, ein neuer Stern am Himmel der russischen Literatur ist aufgegangen!“. In den anderen Fächern soll der junge Mann aber höchstens durchschnittlich gewesen sein. Ironischerweise breitete sich von diesem Lyzeum der Dekabristenaufstand aus – was sich die Zaren selber zuzuschreiben hatten, da sie als Gastdozenten die geistige und auch freigeistige Elite Europas einluden. Und so kamen postrevolutionäre Franzosen hierher… In der „Chaoszeit“ ab 1918 wurde der Ort „Kinderdorf“ genannt, ob es dafür einen sachlichen Grund gab, oder ob das nur eine Schmähung des ursprünglichen Namens sein sollte, weiß ich nicht. Ab 1937, als das sozialistische Regime seine Herrschaft auf einer Ideologie aufbaute, wurde das Dorf in „Puschkin“ umbenannt, der als Wegbereiter der russischen Literatursprache ein hohes Ansehen genoss.

Der Berliner Stadtteil Neukölln ist Partnerbezirk von Puschkin.

Ich habe einen archäologischen Glücksgriff getan. Nach der Besichtigung hatten wir noch eine knappe Stunde Zeit, uns die Parkanlagen zu erlaufen und da mich die Souvenirmeile nicht reizte, ging ich in den Landschaftspark, der sich in der Nähe des Schlossparks befindet (in dem nämlich so viele Hochzeitsfotos gemacht wurden, dass ich lieber das Weite suchte, denn ich wollte nicht als „Störobjekt“ auftreten.) Das Gesicht gegen den beginnenden Regen dem Boden zugewandt, spazierte ich also über matschige Wege, als ich plötzlich eine Scherbe fand… Interessanterweise ist der Palast geschmückt mit blau-weiß gekachelten Öfen… Ich beschließe, eine historische Scherbe gefunden zu haben… (Das Foto folgt, sobald nachgestellt 🙂 )

Trotz des trüben Wetters war es ein schöner Ausflug. Auf dem Rückweg hielten wir noch bei der Hauptkirche der Romanovs, also der Zarenfamilie. Diese Kirche ist erst seit ein paar Jahren restauriert und noch nicht von den Touristenströmen entdeckt. So war die Dame, die Aufsicht führte, erkennbar genervt von der unfrommen Horde, die hereinpreschte und als der russische Begleiter fragte, ob wir die uralte Höhlenkirche, die sozusagen die Krypta bildet, sehen dürfen, war sie beleidigt und hat nicht geantwortet. Die touristische Ruhe wird aber auch hier in einigen Jahren vorbei sein, denn gegenüber der Kirche liegt ein sehr verfallenes Fort. Es war früher Sitz der zaristischen Polizei und wird jetzt nach und nach restauriert. Dann soll es in den Puschkinbesuchsplan der Reiseveranstalter aufgenommen werden. Die Zeiten ändern sich – auch und vor allem in Russland.

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Noch 100 Tage…

Eigentlich müsste ich vom Trip nach Moskau berichten oder von der merkwürdigen Mischung von Zarentum und Demokratie, gewürzt mit einer Prise Sozialismus am Dienstag, aber heute gibt es tagesbedingt einen Zwischenartikel:

Vor einigen Tagen gab es die E-Mail mit der Aufforderung/Bitte zum Zwischenbericht. In 25 Tagen beginnt das Zwischenseminar – und heute sind es noch 100 Tage, die ich in St. Petersburg verbringen werde (für’s erste…)

100 Tage (und auch genau zwei Monate hier) – das hört sich zugleich nach viel und wenig an und ich fühle mich aufgefordert, ein wenig zu reflektieren:

