Oranienbaum

Spuren der deutschen Kultur lassen sich in St. Petersburg überall finden, so fällt auch der Name „Oranienbaum“ (allerdings auf der letzten Silbe betont, da russisch ausgesprochen) auf dem Stadtplan. Denn die südlich gelegene Vorstadt heiß zwar seit 1948 „Lomonossow“ nach dem ersten und wohl auch berühmtesten Wissenschaftler Russlands, Michail Wassiljewitsch Lomonossow, aber oft findet man – vor allem auf touristischen Karten, noch die alte Bezeichnung.

Am 8. Juli war eigentlich kein Ausflugswetter – heiß und schwül und dabei so bedeckt, dass man jederzeit ein Gewitter erwartete. Dennoch machten ich und Sarah, die Freiwillige der Deutschen Schule St. Petersburg, uns auf den Weg. Eine Lehrerin der DS hatte uns eingeladen zu einem Spaziergang durch den Park, sodass wir auch ein bisschen Hintergrundinformationen bekamen. Die Elektritschka fährt ca. 1 Stunde: durchs Grüne, an Datschen vorbei, den hohen Wohnkomplexen der Vorstadt. Am Bahnhof hatten wir dann sogar unseren persönlichen Shuttledienst zum Park – und die Wolkendecke milderte die Hitze etwas.

Der Park gehört mit zu den ältesten Schlossanlagen St. Petersburg, denn er war ein Geschenk Peters des Großen an seinen Freund und Berater Menschikow, dem ersten Gouverneur der Stadt. Nachdem er in der Orangerie die südlichen Zitrusfrüchte zu züchten begonnen hatte, erhielt der entstehende Ort seinen Namen. Auch heute noch kann man den Orangenbaum auf dem Wappen des Ortes sehen.

Die ganze Geschichte des Ortes hier darzulegen, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen und wahrscheinlich auch langweilen. Dennoch ist interessant, wie eng auch diese Geschichte mit der deutschen verbunden ist, darum sei noch folgendes erzählt:

Auf dem Parkgelände findet man einen kleinen Palast, der diesen Namen kaum verdient, ist der doch nicht viel größer als ein Einfamilienhaus. Hier lebte Zar Peter III., der kein Russe war, sondern über die verschlungenen Erbfolgewege seine Tante, die Zarin Elisabeth, beehrte. Geboren worden war er in Preußen als Karl Peter Ulrich von Schleswig-Holstein-Gottorf. Zeit seines Lebens verehrte er den preußischen Kaiser, mit dem Russland zum Zeitpunkt seines Amtsantrittes aber im Krieg stand. Auch sonst tat Peter III. einiges, was dem russischen Hochadel missfiel: Er schaffte die Salzsteuer ab und führte eine Luxussteuer ein. Auch die Folter ließ er verbieten. Seine kurze Herrschaftszeit von sechs Monaten wurde auf eine – für die damalige Praxis – recht ungewöhnliche Art beendet. Nach einem Komplott innerhalb der Zarenfamilie ging er nicht mit Streitkräften vor, sondern wurde gefasst und unterschieb so seine Abdankung. Dass er kurze Zeit später ermordet wurde, war nicht geplant, sondern geschah vermutlich aus persönlichen Gründen ohne das Wissen der Zarin Katharina.

Dieser Zarin – ebenfalls preußische Prinzessin – verdankt Oranienbaum ein weiteres Stück der „deutschen“ Geschichte. Sie gewährte Siedlern viele Privilegien: Sie hatten Religionsfreiheit, 30 Jahre Steuerfreiheit und sogar eigene Rechtsprechung innerhalb der Siedlungen. Außerdem gab es Kredite für die Siedlungsphase und keine Wehrpflicht. Deshalb kamen viele deutsche Siedlerfamilien nach Russland und wurden nach Gutdünken der Zarin angesiedelt. So „entstanden“ die Wolga-Deutschen und auch die Siedlung Oranienbaum.

