Oranienbaum

Spuren der deutschen Kultur lassen sich in St. Petersburg überall finden, so fällt auch der Name „Oranienbaum“ (allerdings auf der letzten Silbe betont, da russisch ausgesprochen) auf dem Stadtplan. Denn die südlich gelegene Vorstadt heiß zwar seit 1948 „Lomonossow“ nach dem ersten und wohl auch berühmtesten Wissenschaftler Russlands, Michail Wassiljewitsch Lomonossow, aber oft findet man – vor allem auf touristischen Karten, noch die alte Bezeichnung.

Am 8. Juli war eigentlich kein Ausflugswetter – heiß und schwül und dabei so bedeckt, dass man jederzeit ein Gewitter erwartete. Dennoch machten ich und Sarah, die Freiwillige der Deutschen Schule St. Petersburg, uns auf den Weg. Eine Lehrerin der DS hatte uns eingeladen zu einem Spaziergang durch den Park, sodass wir auch ein bisschen Hintergrundinformationen bekamen. Die Elektritschka fährt ca. 1 Stunde: durchs Grüne, an Datschen vorbei, den hohen Wohnkomplexen der Vorstadt. Am Bahnhof hatten wir dann sogar unseren persönlichen Shuttledienst zum Park – und die Wolkendecke milderte die Hitze etwas.

Der Park gehört mit zu den ältesten Schlossanlagen St. Petersburg, denn er war ein Geschenk Peters des Großen an seinen Freund und Berater Menschikow, dem ersten Gouverneur der Stadt. Nachdem er in der Orangerie die südlichen Zitrusfrüchte zu züchten begonnen hatte, erhielt der entstehende Ort seinen Namen. Auch heute noch kann man den Orangenbaum auf dem Wappen des Ortes sehen.

Die ganze Geschichte des Ortes hier darzulegen, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen und wahrscheinlich auch langweilen. Dennoch ist interessant, wie eng auch diese Geschichte mit der deutschen verbunden ist, darum sei noch folgendes erzählt:

Auf dem Parkgelände findet man einen kleinen Palast, der diesen Namen kaum verdient, ist der doch nicht viel größer als ein Einfamilienhaus. Hier lebte Zar Peter III., der kein Russe war, sondern über die verschlungenen Erbfolgewege seine Tante, die Zarin Elisabeth, beehrte. Geboren worden war er in Preußen als Karl Peter Ulrich von Schleswig-Holstein-Gottorf. Zeit seines Lebens verehrte er den preußischen Kaiser, mit dem Russland zum Zeitpunkt seines Amtsantrittes aber im Krieg stand. Auch sonst tat Peter III. einiges, was dem russischen Hochadel missfiel: Er schaffte die Salzsteuer ab und führte eine Luxussteuer ein. Auch die Folter ließ er verbieten. Seine kurze Herrschaftszeit von sechs Monaten wurde auf eine – für die damalige Praxis – recht ungewöhnliche Art beendet. Nach einem Komplott innerhalb der Zarenfamilie ging er nicht mit Streitkräften vor, sondern wurde gefasst und unterschieb so seine Abdankung. Dass er kurze Zeit später ermordet wurde, war nicht geplant, sondern geschah vermutlich aus persönlichen Gründen ohne das Wissen der Zarin Katharina.

Dieser Zarin – ebenfalls preußische Prinzessin – verdankt Oranienbaum ein weiteres Stück der „deutschen“ Geschichte. Sie gewährte Siedlern viele Privilegien: Sie hatten Religionsfreiheit, 30 Jahre Steuerfreiheit und sogar eigene Rechtsprechung innerhalb der Siedlungen. Außerdem gab es Kredite für die Siedlungsphase und keine Wehrpflicht. Deshalb kamen viele deutsche Siedlerfamilien nach Russland und wurden nach Gutdünken der Zarin angesiedelt. So „entstanden“ die Wolga-Deutschen und auch die Siedlung Oranienbaum.

Das Gedankenspiel, was sich da aufdrängt, ist gar nicht spielbar: Was wäre die russische Geschichte, was wäre Russland ohne die deutsche Geschichte und Kultur? Trotz all der Grausamkeiten, die die Deutschen im letzten Jahrhundert dann in Russland verübt haben, ist das vielleicht einer der Gründe, weshalb die meisten Russen sehr interessiert sind, wenn sie erfahren, dass man aus Deutschland kommt. „Sprechen Sie Deutsch?“ wurde ich schon häufiger gefragt und immer sehr neugierig und freundlich.

Irgendwie ist es schön zu wissen, wie viel zwei so verschiedene Kulturen heute noch verbindet – trotz allem.

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