  • Im Moment warte ich. Worauf eigentlich? Ich warte auf den Frühling, auf die Blätter, auf Tulpen und Springbrunnen. Ich warte auf den 11. Mai… Ich warte auf das Erwachen der Stadt. Das scheint komisch, denke ich doch (und das als Stadtkind) fast täglich: „So viele Menschen!“ Die Stadt ist keineswegs ausgestorben oder schläfrig. Aber vielleicht fehlen ihr die Touristen… Denn so viele Angebote, die ein arbeitender Bürger sicher nicht nutzt, stehen da und warten – und ich warte mit. Ich warte auf meine Schwester, dass ich auf den Tag ihrer Anreise warten kann. Ich warte auf das Zwischenseminar und die Mitfreiwilligen und die angekündigten 20 Grad. Ich warte auf Arbeit. Und ich warte sogar schon auf die Ferien, obwohl ich noch nicht weiß, wie die aussehen werden. Dieses Warten ist aber nicht ungeduldig und vielleicht auch nur vom Frühling mitgebracht, denn so einen langen/schneereichen/kalten/fremden/spannenden Winter hatte ich noch nie – da werden die Erwartungen auf das Kommende umso größer.
  • Ich habe viel gesehen, vor allem in der letzten Woche. Aber unabhängig von den touristischen Sehenswürdigkeiten habe ich auch das Leben hier gesehen, wenn auch nur in Ausschnitten: Und es fühlt sich wunderbar an, wenn man einen Weg routiniert immer wieder geht und nicht mehr nachdenken muss über die Anzahl der Kreuzungen. Es ist schön, wenn man ohne Metroplan am Ziel ankommt. Und noch besser ist es, ohne Stadtplan einen Alternativweg zu finden – aber wozu ist diese Stadt denn auch nach Plan gebaut…
  • Mir fallen viele Dinge auf, die ich früher nicht bemerkt habe/hätte. Manches muss man mit anderen Augen oder in einem anderen Zusammenhang sehen: Deutsche Sitten und Ausdrucksweisen, Feinheiten der Sprache, das eigene Verhalten. Folgendes sei weitergegeben: Ich lese einen Text über Frühlingswünsche und stoppe bei der Formulierung: „Die Vögel singen auf den Bäumen“. Dann verbessere ich: „in den Bäumen“. Die Lehrerin ist verwirrt und fragt nach. Da die Autorin des Textes sich wünschte, der Text solle auch im Deutschen poetisch klingen, hielt ich das für die passendere Lösung – aber wieso? Letztendlich kam ich zu der Erkenntnis, dass „auf den Bäumen“ eine rein praktische Ortsangabe sei und man sich vielleicht (wenn man nicht die Beschaffenheit eines Baumes bedenkt) vorstelle, dass die Vögel oben auf dem Baum (so wie eine Wetterhahn auf dem Kirchturm) sitzt. „In den Bäumen“ käme dann dem typischen Vogelverhalten näher. Jetzt kommt mir das Ganze etwas haarspalterisch vor – aber daran habe ich unter anderem gesehen, wie schwer es ist, seine Muttersprache zu erklären. Da man sie doch ohne bewusste Regeln gelernt hat. Noch deutlicher wird es bei Deklinationsübungen – wie dankbar bin ich meinem Lateinunterricht, sonst müsste ich noch länger nachdenken. Und auch so schummle ich: Mit Beispielsätzen wie: „Wem wird das Essen gegeben?“ – „Den Kindern wird das Essen gegeben.“ So bekomme auch ich den Dativ Plural recht schnell hin…
  • Ich lebe (zu) sehr in der Gegenwart. Die nähere Vergangenheit (die hier in Russland) ist keinesfalls verblasst, aber trotzdem wie ein Film, den ich so gut kenne, dass ich ihn nicht mehr schaue und auch nur selten bedenke. Die fernere Vergangenheit ist ein riesiger Schatz und es ist schwer zu verstehen, dass das Leben, zu dem ich so lange gehörte, in Deutschland einfach so weitergeht und ich nicht dorthin zurückkommen werde, wo ich aufgebrochen bin (räumlich gesehen hoffentlich schon…). Dadurch wird die „Heimat“ fast wie eine Überraschung, auf die ich mich jetzt schon freue. Hauptgedankenspiel: Wie sieht der Garten wohl Mitte August aus. Vielleicht sollte ich meine Ideen/Gedankenbild festhalten und dann vergleichen.

    Die Zukunft entzieht sich meiner Gedankenkraft. Ich will ja über langfristige Zukunftsplanungen nachdenken, aber jedes Mal schweifen die Gedanken ab… oder die Hände greifen nach einem Buch… oder das Wetter ist zu schön. So habe ich momentan nur einen Plan, den ich nicht einmal für besonders intelligent oder ausgereift halte. Schlecht, aber es wird sicher. Vielleicht warte ich ja auch darauf?!