Das Gedankenspiel, was sich da aufdrängt, ist gar nicht spielbar: Was wäre die russische Geschichte, was wäre Russland ohne die deutsche Geschichte und Kultur? Trotz all der Grausamkeiten, die die Deutschen im letzten Jahrhundert dann in Russland verübt haben, ist das vielleicht einer der Gründe, weshalb die meisten Russen sehr interessiert sind, wenn sie erfahren, dass man aus Deutschland kommt. „Sprechen Sie Deutsch?“ wurde ich schon häufiger gefragt und immer sehr neugierig und freundlich.

Irgendwie ist es schön zu wissen, wie viel zwei so verschiedene Kulturen heute noch verbindet – trotz allem.

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nachts

Die Nachtgedanken…

…sind nicht dunkel, dazu hat es keine Zeit. Die Dämmerungen treffen sich morgens.

…halten mir einen Spiegel vor, öffnen das Fenster weit und packen den Rucksack.

…singen und rauschen und brausen entfernt. Knistern unhörbar und ungreifbar.

…meiden das Licht, um das Sichtbare für einen Moment zu vergessen.

…durchzieht ein erfrischender Hauch. Luftholen vom Sommer.

…schwirren durchs Fenster, über Dächer und stille Straßen.

…lassen planen. Morgen, übermorgen, die Zukunft.

…sind ganz persönlich, aber nicht einsam.

…brauchen Stille, um Ruhe zu geben.

…tragen Kleider der Träume.

…schlafen auch ein.

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Warum der Blog jetzt Rosa ist: Ich bin nicht plötzlich ein Fan von Rosa geworden (auch wenn ich jetzt das russische Wort für Rosa weiß nebst anderen Farben), aber ich wollte mein zwar sonniges, aber doch noch sehr vom Winter geprägtes Kopfzeilenbild austauschen! Sommer, Sonne, Blumen und Farbe! Und da passte als Hintergrund nur blasses, zartes Rosa… Ich muss mich auch noch daran gewöhnen 🙂

Publiziert am von Hanna Viehöfer-Jürgens | Kommentare deaktiviert für Farbe!

Ein freier Tag

Frei – immer noch, mal wieder…

Es ist immer hell: Beim Einschlafen, beim Aufstehen. Und es ist warm: draußen ist Sommer und in meinem Zimmer sowieso.

Je länger der Tag dauert, desto wärmer wird es. Draußen ist es angenehmer, denn die Wärme wird durch den steten Windhauch gemildert. Leider unterschätzt man so die Intensität der Sonne… Voll freier Zeit gehe ich in den Park:

Auf der Straße sind Menschen. Viele Menschen. Verschiedene Menschen. In Lederjacken, mit Mützen, in dünnsten Sommerkleidern und barfuß. Du kannst Tomaten und Erdbeeren und Schnittlauch und T-shirts und Spielzeug und Blumen kaufen. Und wie wäre es mit etwas Sushi? Oder neuer Pelzmode? Oder Fahrstunden? Manche Menschen streben einem Ziel entgegen, andere bleiben plötzlich stehen. Kinder lachen oder greinen, Erwachsene telefonieren. Die rote Ampel stoppt die Fußgänger, die Autos rollen weiter. 24 – 23 – 22 – 21 … Der Count-Down lässt geduldig warten. Bei 10 gehen/fahren alle los.

Die Häuser sind so unterschiedlich wie die Menschen: Wohnhäuser, Geschäfte, Restaurants, eine Schule, eine Brotfabrik… Alt sind sie viele – obwohl auch hier im Stadtzentrum die Neubauten aus dem Boden schießen – aber manche alten Häuser sehen aus wie neu – die neuen tarnen sich als alte. Sie sind viel farbiger, als man es in einer Stadt vielleicht erwartet: grünlich, orange, bläulich. Und manche tragen eine Helm.

