14. Juli 2012: Eine Schlüsselfunktion für die St. Petersburger Geschichte hat auch die Schlüsselburg (Шлисселбург) in der Mündung der Neva in den Ladogasee. Dorthin gelangt man wie so oft erst mit der Metro und dann mit dem Bus. Dabei kann man entweder den Linienbus nehmen oder einen etwas schnelleren und teureren. Wir haben uns der Vollständigkeit halber für beides entschieden und auf dem Hinweg den „Luxusbus“ genommen. Die Rückfahrt hat dann erstaunlicherweise nur 21 Rubel (in St. Petersburg kostet eine Busfahrt sonst 23 Rubel) gekostet, obwohl wir fast 1,5 Stunden gefahren sind. Und noch erstaunlicher war, dass wir drei Fahrkarten bekamen: zweimal 10-Rubel-Fahrkarten und eine 1 Rubel-Fahrkarte… Während der Fahrt sieht man manchmal die Neva zwischen den Bäumen hervorglitzern und fährt durch Ortschaften, Datschensiedlungen und Brachflächen. Merkwürdigerweise gibt es hier keine Landwirtschaft, wie man es in Deutschland außerhalb der Städte gewohnt ist.
Zur Festung gelangt man dann von einem zusammengelöteten Anleger aus mit einem Motorboot: Man steigt ein, wartet, dass das Boot voll wird, zieht Rettungswesten über und jagt zur anderen Seite der Neva. Dort werden noch mehr Menschen eingeladen und zur Festungsinsel übergesetzt.
Beim Aussteigen – Frauen wird die Hand gereicht zur Hilfe – bezahlt man die Passage und steht dann auf einem Betonanleger, der auch stillgelegt sein könnte.
Als wir ankamen, war es kurz nach 11 Uhr und scheinbar noch geschlossen, da recht viele Menschen vor dem Haupttor standen. Also machten wir uns auf dem Trampelpfad (!) daran, die Anlage zu umrunden und fanden so auch einen anderen Zugang. Das Haupttor war generell nicht zugänglich, da dieser Abschnitt momentan repariert wird.
Bewusst habe ich „repariert“ statt „restauriert“ geschrieben – ich hätte auch „neu gemacht“ schreiben können: Denn es scheint bei den Arbeiten nicht um das Erhalten des Istzustandes zu gehen, sondern um die Wiederherstellung des Originalzustandes. So werden Mauerabschnitte einfach neu gemauert oder eine neue Schicht wird an der Mauer hochgezogen. Oder das Turmdach wird mit frischem Holz gedeckt, wobei die frischen Holzfarbe gegenüber dem übrigen Grau stark auffällt. Dass hier etwas getan wird, ist unbedingt notwendig, sonst wären die Sträucher in eine paar Jahren Bäume und die Anlage ein von einer Mauer umgebenes Wäldchen mit Ruinen. Aber muss man alles neu machen?
Obwohl die Informationstafel zur Geschichte der Festung auch auf Englisch vorhanden sind, sind hier nur wenig Touristen. An diesem Vormittag waren wir – soweit wir das mitbekamen – die einzigen nicht russischem Besucher. Hier fiel uns dasselbe auf wie in Wyborg: In Deutschland, Frankreich… wäre dieser Ort schon lange überschwemmt mit Souvenirläden und Cafés und die Besucher kämen in Scharen. Für Wyborg habe ich mittlerweile in St. Petersburg Exkursionangeboten gesehen (alle Russisch), für Schlüsselburg noch nicht. Aber vielleicht gibt es hier im Leningrader Oblast (Gebiet um St. Petersburg) einfach zu viel kulturelles Angebot.
Allerdings ist die Festung wie zu Anfang geschrieben entscheidend für die St. Petersburger Geschichte: Nachdem Peter auch hier Spuren hinterließ und den ersten Festungskomplex mit Gefängnis errichten ließ, um im Russisch-Schwedischen Krieg einen sicheren Stützpunkt zu haben (später „lebte“ hier auch seine erste Ehefrau), garantierte die Schlüsselburg während der Belagerung die Versorgung der gesamten Stadt. Über den zugefrorenen Ladogasee wurden mit LKWs oder auch per Zug (in der Tat wurde eine Holzkonstruktion mit Schienen über die Eisfläche konstruiert) Lebensmittel und Brennstoffe transportiert und hier begann auch der Aufbruch des Belagerungsringes. Darum ist die Kirchenruine eine Denkmal für die Soldaten, die hier in dieser Zeit Dienst Taten. Und ein paar moderne Kanonen stehen auch noch da.
Nachdem wir die Festung gesehen hatten und mit dem Motorboot in einer sehr rasanten Fahrt wieder auf das Festland gebracht worden waren, gingen wir entlang des Seeufers spazieren. Hier gibt es aber nicht wie zu erwarten Ferienwohnungen oder Hotels, sondern kleine Datschen, Plattenbauten und Schiffsanlegen. Ab und zu sieht man Baustellen von großen Villen, teilweise verlassen. Die Ortschaft an sich sieht genauso aus wie die Wohngebiete in den Außenbezirken St. Petersburgs oder in Wyborg. So waren wir schon am frühen Nachmittag fertig mir unserer Besichtigung der Festung und der Ortschaft und hatten noch einen halben Tag in St. Petersburg. Bei der Rückfahrt habe ich die erste Metrostation an der Oberfläche gesehen – auch das gibt es also.