    Ein wichtiger Faktor ist sicher mein wunderbares Zimmer. Es ist ein „nach Hause kommen“, es fühlt sich nicht nur so an. Wenn man samstags um 15 Uhr nach Hause kommt und fast drei Stunden Sonne zur Eröffnung des Wochenendes hat, kann man doch nur zufrieden sein.

    Ein bisschen sind auch die Umstände „Schuld“ an meinem Verharren im Augenblick. Planung ist auch in der Schule eher Theorie und Planänderungen eher die Praxis. Ich habe mindestens fünf Präsentationen (auf Bitten der Lehrerinnen) vorbereitet, aber erst eine davon auch verwendet. Ich warte oft vor verabredeten Räumen und renne wenige Minuten später durch die Schule auf der Suche nach einer Klasse… Man sollte lieber nicht planen und auf keinen Fall am Plan festhalten, denn alle um dich herum sind das gewohnt und vielleicht fällt es ihnen gar nicht mehr auf.

Ich könnte lange so weiter schreiben, aber ich befürchte, dass nur wenig aus der Ferne und in so ganz anderen Situationen nachvollziehbar ist, da mir einfach die Worte fehlen, das Erlebte und Gefühlte für andere fühlbar zu machen. Auch diesen Text habe ich in zwei Abschnitten geschrieben und bei der Durchsicht des ersten hätte ich beinahe begonnen, vieles zu verändern…

  • Die Quintessenz im Augenblick ist: Ich bin zufrieden. Nicht vor Glück und Erfüllung euphorisch und nicht verzweifelt und am Ende. Sondern dazwischen. Und das konstant seit meiner Ankunft in dieser Stadt. Und darüber freue ich mich!
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VII. Touristin – Ein Palast für die Demokratie

An einem äußerst trüben Tag fuhren wir zum „Kongress-Palast“. Wo früher der Zarensohn Alexander wohnte, tagt heute das russische Parlament, wenn es in St. Petersburg weilt. Die meiste Zeit des Jahres werden die Empfangsräume und das Büro des Präsidenten und die weitläufigen Gartenanlagen allerdings gepflegt. Und Besucher verirren sich nur selten hierher.

Der Eindruck der Verschwendung, der die triste Stimmung nicht wett machen konnte, drängte sich uns förmlich an allen Ecken auf. „Hier der Aufzug des Präsidenten“ – „Hier der Empfangssaal, einer russischen Offiziersmesse nachempfunden“ – „Hier der inoffizielle Speiseraum mit holländischen Kacheln aus der Zeit Peters des I. Dieser Raum wird ungefähr zweimal in Jahr genutzt“…

Worauf die Fremdenführerin besonders stolz war, war die Galerie der Fotos von einem G8-Gipfel, der hier stattgefunden hatte. Auf die Fotos schien sie stolzer, als auf das Ereignis an sich. Sie konnte auch nicht verstehen, dass die österreichischen Gäste bei Anblick von Frau Merkel in Verzückung gerieten.

Die Bilder vermitteln ein besseres Bild von der Anlage, als meine Beschreibungen es könnten. Sicher hat das Wetter einiges dazu beigetragen, aber wir waren alle fassungslos über das Gesehene. Das ganze Jahr über werden hier viele ältere Damen beschäftigt – sie bewachen die verlassenen Räume. Das Militär hat einen eigenen Stützpunkt vor Ort, sodass man aus manchen Perspektiven nicht fotografieren darf – es könnte sein, dass ein Gebäudeteil abgebildet würde. Der Park wird von einer Gärtenerkolonne gepflegt – für die seltenen Fotos nach Großveranstaltungen. Das Büro des Präsidenten wird bewacht – auch ohne Präsident. Kunstschätze werden regelmäßig abgestaubt – auch wenn sie niemand betrachtet.

Ich weiß auch, dass die deutsche Demokratie Wert auf standesgemäße Repräsentation legt. Dennoch scheint es mir, als sei das Arbeiten Hauptbestandteil der Gebäudeplanung, der dann noch die richtige Menge Eleganz beigemischt wird. So hat sich jedenfalls das Bundeskanzleramt am Tag der offenen Tür präsentiert. Vielleicht entsteht der Eindruck auch dadurch, dass hier in Russland die Architektur und das Lebensgefühl einer Epoche vermittelt, die eigentlich der jetzigen Regierungsform widerspricht. Aber so kommt es dann, dass sich ein Präsident wie ein Zar gibt…

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