Man hört den Verkehr, Menschen sprechen, Handys klingeln. Geräusche des Lebens. Vögel. Gratulationen vor dem Standesamt. Sirenen. Abgase und warmes Obst. Schweiß. Und dieser Blütenduft, dessen Ursprung verborgen bleibt.

Und dann der Park. Geöffnet von 7 bis 24 Uhr. Mit Bäumen und Wiesen und Beeten und Bänken. Mit Wasser und Brücken und Spielplätzen. Für jeden etwas. Kinder graben in Erde und pflücken Blätter. Menschen schlecken Eis und fahren Fahrrad. Hunde bellen.  Man sonnt sich: ordentlich drapiert, dahingegossen. Auf der Wiese, auf der Bank – halb nackt oder verhüllt. Grillen, Malen, Lesen, Fotografieren, Telefonieren, Reden, Lachen.   Das Gras stickelt, der Wind streichelt, die Sonne wärmt.

Kann man diese Szenen übertragen? Auf andere Städte in anderen Ländern auf anderen Kontinenten? Menschen sind sich doch so ähnlich, auch wenn sie sich nicht ähnlich sehen…

Es ist schön, nach dem Weg gefragt zu werden und eine Antwort zu geben.

 

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Ja gut, es gibt nur eine Möglichkeit: Sieg, Unentschieden oder Niederlage! (Franz Beckenbauer)

Gibt es einen idealeren Zeitpunkt, die Fußballerlebnisse der EM 2012 zusammenzufassen, als während des Endspiels? → Eine Momente-Sammlung:

Am Anfang: Livestream, erste Erfahrungen (ist das illegal?!). Alles hakt… ständig Werbung. Da sind die Engländer dann doch „konsequenter“ (was die Übertragung via Internet betrifft). Da weiß man aber nicht, wann die losschreien, denn britische Kommentatoren-Sprachmelodie unterscheidet sich sehr von deutscher. (Oder es liegt an meinem mangelnden Verständnis der Sprache?) Während man bei den deutschen Herren auch ohne Worte an der steigenden Tonhöhe und der Frequenz Wörter/Sekunde immer ganz genau weiß, wann es spannend wird, gleicht die britische Sprachkurve einer Grade mit urplötzlichen Ausschlägen. Interessant…

Laut jubelnde Russen mit offenem Fenster: Auch ich öffne meines – erfreuten Menschen zu zuhören ist schön!

Für den Überblick gibt es eine hand-made-Spielplan und – traditionell – das Tippen mit der Schwester – wenn diese heute Abend keine Prognose gemacht hat, dann stände es unentschieden… zum allerersten Mal. Ich muss eigentlich noch viele Gewinne an sie ausgeben…

13. Juni: Deutschland gegen Holland im Deutschen Generalkonsulat mit den Damen und Herren des niederländischen Konsulats. Orange gegen schwarz-rot-gold… Trotz allem: Die Regeln der Diplomatie werden eingehalten 🙂 Mit deutschem und holländischem Kartoffelsalat und internationalen Wüstchen. Schönes Erlebnis an einem kühlen Vorsommerabend.

Anschließend: Fußball fast jeden Abend. Spätes Schlafen fast jeden Abend. Als Russland ausschied, verschwand auch jeder Hinweis auf die EM aus der Stadt – die Russen begehen Fußball wahrscheinlich nicht als Nation, wie Deutschland es (wieder) tut, sondern im Wohnzimmer.

17. Juni: Erster Fußballabend mit der Schwester. Und die findet prompt einen laufenden Livestream… Fußball in Gemeinschaft ist schöner, fördert aber nicht die Erholung…

24. Juni: Das erste wirklich interessante Spiel (England gegen Italien – Viertelfinale) und die Schwestern hauen nach der regulären Spielzeit ab. Die letzten zwei Elfmeter-Schüsse sehen wir vor einem Italiener auf dem Nevski-Prospekt auf dem Weg zur Neva, zu den nächtlichen Brücken…

27. Juni: Wieder alleine. Halbfinale mit mittelmäßigem Unterhaltungswert.

28. Juni: Uninteressantes Halbfinale, trotz allem. Leise Berieselung aus dem Hintergrund reicht. Passiert ja nichts. In der Halbzeitpause: Bin ich älter geworden oder sind die deutschen Nachrichten unkonventioneller geworden? Seit wann zitiert man da Dante?

Jetzt: Tee und Fußball. Und Zukunft. Und Langzeitprojekt. Und Texte für den Blog. Schöner Abend nach einem arbeitsreichen Sonntag, an dem es leider geregnet hat…

Auf in eine der letzten Wochen…

Zum titelgebenden Zitat und seinem Urheber: Der „Kaiser“ ist für mich ein nicht nachvollziehbares Phänomen (vielleicht war das vor meiner Zeit…) Den Satz finde ich apart: Er fasst nicht nur den ganzen Fußball erstaunlich simpel zusammen, sondern auch das Leben, oder? Man hat nur ein Leben, ist auf einem Weg und wie das schlussendlich (nach Abpfiff) zu bewerten ist, kann man erst nach 90 Zeiteinheiten beurteilen. Wie schön!

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Erstes Ende

Das erste Ende: Das Ende der Schulzeit, meiner Arbeitszeit. Zwar ist das Schuljahr hier in Russland schon länger vorbei – seit Ende Mai ist die Schule entvölkert, aber nun ging auch meine Arbeitszeit nach den drei wohl arbeitsreichsten Wochen zu Ende. Während des Sommerkurses, in dem die Zehntklässler ihre DSD-Arbeit vorbereiteten, war ich jeden Tag immerhin 5 Stunden in der Schule und auch permanent beschäftigt. Vielleicht habe ich durch die Inventur, das Vorbereiten neuer Arbeitsmaterialien und das Sortieren alter Kopien auch etwas Sinnvolles, Bleibendes hinterlassen.

Die Schule wird nach den Ferien anders aussehen: Die Renovierungsarbeiten zeigten schon am letzten Tag erste Fortschritte. Darüber freue ich mich für die Schule, die ein bisschen Farbe und Leben gut gebrauchen kann. Während ich in der Nachbarschule ebenfalls Inventur der von der ZfA gestifteten Materialien machte, habe ich gesehen, dass auch russische Schulen eine eigene Seele haben können und der postsozialistische, pragmatische Eindruck, den meine Schule vermittelt, nicht überall noch besteht: Wie ich es aus meiner (alten) Schule kenne, hängen hier Schülerwerke aus dem Kunstunterricht an den Wänden, die in freundlichen Farben bunt gestrichen sind und alle Flure sind hell ausgeleuchtet. Ich hoffe nur, dass die – auf dem Vorbereitungsseminar vorgestellte und beinahe berühmte – Palme im Wintergarten der Deutsch-Etage überleben wird…

„Würdest du gerne länger bleiben?“ – Natürlich ist mir diese Frage von meinen Eltern gestellt worden und auch ich habe mich das gefragt: Aber trotz all der guten Erfahrungen, die ich gemacht habe, würde ich es jetzt, selbst wenn die Möglichkeit bestände, nicht wollen. Denn meine Arbeit an der Schule, die ja den Kern des Freiwilligendienstes ausmachen soll, hat mich nicht zufrieden gemacht und auch nicht gefordert. Natürlich ist es ein hoher Anspruch, als Abiturientin (mit etwas Abstand zur Schulzeit…) ohne Lehrerfahrungen und ohne Sprachkenntnisse in einem bestehenden, funktionierenden System nützlich zu sein, aber häufig habe ich mich sogar einfach überflüssig gefühlt. Und so sehr ich diese Stadt mag – es fühlt sich immer noch etwas unwirklich an, in dieser Stadt, in St. Petersburg zu wohnen – und so sehr es mich freut, wenn ich beinahe selbstverständlich meine Wege durch die Stadt finde: Ohne Arbeit und tägliche Routine fühle ich mich wie eine Dauertouristin. Zwar habe ich längst noch nicht alles gesehen (Aufgaben für die nächsten/letzten Wochen!), aber aus touristischer Sicht kenne ich St. Petersburg vielleicht besser als Hannover, wo ich immerhin 19+ Jahre gewohnt habe. Aber hier habe ich eben keine direkten Anlässe, in die Wohnviertel zu gehen und die Orte des täglichen Lebens mit zu bevölkern, die in der Heimatstadt selbstverständlich in den Lebenskreis gehören.

Darum: Auch wenn ich mich vor dem letzten Tag hier fürchte und die Tage förmlich zerrinnen sehe, freue ich mich auf die Zukunft, so unklar sie mir auch im Moment noch ist. Aber vielleicht ist das ja ihr Reiz? Und es bleiben ja noch viele Tage, die genossen werden wollen und können!

Fotos der letzten Schulwochen:

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Lebenszeichen…

Ja, ich bin noch in St. Petersburg…

Auch wenn ich seit fast einem Monat nichts mehr veröffentlicht habe, erlebe ich noch täglich vielerlei und oft auch Berichtenswertes. Aber erst hat der Alltag mit drei Wochen Arbeit am Ende der Schulzeit und dann der wunderbare zehntägige Besuch durch meine Schwester jede Minute meines Tages in Anspruch genommen. Das soll sich jetzt zum Ende noch ein bisschen ändern: Ideen habe ich genug und Zeit wahrscheinlich auch. So möchte ich mich auch für das Lesen des Blogs in den letzten vier Monaten bedanken und wieder „neuen Stoff“ bieten.

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Der Artikel zu Moskau ist fertig – nicht besonders wortgewaltig, dafür mit vielen Bilder ausstaffiert. Bevor dieser Ausflug verjährt ist, wollte ich doch fertig werden, darum ist es nun in dieser Form geschehen. Ich hoffe, es ist dennoch informativ!

Publiziert am von Hanna Viehöfer-Jürgens | Kommentare deaktiviert für Endlich!

VI. Touristin: Moskau – Москва

Wie schreibt man über 9 Stunden in einer Stadt, die rund 1000 Jahr alt ist? Die über 1000 Quadratkilometer groß ist, die das Zuhause von mehr als 11 Millionen Menschen ist? Wie und vor allem was schreibt man also über 9 Stunden in Moskau?

Ein Versuch: Die Fahrt mit dem Zug war unaufregend, aber interessant. Zwar standen wir über Nacht längere Zeit in einem Bahnhof, dessen Neonlicht bei jedem Aufwachen irritierte, zwar hatten wir das Fenster nicht ganz geschlossen und froren unter den Laken, zwar war ab kurz vor 7 Uhr nicht mehr an schlafen zu denken und das Frühstück für den hohlen Zahn – aber über allem schwebte die Freude über den Moment, die Situation, den nächsten Tag. Und wann fährt man denn schon mal in einem russischen Schlafwagen?! Ich würde es sofort wieder machen, auch für länger.

Erste Erkenntnis in Moskau: Daunenjackenträger haben Pech, denn hier herrscht Sommer. Am Ende des Tages hatten wir alle leicht gerötete Gesichter von der ungewohnten Menge an Sonne. Zweite Erkenntnis: So Groß! Wenn man aus dem Bahnhof tritt – man steht in einer Großstadt (Moskau ist jetzt wohl die größte Stadt, die ich in meinem Leben gesehen habe).

Zum Glück hatten wir für den ersten Teil des Tages, für die Stadtführung, einen Bus gemietet, in dem wir durch die Stadt gefahren wurden. Unsere Fremdenführerin war leider etwas unwillig, wenn wir mehr Zeit als vorgesehen zum Fotographieren brauchten oder nach dem Einsteigen die Lehrerinnen noch fehlten, da die Zigaretten nicht aufgeraucht waren. Trotzdem war es sehr informativ und dank des Busses sind wir auch herumgekommen. Das Highlight war sicher der Ausblick von der Terasse gegenüber des Uni-Hauptgebäudes (eine kleine Stadt für sich) über die Stadt.

Nachdem wir wieder im innersten Kern Moskaus angekommen waren, rannten wir eben mal schnell durch den Kreml. So schlimm war es dann doch nicht, allerdings hatten wir, nachdem jeder seine Tasche abgegeben hatte und diese gewogen worden war (Ja, Gebühr musste nach Gewicht bezahlt werden!) nur noch knapp eine Stunde Zeit, bevor sich die Türen zum politischen Allerheiligen Russlands schlossen.

Die Zeit bis zur Abfahrt konnten wir dann so nutzen, wie es uns gefiel – ich schaute kurz beim Bolschoi-Theater vorbei, leider nur von außen und aus der Ferne… Als dann alle wieder versammelt waren, ging es nach einer kurzen Fahrt mit der Moskauer Metro mit dem Sabsan-Zug in vier Stunden zurück nach St. Petersburg. Hier hatte es sich mittlerweile wieder abgekühlt, sodass die Daunenjacke dann noch noch für die letzten Meter nach Hause angenehm war.

 

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Drei volle, lebendige Wochen

Ich bin nicht verstummt, nicht abgereist und auch nicht krank! Warum ich aber trotzdem seit Wochen nichts mehr geschrieben habe, sei hiermit kurz erläutert: Vom 11. Mai bis zum 18. Mai hatte ich hohen Besuch aus Hannover. Mit meinen lieben Eltern hatte ich eine wunderbare Woche, die auch die wettertechnisch die sonnigste war, die ich bis jetzt hier erlebt habe. Von diesen ereignisreichen Tagen, an denen ich ein Mehrfachleben als Tochter, Touristin, Stadtführerin und Freiwillige in der Schule spielte, werden die Herrschaften selbst berichten – der Text sei in der Produktion, ließen sie verlauten… Ich werde dann noch die Fotos ergänzen, ganz nach dem Motto: Alles zu seiner Zeit!

Vom 21. Mai bis zum 25. Mai war dann das Zwischenseminar in St. Petersburg und Umgebung. Auch hier wurden wir mit Sonne verwöhnt, sodass wir schon nach zwei Tagen in einem sehr schönen Seminarhaus in Strelna, einem Vorort St. Petersburgs, gebräunt in die Stadt zurückkehrten. Nachdem am Mittwoch der Besuch in Peterhof den Auftakt gemacht hatte, waren die „Stadttage“ dann mehr kulturell geprägt: Stadtführung und Erkundung auf eigene Faust, Ballettbesuch… Natürlich wäre ich auch gerne und sofort in andere Städte gereist, doch die Rolle als „Gastgeberin“ war auch eine angenehme…

…die ich dann noch ein bisschen zur Perfektion getrieben habe: Zwei Nächte lang haben meine baltischen Nachbarinnen Laura und Sabrina aus Riga bzw. Vilnius bei mir geschlafen. Gemeinsam mit den „Belarussinnen“ Annemarie und Michaela haben wir drei weitere schöne, urlaubige Tage erlebt: Gemeinsames Kochen, Brücken bei Nacht anschauen, gefährliche Kirchtürme besteigen, picknicken, spazieren…

Am Mittwochabend (30. Mai) haben wir uns dann wieder auf den Weg gemacht: Die Vier jeweils „nach Hause“ und ich zum Sprachkurs. Nach der nunmehr fünften Unterrichtseinheit merke ich besonders beim Verstehen deutliche Fortschritte. Waren die Sätze vorher eher Melodien ohne Punkt und Komma, erkenne ich jetzt nach und nach grammatikalische Strukturen und kann so manchmal den Charakter einen Satzes erfassen, auch wenn mir zum Verständnis noch fast alle Wörter fehlen. Dass sprachliche Fortschritte auch so ihren Haken habe können, habe ich gestern erlebt: Meinen kleinen, bescheidenen Einkauf konnte ich nur mit 500 Rubeln bezahlen, was die Kassiererin geärgert hat oder ihr besonders Mühe bereitet hat. Das hat sie mit einem langen Wortschwall zum Ausdruck gebracht, den ich nicht verstanden habe – worum es aber ging, war eindeutig. Die wiederholt gestellt Frage konnte ich nur mit Я не понимаю по русскии (ja ne panimaju pa russki=Ich verstehe kein Russisch) beantworten, was sie auch gleich zum Verstummen brachte. Als sie mir dann das Wechselgeld gab und mit einem 100-Rubel-Schein wedelte, erinnerte ich mich an das soeben Gelernte: У меня не ест сто рублей (u menja ne jest sto rubljei=Ich habe nicht 100 Rubel). Hätte ich das mal nicht gesagt: Die Frau hielt meine erste Russische Aussage für völlige Quatsch und mich für (etwas) dumm. Nach mir hat sie die Kasse geschlossen…

Das Gute am vermehrten verstehen habe ich dann heute (31. Mai) erlebt. Gegen 21:00 Uhr klopfte meine Vermieterin an der Tür und sagte, Andrej (der neue Mieter eines Raumes, der während der „Datscha-Zeit“ vermietet ist) wolle mir etwas erzählen. Da seine Frau, die auch anderswo wohnt, noch arbeiten musste und sein Geburtstag war, wollte er wenigstens ein wenig Konversation betreiben (und seine Neugier stillen). So haben wir ein dreisprachiges Gespräch geführt, in dessen Verlauf ich nicht mehr wusste, ob Englisch oder Russisch sprechen. Andrej war in den Neunziger Jahren für 2 Jahre in Deutschland in Eberswalde und besonders begeistert, dass ich weiß, wo dieser Ort liegt.  Er mag Deutschland sehr, hat aber teilweise seltsame Ansichten und ist während des Gesprächs permanent von einem zum anderen Thema gesprungen. Der Transfer vom deutschen Schulsystem zum Satz „Gott sieht alles.“ war für mich nur schwer nachvollziehbar, sodass ich Marina nach der Übersetzung fragen musste, obgleich ich diese Aussage verstanden hatte. Die Unterhaltung war wirklich interessant und auch sehr unterhaltsam.

Nun sammle ich die Scherben meines Projektes auf und versuche, alles zum Besten zu kehren. Bis Freitag nächster Woche findet in der Schule noch der „Sommerkurs“ statt, in dem die SchülerInnen der 10. Klasse für die DSD2-Prüfungen üben und lernen. In dieser Zeit bin ich also noch offiziell beschäftigt, auch wenn ich im Moment nur große Kopieraktionen und eine Inventur der Lehrmittel mache. Was danach beschäftigungsmäßig kommt, ist noch unklar, aber ich weiß, wen ich am 17. Juni in die Arme schließen werde… Wie ich mich jetzt schon freue!

Soweit diese kurze Statusmeldung. So schnell wie möglich sollen hier am Wochenende Bilder und Texte folgen. Und viele persönliche Nachrichten werden auch auf den Weg geschickt werden – hoffentlich nicht nur virtuell…

Nach knapp 100 Tagen in St. Petersburg rückt das Ende zwar schon spürbar näher, trotzdem kommt jetzt mit den freien Tagen, den Weißen Nächten und der warmen Sonne eine Zeit, auf die ich mich sehr freue und Hannover und das Nachbereitungsseminar (und alles weitere sowieso) sind noch ganz fern. Aus dieser Ferne versende ich hier nun viele Grüße an alle Welt/alle LeserInnen/alle Freiwilligen und alle, die ich sonst noch meine…

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